Stefan Jäger Archiv

Aquarellskizzen und Handzeichnungen für die Gedenkstätte

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0197
Autor Name: Karl-Hans Gross
Titel des Artikels : Aquarellskizzen und Handzeichnungen für die Gedenkstätte
Untertitel des Artikels: Noch einmal Stefan Jäger
Publikation: Zeitschrift
Titel der Publikation: Volk und Kultur
Erscheinungsort: Bukarest
Jahr: 1978
Jahrgang: 30
Heft: 1
Seite: 14-16
* [[Karl-Hans Gross]]: [[ART:0197 - Aquarellskizzen und Handzeichnungen für die Gedenkstätte|<i>Aquarellskizzen und Handzeichnungen für die Gedenkstätte</i>. Noch einmal Stefan Jäger]]. Volk und Kultur, Bukarest 1978 (Jg.30 Heft1), S. 14-16

Noch einmal Stefan Jäger

Heufeld - WK:0644
Giebelhaus in Triebswetter - WK:2259
Kerweigäste - WK:0641
Erdäppl ernten - WK:0901
Schwäbische Familie - WK:0918
Hutputzen - WK:0894
Wenn die Alten lustig sind - WK:0982

Vor geraumer Zeit bekam ich in der ersten Schulpause unerwartet Besuch, der sich recht bald als eine überaus erfreuliche Überraschung erweisen sollte. Nämlich, ein noch naher Verwandter der Nichte des Künstlers überreichte mir in deren Namen einen großformatigen hellbraunen Umschlag mit einem sehr wertvollen Inhalt – Originalskizzen und -studien in kleineren Formaten, für deren Authentizität der Maler Franz Ferch fallweise gegenzeichnet, wo nicht die Initialen St. J. im rechten oder linken unteren Bildwinkel eigenhändig vom Künstler gesetzt worden waren. Damit hatte sich Maria Jäger neuerdings als wohlwollender Spender erwiesen und ist unseren Bestrebungen in uneigennütziger Weise bedingungslos entgegengekommen, wofür wir zu anerkennendem Dank verpflichtet sind.
Die mit Wasserfarben, Bleistift, Tusche und Pastell ausgeführten Materialien, sind, wie schon so oft an anderer Stelle erwähnt, meistens an den vom wanderfreudigen Künstler besuchten Orten der nahen und fernen Banater Dörfer, der Heidefluren und Hecken, entstanden. Obzwar auf allerlei Papierstücken, vom gewöhnlichen Zeitungs-, Heft- und Packpapier, bis zum feinsten Zeichen- oder gar Velourpapier und bestpräparierten Leinwandstücken (die als Abfallstreifen immer wieder bei dem sparsamen Künstler zweckdienliche Verwendung finden), ausgeführt, sind diese für die Bereicherung der Ausstellung, der Erweiterung und Vertiefung unseres Wissens über Leben und Werk Stefan Jägers von überaus großer Bedeutung. Sie werden sobald wie möglich an gebührender Stelle ihren ständigen Platz in der hiesigen Gedenkstätte Stefan Jäger finden und dem Besucher zur freien Einsicht vorgestellt.
Dem Heidestädter ist die Gedenkstätte zumindest der Lage und Bedeutung nach gut bekannt. Der Ortsfremde hält sich am Besten nach dem „Floriani", wenn er nach der Gedenkstätte sucht! Justament steht diese allbekannte Sandsteinskulptur auf einem massigen Achtkanterpostament mitten in der Stadt, allen Verkehrsbedenken zum Trotz, da, wo sich die Hauptverkehrsader mit den in Ost- und Westrichtung auslaufenden breiten Straßen kreuzt. Unweit davon entfernt steht in der alten Hauptgasse, droben an der Ecke, ein langgestrecktes niederes Haus, dessen Bau im rechten Winkel angelegt ist. Hinter den ersten beiden Doppelfenstern befand sich dazumal die bescheidene Wohnung des Meisters: das Zimmer, die Küche und der kleine Vorraum mit seinem hochtürigen Ausgang in den Hof. Von hier aus machte der fleißige Maler seinen täglichen Gang bis hinüber in das geräumige Atelier. Und wie die Zeit verging! Noch im hohen Alter eilte der nimmermüde Greis trippelnden Schrittes zur Arbeit in den Hinterhof, in seine Werkstätte. Heute sind dort etliche Arbeiten ausgestellt. Eine schwarze holzgerahmte Glasscheibe mit goldenen Lettern ist an der weißgetünchten Giebelwand in der Kreuzgasse am gleichen Hause, auf halber Mauerhöhe vom Dachfirst, angebracht und kündet: Gedenkstätte Stefan Jäger. Dem interessierten Atelierbesucher kam der Meister immer schon am Eingang entgegen. Die massive Eichenholztüre mit der fülligen Messingklinke führte in einen schmalen Vorraum, wo mit einer sogenannten „spanischen Wand" dem Eintretenden die freie Sicht bis an das andere Zimmerende verwehrt wurde. Da lag das gehackte und säuberlich aufgeschichtete Brennholz für den Winter bereit. Drüben im großen Saale aber standen die alten Möbel und Sachen unverrückt über die Jahre hin an ihrem alten Platze. Und wenn die gute Katinéni, die langjährige Betreuerin in seinem Hause, zweimal im Jahre zum allgemeinen Reinemachen mit Besen und Bürste auf seine strikte Weisung hin in die Werkstätte kam, lag da und dort auf etlichen mit großen Papierbogen gutverhüllten Malsachen ein Zettel obenauf: „Bitte nicht berühren!"
Eigentlich war der große Saal mit seinen 70 Flächenquadratmetern auf halber Hohe und Länge querüber von einem großen Vorhang in zwei geteilt. Dahinter, im eigentlichen Arbeitsraume lagen die Malutensilien und allerlei Sachen in Schränken, auf Tischen und Gestellen. Davor aber war ein fast leerer Raum. Feierliche Stille umfing den Besucher. Kleinmütig und unbeholfen stand er da im einfallenden hellen Lichte, das durch seine Fülle die alabasterweißen Wände im Widerschein der eingefangenen Sonne domhaft in die Höhe wachsen ließ.
Das nüchterne Auge nimmt im kahlen Räume vor dem alten verblauten Behang ein rundes Tischlein wahr, mit einem Stoß gebündelter Skizzen und Entwürfen; drüben in der Zimmerecke eine kleinere schwarzgestrichene Staffelei, die auf ihren klobigen Holzschrauben ein großformatiges Ölbild trägt. Es ist mit einem graublauen Tuch verhängt. Ein abgeschabter Polsterstuhl ist mehr als obligates Möbelstuck und weniger als Sitzgestell irgendwohin gestellt. So bleibt man schließlich mitten im Saale aufrecht stehlt, wartet und sinnt dahin, denn keiner wagt es, seine Neugierde hinter dem verhüllenden Vorhang zu tilgen.
Nichts ist von all diesen Dingen an ihrem alten Platz verblieben, wohin der Maler sie einstens gestellt hat. Einige Habseligkeilen aus seinem einstigen Besitz konnten etliche Jahre nach seinem Tod (1962) für die Errichtung der Gedenkstätte (1969) zusammengetragen werden. An der Stirnseite des geräumigen Saales kam das große Einwanderungsbild zur Schau. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte man ein einziges Bild an die Wand gehängt (1971), das vom Künstler gemalte Bild seiner Mutter (Öl, 24,5 x 24 cm). Es ist von einem breiten, altmodischen und verschnörkelten Goldrahmen eingefasst, der die rembrandtschen Hell-Dunkeleffekte des von Jäger gemalten Bildnisses noch mehr zur Geltung kommen lässt. Zwei helle Augen voller Sanftmut und Liebe blicken dem Betrachter geradewegs ins Angesicht. Das offene und gutmütige Antlitz einer gealterten Frau mit grauweißem Haar hebt sich plastisch vom dunklen Hintergründe ab.
An anderer Stelle sind noch weitere Gemälde, Gebrauchsgegenstände und schließlich die vielen Skizzen, mit den graulichen Passepartouten hinter Glas, ausgestellt. So bald als möglich wird man die eingangs erwähnten Neuanschaffungen diesen Ausstellungsobjekten beiordnen. Vom Thematischen her zeigen diese Skizzen meistens bekannte Motive: Kerweiszenen, Dorf- und Hofpartien, die Arbeit auf dem Feld, Landschaften und dergleichen. In vielen Stücken erkennen wir die Entwürfe und Vorlagen für bedeutende Arbeiten, die als Aquarellbilder (als solche aber zumeist in einer Mischtechnik mit vorherrschenden Gouachen ausgeführt) oder auch großformatige Ölgemälde bekannt geworden sind. Dabei wäre aber der besondere Wert dieser kleinen und kleinsten Papierstücke nicht nur allein in den Motiven zu suchen sondern in der Tatsache, dass sie in konkreter Weise Ereignisse aus dem Leben der Menschen auf dem Dorfe darstellen. Andererseits aber sei darauf verwiesen, dass es uns gerade durch diese oft schon zerschlissenen Papiere ermöglicht wird, die richtigen Titel zu den überlieferten fertigen Arbeiten (Aquarelle. Ölbilder) nachzusetzen, weil der Künstler selbst häufig auf den Handzeichnungen und Entwürfen mit Bleistift die Benennung des Dargestellten angeführt hat. So ist es mit „In der Spinnstube“, „Während der Tanzpause“, „Schwäbische Familie“, „Hofpartie mit Flieder“, Im Schnitt“, usw.
Nichts kann dem Kundigen leichter die Phantasie erregen, als wenn er die farbprächtigen „Notizen" Stefan Jägers „liest" (sieht). Oft lassen sich einzelne Sequenzen aus dem weitgespannten Ablauf der Geschehen zur thematischen Einheit einer künstlerisch gemalten Bilderfolge integrieren. Damit im Zusammenhang wären vorerst die „Kerweibuben" (Pastell, 21,5 x 29 cm) zu erwähnen. Zwei frohgemute, jauchzende „Kerweibuwe" drängen sich in überaus auffälliger Weise in den Vordergrund des Zuges. In besonderem heben sich die blau-, rot- und rosafarbenen Bänderschleifen an den Hüten und die lebensfrohen jungen Gesichter der „Buwen" von der Umwelt ab. Hoch über den Köpfen schwenken die Hände an Schnüren und Bändern festgemachte Flaschen mit rotschillerndem Kerweiwein: „Buwe was kann mer heit??" „Kerwei!" „Jujujuh!“
Da ist alles echt und wahr an diesen Bildern, alles lebt und bewegt sich im Trubel des kleinen Zuges mit. Und es ist, als würden nicht nur allein die Menschen im Freudensrausche taumeln, sondern man „hört" ganz deutlich die schmetternden Schläge der Tschinellen, die dicke Trommel, das vielstimmige laute Blasen der Blechmusik in diesen Bildern mit.
Ungezählte Male gibt uns der Künstler ein beredtes Zeugnis von seiner scharfen Beobachtungsgabe, von seiner Kompetenz in Brauchtumsfragen, von seinem Wissen um Sorgen und Freuden im Leben seiner Mitmenschen. Fünf Skizzen von der Kerwei liegen vor: „Hutputzen“ (Aquarell, 15 x 25 cm), die schon erwähnten „Kerweibuben“, „Kerweigäste“ (Aquarell, 13 x 25 cm), „Kerweibock“ (Aquarell, 12 x 14 cm) und „Abholen der Vortänzerin (Segentau)“ (Aquarell. 8 x 11 cm) und überall weiß es der Künstler nur zu genau, auf was es ankommt im Erfassen und Darstellen von Tun und Schaffen der Leute. Seine Bilder (hier die Skizzen) sind nicht farb-getränkte Abdrucke einer vorgespielten Szene, sondern sind das Leben der Menschen selbst; sie sind das vom Leben durchpulste Körperliche, dessen Ausdruck vom inneren Seelenwerte im Bilde mitbestimmt wird. So liest man die helle Freude von den strahlenden Gesichtern der drei Mädchen ab, die die „geputzten" (geschmückten) Hüte mit den bunten Sträußchen aus kleinen silbrigen Viereckspiegeln und glitzerndem Flitterwerk Stück für Stück um den Hutkopf zur Krone gewunden haben: „Un meiner is, doch de schenscht, von alle Hitt“. – Dann kommen die Kerweigäste. Ein Zweispänner steht vor dem großen Einfahrtstor des schönen Giebelhauses mit den weißgetünchten Wänden und den hellen Fenstern auf den Gassen.
Beim Abholen der Vortänzerin wird nochmals das schöne Trachtenkleid der Mädchen gezeigt. Im Hofe stehen die Buben und Mädchen und auch die Musikanten. „Packerei" (Backwerk) und Wein wird vom Hausherrn und seinen Gehilfen allen Herumstehenden gereicht.
Am späten Nachmittag wetteifern die Männer aus den Dorf beim Kegeln um den Kerweibock. Noch sind ihm die bunten Sträußchen und Bänder in die gewundenen Hörner gesteckt und eine rosarote Masche leuchtet am Rumpfende auf, doch bald beginnt man das Feuer unterm großen Kessel zu schüren und rüstet zum traditionellen Gesellschaftsessen, dem Kerweibockpaprikasch.
Jäger kennt sich in allem Bäuerlichen aus. Draußen auf den Fluren ist der Schnitt im Gange: der Schnitter schwingt die Sense im rhythmischen Takt; zischend legt die scharfe Klinge die kornreifen Schwaden reihum auf die Stoppel nieder, kleckend rafft die fleißige Schnitterin die Halme mit der spitzen Sichel auf; ein Wagen ist schon vollgeladen. – Am späten Abend kommt der heimkehrende Maler nieder an den stillen Feldern vorbei. Da stehen nun die vielen Garben „aufs Kreuz gesetzt“, Und wie unser Maler das weiß: eine der Garben kommt nämlich unten in die Mitte; von beiden Seiten, an den Enden, je eine Dicke; sodann von links und rechts zum ersten Kreuz geformt und wieder von vorn, drei-viermal herum, bis oben auf dem kleinen kreuzgestellten Halmenturm. der „Pope" (letzte Garbe), als schirmende Kappe schief aufgesetzt.
Auf anderen Skizzen sind Landschaften dargestellt. Und die Häuser („Giebelhaus in Triebswetter“) und Dörfer („Novi Kozarci|Heufeld“) erscheint als Veduten auf dem Papier, woselbst der Meister eigenhändig und zeitbestimmend noch hinzudatiert: „Zsombolya, 911 jul.11“, „Abend, melken" abds. 7 Uhr. St.J” usf.
Überhaupt lässt er sich niemals in Ungenauigkeiten ein und überliefert uns durch seine scharfe Beobachtung und die überaus sensible Empfänglichkeit für das Ethnographische, konkrete Aufzeichnungen über Sitten und Bräuche auf dem Dorfe, deren Gepflogenheiten heutzutage nicht nur nicht mehr bekannt, sondern mancherorts schon lange der Vergessenheit anheim gefallen sind. Abgesehen von den Skizzen mit „In der Reih“, „Spinnstube“, „Maaje“ u.a.m. sei damit im Zusammenhang auf eine Winterszene verwiesen, in der Jäger etliche Schlitten mit feurigen Rossen in einer dörflichen Winterlandschaft zeigt. Ein mit jungen Männern vollbelandenes Gefährt auf Kufen macht vor der Flurseite eines Bauernhauses halt. Vor der Treppe zum pfeilergetragenen „Gang“ steht der Hausherr und schenkt ein. Im Bogenrahmen zeigt sich die Bäuerin. Sie hält noch leere Gläser in der einen Hund bereit. Mit „Weinkosten (Wintervergnügen)" schreibt der Künstler diese Skizze an.
Des Künstlers überaus ausgeprägte Feinsinnigkeit zeigt sich uns aber insbesondere in den zeichnerischen Versuchen zur Wiedergabe der hochsommerlichen Luftspiegelungen in der Heide. An heißen Sommertagen, wenn die helle Sonne im Zenit sieht und ihre flimmernden Lichtwellen über die weite Ebene fluten, wenn sich die trockene Hitze im unbewegten Luftraume über dem braven Wanderer staut und salzigwarmer Schweiß ihm aus den Hautporen bricht, wenn die blutvollen Adern schier an den Schläfen platzen und sich leichtem schwirrendes Summen in den Ohren leise und langsam verdichtet zu Musik – dann vermeint er schier zu träumen, und ihm ist’s als würde überm fernen Horizont der pflügende Bauer im silberweißen Flimmerstreifen seine Furchen ziehn, als würden die wenigen Bäume, weit hinten, das blaßschimmernde Dorf im dunstfarbenen Himmel stehn. Wie sonderbar! was narrt das schauende Auge auf diesem kurzen Weg und lässt die Fluren in den Lüften schweben, wo wellige Wärme vom siedendheißen Boden flimmrig nach oben eilt. Es ist, als wäre alles urplötzlich in eine Zauberwelt versetzt. Graziös tanzen die Bilder in der weiten Ferne dahin, doch kaum ein paar Schritte entfernt rütteln die Mücken über den Faulstoffen der Pferdeäpfel und rufen den sinnenden Buben in die reale Welt zurück. Welch eine Welt! Es ist kaum zu fassen!
Vielleicht sollten von den vielen Kleinodien der Jägerschen handgezeichneten Kunst, den vorliegenden Skizzen und Entwürfen, noch eine „Notierung“, Erwähnung bzw. Beachtung finden: „Wenn die Alten lustig sind“ und im Takte der Blechmusik in der Dorfschenke, im Polkaschritt die Beine schwingen. Als Blickfang ein Alter in Schlappen mitten im lustigen Geschehen. Er hüpft von einem auf das andere Bein. Und die Musik spielt dazu.
Das sind also die Jägerschen Skizzen: sie stecken voller Wahrheit und Sinn, deren Inhalt vom Erlebten in künstlerischer Weise immer wieder beflügelt wird. So sind sie für den Maler Marksteine zum großen Werk. Für uns aber ein Schatzkästlein von unsagbarem Wert. Wer es öffnet und darin blättert, wird sich an den hunderten und aberhundert kleinen Dingen dieser Menschen erfreuen, die der Maler zu Papier gebracht, und wird erkennen, das Stefan Jäger es mit Herz gemacht.

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