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Stefan Jäger zum 50. Todestag – 2012

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0920
Autor Name: Hans Hausenstein-Burger
Titel des Artikels : Stefan Jäger zum 50. Todestag – 2012
Untertitel des Artikels: Zur Ausstellung in Ingolstadt, Nischbachhaus
Publikation: Ausstellungskatalog
Titel der Publikation: Hommage an Stefan Jäger
Untertitel der Publikation: Katalog zur Ausstellung und zum Symposium
Herausgeber: Hilfswerk der Banater Schwaben
Druckerei: diedruckerei.de
Erscheinungsort: Ingolstadt
Jahr: 2012
Seite: 136-140
* [[Hans Hausenstein-Burger]]: [[ART:0920 - Stefan Jäger zum 50.Todestag – 2012|<i>Stefan Jäger zum 50. Todestag – 2012</i>. Zur Ausstellung in Ingolstadt, Nischbachhaus]]. Hommage an Stefan Jäger. Hilfswerk der Banater Schwaben, Ingolstadt 2012

Zur Ausstellung in Ingolstadt, Nischbachhaus

Wenn sich die Schleier der Geschichte allmählich heben, kann man im Rückblick leicht reden. Wenn aber zum 50. Todestag eines Künstlers gesprochen werden soll, muss man sich hauptsächlich mit dem Werk des Künstlers beschäftigen. Wurde doch schon viel über Stefan Jäger geschrieben und gesagt, oft enthusiastisch und geradezu euphorisch, aber am eigentlichen Werk vorbei. Ich will mich um eine sachliche, kunstgeschichtliche Gesamtanalyse des Werkes Stefan Jägers bemühen. Denn nur das Werk eines Künstlers kann für oder gegen ihn sprechen. Der Maler öffnet seine Seele - soweit dies überhaupt möglich ist - in den Bildern, die für ihn stehen. In diesen Bildern klingen stille Sehnsüchte und heimliche Hoffnungen nach, auch wenn diese scheinbar verdeckt, zunächst hinter der reinen sinnfreudigen Anschauung verborgen bleiben. Erst die kontemplative Betrachtung des Gesamtwerkes, der Entstehungsprozesse der Bilder sowie der uns bekannten Lebensumstände des Künstlers, lässt uns jene Nähe zu ihm finden, derer es bedarf, um sein Werk zu verstehen. Dabei geht es weniger um Lust am Schauen, was bei der hier gebotenen Werkfülle verständlich wäre, sondern um die Bedeutung der künstlerischen Persönlichkeit des Malers. Es geht um die innere Haltung des Künstlers beim Schaffen seiner Werke, um seine geduldige Zwiesprache mit dem Betrachter seiner Bilder - auch mit uns - seinen Bewunderern -, um sein persönliches Ringen um Akzeptanz.
Meine erste Begegnung mit dem Werk Stefan Jägers fand während meines Kunststudiums in Temeswar statt. Unmittelbaren Zugang fand ich aber erst in den 60er Jahren, als die ersten Bilder in der deutschen Lokalpresse erschienen. Der akademische Kunstbetrieb ignorierte das Werk Jägers weitestgehend, zumal die sporadische Präsenz der Bilder sich auf die volkstümlichen Seiten der Zeitungen beschränkte oder gar als Kalenderbeigaben für das „biedere Volk“ gerierte. Dies wurde noch verstärkt durch die offensichtlich altmeisterliche Manier des Künstlers, ohne jeden Anklang an die stilistischen Umbrüche der Zeit und eine enge, scheinbar freiwillige Selbstbeschränkung auf eine Thematik, die sich auf das ländliche, volkstümliche Geschehen bezog. In der Schule, gar im Unterricht, wurde über ihn kaum gesprochen. Ich habe an deutschen Klassen unterrichtet und erinnere mich lediglich an eine bis zwei diesbezügliche Unterrichtsstunden. Wir waren wohl zu feige oder huldigten dem Zeitgeist, bewunderten die europäische Moderne, von der wir allerdings auch kaum was wussten. In meinen Unterlagen fand ich immerhin das Konzept eines Vortrages vor rumänischen Kunst-Kollegen (Referat!), den ich wohl kurz vor meinem Abgang (1972) über das Schaffen Stefan Jägers (auch das Einwanderungsbild!) in Temeswar gehalten habe. Dies müsste nach der Retrospektive zum 80. Geburtstag des Künstlers gewesen sein. Und dennoch blieb sein Werk über all die Jahre im Bewusstsein der Banater Schwaben tief verankert. Je länger das demonstrative Verschweigen andauerte, umso präsenter wurde das geheimnisvolle Wissen um einen banatschwäbischen Künstler, der im Stillen, wie in einer versunkenen Welt, seine Volks- und Heide-Bilder vor sich hin malte. Getan haben wir, von wenigen Ausnahmen in seinem persönlichen Freundeskreis abgesehen, aber nicht viel für ihn. Nur selten war man bereit, einen kleinen Obolus zu entrichten, um ein Bild von ihm zu besitzen. Wann kam man schon nach Hatzfeld, jene etwas abgelegene Großgemeinde, an deren Bahnhof man sich einer strengen Grenzkontrolle stellen musste, Ziel und Zweck der Reise genauestens protokolliert wurde.
Es hatte wahrlich grandios begonnen. Den Anfang machte ein großflächiges, breit angelegtes Bild von ungewohnten Ausmaßen. Es stand plötzlich da, wie ein Paukenschlag: Ein Triptychon, drei ineinander gehende Gemäldeteile, ein Galeriebild, das in keine Wohnstube passte (5 m / 1,5 m). Erstmals 1910 zur Gewerbeausstellung in Gertianosch vorgestellt. Die Erinnerungen an das große Bild lebten immer noch, waren unauslöschlich in das Gedächtnis der Gruppe eingegraben. Auch wenn man nur hinter vorgehaltener Hand darüber sprach und der politische Opportunismus es spät - aber immerhin - aus dem Museumsfundus wieder ans Tageslicht gebracht hatte. Was hatte dieses Bild an sich, was sehen wir auf diesem „Einwanderungsbild der Deutschen nach Süd-Ungarn“? Ein erzählendes Werk, das in einfacher, schlicht realistischer Sprache den Anfang unserer Geschichte schildert. Man tritt vor das Bild und bleibt zunächst von der Detailvielfalt verwirrt stehen. Doch alsbald wird man vom Handlungsablauf mitgerissen, in das Geschehen einbezogen. Denn aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins strömen Erinnerungen an Gespräche aus Kindheit und Jugend, vereinen sich mit diesen uns scheinbar längst bekannten Bildern. Ja, so muss es gewesen sein, so hat man sich die Einwanderung unserer Ahnen ins Banat immer schon vorgestellt. Wir standen vor einem Bild, in dem alles, was wir uns vorgestellt hatten, urplötzlich sichtbare Gestalt angenommen hatte. Wie war es denn möglich, dass ein Künstler unsere ureigenen Bilder auf die Leinwand projizierte? Wie konnte es sein, dass dabei solche offensichtlich deckungsgleiche Vorstellungen zu einem realen Bild gerinnen? Gibt es etwa doch ein kollektives Gedächtnis?

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Alles ist Erde, feucht und glitschig, eine Erde, die an Schuhen und Kleidern klebt, eine Erde in die man versinkt, morastig und scheinbar fruchtbar, säumen doch helle Grasbüschel den Weg. Menschen gehen, sitzen und liegen auf dieser Erde, als hätten sie ihre Bestimmung, ja ihr Glück endlich gefunden, und können es scheinbar noch gar nicht fassen. Wie Findlinge oder glatt geschliffene Kieselsteine füllen sie den Raum. Kein einziger überragt den Horizont, alle sind Teil dieser Erde, werden von ihr aufgenommen. Doch auch in diesem gemeinsamen Handeln bleiben sie deutlich isoliert, bewahren ihre Individualität und reagieren je nach persönlichem Temperament sehr unterschiedlich. Sie haben wohl erst unterwegs zueinander gefunden, haben scheinbar alle ein gemeinsames Ziel. Doch man ist sich noch etwas fremd, sitzt in isolierten Kleingruppen beisammen und setzt dennoch auf einen Neuanfang, den man auch nur gemeinsam wird schaffen können.
Erde und Himmel teilen sich im Goldenen Schnitt auf der Fläche. Dem Himmel gebührt der kleinere Teil, er leuchtet fahl, gelblich grau bewölkt, als käme alsbald wieder ein Gewitter auf. An den stehenden Pfützen in Fahrrillen und Trittspuren sind noch Spuren des letzten Regengusses erkennbar. Dem Halmwuchs nach muss es Frühsommer sein, nicht allzu warm oder gar schwül heiß, denn die Menschen tragen noch ihre Jacken, Hüte und Mäntel, als würde es sie leicht frösteln. Man war eben schon lange unausgeschlafen unterwegs.
Der Panoramablick des Bildes besteht eigentlich aus drei verschiedenen zentralperspektivischen Blickpunkten, was zunächst kaum erkenntlich wird. Der erste Blickpunkt führt zur Mitte der Kommenden und verschwindet auf der Hügelkuppe hinter dem Horizont. (Man kommt aus der unendlichen Ferne!) Der Fluchtpunkt des Mittelbildes liegt abermals im Goldenen Schnitt des Himmels, unmittelbar über dem Kopf der stehender Mutter mit Kind. (Das ist wohl die ferne Zukunft!) Gleichsam wie eine Madonna beherrscht sie die Szenerie, im Schutze des aufrechten Schwarzwälders in der Mitte der Gesamtkomposition. Der dritte Fluchtpunkt steht auf der Höhe der angeschnittenen Dächer auf der Kante zwischen Mittelbild und rechtem Abschlussbild. (Hier soll man sich wohl verweilen und niederlassen!) Man muss das Bild gemächlich abschreiten, um es lesen zu können, dadurch merkt man die verschiedenen Fluchtpunkte kaum, denn sowohl durch die durchgehende Horizontlinie wie auch durch verschiedene Staffagen werden die drei Bildteile immer wieder miteinander verwoben. So führen z. B. Fluchtlinien der Fahrrillen vom Mittelbild nach links in die Tiefe des ersten Bildes, nach oben fluchtende, parallele Balken verbinden ihrerseits Mittelbild mit der rechten Ankunftsszene. Ein äußerst penibel ausgedachtes Liniensystem zeugt von der hohen Kunst eines Meisters der Komposition. Liest man aber die drei Teile im Einzelnen, so folgt der Blick des Betrachters unwillkürlich den vom Künstler angesetzten Blickpunkten auf der Höhe des schauenden Auges. Ein dichter, nicht abreißender Menschenkeil kommt von links aus der Tiefe des Raumes und zieht uns entgegen. Die Menschen kommen uns näher und näher, mit jedem Schritt werden ihre Gesichtszüge deutlicher und ihre Kleidung erkennbarer, ja selbst kleinste Details bleiben uns nicht verborgen. Die erwartungsfreudigen Gesichter sind uns nur in dieser Szene zugewandt, ja sie blicken den Betrachter geradezu fragend an. Dagegen würdigen sie uns bei der Ankunft keines Blickes, sie stellen sich mit dem Rücken zu uns, kümmern sich nur noch um ihre Angelegenheiten, sind nur noch auf die rasche Übernahme des ersehnten Besitzes bedacht. Wir sind nur noch geduldete Zuschauer.
Der etwas größere mittlere Hauptteil trägt die eigentliche Komposition. Zwei große, beherrschende Menschengruppen, jeweils in zwei großen Dreiecken zusammengefasst, bilden dabei das tragende Gerüst des Bildes. In der Mitte ein gleichseitiges Dreieck, welches mit der Spitze auf dem Bündel im Vordergrund steht, umfasst mit der Basis das winkende Paar bis zur stehenden Mutter. Von dort führen jeweils zwei ordnende Linien herab. Rechts erhebt sich - diesmal mittleres und rechtes Bild verzahnend - eine gewaltige Menschenpyramide, die den Schlafenden und die sitzende Lahnerin mit ihren zwei Kindern als Basis benutzt, um von dort jeweils zum Dachfirst der noch erkennbaren Häuserzeile zu führen. All dies sind keine Zufälligkeiten, es sind kompositorische Mittel zur Gestaltfindung. Gestaltungsmittel, welche einen akademischen Maler bestimmen. Den Künstler können wir nicht mehr befragen. Tatsächlich geschieht dies gewöhnlich eher unbewusst, indem man seine Übung im Umgang mit dem Bildaufbau spontan einbringt, dies sogar im konkreten Fall gar nicht begründen kann. Geht es doch vielmehr um Begabung und Intuition.

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So sind auch die vereinzelt dastehenden Randfiguren anzusehen, wie etwa der Schuhschnürer links am linken äußeren Rand und der Hesse im hellen Mantel rechts am Rand. Sie halten das gesamte Bild in der Waage. Wobei Jäger noch eins draufsetzt, mit der Frau, die auf den Holzbalken rechts sitzt: wie ein stures, hotzenwäldlerisches „Mir bliebet jetzt do!“.vbr/> Das vielfältige Geschehen ruht im Gleichgewicht. Dies verleiht dem Bild etwas sehr Ruhiges, wenn auch sehr Bestimmtes. Als hätte das Schicksal dies so ergeben. Alles scheint in geordneten Bahnen zu verlaufen. Dennoch herrscht keine Stille, man meint noch die scharrenden Schritte der Kommenden zu hören, man ist versucht die leisen Zwiegespräche mit zu verfolgen oder der Rede des kaiserlichen Kommissars zu lauschen. Weitere bildbestimmende Mittel sind die verbindenden Blickkontakte und die unzähligen Zeige- und Hinweisgesten. Erstaunlicherweise sucht keine einzige Figur mehr den Blickkontakt mit dem Betrachter, sie bleiben unter sich. Ihre Blickrichtungen führen uns von Gruppe zu Gruppe und auch schon mal wieder zurück, bevor man wieder etwas übersehen hat. Sie sind mit sich selbst beschäftigt, rufen oder winken sich zu, kümmern sich aber weiter auch nicht um den Betrachter, obzwar ihm ihre Gesichter unmittelbar zugewandt scheinen. Wir blicken auf offene, gutmütige Gestalten mit auffallend kräftigen Händen und klobigem Schuhwerk. Obzwar von einer langen Reise kommend, leicht angeschlagen, mit etwas abgetragenen Kleidern, welche da und dort sogar leicht eingerissen sind, strahlen die Personen eine gewisse Würde aus. Ihre geringe Habe tragen sie mit sich, überall sind die mitgeführten Bündel zu sehen. Die Menschen sind stattlich und im besten Alter: breitschultrige Männer von ausnehmend kräftiger Statur, handfeste Frauen mit zupackenden Armen und strammen Waden. Es überrascht uns auch nicht, eine große Zahl von Halbwüchsigen und Kindern zu sehen, nur mit ihnen geht man in die Zukunft. (Weiterführende Gedanken über die Trachten des 18. Jahrhunderts scheinen mir in diesem Rahmen nicht sinnvoll, es geht um das Werk.)
Die Farbgebung folgt der Logik der Komposition, sie bleibt im großen akademischen Ton der Historienmalerei des späten 19. Jahrhunderts. Farbe ist stets reine beschreibende Dingfarbe, folgt weder wechselnden Sinneseindrücken noch wird sie symbolisch überhöht oder gar befrachtet. Die äußerst realistische Sehweise des Künstlers ist stets um Sachlichkeit bemüht, sparsamste Farbakzente beleben dennoch den Bildeindruck im Detail und erhellen die vielfältigen Szenerien spürbar. Es ist ein sichtbares Bemühen um historische Genauigkeit und akribische Freude an körperlicher Räumlichkeit. Es stimmt alles: Aufbau, Komposition sowie Farbgebung und Inhalt. Es fehlen alle bekannten moralisierenden Lehrgesten. Seine einzige Geste bleibt die technisch ausgeklügelte, reife Bildkomposition.
Unverständlich bleibt die Angst der kommunistischen Machthaber vor diesem friedlichen Bild. Ein Bild, das eher vom menschlichen Wagnis kündet, das keinerlei eroberungssüchtige Menschen zeigt, sondern von einer friedlichen Pionierarbeit kündet. Ein Bild, das für viele Kolonisten in der Neuen und alten Welt stehen kann. Ein Bild, das weder mit ideologischem Pathos beladen ist, das weder bedrohlich noch fordernd auf den Betrachter wirkt. Ein Tatsachenbericht, wie er nur aus der Phantasie eines Stefan Jägers kommen konnte, aus der Hand eines stillen, leisen Künstlers, dem jedes angeberische Getue zuwider war. Ja es war eine Auftragsarbeit, eine vielversprechende sogar. Doch auch dabei wurde er, wo es nur ging, immer wieder übervorteilt. Aber wie konnte es geschehen, dass Folgeaufträge ausblieben? Wo ist z.B. seine große aquarellierte Studie, das Triptychon „Donauschwäbische Kulturarbeit“ verblieben? Wieso kam es, gerade in einer Zeit der Besinnung und des Auflebens der Deutschen Schule und Kultur im Banat zu keinen großformatigen Folgeaufträgen mehr? Selbst wenn Jäger noch in den zwanziger Jahren Bilder mit István Jäger aus Cseney signiert hat (Ausstellung in Großsanktnikolaus[1]), sein Bruder Ferdinand zeitlebens der „Nandi“ blieb und seine Haushälterinnen die Klaranéni (Klara Csáki), Kathinéni (Ludwig) und Jostnéni blieben. War es etwa in anderen intellektuellen Kreisen z. B. in Temeswar anders bestellt? Schließlich hatte Jäger seine künstlerischen Wurzeln in Budapest gefunden. Auch wenn Hatzfeld bis 1924 zu Serbien gehörte, Jäger blieb kein Magyarone, dies hat er durch sein ganzes Lebenswerk bekundet. Denn seine Bilder wurden allein schon von seiner Entscheidung, mitten unter seinen Landsleuten leben und schaffen zu wollen, bestimmt.

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Schon in den zwanziger Jahren hat er mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, da er seine Ersparnisse durch den Börsencrash verloren hatte. Mit kleinen Auftragsarbeiten hat er sich und seine Mutter mühsam über die Zeiten gerettet. Stefan Jäger war ein Mensch, der sich niemals vordrängte, der stets in den hinteren Reihen stand. So hat er seine vier Landser-Jahre während des I. Weltkrieges verbracht, so ging es mit ihm immer weiter. Auch wenn der Weg zum Künstler mühsam war - hatte er sich doch stets der breiten Öffentlichkeit verweigert - so bleiben hier viele Fragen offen. Denn die Lebensumstände Jägers, unseres heute gefeierten Jubilars, werfen auch ein sehr bezeichnendes Bild auf unsere Gruppe. Haben wir uns nicht allzu sehr in dem Gestrüpp-Denken der Rentabilität, nach dem Maße der Wiener Cameralverwaltung verloren? Wurde nicht immer wieder nach dem Nützlichkeitsprinzip gehandelt? Wie war unser Blick auf die „brotlose“ hohe Kunst oder gar auf gefällige, naive Bildchen mit röhrenden Hirschen und Klatschmohn, Kornblumen oder anderen Surrogaten? Hätte man nicht schon viel früher auf echte, empfindsame Kunst achten können? Oder war man im täglichen existenziellen Kampf so befangen, dass man für echte Kunst keine Opfer mehr bringen konnte?
Betrachtet man den weiteren Fortgang des künstlerischen Schaffens Stefan Jägers, so bietet sich ein sehr komplexes, vielschichtiges Bild dar. Denn dieses Werk scheint in der Thematik doch recht eindeutig zu sein, ist aber, was die künstlerischen Ansprüche betrifft, nicht immer gleichwertig. Erkennbar bleibt zunächst seine tiefe Verwurzelung mit der heimatlichen Erde, jenem Boden, den er schon mit seinem großen Werk besungen hat. Alles dreht sich bei ihm um diese Erde, für die man alles und jedes zu opfern bereit war. Seine Welt bleibt der kleine, überschaubare Haushalt, alles, was mit der Eigenwirtschaft verbunden war, als hätte der Maler die großen kollektiven Zusammenrottungen der 50er Jahre nicht mehr miterlebt. Immer wieder beschäftigt er sich mit der bäuerlichen Alltagswelt, dem Leben und Streben auf dieser Erdenkrume, dem Arbeiten und Feiern in der gewachsenen Gemeinschaft. Mensch und Tier in einer friedlichen optimistischen Symbiose. (Was für Hähne und was für Hühner! Welch innige Beziehung zur Tierwelt wird hier spürbar, auch wenn man sie später ihrem Zwecke zuführen musste.) Seine Kunst konzentriert sich mehr und mehr auf das Studium der vergänglichen Werte, will festhalten, was allmählich zu entschwinden drohte, was von der technischen Revolution verdrängt wurde. Ganze Konvolute an Trachtenstudien, Skizzen von Gerätschaften und Werkzeugen, nicht zuletzt von Sitten und Gebräuchen wird er hinterlassen. Dies ist seine große einmalige Leistung. Dazwischen stehen aber auch isolierte Kostbarkeiten, jene hymnischen Sinneseindrücke der heimatlichen Landschaft, die so nur von seiner Hand entstehen konnten. Realistische Bilder mittlerer Größe, ohne jeglichen Auftrag, einfach aus der schöpferischen Lust heraus entstanden. Manche Bilder scheinen das Flimmern der Luft, das Rauschen der Pappeln, das Wogen der Ähren einzufangen. Alles in dieser von ihm geschilderten Welt ist selbstverständlich. Ein zarter, friedlicher Zauber liegt über dieser Welt, wenn die Farbe gleichsam die atmosphärische Bewegung des Lichtes aufsaugt und den Blick des Betrachters über klar strukturierte Formen - über Busch und Baum, über Fluss und Land - in die Tiefe lenkt, um sich in diesigem Blau zu verlieren.
Bezeichnend für sein gesamtes Œuvre bleibt diese stille, unpathetische Art des Malens, die unwillkürlich an das frühe Einwanderungsbild erinnert. Man hat ihm dies sogar als Schwäche ausgelegt, als fehlende Anteilnahme am Geschehen, als l´arte pour l´art Haltung angekreidet. Seine gewissermaßen unpolitische Art, an die Dinge heranzugehen, ohne sich von Zeiteinflüssen berühren zu lassen, war für den konfliktscheuen Künstler selbstverständlicher Teil seiner Sprache. Seine innere, künstlerische Entwicklung vollzog sich „im gelebten Alltag“ auf der Dorfstraße, auf dem Feld oder auf der Tenne. In der Begegnung mit Menschen, die, überzeugt von ihrem sinnhaften Tun, auch in höchster Bedrängnis nicht loslassen konnten. Menschen, die ihr Schicksal angenommen hatten: Jede körperliche Anstrengung wirkt bei Jäger leicht, wird scheinbar zur freudigen, daseinsbestätigenden Erfüllung. Seine Bilder sind das Werk eines modernen Aussteigers. Sein Monte Verita wurde das Banat. Hier wollte er „stehen bleiben“, hier, inmitten seiner Landsleute, in einer überschaubaren, (für ihn sicher) heilen Welt. Denn er war kein Revoluzzer, kein Weltbeweger, wollte den Lauf der Dinge weder beschleunigen, noch aufhalten. Einfach ein empfindsamer Mensch, der an dem heimatlichen Lebensgefühl hing. Gelegentlich kommen sogar kleine „Schlitzohrigkeiten“ zum Vorschein und man erkennt die sprichwörtliche „Bauernschläue“ aus Haltung oder Blicken. Doch seine Schilderungen erreichen niemals die Untiefen der Seelen, die wollte er einfach nicht ausloten. Der Vorwurf: Dies sei eine recht „einfältige Nähe“ zu den Geschehnissen der Zeit geblieben, kann man dabei erheben. Doch das Schwere, Düster-Zerstörerische war nicht seine Welt. Da floh er lieber in die heilsame Einsamkeit der Natur. Nicht zufällig war sein bester Freund botanisch interessiert. So wie jener seine Pflanzen sortierte und beschriftete, so sammelte er seine Gestalten und erlebten Ereignisse in Skizzen und Bildern, die er anhäufte. Er wollte lediglich aus dem ursprünglich Einfachen, aus dem Geringen heraus Gültiges schaffen. Später, im reiferen Alter, wird auch der Pinselschlag lockerer und leichter, gelegentlich spontaner. Ein pastoser Farbauftrag lässt uns die leichte Seligkeit des malerischen Schaffens spürbar nachempfinden. Impressionistische Malweisen werden erkennbar, denn längst hat er das Atelier verlassen und malt und skizziert auch im Freien. Nein, er war kein Corot, auch kein Leibl - ein Künstler, den er zeitlebens als Beispiel vor sich sah - er war eher ein Defregger des Banats. Von der malerischen Stofflichkeit her stand er wohl dem Schwarzwälder Hans Thoma am nächsten. Gewiss hat er die Ismen des 20. Jahrhunderts gekannt (wohl als launische Torheiten abgetan). Aber sie hätten ihm ja nicht weiterhelfen können.

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Für sein Vorhaben kam ja nur ein gestrenger Realismus in Frage, eine Sprache, die auch seine „Landsleute leicht verstehen“ konnten, mit Themen, die ihren Lebensinhalt schilderten. War diese Entscheidung nicht legitim? Das heroisch Überhöhte lag ihm nicht. So agiert man nicht im Alltag, denn dieser ist schlicht und einfach. Auch wenn er Franz Ferch gut verstehen konnte. Es bleibt doch etwas befremdlich, dass seine Präsenz in den Ausstellungen der Deutschen Künstler der 30er und 40er Jahre kaum wahrgenommen werden kann. So wie er auch später, in den 50er Jahren, lange Zeit persona non grata blieb. Erst sein 80-jähriger Geburtstag wurde gebührend gefeiert, blieb aber ein isoliertes, regionales Ereignis. Man verkennt den späten Ruhm des Künstlers, denn hier herrscht ein großes Missverständnis vor. Denn sein Name gerät dabei in ein nostalgisches Gefühlsdickicht von Erinnerungen und Erfahrungen, die man beim Verlassen der Heimat empfindet. Je weiter und je länger man sich von den Orten seiner Kindheit und Jugend entfernt, desto sehnsüchtiger blickt man zurück und sucht nach Ersatz. Und da man seine Heimat nicht mitnehmen kann, Ereignisse und Erlebnisse schon gar nicht, sucht man verzweifelt nach Ersatz. So kam es, während der Zeit des Exodus, zu der Wiederentdeckung unseres (vergessenen) Heimatmalers. Zum Glück konnte er, in dieser Zeit, noch einige Jahre von dieser Sehnsucht zehren. Jetzt kamen immer wieder neue Aufträge, doch es stand nicht mehr gut um den Künstler. Auch waren die Einnahmen nicht gerade berauschend. Man konnte davon kaum leben, eher vegetieren. Denn „ Kunscht sollt ja net viel koschte.“ Dies hatte aber unmittelbare Folgen für sein Werk. Der Künstler begann sich selber in unzähligen, verschiedensten Varianten zu wiederholen (so wie von den Auftraggebern gefordert). Sein Bilderkanon versiegte allmählich und verflachte in handwerkliche Routine. Das redliche Bemühen um eine nüchterne Bilanz zwingt mich zu dieser Aussage, aus Achtung vor dem Gesamtwerk muss dies aber geschehen. Denn dies schmälert keinesfalls seine Verdienste. Von Carl Spitzweg, dem Parademaler des Biedermeier, sind bis heute etwa 1500 Bilder bekannt, nicht immer von der gleichen Güte. Von Jägers Hand sind zweifelsohne wesentlich mehr Bilder entstanden, darunter auch einige, die man in die Nähe des sentimentalen Kitsches rücken muss. Dennoch bleibt er unser Banater Spitzweg. Ein seltsamer Eremit, der wie eine emsige Raupe am seidenen Faden seiner Gruppe hing und in seinem Kokon weiter gesponnen hat, ohne sich von seinen widrigen persönlichen Verhältnissen, geschweige denn von den wechselnden politischen Konstellationen aufhalten zu lassen. Staunend stehen wir heute vor den schillernden Flügeln dieses entpuppten Schmetterlings. Es ist sehr bedauerlich, dass der Gesamtumfang seines Werkes wohl nie mehr erkundbar sein wird. Viele Sammler hüten Schätze nur für sich, ohne sie vorzeigen zu wollen. Die Bilder sind mit den Menschen ins Exil gegangen. Der größte Teil der Arbeiten, die im serbischen Banat verblieben, sind wohl schon während der willkürlichen Vertreibung der Deutschen verloren gegangen. Lassen wir uns von weiteren Funden überraschen, panta rhei!
Wir sind wie Ährensammler nach dem Schnitt. Barfuß eilen wir durch die Stoppeln der Zeit, um alles, was für uns bestimmt war, zu retten. Auch das lange Übersehene, das in der Hektik unserer Flucht und der Verdrängung aus der angestammten Heimat beinahe verloren Gegangene. Es ist zwar spät, doch nie zu spät, um den Schöpfer dieser Bilder posthum zu ehren. In der existenziellen Angst nach 1945 kümmerte man sich wenig um kulturelle Güter, ging es doch ums nackte Überleben. Ein kleines Aquarell an der Wand konnte leicht als demonstratives Bekenntnis zum Deutschtum und als provokativer Akt gedeutet werden. Also verschwand es in der Truhe. Nicht selten war es das letzte Pfand um ein Stück Brot. Unsere Gruppe hat selbst nach dem Zusammenbruch das bedeutendste Werk Jägers, das Einwanderungsbild, seinem Schicksal überlassen. Durch glückliche Fügung hat es den Krieg überlebt und hängt heute an einem würdigen Ort. Es ist und bleibt letztlich das einzigartigste Dokument unserer schwindenden Existenz im Banat. Eine stille leise Mahnung an alle Aufbrechenden, die auf der Suche nach einer Bleibe sind. Denn die Sehnsucht nach fernen Gestaden wird niemals erlöschen. So bleibt es ein mahnendes Denkmal für alle deutschen Siedler, die jemals gegen Osten gezogen sind.

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Der erfreuliche Beschluss der Landsmannschaft der Banater Schwaben, unter Federführung des Hilfswerkes, anlässlich des 50. Todestages des Künstlers Stefan Jäger, eine Retrospektive seiner Werke zu veranstalten, möge nicht die letzte Würdigung unseres Heimatmalers bleiben. Noch wichtiger bleibt die weitere Sichtung des Bestandes und die Arbeit an einem verlässlichen Werkverzeichnis, das leider immer noch nicht in gedruckter Form vorliegt. Wir aber, die wir heute um die Bilder Jägers versammelt sind, nicht zuletzt um seiner dankbar zu gedenken, wir wollen uns an seinen Bildern noch lange erfreuen, an den guten wie auch an den allerbesten. Wir wollen uns nicht nur an seinen Bildern erfreuen, sondern den Lebensmut, der von diesen Bildern ausgeht, aufnehmen, auch wenn es nur ein schöner, sonniger Schein einer langsam verblassenden Welt war und ist.

Bibliographie
Gross, Karl-Hans: Stefan Jäger, Maler seiner heimatlichen Gefilde, 1991 und
Stefan Jäger, Skizzen, Studien und Entwürfe, 2004
Donauschwäbische Geschichtsreihe Bd.1 und Bd.6. Oswald Hartmann V., Sersheim und K-H Gross, Mannheim
Liebhard, Franz: Der Schwabenmaler Stefan Jäger. In „ Menschen und Zeiten“, Kriterion V. Bukarest, 1970
Konschitzky, Walther: Ein Tag für Stefan Jäger. In „Banater Bilder“, Facla V., Temeswar, 1982.
Das Einwanderungsbild von Stefan Jäger. In Banater Kalender 2010. Banat V., Erding
Podlipny-Hehn, Annemarie: Stefan Jäger, (Monografie). Kriterion V., Bukarest, 1972
Pink, Peter u.a.: Schriften über Stefan Jäger. Marineasa V. , 1991 (Manuskript 1962)
Schiff, Julia: Grundbedürfnis Heimat. In „Süddeutsche Zeitung“ Nr.93 vom 23/24 April 1994

Anmerkungen:

  1. Gemeint ist wohl die Ausstellung in Groß-Betschkerek 1930


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