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Der Schwabenmaler Stefan Jäger

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0095
Autor Name: Franz Liebhard
Titel des Artikels : Der Schwabenmaler Stefan Jäger
Publikation: Buch
Titel der Publikation: Menschen und Zeiten
Untertitel der Publikation: Aufsätze und Studien
Verlag: Kriterion
Erscheinungsort: Bukarest
Jahr: 1970
Seite: 105-120
* [[Franz Liebhard]]: [[ART:0095 - Der Schwabenmaler Stefan Jäger|<i>Der Schwabenmaler Stefan Jäger</i>]]. Menschen und Zeiten. Kriterion, Bukarest 1970
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In den siebziger Jahren gab es im Banat noch zwei Gemeinden namens Tschene. Die größere war hauptsächlich von Serben bevölkert und hieß Serbisch-Tschene. Sie hatte an die 3.200 Einwohner und war ein Marktflecken mit Stuhlamt. Die kleinere, die im ganzen etwa hundert Häuser zählte, trug nach der Mehrheit ihrer ein knappes halbes Tausend zählenden Einwohner den Namen Kroatisch-Tschene. Später wurden beide miteinander vereinigt. So entstand das heutige Tschene. Beide hatten über 270 Joch Ried – ein Überbleibsel des großen Sumpfes, der sich westwärts um die alte Bega hinzog und im Süden stellenweise über den "Schifffahrtskanal" reichte. Auf der Mercyschen Karte von 1725 wird er als "Morast, welcher nicht durch zu kommen ist" bezeichnet. Auch die Karte von 1761 vermerkt noch das gleiche, während doch inzwischen auf dem Gebiete der Entwässerung so manches geleistet worden ist. Die Deutschen der Ortschaft waren neben einer ziemlich geringen Zahl von Bauern vor allem Handwerker, in Serbisch-Tschene 16 von 26, in Kroatisch-Tschene aber 7 von 10. Halb zu den Handwerkern gehörte auch der Feldscher Franz Jäger, der sich auf der Walz, die ihn von seinem Heimatdorf Nakodorf nach Budapest geführt, zu seinem Barbierfach noch die Befähigung erworben hatte, zur Ader zu lassen und Zähne zu reißen, eine Ausbildung, der fast zur gleichen Zeit auch Adam Müller aus Guttenbrunn oblag.
Franz Jäger war nicht mehr einer der Allerjüngsten, als am 28. Mai 1877 seine um rund 20 Jahre jüngere Frau, geborene Margarete Schuller aus Billed, eines Knaben entbunden wurde, mit dem sich die Godel zur Taufe auf der Achse nach Gertjanosch begeben musste, das in der Luftlinie zehn Kilometer entfernt lag und erst achtzehn Jahre später mit der Eisenbahn erreicht werden konnte. Einer der vielen verschlungenen Wege der schwäbischen Binnenwanderungen hatte dem Feldscher, der ein stattlicher Mann mit Vollbart war und sich nach städtischer Art kleidete, und seine junge Frau, die sich gleichfalls „herrisch" trug, nach Tschene geführt. Hier übte er seine Kunst aus, in einer recht sonderbaren Umwelt, wenn man bedenkt, dass von den 23 Mitgliedern der Gemeinderepräsentanz nicht weniger als 23 den Namen Vuchetich führten, 5 von diesen aber sogenannte Virilisten (die Begütertsten, die die höchste Steuer zahlten) waren, die kraft ihres Vermögens in den Gemeinderat gelangten. Alle diese Vuchetich waren Angehörige einer kroatischen Adelsfamilie, die um 1820 ins Banat gekommen war und als Entschädigung für ihre in der Militärgrenze an das Ärar abgetretenen Liegenschaften hier begütert wurde. Unter den Meistbesteuerten befand sich auch ein Schwabe namens Adam Rösner[1] betrieb eine Rossmühle in Tschene</ref> aus Gertjanosch gebürtig, der einen namhaften Feldbesitz in Tschene erheiratet hatte und im Leben des jungen Jäger später eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollte. In den größten Teil des Hotters von Tschene teilten sich noch etliche nicht bäuerliche Gutsbesitzer, so bis 1861 auch Karl von Arizi, den nach der Niederwerfung der Revolution von 1848 - 49 petitionierende Schwaben zum „Schwabengrafen" vorgeschlagen hatten.
Im Mittelalter gehörte die Ortschaft Tschene eine Zeitlang der Abtei von Ittebe an, deren allzu weltlich gesinnten Mönche eines Tages alles Kirchengerät aus Silber einschmelzten, um Münzen daraus zu schlagen. Vor dem Zorn des Königs, der darin einen ungeheuerlichen Eingriff In seine Hoheitsrechte sah, ergriffen sie die Flucht und ließen die Abtei im Stich, was das Einschreiten des Papstes nach sich zog. Im ausgehenden 17. Jahrhundert rang bei Tschene ein großes kaiserliches Heer unter der Führung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August in einer blutigen Schlacht mit den Türken. Tausende türkischer und kaiserlicher Soldaten lagen in der Erde begraben, über die zur Zeit, als Stefan Jäger in der Schule lesen, schreiben und rechnen lernte, die Bauern den Pflug führten, um zumeist als Hälftler den Acker kleinerer und größerer Herrschaften zu bestellen.
Tschene hatte damals zwei Schulen – eine serbische und eine deutsche, der auch die kroatischen Kinder zugeteilt waren. Da sie katholischer Konfession waren, katholisch aber zu jener Zeit in der Amtsübung gleichbedeutend mit deutsch war, steckte man sie ganz einfach in die deutsche Schule. Zwei Jahrzehnte später sollte katholisch so viel wie madjarisch bedeuten, woraus wieder andere Verwicklungen entstanden. Die Schule unterschied sich durch nichts von ähnlichen dörflichen „Lehranstalten". Da gab es einen einzigen Raum für alle Klassen, der sonntags auch als Bethaus benützt wurde. Obwohl die Schulpflicht damals schon gesetzlich vorgeschrieben war, besuchte nicht einmal die Hälfte der Unterrichtspflichtigen Kinder die Schule – im Jahre 1879 zum Beispiel von 58 im ganzen 26. Hier fand der kleine Stefan Jäger Eingang in die Welt der Buchstaben und Zahlen, die ihre Pforte nicht so ohne weiteres öffnete. Nichtsdestoweniger kam er häufig genug auszeichnungsweise in die erste Bank zu sitzen, wenn er vortrefflich zu antworten wusste.
Trotz aller Unzulänglichkeiten gab ihm die Schule von Tschene doch so viel, dass ihn sein Vater in die Temesvarer private Bürgerschule Wiesners einschreiben konnte. Wiesner ließ in seiner staatlich genehmigten Bürgerschule deutsch unterrichten, während im Gymnasium der Piaristen der Unterricht schon lange madjarisch war, in der staatlichen Oberrealschule aber, in der mit Rücksicht darauf, dass die große Mehrheit der Schüler deutscher Muttersprache war, deutsch anfangs als Hilfssprache verwendet würde, die Madjarisierungstendenz immer stärker um sich griff und Disziplinarstrafen verhängt wurden, wenn die Schüler im Umgang miteinander anders als madjarisch sprachen, wodurch Reibereien und Zusammenstöße mit den Eltern entstanden.
Stefan Jäger, den der Vater in der Schlossgasse [2] in einem „Kosthaus" untergebracht hatte, erlebte in den vier Jahren, die er in den Mauern der Stadt verbringen sollte, noch das alte Temesvar, die Festung mit ihren grauen Basteien und finster dreinblickenden, vergitterten Kasemattenfenstern, den düsteren Toren vor dem Theater und beim militärischen Stockhaus gegen die Fabrik zu, während auf der nördlichen Seite die Einfahrt in die Festung in Anbetracht des durch den Zusammenlauf der Szegediner, der Arader und der Lippaerstraße verursachten lebhaften Verkehrs schon erweitert war. Den größten Reiz aber übten auf den Knaben aus Tschene neben der lustig dahinscheppernden Pferdebahn die vielen Festungsgräben mit ihrem dichten Röhricht aus, durch die man wahre Expeditionen unternehmen konnte, die immer wieder etwas Neues entdecken ließen. Zwanzig Jahre später hielt sich Jäger wieder einige Zeit in Temesvar auf. Die Bleistift- und Ölskizzen, aber auch vollendete Malereien, [3] die von den Überresten der Festungswerke später entstanden, dürften die Anregung dazu zum großen Teil dem Wunsche verdanken, in letzter Stunde noch festzuhalten, was der Knabenseele von ehedem viele, von der Phantasie ausgeschmückte Bilder beschert hatte.
Mit vierzehn Jahren kam Jäger nach Szegedin, um seine Mittelschulstudien an der dortigen sechsklassigen Bürgerschule abzuschließen und gleichzeitig auch seine mitunter recht kantigen Kenntnisse aus der madjarischen Sprache zu glätten und zu polieren – ein Bildungsweg, der in der Folgezeit für die anwachsende Schicht der schwäbischen Gebildeten typisch werden sollte, mit allen seinen Vor- und bedeutend größeren Nachteilen, die eine allmähliche sprachliche Spaltung zwischen der Masse der schwäbischen Bevölkerung und den ihrem Schöße entsprungenen Intellektuellen bewirkte. Das wichtigste Moment der Szegediner Jahre liegt für den weiteren Werdegang Jägers darin, dass sein Zeichenprofessor, ein Burgenländer namens Obendorf, seine künstlerische Begabung erkannte und ihm durch treffliche Ratschläge die Richtung wies, in der er zu gehen hatte. Das Ergebnis dieser Wegweisung waren die vier Jahre in der Musterlehranstalt zur Ausbildung von Zeichenprofessoren in Budapest, die seinem Talent zur Malerei den Durchbruch erleichterten. Unter der leitenden Hand eines Meisters vom Range Székely Bertalans, eines Piloty-Schülers und Schöpfers großer historischer Gemälde, reifte Jäger zu einer Kunstauffassung und Kunstpraxis heran, die durch die Achtung vor dem einem sinnvollen Ganzen zugehörenden Detail und damit vor der Realität des Menschlichen und Gegenständlichen gekennzeichnet war und ihn zeitlebens davor bewahrte, das Leben zum bloßen Spielzeug der Phantasterei zu machen, was in der wechselvollen Kunstgeschichte der letzten fünfzig Jahre zu mancher Abwegigkeit und zeitweiligen Triumphen der Unlogik führte. Auf Budapest folgten die Wanderjahre, deren Stationen Wien-München-Stuttgart-Venedig waren und die 1901 ihre vorzeitige Unterbrechung erfuhren, da ihn die Kunde von der schweren Erkrankung des Vaters in die Banater Heimat zurückkehren ließ.
Dieser sollte er nun für immer verbunden bleiben, denn auch die große Studienreise im Jahre 1906 nach Deutschland hatte keinen andern Zweck, als Aufschluss über die Trachten zu geben, in denen die schwäbischen Vorfahren im 18. Jahrhundert ihre Wanderung in das unbekannte Land unternahmen, das vielen ein frühes Grab bereitete, der Nachkommenschaft aber aller Not und Gefahr zum Trotz eine neue Heimat wurde als Lohn für Fleiß und Anhänglichkeit, als Vergeltung der werktätigen Liebe, die im Laufe von Generationen durch die Schöpfungen redlicher Arbeit immer wieder zum Ausdruck kam.
Nach seinen Lehr- und Wanderjahren ließ er sich 1910 in Hatzfeld nieder, ein stiller, zurückgezogener Mann, der nur für die Malerei und ausschließlich von der Malerei lebte. Eine Kühnheit war das in einem Orte, der, obwohl er sich in dieser Zeit vom Dorf zum Marktflecken und von diesem zur Kleinstadt entwickelte, für das Dasein eines Malers nicht gerade die günstigsten Bedingungen bot.
Da war die Riesendomäne der Grafen Csekonics in einer Ausdehnung von rund 40.000 Joch, da entfaltete sich ein großbäuerliches Herrentum, das seinen Reichtum demonstrativ zur Schau stellte und sich von der damals herrschenden Nation sprachlich infiltrieren ließ, um auch auf diese Weise zu zeigen, dass es etwas Besonderes sei. Nachdem Hatzfeld schon sehr früh (1857) in den Eisenbahnverkehr eingeschaltet worden war, entstand eine Industrie – Mühlen, Ziegeleien, Hut- und Schuhfabrik –, es entwickelte sich rasch eine kompliziertere Bevölkerungsstruktur. Die gesellschaftlichen Kämpfe, die sich auf dem Boden Hatzfelds seit der Jahrhundertwende abspielten, waren daher verwickelter Natur und manchmal von überaus großer Heftigkeit.
Welche Widersprüche barg diese vom Rollen der gräflichen Kalesche und den Dampfsirenen der Fabriken durchlärmte Großgemeinde, die vom Drang in das Städtische fieberte. Welche Widersprüche zwischen den wüsten Kartenschlachten im Kasino und den meisterlichen Operationen des Chirurgen Dr. Ludwig Diel[4], volkstümlich „der alte Diel" genannt! Welche unversöhnlichen Gegensätze zwischen dem Rufe des Ortes, dank dem Atelier Stefan Jägers ein schwäbisches Athen in der Heide zu sein, wo ein Paul Moussong in den achtziger Jahren seine Gedichte drucken ließ, Peter Jung bis ins Greisenalter seine Tausende Gedichte schrieb, und dem kapitalistischen Frevel, nach dem ersten Weltkrieg, nach der Enteignung des gräflichen Latifundiums, die obdachlos gebliebene Bibliothek, deren Anfänge aus dem 18. Jahrhundert stammten, im Ringofen des Ziegeleibarons Threiß, des „schwäbischen Stinnes", für den sehr nüchternen Zweck der Ziegelerzeugung zu verheizen! In der gleichen Gemeinde, die in ihrem Park der Menschenfreundlichkeit ein Denkmal setzte, ein Standbild des Wohltäters der Leidenden, Dr. Diel, wurden nach etlichen Jahren sieben Männer ermordet, weil sie von einer Welt der Menschenfreundlichkeit träumten und bereit waren, für eine solche Welt ihr Bestes in die Schanze zu schlagen.
Wie stand der Maler Stefan Jäger inmitten dieser Spannungen und Auseinandersetzungen? Hatte Jäger, den man lange mit einem billigen Lächeln als einen Maler des Kleinen und Engen, des harmlosen Genres, des Unproblematisch-Hellen, das kein Kopfzerbrechen verursacht, hinzustellen versuchte, in seiner Art, nach den Möglichkeiten seiner Kunst, eine Stellung bezogen, die einen Teil des Inhaltes der Zeit zum Ausdruck brachte? Oder wäre es eine Übertreibung, in Verbindung mit Jäger hievon zu sprechen, da er doch ein Unpolitischer gewesen sei, der es zu allen Zeiten vorgezogen hätte, als ein solcher gerühmt oder verdammt zu werden? Der hochbetagte Meister schüttelte staunend das Haupt, wenn er vernahm, dass nach Zusammenhängen gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche liegen, sondern darunter. Sie müssen aufgespürt und ins Licht gerückt werden. Denn anders wird man seiner Bedeutung nie gerecht werden können, anders wird es nicht einmal annähernd möglich sein, sein besonderes Gewicht im Leben der deutschen Bevölkerung des Banats richtig zu ermitteln.
Er war zeitlebens in bestimmtem Sinne ein Einsamer, ja sogar in einem gewissen Maße ein Eigenbrötler, der einen Kreis um sich gezogen und sich darin eingerichtet hatte. Vergegenwärtigen wir uns nur einmal die Zeit: Wir stehen vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges, ein Gewitter ist im Anzug, in dem die gräfliche Herrlichkeit versinken sollte. Aber um 1910 war sie noch unangetastet. Müssen wir nicht der Einsamkeit, ja sogar der Eigenbrötelei Stefan Jägers zustimmen, weil er sich durch sie davor behüten konnte, in das gräfliche Schlepptau genommen zu werden? Wir dürften aber diese Einsamkeit auch aus einem andern Grunde verstehen. Sie bewirkte, dass er zweifellos vorhanden gewesenen Verlockungen, ein schönfärberischer, idealisierender Porträtist des Großbauerntums zu werden, nicht erlag. Manchen schien dieser selbstgezogene Kreis des Einsamen sehr eng, geradezu krähwinklig, außerhalb der höheren Kunstbezirke liegend, außerhalb des heiligen Schauders, wo der Geheimsprache der Farben die Gefahr droht, vom Grau des prosaischen Alltags verschlungen zu werden und einen der seelische Veitstanz der Dürrnis so lange schüttelt, bis man nicht vergisst, einmal irgendwann im Leben innere Stimmen vernommen und im Scheine innerer Gesichte gestanden zu haben.
Wer erinnert sich nicht an die Zeit der Kunstverzückung, an die exaltierten Schwärmereien und das Rätselgeflecht von Ismen? All das war auch zu uns geflutet, es gab auch bei uns Auserwählte und Exaltierte, Verschmäher des Wirklichen und Dogmatiker der Phantasterei, die in einer Sackgasse auf der Stelle traten. Diese Gilde der Traumschwangeren, die ihrer Palette ein Eigenleben, ein vom Leben der Umwelt unabhängiges, zugedichtet hatten, blickten auf ihn nieder, wie wenn man von einem an die Wolken stoßenden Gipfel in die unermessliche Tiefe, die alles winzig-klein erscheinen lässt, hinabschaut. Stefan Jäger galt manchem Adepten des Kunstbetriebs nicht als vollgültiger Maler; er war den Zünftigen zu einfach, er verrannte sich in keine Komplikationen, und was er mit seinem Pinsel darstellte, sollte nichts anderes sein als sich dem Auge darbot.
Wenn man die Kriegsjahre 1914 - 1916 abrechnet, die den Landsturmmann Stefan Jäger bald an die serbische, bald an die italienische und dann wieder an die rumänische Front warfen, so haben wir rund sechs Jahrzehnte malerischer Arbeit vor uns. Sie ist in ihrer Gesamtheit durch eine vielfältige Thematik, durch die Art und Weise, wie sie den Alltag und das Festliche der Menschen widerspiegelt, durch ihre realistischen Vorzüge, ihre Wirklichkeitsnähe und auch durch ihre Schwächen, ihre Zugeständnisse an einen Kunstgeschmack nicht immer unanfechtbarer Art, durch stellenweise auftretende idealisierende und idyllisierende Überhöhung der Banater Heimat zugehörig. Ihr positivster Zug besteht darin, dass die Landschaft ihre höchste Sinnerfüllung durch die Arbeit empfängt, die der Mensch in ihr vollbringt. Das Wesentliche des Banats ist, dass es in rund 250 Jahren einen mehrfachen Gestaltwandel durchgemacht hat durch die friedliche Macht menschlicher Betätigung, die ein Netz von geordneten Wasserläufen schuf, ohne Unterlass Neuland eroberte, sprachliche Verschiedenheiten durch gleichgerichtetes Tun überbrückte, die Erde schon vor mehr als hundert Jahren durch Eisenbahnen erschüttern ließ und den Menschen bezwingende Zukunftsgläubigkeit verlieh. Aus diesem Grunde ist auch das Gesamtwerk Jägers von einem optimistischen Glanz überzogen. Es ist ein aus Hunderten Stücken bestehendes Lebenswerk, von dem man wirklich sagen kann, dass es mit dem Leben des Volkes verschmolz, als dessen Abbild es geschaffen und dem es als solches zugedacht war. Es wäre ungemein schwer, der Verstreuung der Jägerschen Bilder über einen großen Teil des Banats nachzuspüren, ja es wäre von vornherein fast aussichtslos, ein Inventar der Jägerschen Bilder anlegen zu wollen. Mit welchem Schmunzeln schüttelte er das Haupt, wenn man ihn nach dem Verbleib dieses oder jenes Gemäldes fragte, und es war, als wenn er dazu mit dem Auge kaum merkbar gezwinkert hatte. Ich bin froh, dass die Fährten verweht sind. Sein Werk ist nicht nur geistig, sondern auch tatsächlich Eigentum des Volkes geworden.
Beredter als alles andere, überzeugender als die sorgfältig ausgeführten Gemälde haben über des Malers innere Haltung, die Richtung seiner Gedanken und über seine Bekenntnisse betreffend die kleinen und großen Dinge des Lebens die flüchtig gezeichneten Skizzen, die sparsam konzentrierten Aquarelle Auskunft gegeben. Die große Bedeutung der Skizzen für die schwäbische Trachten- und Brauchtumskunde ist bei verschiedenen Anlässen hervorgehoben worden. Kerweih und Erntefest finden da ihr in der Eile des Augenblicks geborenes Abbild, die verschleierten weißen Christkind-Engel mit dem Belzebub und dem lichten Reiter ebenso wie die Dreikönige aus dem Morgenland oder die sagenhafte „Gartenlies", mit der schlimme Kinder geschreckt wurden, und die sich zwischen den im Winde raschelnden Maisstängeln zu verstecken pflegt. Man trennt sich nur schwer von dem Skizzenblatt, auf dem ein Spinnrad mit allen Einzelheiten abgebildet ist; es ließe sich schwer entscheiden, was den tieferen Eindruck erweckt – die Schönheit des Gerätes, die der Proportionen oder das Sinnreiche, das sich einem durch die natürliche Assoziation erschließt. Die vielen Pferdeskizzen bezeugen die schwäbische Begeisterung für schöne Rosse. Die Grabatzer, Großjetschaer und Lenauheimer Zucht wurden allenthalben begehrt und ließen den alten Spruch entstehen:

Weibersterwe is ke Männerverderwe,
Aber Pferdfrecke, das macht de Bauer verschrecke.

Neben scheinbar ganz peripheren Skizzen wie „Hühner bei Regen" oder „Bau einer Fronleichnamshütte", Studien über Bauernhände mit den fächergleich geordneten Spielkarten, oder dem Versuch, Fata Morgana-Erscheinungen der Heide auf einer ganzen Reihe von Blättern festzuhalten, wobei die Tageszeit und der Einfall des Lichts angegeben ist, kehrt immer wieder wie ein großes, sich trotz allem durchsetzendes Leitmotiv die Arbeit zurück. In einem großen Kreise sieht man die verschiedenen Phasen der Feldarbeit, die beim Mähen die Sense breit ausschwingen lässt, und die harte Mühe eines Schwerarbeiters, der, den Oberleib stark nach hinten gestemmt, vermutlich in einem Eisenwerk einen anstrengenden Handgriff auszuführen hat. Und dass er diese Motive auch bis ins hohe Alter hinein behalten konnte, verdankte er seinem ununterbrochenen Bekenntnis zum Menschlichen, zur Schönheit des Lebens bei Arbeit und Fest, seiner Treue zum einfachen Volke, seiner rührenden Liebe zu allem, was diesem gehört: vom Spinnrad bis zum Zapfenbrett, von einer einfachen Schnitzerei bis zum Barockgiebel der Bauernhäuser, vom Kerweihstrauß bis zur Haartracht der aufgesteckten Zöpfe, von der hauchigen, festlichen Mädchentracht bis zur ehrwürdigen Ruhe der Alten, von den einfachen Ornamenten an Möbelstücken bis zu den in die prächtige Seide der Röcke hineingewebten Blumen.
Das alles ist ja Volkskunstgewerbe – vielleicht findet sich jemand, der das mit dem Nebengeschmack leiser Missachtung auch heute noch sagt. Unbestreitbar – das ist es, und es wäre nur das, wenn nicht alles durchdrungen wäre von einem unvorstellbaren Gefühl der Zusammengehörigkeit aller dieser Dinge, einem Gefühl, das sie in die Sphäre des Schönen erhebt.
Neben dem malerischen Gesamtwerk, das über das ganze Gebiet des Banats gestreut ist, hatte sich Jägers Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft in seine reichen Skizzenmappen verankert, die vom Banater Museum leider nur zum Teil erworben wurden und eine wahre Schatzkammer volkskundlicher Dokumente schwäbischen Volkslebens darstellen. Die Beobachtungsarbeit von Jahrzehnten liegt in diesen Blättern verschiedener Größen, in diesen Aquarell- und zum kleineren Teil Bleistift- und Tuschskizzen, die oft die Jahreszahl ihrer Entstehung und verschiedene mit Bleistift gemachte Anmerkungen aufweisen, die zum Beispiel die Farben der einzelnen Trachtenstücke genau angeben. So ist eine Skizze der Mädchenfesttracht von Neubeschenowa durch folgenden Text begleitet: „Blumen in Silberfarbe, ähnlich wie Sackelhausen." Skizzen eines Erntefestes mit der Zeichnung eines halbkugelförmigen Ohrgehängs in Großausführung, Tanzpaare aus Bakowa wechseln mit Schnitterinnen aus Kleinbetschkerek, zu denen die Bemerkung geschrieben ist, dass die besonders breiten Strohhüte im Schnitt auch von den Männern getragen werden. Neben einer Stube aus Guttenbrunn (Ofen, Spinnrad, Schubladenkasten, Bett, davor Stühle, Tisch mit Krug) eine Frau beim Bügeln, ein malerisches Gässchen und das Bild eines Silvesterständchens der Blechmusik aus dem gleichen Dorf. Sackelhausen ist durch eine Frauenhaube vertreten (mit Bleistift: „schwarz mit Goldstickerei"), „Mattfleischfarbener Spenzer, Hemden mit roten Zacken eingefasst" liest man neben einem Mädchen in Tracht. Ein anderes Sackelhausener Mädchen ist folgend beschrieben: „Tochter, Suppe auftragend. Rock: hechtgrau". Und so geht es fort: Deutschbentschek und Kreuzstätten, Jahrmarkt und Schöndorf und noch viele andere Ortschaften. Jedes Blatt eine Fundgrube, auf jedem Blatt eine neue Entdeckung.
Das Bezeichnendste und Aufschlussreichste dieses unvergleichlichen umfangreichen Materials – die. Zahl der Skizzenblätter beläuft sich auf aber Hunderte, jedes mit mehreren Abbildungen – sollte einmal mit seinen besten Stücken durch ein Trachtenbuch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So würde das, was dem Ursprung nach dem Volk gehört, über den Maler zum Volk wieder zurückkehren als Spiegelbild der schöpferischen Kraft, die ihm innewohnt und die wir anhand der Jägerschen Skizzen noch besser werden kennen lernen, als es bisher möglich war.
Das Hauptwerk Stefan Jägers ist das große, sechs Meter lange und etwa anderthalb Meter hohe Triptychon „Die Einwanderung der Schwaben ins Banat", kurz Einwanderungsbild, ein dreiteiliges Ölgemälde, dessen Einzelteile trotz der Trennung voneinander nicht nur thematisch, sondern auch darstellungsmäßig zusammengehören. Das Mittelstück setzt das auf dem ersten Dargestellte sowohl landschaftlich als auch in figuraler Hinsicht fort und mündet auf die gleiche Weise in die dritte Bildtafel ein. Das Werk zeigt eine Gruppe von Kolonisten auf der Wanderung durch die damalige Banater Einöde, stellt sie auf einer Rast unterwegs dar und bietet zum Schluss ihr Abbild auf der Stätte der Erfüllung, vor den halbfertigen Siedlerhäusern, in dem Augenblick, da ihnen die Besitzurkunde überreicht werden soll. Ein kollektives Menschenschicksal zwischen zwei Polen: zwischen der Loslösung von der alten Heimat, deren Staub sie schon längst von den Schnallenschuhen geschüttelt haben, und der nunmehr wahrgewordenen Begegnung mit der neuen Heimat, mit dem, was ihnen verheißen wurde und wovon während der langen Fahrt ihre Träume voller Unruhe waren. Etwa achtzig größere und kleinere Gestalten bevölkern dieses Werk. Es ist also keine Übertreibung, wenn man es eine Darstellung kollektiven Schicksals nennt. Bloß ein einziger Mensch gehört nicht in ihre Reihe, ein Mann auf dem dritten Bild, der sie in ihr neues, aus halbgedeckten Rohbauten bestehendes Dorf einweist.
Das Einwanderungsbild hat thematisch seine Vorgeschichte in mehreren Aquarellblättern, die zum Teil den Aufbruch in Deutschland zeigen. Die Kolonne der Auswanderer strömt durch das Tor von Ulm auf den Donaustrand,ein schwerer Bagagewagen fährt gerade über die Aufzugsbrücke und weit unten sind die Boote zu sehen, die wegen ihrer viereckigen Form „Ulmer Schachteln" genannt wurden und die von kaiserlichen Agenten Geworbenen nach dem Banat zu bringen haben. Zwei Skizzen stellen die Ankunft im Banat dar – die Ausschiffung in Anwesenheit kaiserlicher Beamten und eines Mönches ist im Gange, der Anfang des Zuges hat sich schon geformt und setzt sich mit einem Ochsengespann an der Spitze in Bewegung, um landeinwärts zu ziehen. Ein zweites Blatt enthält eine Variante dieser Begebenheit. Diese Entwürfe blieben unausgeführt. Das große Einwanderungsbild hat dagegen ein Pendantstück in Aquarell, gleichfalls ein Triptychon, doch kleinen Formats. Der erste Teil ist ein Ausschnitt aus einer Banater Sumpflandschaft, das Mittelstück stellt Vater und Sohn dar, indem sie die erste Furche ackern, während der abschließende Teil schöne, der Ernte entgegen harrende Fluren und die Häuserreihe eines freundlichen Dörfchens im Hintergrunde erkennen lässt. Das große Ölgemälde, das Aquarelltriptychon, das lange vor dem Kriege ins Ausland gelangt ist, und die drei Skizzen, die Studienreise, die Jäger 1906 nach Deutschland unternahm, um die Trachten der Einwanderungszeit kennen zu lernen, die beharrliche Arbeit an dem Gemälde, die sich in Abständen auf beinahe drei Jahre erstreckte – all diese Tatsachen zeigen uns, wie gründlich er sich damit auseinander setzte. Sie berechtigen uns, das geschichtliche Thema der Einwanderung als das Zentralthema in seinem Schaffen, das Gemälde selbst als sein Hauptwerk zu betrachten.
Das große Gemälde hat sein, eigenes Schicksal, wir dürfen mit Fug und Recht sagen: sein politisches Schicksal, das von Widersprüchen beladen ist, die ihren Ursprung aber nicht im Verhältnis des Malers zu seinem Thema haben, sondern dem Verhältnis bestimmter Menschen der jeweiligen Zeit zu dem Bild entspringen. An der Entstehung des Bildes hatte Adam Rösner einen Anteil – nach Jäger in gewissem Sinn als Anreger: „Damit nicht allein die Sachsen ein Einwanderungsbild haben sollen", so irgendwie soll der Rösnerische Ansporn gelautet haben. Nach den Behauptungen, die sich in der Geschichte von Gertjanosch (1785—1935) aus der Feder von Dr. Matz Hoffmann nachlesen lassen, soll Rösner durch gewisse Vorschüsse nur die Studienreise ermöglicht haben. Rösner war Postmeister von Gertjanosch, durch Einheirat reich geworden, wurde er tonangebend für die kapitalistische Entwicklung des Dorfes. Er war der Wortführer der den Kleinhäuslern abträglichen Aufteilung der Hutweide und verstärkte durch die von ihm 1871 gegründete Sparkasse die wirtschaftliche Machtstellung der Großbauern. Von ihm ging auch die Gründung des Gertjanoscher Konviktes in Szegedin aus, das ein Instrument nationalistischer Unduldsamkeit war und in dessen Mauern den Söhnen schwäbischer Eltern untersagt wurde, untereinander in ihrer schwäbischen Muttersprache zu sprechen. Wie widersprüchlich ist all dies zu der Tatsache, dass der gleiche Rösner an der Planung des Einwanderungsbildes beteiligt war, an einem Werk, das vollständig jenseits der Gedankenwelt stand, die in der Sparkassa-gründung, kapitalistischen Hutweidenspekulationen, den Handlangerdiensten für eine sprachliche Abtötung und einem schwäbischen Krähwinkelneid den Sachsen gegenüber zum Ausdruck kam.
Das Gemälde wurde zu Pfingsten 1910 im Rahmen einer in Gertjanosch veranstalteten Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung enthüllt und von Tausenden Besuchern bewundert. Das brachte Adam Rösner auf den Gedanken, durch die Budapester Verlagsgesellschaft Franklin eine große Reproduktion herstellen zu lassen, die er durch Reisende in den von Schwaben bevölkerten Gegenden des damaligen Ungarn verkaufen ließ. Den größten Teil des Ertrages behielt er für sich, wie er auch später, als das Gemälde von der Stadt Temesvar um 2.000 Kronen angekauft wurde, als „Miteigentümer" des Bildes die Hälfte des Kaufpreises für sich beanspruchte.
Das Gemälde wurde seinerzeit im halbfertigen Zustand von Budapest nach Temesvar, von da nach Gertjanosch und dann wieder nach Budapest gebracht, jedes Stück für sich zusammengerollt, bis es nach drei Jahren endlich vollendet war. Die Fahrt von Gertjanosch nach Temesvar im Jahre 1910 sollte aber nicht die letzte Fahrt des Gemäldes gewesen sein. Während des zweiten Weltkrieges gelangte es aus dem Banater Museum in den Besitz des damals eine Zeitlang bestandenen deutschen Forschungsinstituts, das es vor den im Frühjahr 1944 einsetzenden Bombenangriffen nach Blumenthal „evakuierte". In diesen Jahren versuchte man aus dem Jägerschen Gemälde eine Art Kultstück des Mythos von Grund und Boden zu machen, eine offensive Landnahme hineinzudeuten, die auf dem Triptychon dargestellten Menschen, die sich eine neue Heimat suchten, um die Fesseln eines fürstlich autoritären Zustandes und einer bitteren leiblichen Not abschütteln zu können, zu Streitern eines ewigen deutschen Gedankens zu machen, die irgendeinem geheimnisvollen inneren Gebote gehorchend als völkische Missionäre in die Welt hinausgezogen seien.
Das Gemälde wurde 1945 ins Banater Museum zurückgebracht und war, einer fachkundigen Restaurierung unterzogen, das Zentralstück der 1967 stattgefundenen großen Jäger-Ausstellung im ehemaligen Rittersaal des denkwürdigen Schlosses derer von Hunead, dessen Umgestaltung in ein Museum als eine der bedeutsamsten Kulturleistungen der Volksmacht in der Stadt Temesvar gilt.
Als ein wertvolles menschliches und malerisches Zeugnis wird das Einwanderungsbild Stefan Jägers unverändert die Sprache der Liebe zu den Menschen sprechen, die einem guten Zweck zuliebe zusammengreifen und bereit sind, als Mühende und Beladene ihren Weg zu suchen, bis sie feste Erde unter den Füßen fühlen und voller Zuversicht sagen können: Da sind wir daheim, da senken wir unseren Spaten in die Erde, da zünden wir unser Herdfeuer an und pflanzen ringsherum Bäume. Wie werden wir uns freuen, wenn über der Glut unseres Herdes das Brot gebacken sein wird und wir es teilen können mit allen Gutgesinnten, die morgen ihr Brot mit uns teilen würden, wenn unsere Glut aus unvorhergesehenem Grund zeitweilig verlöschen sollte.
Nicht anders ist die Botschaft zu deuten, die uns aus dem Gesamtwerk Stefan Jägers, des vom rumänischen Staat ehrenvoll ausgezeichneten und in seinen letzten Lebensjahren mit einem hohen Gnadengehalt bedachten Malers anspricht – eine Botschaft der emsigen Arbeit, der Liebe zum Menschlichen, der Freude am Leben, der Treue zum eigenen Menschlich-Besonderen in Sprache und Gebräuchen, die Botschaft des Verständnisses für jedes Anderssein in Sprache und Gesittung, die Botschaft vom Bunde der Menschen, die aus guten Keimen Zukünftiges wachsen lassen.

Anmerkungen

  1. richtig Röser
  2. Schlossgasse: Erőd utcza (1900), Strada Fortăreții (1921), Strada Solderer (1926), Strada Karl Marx (1949), Strada Blaga Lucian (2000);
  3. Hunyadischloss, Domkirche, usw
  4. richtig Karl Diel

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