Stefan Jäger Archiv

Chronist der einfachen Menschen

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0026
Autor Name: Franz Liebhard
Titel des Artikels : Chronist der einfachen Menschen
Untertitel des Artikels: Die Bedeutung des Malers Stefan Jäger für unsere Zeit
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Die Wahrheit
Untertitel der Publikation: Kultur und Fortschritt
Erscheinungsort: Temeswar
Jahrgang: 1
Nummer: 19
Datum: 07.06.1957
Seite: 3
* [[Franz Liebhard]]: [[ART:0026 - Chronist der einfachen Menschen|<i>Chronist der einfachen Menschen</i>. Die Bedeutung des Malers Stefan Jäger für unsere Zeit]]. Die Wahrheit, Temeswar 07.06.1957 (Jg.1 Nr.19), S. 3

Die Bedeutung des Malers Stefan Jäger für unsere Zeit

Selbstbildnis - WK:2258
Pflügender Bauer (Skizze) - WK:1343
Skizzen zu einer schwäbischen Bauernstube (Gesehen bei Ortzidorfern) - WK:0843

An die achtzig Gestalten beiderlei Geschlechts lassen sich auf Stefan Jägers Gemälde „Die Einwanderung der Schwaben ins Banat" (entstanden 1906—1909) zählen. Auf dem ersten und dem Mittelstück des Triptychons ist ziemlich viel Landschaft zu sehen – eine Steppe, die Räderspuren schräg durchqueren, ein dämmeriger Waldstreifen im Hintergrund, der auf dem ersten ein Viertel auf dem zweiten Stück über die Hälfte der Grenze zwischen Himmel und Erde einnimmt und von den Menschen durch einen trüben Spiegel stehenden Wasser getrennt ist. Auf dem dritten Stück ist der Boden von Rohbauten mit niedrigem Gemäuer und hoher Bedachung, einem Menschengewimmel und einem Haufen zugehauener Balken zum großen Teil verdeckt. Die Steppe ist verdrängt, als erhöhe sich hier schon die Ouvertüre zu dem Werk von Generationen, durch das die Erde des Banats auf weiten Strecken ein neues Antlitz empfing. Die Arbeit siegte über den wilden und wirren Wuchs der Steppe und über die Sumpfgewässer. Sie siegte aber auch über das Heimweh, das die Kolonisten an manchen Abenden das Gesicht westwärts wenden ließ und Bilder mit Städten und Dörfern, Flüssen und Berghängen heraufbeschwor, die sie schon längst vergessen zu haben glaubten. Über tausend Kilometer waren damals eine ungeheure Entfernung, die mit jedem Pfahl, den die Kolonisten in die unbekannte Erde einrammten, mit jedem Streifen, den sie der Steppe wegackerten, mit jedem Kinde, das hier auf die Welt kam, noch größer und schließlich so groß wurde, dass es allmählich in Sage einging, Menschen hätten sie einmal mit zusammengebündelten Habseligkeiten, die Kinder im Arm oder huckepack, durchgewandert.
Auf keinem der drei Teil des Einwanderungsbildes vergaß Jäger, in die vorderste Reihe Kinder zu malen, – gleich an der Spitze des Bildes das Büblein an Vaters Hand, das Brüderchen auf dem Rücken der Schwester und das Kleinste in Mutters Arm. Im Mittelstück wiederholt sich das Mutter-Kind-Motiv, wobei die stillende Mutter schon dem dritten Abschnitt, dem Bilde der Niederlassung nahe ist, auf dem die ersehnte Heimstätte endlich in Besitz genommen wird. Auch da erblicken wir außerhalb des ernsten Kreises der Männer mit dem Amtmann, doch ganz im Vordergrund links und rechts eine Mutter mit einem Säugling und andere mit einem größeren, blonden Mädchen. Über alle diese Kinder gehen die nicht zur Darstellung gebrachten, doch für uns Heutigen erkennbaren Zusammenhänge mit dem Weiteren vom „Grab der Deutschen" bis zur späteren Kornkammer, Beziehungen und Verbindungen, die Gegenstand der Geschichte bilden. Kinder bedeuten immer Zukunftsgläubigkeit, in dem Sinne, dass jedes Tun um ihretwillen mit ein Brückenbau ist in das Kommende. Die eindeutige Wegrichtung auf dem ersten Stück, die Verlagerung des Schwerpunktes der Rastenden auf jene Hälfte des Mittelstückes, wo der Wagen schon in das dritte Stück hinüberreicht, dieses offenkundige Hinstreben im Gang und im Rasten auch zum Schauplatz der endgültigen Ankunft und des immerwährenden Verbleibens, weist auf die neue Heimat hin.
Es war eine mühsam erwanderte; eine hart erarbeitete und oft unter Schmerzen errungene neue Heimat, diese Banater Heimat. Am Anfang stand nicht der Kerweih-strauß und nicht der Maibaum, sondern Fieber, Pest und der grimmige Schnitter Tod. Aber es stand noch etwas am Anfang – die Arbeit, in einer solchen Härte, in einer solchen Bürdenhaftigkeit, dass daraus der vielsagende Spruch entstand: „Wem es reut – ist zu spät". Nur durch eine, solche Arbeit konnten Fieber, Pest und Tod bezwungen, der grausam würgende Ring dieser drei gesprengt und damit auch das Heimweh nach dem Vergangenen bezwungen werden Die Häuser, die am rechten Rand des Abschlussstückes auf dem Einwanderungsbild sichtbar sind, stellen schon den Anbeginn des Werkes ihrer Hände dar, aber wir sehen keinen, der in dem Augenblick bei dem Bau Hand angelegt, keines bei der Arbeit. Das was hier fehlt, bekommen wir auf einem anderen Bilde Jägers zu sehen, das gleichfalls die Gewinnung der neuen Heimat zum Thema hat. Da tritt der Pflug in Erscheinung, der Waffe und Werkzeug und Heilmittel war, denn er riss den Boden unter den Füssen des Todes weg und führte die Gesundung der versumpften Erde herbei. Der Kolonist – vielleicht derselbe, der auf dem Schlussstück des großen Einwanderungsbildes erst jetzt die Stätte der Einsetzung in den Besitz betritt, nachdem er, von Ungeduld getrieben, auch die anderen Häuser besichtigt und sich auch ins Innere begeben hat -– beugt tief sich über den schweren Pflug, um den Volldruck seines Körpergewichts zu entfalten. Auf dem einen Ross sitzt sein Söhnchen, das Gespann mit munteren Zurufen anspornend, das Ackergerät über den da und dort unwillig glucksenden Boden zu ziehen. Dieses Bild, die natürlichste und sinngemäßeste Ergänzung zum Einwanderungsgemälde, befindet sich leider außer Landes. So wie „Die Einwanderung der Schwaben" an der Spitze seines gesamten malerischen Werkes steht, so ist dieses Bild mit der Dreiteilung „Sumpflandschaft – Die erste Furche – Das neue Dorf" als Motivanschlag für die aber Hunderte Bilder und Skizzen zu betrachten, die eine ununterbrochene Darstellung des Arbeitsfleißes der Nachkommen jener Kolonisten bieten. Sie sind ein malerischer Preisgesang auf der Hände Werk, in dessen Gefolge ein neues menschliches und ein neues Heimatbewusstsein entstand, das im Laufe der Geschichte verschiedenen Anfechtungen ausgesetzt war, sich jedoch immer als die stärkere Kraft zu erweisen vermochte.
Eines der letzten Bilder des greisen Meisters, dessen 80. Geburtstag Anlass zu eindrucksvollen Ehrungen war, bringt zur Darstellung, wie eine Gruppe von Kollektivbauern – Männer und Frauen – zur Arbeit auf das Feld hinausfährt. Das ist ein Dokument und zeigt uns, dass sich dem Maler Jäger die Bedeutung des Geschehens unserer Tage über die Arbeit erschlossen, dass er selbst über die Arbeit Anschluss an die Gegenwart gefunden hat. Diese kennt nichts Höheres, nichts Schätzbareres, nichts Beispielhafteres als den Menschen der Arbeit, der sich durch sein gemeinnütziges Werk das Lebensrecht in seiner Heimat behauptet und sich des Glücks der Zukunft verdient, erweist. Wer sich die seelische Resonanzfähigkeit hinsichtlich der Arbeit und ihrer Wandlungen bis in ein so hohes Alter bewahren konnte wie Jäger, dem musste sie immer als Ursprung alles Menschlich-Guten und Menschlich-Schönen gelten. Dieses natürliche Beisammensein des Guten und des Schönen in seinem Wesentlichsten und seinen vielen Abarten, wie Alltag und Fest, Mähen und Tanzen, Eintönigkeit des Werkkleids und Buntheit der Tracht, Würde des Alters und Schamhaftigkeit des Kindlichen, Mühe und Spiel – auf den ersten Blick ein Zufallsgemisch, im Grunde aber eine der Gesetzmäßigkeiten des Lebens – vereint letzten Endes gegensätzliche Erscheinungen, denen sich mit der Zeit neue Formen für neue, zeitgeborene Bewusstseinsinhalte entbinden.
Stefan Jäger hat alles, was sich seiner rastlosen Beobachtung, seinem Wahrnehmungsvermögen ein langes Menschenleben hindurch darbot, festgehalten und aufbewahrt, mit der Sicherheit eines unbeirrbaren Realisten, der auch im Kleinsten, im Unscheinbarsten das Wichtige, weil Charakteristische für die Daseinsformen im bäuerlichen Leben seiner Zeit entdeckte. Weit reicht dieser Bogen von den Rossmühlen, deren Bilder er uns noch aus ihrem letzten Verfall überlieferte, bis zu dem an Hatzfeld einem riesigen Leuchtwurme gleich vorübergleitenden Nachtzug – und unter diesem Bogen steht, soweit das Auge die Ferne ermisst, in seiner namenlosen Dichtigkeit das Leben der einfachen Menschen, der großen Masse der Banater schwäbischen Werktätigen.
Stefan Jäger, ihr Darsteller und Chronist, wollte sein ganzes Leben lang nie etwas anderes sein, als einer dieser einfachen Menschen, dem auch das schon zuviel dünkt, wenn man sagt: Er hat das Seine getan.

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