Stefan Jäger Archiv

Schein und Widerspruch

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0055
Autor Name: Franz Liebhard
Titel des Artikels : Schein und Widerspruch
Untertitel des Artikels: Nachwort zu einer Ausstellung
Publikation: Zeitschrift
Titel der Publikation: Neue Literatur
Erscheinungsort: Bukarest
Jahr: 1967
Heft: 7-8
Seite: 124-129
* [[Franz Liebhard]]: [[ART:0055 - Schein und Widerspruch|<i>Schein und Widerspruch</i>. Nachwort zu einer Ausstellung]]. Neue Literatur, Bukarest 1967

Nachwort zu einer Ausstellung

Mutter, Kind und Godel mit dem Apfel - WK:0390

Als zu Pfingsten 1910 Stefan Jäger, der Malersohn des Feldschers von Tschene, sein Einwanderungsbild von Tausenden Besuchern der Gertjanoscher Gewerbe- und Landwirtschaftsaftsausstellung betrachtet, bestaunt, ja sogar bewundert sah, war es wie durch ein gebietendes Eingreifen irgendeiner näher nicht bestimmbaren Macht eigentlich entschieden, wie er Talent und an der Kunstakademie angeeignetes Wissen künftighin verwerten sollte. Das Schwabentum hatte sich einen Maler gekürt. Damit war es auch unvermeidlich verbunden, dass es Mäzen zu sein hatte, Gönner und Förderer seines Malers.
Unter den sozialen und kulturellen Gegebenheiten von damals konnte dieses Mäzenatentum begreiflicherweise nur in ziemlich engen Grenzen wirksam sein. Ein Teil der Schwaben, der vermögendste, stand im Begriff, den von Jahr zu Jahr ungehemmter wendenden Anfechtungen, sich seiner Sprache, der überlieferten Trachten und Sitten zu entledigen, in einem Rückzug nachgegeben, in dem ein Abwehrfeuer immer seltener geworden war. Diese Schicht der Vermögendsten, die als Auftraggeber und Besteller vor allem in Betracht kam, zwang Jäger eine Malart auf, aus der jede auch nur leise Anspielung auf Eigengeschichtliches in der Bedeutung von energiegeladener Selbsterhaltung ausgeschlossen war, alles, was nach aktiver Auseinandersetzung oder selbst auch stummer Opposition roch, von vornherein unangeklungen bleiben sollte. Um diese Zeit geschah es, dass Adam Müller-Guttenbrunn der mit seinem ganzen Streben als Mensch und Schriftsteller damals eigentlich schon ein vollständiger Wiener gewordene, nach einem Besuch in der Geburtsheimat seine Stimme zu erheben sich verpflichtet fühlte. Er hatte im Banat eine niederschmetternde Bereitschaft wahrgenommen, sich selbst aufzugeben in der Sprache, in einer auf keinen Fall geringwertigen Kulturzugehörigkeit und in den Beziehungen, die weit in eine Vergangenheit voll harter Prüfungen und Bewährungen zurückreichten. Die oberste Schicht der schwäbischen Bevölkerung, der materiell behäbige Teil, und die ihm entsprossene Intelligenz war hundertfach vom Zauber verlockt, in den Anziehungskreis der Staatsnation, die Lebens- und. Denkweise ihrer Herrschaftsträger sich einzufügen. Das war die Atmosphäre, die Jägers Mäzene in ihren Häusern aufrecht erhielten und als seelische Spiegelung auch in ihrem Innern.
Die im Banater Museum in diesem Sommer vier Wochen lang dargebotene umfängliche Ausstellung aus Jägers Werken ermöglichte durch ihre Vielgestaltigkeit, der Beziehung Maler-Mäzen oder Besteller aufmerksamer nachzugehen. An einer großen Anzahl konkreter Beispiele ließen sich diesbezügliche Spuren leichter zusammenlesen und deuten, wobei als fester Angelpunkt zu allen Dechiffrierungen die imponierende Anwesenheit des Einwanderungsbildes dienen konnte, das nach langer Zeit aus der Dunkelheit eines musealen Lagerraumes wieder einmal ans Tageslicht gelangt war. Was aus diesem Beisammensein von Bildern, die sich über eine langwährende Lebensstrecke verstreuen, vor allen Dingen in bezug auf Thema und Ausführungsart erschließbar war, enthielt an Aufschlüssen so viel, dass es einem bedeutend erleichtert wurde, die Zusammenhänge zwischen etlichen Grundzügen der Jägerischen Malweise und den Ansprüchen, die seine Auftraggeber an das Leben zu stellen bevorzugten, in ihren sein Werk vielfach bestimmenden Kraftlinien zu erkennen. Diese sind von folgenden Arten: möglichst ausscheiden, Ausklammern alles Problematischen, dem untrennbar ein quälendes Fragezeichen anhaften könnte oder eine Stimmung der Ungewissheit und des Zweifels.
Dies genauer ins Konkrete gehend zu erklären, soll im folgenden unternommen werden. Prüft man das Einwanderungstriptychon als Werk des Durchbruchs auf die Elemente hin, die soeben umrissen wunden, so kommt man zur Feststellung, dass es sowohl vom Moment des Problamatischen, vom Fragezeichenhaften des Erlebens, wie auch von den Schatten spricht, die von Zweifel und Ungewissheit ins menschliche Antlitz pflegen geworfen zu werden. All dem hält eine physische und psychische Selbstbehauptung, eine imposante Beharrungskraft die Waage. Einer Gemeinschaft von Still-Heldischem stehen wir gegenüber, ob wir die Kolonisten samt Weib und Kind an uns vorbeiziehen lassen oder ob wir sie an abendlichen Lagerfeuern beobachten, wo sie zum Vergangenen den jüngst verflossenen Tag hinzuaddieren, vor dem Einbruch der Dunkelheit noch, auf einstweilen fremder Erde und unter geraume Zeit noch fremden Himmel, ohne entscheiden zu können, ob sie mehr aufgegeben oder mehr gewonnen hätten. Diesem seelischen Wellenspiel, aus Tiefen durch Schicksalsbitternisse zerklüfteten Wesens empor geschleudert, begegnen wir in einem sehr selten sehbaren Bilde wild wuchernder Sumpflandschaft und in der Schilderung, wie Vater und Sohn mit dem Pflug dem widerständigen Steppenboden an den Leib rücken. Es handelt sich um ein Dreieraquarell aus dem gleichen Themenmilieu, dem das Einwanderungsbild angehört. Es wind auch von einem ersten Entwurf des Einwanderungsbildes erzählt, der angeblich wegen der dem Stil des Zeitalters nicht entsprechenden Trachten nicht zur Ausführung, gelangt ist. Man geht kaum irre, wenn man annimmt, dass Landschaft und Menschen von den Grundzügen der gleichen Problematik durchwoben waren, die uns vom Einwanderungsbild so deutlich ansprechen. Ein wenig bekanntes, im Besitz des Temeswarer Universitätsbibliothekars Dr. Liviu Rusu befindliches Bild, das sich in den Themenbereich der Durchbruchjahre einordnet und dessen Menschen gleichfalls von einer Dämmerung innerer Zwiesprache übergössen sind, ist auch so angelegt, dass aus ihm wie aus einer Brutstätte die Wucherungen von Zwiespältigkeiten nicht wegzudenken sind.
Wie kann es erklärt werden, dass diese starken Motive seelischer Untergründigkeit und unaufhörlicher Seinsgefährdung schon vor dem ersten Weltkrieg zurückzuweichen beginnen, um, nachdem der Waffenlärm zum Stillstand gekommen ist, gänzlich von der Bildfläche zu verschwinden. Haben wir es mit einer Selbstrevision Jägers zu tun, sieht er weniger Unkalkulierbares, eine stark verringerte Veranlassung, etwa Zweifel zu hegen, oder die Möglichkeit, einschneidende Irrtümer erkennen zu lassen? Selbst wenn man all dies unter den Sammelbegriff des Grüblerischen stellt, so ist es doch noch immer irgendwie dem Grundnaturell des Malers verwandt, der sich im seinen langjährigen Einsamkeiten eine Lebensform zusammenfügte, die er gegen alle von außen her auf ihn zustürzenden Versuchungen zu verteidigen vermochte, in einer Weise jedoch, in die ein letzter Rest von Mindestgeselligkeit doch noch mit eingeschlossen blieb. Das sind Umstände, die Blick und Sinn für das Problematische im menschlichen Leben keineswegs verschütten oder einen dazubringen könnten, Zweifel und Vertrübung als leicht negligierbare Tatbestände aus dem Alltag des Daseins zu verbannen. Wenn aber nicht von ihm aus, als Ergebnis einer seelischen Automation, aus eigenem Drang die Fernhaltung der rundwegs als trüb und wirr benennbaren Skepsis, jedweder Angefochtenheit durch Widersprüche klein- oder großexistentieller Art erfolgt sein konnte, dann bleibt eben nichts anderes übrig, als die Ursachen außerhalb seines Wesens zu suchen, vor allem in den Beziehungen, die er ungeachtet aller Neigungen zur Isolation aufrecht zu erhalten und zu pflegen gezwungen war. Denn anders hätte er sich die unentbehrlichsten Existenzmittel nicht erwerben können im Verhältnis zu einem Mäzenatentum, das sich auf dem schwäbischen Dorf in der vermögenderen Schicht, insbesondere nach dem ersten Weltkrieg, immer stärker ihm zuwandte.
In dem Maße aber, wie diese sich auf ihn orientiert, kommt in ihm ein Vorgang der Anpassung zur Entfaltung, demzufolge er sich damit abzufinden beginnt, von thematischen Motiven abrücken zu müssen, die von etwas Problematischem durchdrungen waren oder Stimmungen zu erregen vermochten, durch die Schleier von Zweifeln schwammen oder die von grüblerischen Nachdenklichkeiten durchdämmert schienen. Die stummen Fragen im Blick mancher Gestalt des Einwanderungsbildes waren in seinem Werk ohne Fortsetzung geblieben. Für seine Mäzene galt die Ansichtskartenmanier des weißen Kätzchens mit dem Wollknäul oder des abenddunklen Waldteiches mit dem silbernen Fleck eines stolzen Schwanes als Gipfel der Malkunst. Vor allem war diese Art von den zu höheren Töchtern avancierten und zu künftigen Gattinnen schwäbischer Akademiker prädestinierten großbäuerlichen Fräuleins aufgegriffen. In ihren Augen war das Ästhetisch-Schöne mit dem Idyllischen gleichbedeutend, das Bild sollte eigentlich Sorglosigkeit und die Zuversicht widerspiegeln, dass es für die Wünsche eines Standesbewussten keine Unerfüllbarkeit geben, könne, dass Leben nur makelloser Sonnenschein sei und keine Schattenseiten habe. Mit einem Wort: ein Fest ohne Ende, Tanz und Lächeln, ohne jeden Misston, der daran erinnern hätte können, welch bitter-hartes Kompositum den Grund bildet, über den die ganze leichtflüssige Farbenpracht hinrauscht. Leider durfte Jäger diesem Anspruch nicht ausweichen, ohne sich einer argen existentiellen Gefährdung auszusetzen. So stülpte dieser im seiner Einsamkeit verstockte, in den endlosen Zwiegesprächen mit sich selbst äußerlich wortarm gewordene Maler eine Maske über sein Antlitz, als er den süßen Schaum der Heiterkeit und die Beständigkeit des Festlichen über einen großen Teil der bei ihm bestellten Bilder ausgoss; eine Maske, die ihm auch selbst entgegenkam, das Labyrintisch-Dunkle des eigenen Alleinseins zu kompensieren.
Dieses Zugeständnis gelang jedoch dem in der Einschätzung der meisten seiner engeren Zeitgenossen skurrilen Maler durch zwei, wesentliche Momente aufzuwägen, oder zumindest ein Gleichgewicht dagegen zu schaffen. Das erste ist das nicht zum Verstummen zu bringende thematische Leitmotiv der Volkstracht mit ihrer Formenfülle und Farbenvielfalt. Wie lässt es sich wohl besser benennen: Schatz von Generationen. Erzeugnis der Volksphantasie, ein Aufklingen der Poesie aus den Tiefen des Alltags oder ein Blumengarten inmitten unsäglichen Lebensernstes, der in der schwarzen Festkleidung von Männern und Frauen der schwäbischen Bauernschaft zum Ausdruck kommt? Wir haben es vom Seiten Jägers mit einem hartnäckigen Festhalten an der ungemein viel Detailarbeit erfordernden Mädchentracht zu tun, was zweifellos als ein Akt der Opposition desjenigen anzusehen ist, der unter seinen besonderen Verhältnissen die Problematik des in sich Gekehrten als Maler preiszugeben gezwungen war. In diesem Sinne betrachten wir die Abbildungen der Tracht mit ihrer gegenständlichen Liebe der Kleinmalerei von den feinst gebügelten Fältchen bis zu den Fransen der mit eklatanten Blütenblättern geschmückten Schultertücher und ihrem von der Verknotung ausgehenden üppig-breiten Niederfluss über den kunstvoll plissierten Rock, der sich rundlich bauscht, als wenn ihm Rokokoreifen eingenäht wären. Dies war eine umso ausgesprochenere Demonstration, da gerade im exklusiven Kreis seiner Mäzene die Volkstracht im besten Fall ein am zweckmäßigsten der Mottenkiste anvertrauten Kleidungsstück war, ohne Gegenwartsbeziehungen zum Leben, das man jährlich einmal zum Anlass des großen Schwabenballes aus der Verwahrung heraushob, um es zunächst tagelang auszulüften. Derselbe Jäger, der so restlos auf die Wiedergabe von Trübnis, peinigenden Fragen und Beklommenheit vor dem Ungewissen Verzicht geleistet hatte, erwies sich als ein ausdauernder Opponent selbst gegen die leiseste Regung, die Tracht aufzugeben oder sie zu einem bloßen ethnographischen Schaustück zu entwirklichen.
Damit hatte sich aber sein Geist der Auflehnung gegen die Lebensart der Gönner nicht erschöpft; im Gegenteil, und damit kommen wir zum zweiten Oppositionsmoment – er bezog eine breitere Front dagegen und ließ aus seinen Bildern eine Ermahnung aufklingen, die in ihrem figurativen Ausdruck Frau und Kind als eine Lebenseinheit zur Schau brachte, in ihrer Gefühlssprache jedoch ein Hohelied auf die Mutterschaft vernehmen ließ. Dies geschah von Seiten des aus einem, konsequenten Alleinsein vorstoßenden Kritikers der Zustände seiner Zeit in einem sozial-familiären Milieu, dem die mit allen, ärztlichen und unärztlichen Mitteln betriebene Beschränkung des Kindersegens eine Kampagne des Selbstschutzes gegen Vermögensverfall, gegen Besitzzersplitterung und gegen die dadurch bedingte Reduktion gesellschaftlicher Geltung bedeutete. In wie viel Varianten kann man im Jägers Werk dem Thema Mutter und Kind begegnen! Als hätte er damit auf die Tragweite des ungeheuren Irrtums hinweisen wollen, materiellem Besitztum zuliebe dem inneren Reichwerden des Menschen durch das seine Fortdauer gewährleistende Kind zu entsagen. Dass dieses Ins-Gewissen-Reden mit den Ausdrücken einer völlig unkomplizierten, unmissverständlich-schlichten Malerei von Seiten eines Menschen gekommen war, der durch die lautliche Urwüchsigkeit des heimatlichen Dialekts zu verstärken, ist ein Beweis mehr für die Aufrichtigkeit seiner Auflehnung gegen das Massensterben der Ungeborenen, das von der Jahrhundertwende her die schwäbische Bevölkerung und vor allem ihre ziemlich breit aufgesetzte vermögende Spitze in den Verruf brachte, wahre Schrittmacher des „weißen Todes" im Banat geworden zu sein.
Wenn man auch an Jägers Seite den Bauerndichter Josef Gabriel d.Ä. hinzudenkt, der für die anlässlich der feierlichen Enthüllung des Einwanderungsbildes gedruckte Festschrift im schwäbischen Dialekt ein Gedicht beisteuerte, um die Sprache der um die Liebe zum Volk bemühten Malerei durch die lautliche Urwüchsigkeit des heimatlichen Dialekte zu verstärken, so haben wir darin eine Parallelität, der wir auch in der Frage des Kinder begegnen. Wir dürfen uns von der rührenden Demonstration Jägers zugunsten des Kindes als der schönsten Frucht menschlichen Daseins mit Recht, an Gabriels Gedicht erinnern lassen, das von dem pflügenden Bauern spricht, der beim Ackern sein schweres Gerät zur Seite wirft, um nicht ein Vogelnest mit den gefiederten Kleinen zu zerstören, das plötzlich vor ihm auf dem Boden aufgetaucht ist. Während die Vogelmutter verängstigt um den Pflüger umherflattert, als würde sie um Gnade für ihre Brut flehen, ersteht vor dem inneren Blick des über den Pflug gebeugten Mannes das Bild seiner Kinder daheim, die er vor aller Unbill stiefmütterlichen Schicksals verschont wissen will, wie es durch sein mitleidiges Menschenherz auch den unbeholfenen Nestinsassen beschieden ist.
Diese starke, überzeugende Realität der Beziehungen zwischen Kunst und Leben, die uns mit kraftvoller Unmittelbarkeit anrührt, beweist, dass in der Jägerischen Malkunst, allen notgedrungen eingegangenen Zugeständnissen zum Trotz, die überheitere Koloratur, idyllistischen Anhauch, forcierte Zuversichtlichkeit und Wolkenlosigkeit des Lebens erzwangen, die Realistik als Lebenswirklichkeit; der bestimmende Faktor war. Die Hunderte Skizzenblätter, manche mit mehr als einem Dutzend von leichter, aber umso sicherer Hand entworfenen Abbildungen, in Jahrzehnten als Ergebnis seiner Wanderungen entstanden, die ihn kreuz und quer durch die von Schwaben bewohnten Ortschaften von der westlichen Heide bis in die bucklige Hecke hinauf geführt hatten, sind in ihrer leider nur mehr im Gedächtnis weniger Augenzeugen vorhandenen Gesamtheit ein einzigartiges Bilderbuch. Es umfasste Trachten aller Altersstufen, eine erstaunlich vollständige Wiedergabe der Einzelheiten, des Kerweihstraußes, seiner Schmückungsart oder des symbolhaften Rosmarinzweiges in der Quitte, einer besonderen Haartracht, eines Gerätes oder einer Szene, die in ihrer Flüchtigkeit des Augenblicks mit wenigen doch sicher gezogenen Strichen festgehalten ist. Es ist eine einzige, in ihren unzähligen Details unlösbar zusammenhängende Realität des Lebens und seiner Menschen, ihrer Häuser und ihrer Fluren, ihrer Arbeitsgeräte und Arbeitsstätten, wie die Rossmühle mit dem einer riesigen Spitzenhaube gleichenden, verwitterten, beinahe bis an die Ende herabhängenden Strohdach.
Auf Grund dieser meisterhaften, in den verschiedensten Ausführungen auf uns verbliebenem Skizzen, die alle als Konstruktionselemente zu einem umfassenden Daseinsfresko angesehen werden können, eindrucksvoll die Sprache der Realität führen und unter der Oberfläche ihrer Nüchternheit Mengen natürlicher Gefühlspotenzen gespeichert haben, kann man und muss man sich noch eine wichtige Frage stellen. Woran mochte es wohl gelegen haben, dass jene Skizzenmotive, die mit dem menschlichen Schaffen verbunden sind und die Arbeit als Wesenszug des Menschen zum Inhalt haben, nur sehr selten oder überhaupt nie eine Entfaltung zu Größerem erfahren konnten? Die Bezieher Jägerischer Bilder lehnten es einfach ab, an die Arbeit als den Ursprung allen Gedeihens und Emporkommens erinnert zu werden, nachdem sie schon längst eine Demarkationslinie gezogen hatten zwischen sich, ihrer ererbten oder durch Finten erworbenen Wohlhabenheit und den andern, denen es trotz aller Mühen nicht gelingen wollte, diesen Trennungsstrich zu überspringen, sich vom Angehörigen der Armut zum Anteilhaber an den Reichtümern dieser Erde zu amalgamieren.
Nicht Jäger selbst, sondern des Diktat seiner durch verschlungene Umschaltungen sich mitteilenden Kunstgönner hat diese beklagenswerten Lücken in seinem Gesamtwerk verschuldet. Nichtsdestoweniger sinkt die Waagschale, die mit Jägers positiven malerischen Bedeutsamkeiten beladen ist, zu seinen Gunsten in die Tiefe. Es war unbestreitbar eine enge Welt, die er durchschritten hat, immer wieder von neuem, ein rastloser Entdecker: Aus Maler-Chronist übertraf er sich selbst bei jedem seiner vielen Expeditionszüge zu den Quellen echten Volkslebens hundertmal am Genauigkeit, an spiegelhafter Empfindlichkeit für seine Objekte und Phänomene. Aus dem Urgrund zeugender Volkskräfte entsprungen, waren sie zu seiner Zeit in zweifacher Hinsicht als gefährdet erschienen: von einer Entwicklung zu einer völlig anders profilierten Gegenständlichkeit als unmodern zugedeckt und von den eigenen Trägem aus Widerspruch zu den neuen Geschmacksrichtungen aufgegeben zu werden. Daher ist der von vielen Besuchern geäußerte Wunsch, zumindest Reproduktionen Jägerischer Bilder als Postkarten erwerben au können, das Ergebnis einer Resonanz, in der die Verbundenheit der Bilderschau und seiner Besucher mitgeschwungen hat als lebendige Begleitung zu einer ungekünstelten und umso eindringlicheren Volksmelodie. Von dieser ergriffen, konnten es so manche der zahlreichen Ausstellungsgäste nicht unterlassen, in das Besuchsbuch dieses Bekenntnis einzutragen: Jägers Bilder lassen uns unsere Heimat neu entdecken und mehr noch lieben.

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