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Wider das Vergessen

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0572
Autor Name: Joseph Ed. Krämer
Titel des Artikels : Wider das Vergessen
Untertitel des Artikels: Eine Ausstellung mit Skizzen zum Triptychon von Helmut Scheibling im Haus der Donauschwaben
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Banater Zeitung
Erscheinungsort: München
Jahrgang: 44
Nummer: 13/14
Datum: 10.07.1999
Seite: 4
* [[Joseph Ed. Krämer]]: [[ART:0572 - Wider das Vergessen|<i>Wider das Vergessen</i>. Eine Ausstellung mit Skizzen zum Triptychon von Helmut Scheibling im Haus der Donauschwaben]]. Banater Zeitung, München 10.07.1999 (Jg.44 Nr.13/14), S. 4
Bei der Ausstellungseröffnung. Links im Bild der Maler Helmut Scheibling, Foto: Jakob Bohn

Eine Ausstellung mit Skizzen zum Triptychon von Helmut Scheibling im Haus der Donauschwaben

Helmut Scheibling, 1940 in Temeswar geboren, hat in der Begastadt Kunstpädagogik, in Bukarest Museumswissenschaft und in Bamberg Denkmalschutz studiert. Dank seiner zahlreich in Ausstellungen, unter anderem auch im Rahmen des Arbeitskreises Banater Künstler, sind die Werke des Malers unseren Lesern stets bekannt.
In Sindelfingen stellt er zum erstenmal eine Auswahl von über fünfzig Skizzen und Vorstudien zum Triptychon "Wider das Vergessen" aus. Über drei Jahre hindurch hat Scheibling sich mit der künstlerischen Darstellung des Schicksals der Banater Schwaben eindringlich befaßt. In sein Leonberger Atelier, wo er die meisten seiner Entwürfe ausführte, zeichnete er Porträts von Bauern und Bäuerinnen, malte Farbstudien von Trachten und Dorflandschaften, experimentierte mit zahlreichen Kontur- und Lasureffekten. Die mit Bleistift und Kohle gezeichneten Figuren, wie auch die mit Pastell, Aquarellen, Leimfarben oder Acryl gemalte Studien gehen vom Detail aus, vom Dokument als Vorlage. Um eine verallgemeinerte Aussage zu erreichen, stilisiert der Künstler die Formen und reduziert sie stufenweise auf das Wesentliche. So entsteht letztendlich eine Komposition, die scheinbar leicht erkennbare Einzelteile zu deutungsbedürftigen symbolhaften Anspielungen vereint. Darum sind im Endeffekt seine Bemühungen fern von lokalgefärbten Ethnozitaten. Dadurch ist die Aussagekraft des Bildes von einer wesentlich größeren Flächenwirkung. Scheibling hätte die einfallslosere, doch von vielen erwartete Alternative des teilnahmslosen Illustrators wählen können. Er tat es nicht und hatte recht, seinen eigenen Weg zu gehen.
"Ich wollte schon immer ein Bild für viele malen. Mit diesem Triptychon habe ich mir einen Jugendtraum erfüllt!" Daß Helmut Scheibling diesen Wunsch realisieren konnte, hatten Tausende seiner Landsleute bereits 1996 beim Heimattag der Banater Schwaben in Ulm erfahren, als sein monumentales Bild unter der Glaskuppel der Messehalle ausgestellt wurde. Nicht nur vom Format her (150x510 cm) ist seine Kompositioneine Anlehnung an Stefan Jägers bekanntestes Werk, das die Einwanderung der Schwaben ins Banat darstellt. Jäger erzählt in den drei Sequenzen seines Triptychons ("Wanderung", "Rast", "Ankunft") vom Leben unserer Vorfahren. Das noch unfertige Siedlerhaus rechts im Bild trägt die Nummer 32. Scheibling malt als Auftakt eine Dorfansicht, wo das erste Haus die Nummer 33 aufweist. Die Weitererzählung der Geschichte erwähnt die Seuchen und die Hungersnot. Trauer und Entbehrung sind suggestiv und brutal dargestellt. Der Pflüger bestellt verzweifelt, aber hartnäckig seinen Acker, doch erst am Ende des Zeitabschnittes verkündigen die hellen, freundlichen Häuser den eingetretenen Wohlstand der Gemeinde. Zu diesem Teil der Komposition hat Scheibling eine Serie von Varianten des Motives mit der leeren Schüssel gezeichnet. Beeindruckend wirken die Gesichter der Kinder und Eltern. Auch vom ackernden Bauern gibt es drei Studien: Mimik, Kopfhaltung und die Hände sind in abgeänderten Pastell- und Mischtechnikskizzen festgehalten. In der linken Hälfte des Mittelstücks hat der Künstler den sonnigsten Teil seines Bildes gemalt. Der Hauptplatz, schon von den Wiener Behörden als Drehscheibe des Dorfgeschehens geplant, bildet mit seinem stolzen, barocken Gotteshaus die Kulisse für den bunten Reigen der Trachtengewänder. Anders als bei Stefan Jäger gibt es in der Chronologie der Handlungen keinen weiteren Aufstieg zum besseren Leben. Plötzlich geht das Fest zu Ende. Das längliche Mittelfeld des Triptychons, dessen erster Entwurf in der Ausstellung zu sehen ist, hat trotz seiner zentralen Stellung keinen Mittelpunkt. Den Raum füllt das tiefe Grün der Heide. Der Betrachter blickt buchstäblich ins, Leere: Links, am Rande des Bildes, die Tänzer und der Kirchweihbaum, rechts die expressive Darstellung des gekreuzigten Bauern. Dort, wo nach den Faustregeln der Kompositionslehre ein Blickfang sein müßte, hat der Maler einen endlosen Trauerzug eingefügt. Der gewollte Verzicht auf Ausgewogenheit löst im Betrachter ein dumpfes Gefühl der Unsicherheit, des Unbehagens aus.
Der rechte Bildteil soll an die beiden Weltkriege erinnern: An Witwen und Weisen, an Verschollene und Verstümmelte, an die endlosen, Reihen von Namen auf den Heldendenkmälern. Nach braunen Parolen und Kanonenfutterwerbung, das blutige Fazit: Ende einer Welt, auch die der Banater Schwaben. Mehr als fünf Generationen haben diese Welt mühsam aufgebaut. Schreiende, verzerrte Gesichter gepeinigter Menschengestalten wurden mit derben Pinselstrichen auf den düsteren Hintergrund aufgetragen.
Ein drohender Himmel und der Querbalken des Kreuzes bilden die optische Weiterführung der Komposition zum rechten Flügel. Im knappen Nebeneinander von Menschengruppen wird der letzte Abschnitt des Schiksalsweges auf heimischem Boden fast filmhaft dargestellt: Heimkehr aus der Gefangenschaft und aus der Deportation, der Kuhhandel um die Ausreisebewilligung und als letztes Symbol - der Zug in die Freiheit. Der Künstler hat offensichtlich die auch selbst erlebte Etappe überzeugend darstellen wollen. Wie die dazu gezeichneten lavierten Tuschskizzen und großformatigen Pinselstudien zeigen, hat er in bester Tradition des deutschen Expressionismus seine Figuren und Motive gestaltet.
Die Ruinen einst schmucker Häuser, die Fratze des Handlangers der Paßbehörde und das "Pingl" mit Habseligkeiten der Auswanderer wurden als tiefste Noten der Partitur ins Gemälde hineinkomponiert. Sie ergeben den Schlußakkord eines Requiems, das in Helmut Scheiblings Triptychon seine visuelle Äquivalenz gefunden hat, dessen tondichterische Fassung uns jedoch die Musiker noch schuldig bleiben.

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