Stefan Jäger Archiv

Malerei als ethnografisches Dokument

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0987
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Autor Name: Richard Emmerich
Titel des Artikels : Malerei als ethnografisches Dokument
Untertitel des Artikels: Stefan Jäger und das Banater Dorf
Publikation: Zeitschrift
Titel der Publikation: Volk und Kultur
Untertitel der Publikation: Monatszeitschrift des Staatskomitees für Kultur und Kunst
Erscheinungsort: Bukarest
Jahr: 1967
Jahrgang: 14
Nummer: 8
Seite: 46-48
* [[Richard Emmerich]]: [[ART:0987 - Malerei als ethnografisches Dokument|<i>Malerei als ethnografisches Dokument</i>. Stefan Jäger und das Banater Dorf]]. Volk und Kultur, Bukarest 1967 (Jg.14 Nr.8), S. 46-48

Stefan Jäger und das Banater Dorf

Stefam Jäger: Heimkehr vom Felde - WK:0201
Stefan Jäger: Mittelstück des "Einwanderertryptichon" - WK:0376

Ein Professor des Hatzfelder Lyzeums und ein pensionierter Arzt aus Ostern gehören zu den wenigen, die nicht nur Jäger-Bilder sammeln, sondern in anonymer Sucharbeit auch bemüht waren, die überall im Banat und selbst im Ausland verstreuten Bilder des Hatzfelder Malers (soweit deren Besitzer erreichbar sind) sowie Angaben über sein Leben und Werk zu erfassen, in der Hoffnung, Vorarbeit au leisten für eine von einem Berufenen noch zu schreibende Monographie über den Banater Maler. Und sie gehören zu den vielen, denen im neunzigsten Geburtsjahr des Malers die erste Grossausstellung seiner Bilder zum freudigen Erlebnis wurden, zur Begegnung mit der Welt Stefan Jägers, wie sie noch niemand in dieser Fülle gesehen hat: rund hundertfünfzig Bilder, Aquarelle, Skizzen und Studien waren in den Räumen des Banater Museums in diesem Sommer zu sehen.
Im Geiste sehe ich die beiden durch die sechs Ausstellungsräume wandeln, und vielleicht mag ihnen nachdem die Freude über die Erfüllung des langgehegten Wunsches der kühlen Betrachtung gewichen war, oder auch manchem anderen Betrachter der sonst so lieben Bilder bei dieser Gelegenheit die Erkenntnis gekommen sein, wie eng doch die Welt Stefan Jägers eigentlich ist. Räumlich gesehen umfasst sie tatsächlich nur den engen Kreis von etlichen zehn Gemeinden der Banater Heide und thematisch kommt sie über den Alltag des Banater Dorfes kaum hinaus. Insofern dokumentieren die Bilder Stefan Jägers jenen Zug seiner Persönlichkeit, den Menschen, die ihn gekannt halben, mitunter bestätigen: seine äusserste Zurückhaltung und sichtbare Scheu vor Explosionen des Gefühls. Noch erinnert man sich in Hatzfeld, dass es den Maler, der einsame Spaziergänge durch die Heide liebte, einige Überwindung gekostet hat, aus sich herauszugehen, als ihm in hohem Alter durch hohe öffentliche Ehrung Dank für sein emsiges Schaffen zuteil wunde. Doch diese Schranke des Temperaments, die es ihm wohl versagte, über sich selbst und über seine Welt hinauszuwachsen, paarte sich bei Jäger mit einer innigen Liebe zur Tradition, zu den überlieferten Lebensformen und zu den Menschen seiner Heimat. Und was schadet es, dass er in sich gekehrt war, wenn das ihm die Kraft gab, diese unbestreitbar kleine Welt nach allen Seiten zu durchforschen? Und es ist, schreibt Franz Liebhard in einem Essay über Jäger, .,nicht weniger unbestreitbar, dass es doch eine Welt ist mit ihrem eigener Entwicklung entspringendem Wachstum, mit einem ihr innewohnenden Drang, verstanden, gehegt, gepflegt, geehrt und geliebt zu werden."
Und Stefan Jäger hat diese Welt wie kaum ein zweiter gehegt und gepflegt. Sein Werk ist eine vollkommene Monographie des schwäbischen Dorfes. Wer Jäger nur von seinen publikumsbeliebten „Kerweihbildern" her kennt, wird bei der Betrachtung der repräsentativen Schau wohl festgestellt haben, wie gross doch eigentlich die Welt Stefan Jägers ist. Sie umfasst alle möglichen Situationen des Banater Dorflebens: Feldarbeit, Plauderstündchen am Feierabend, Neckereien der Burschen und Mädchen, Kinderspiele. Spaziergänge am Sonntag, Volksfeste und -tanze. In feinen Formen und wohltemperierten Farben ziehen vor dem Hintergrund des Dorfes und der Banater Heide die Menschen in ihren farbenfrohen Trachten vorbei. Denn die Mehrzahl der Bilder sind Trachtenbilder. Gleichwohl kann man Jäger nicht (oder nicht nur) als Trachtenmaler bezeichnen. Es scheint vielmehr, dass die Volkstracht – auf deren Durchgestaltung bis ins kleinste Detail Jäger ungeheuer viel Wert legte – sein bevorzugtes Ausdrucksmittel war, um die Volkstypen, Bräuche und Situationen des Dorflebens glaubhaft und wahrheitsgetreu darzustellen. Aus der Art, wie er seine Menschen, die jungen und die alten, kleidet, bei der Arbeit, an Werktagen und an Festtagen, lässt sich viel über diese Menschen erfahren.
Seine Skizzen beweisen, mit wieviel Liebe und Eindringlichkeit er das Studium der Trachten und ihrer Varianten betrieb Diese Blätter sind ein komplettes Archiv der schwäbischen Trachten des Banats, wohl das einzige in seiner Art. Es ist bedauerlich, dass ein Teil der Zeichnungen nach dem Tod des Malers in Privatbesitz gerieten, und lobenswert ist die Initiative der beiden eingangs erwähnten Jäger-Liebhaber, eine Evidenz der erreichbaren Bilder und Zeichnungen zu führen, weil die Gefahr gross ist, dass diese mit der Zeit endgültig verloren gehen.
Das Trachtenpanorama, das Jägers Bilder und Aquarelle entwerfen, ist das Ergebnis gründlicher Dokumentation. Von dem grossen Tryptichon über die Einwanderung der Schwaben ins Banat gibt es – was vielleicht weniger bekannt sein dürfte – zwei Varianten, die ihre Entstehung eben diesem Drang zum Studium der Trachten verdanken. Als Jäger das Bild in Arbeit nahm, stellte er fest, dass er über die Kleidung der Einwanderer zu wenig wusste und begab sich in die Ursprungländer der Kolonisten zu ausführlichem Trachtenstudien. Die erste Variante des Bildes, die vor der Studienreise entstand, befindet sich heute im Ausland, die endgültige Form ist im Besitz der Gemäldegalerie des Banater Museums. Ein Vergleich der beiden Fassungen dürfte aufschlussreich sein.
Der kritische Beobachter mag an der Kunst Stefan Jägers zweifeln, weil ihm der Schritt zur schöpferischen Erneuerung dank seiner Weltabgeschlossenheit nicht gelungen ist. Die kompetente künstlerische Gestaltung der ihm geläufigen Umwelt, in der er sein langes und fruchtbares Leben verbracht hat, kann man ihm aber nicht absprechen. Sein Werk ist ein ethnographischer Schatz von unermesslichem Wert. „Eine komplette schwäbische Volkskunde als besonderer Farbfleck in dem reichen, so viel Schönes umfassenden ethnographischen Atlas Rumäniens. Denn Heimatliches empfängt seine hohe Erfüllung immer im Vaterländischen". (Franz Liebhard) Und dadurch kann Stefan Jäger in der Perspektive der Zukunft nur wachsen.


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