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Die "erste Stadt" im Lande

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0098
Autor Name: Ludwig Schwarz
Titel des Artikels : Die "erste Stadt" im Lande
Untertitel des Artikels: Hatzfelder Fortschritt und die Welt des Stefan Jäger / "Schwabenkinder" hier zu Hause
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Karpaten Rundschau
Erscheinungsort: Kronstadt
Jahrgang: IV (XV)
Nummer: 15 (991)
Datum: 16.04.1971
Seite: 16
* [[Ludwig Schwarz]]: [[ART:0098 - Die erste Stadt im Lande|<i>Die "erste Stadt" im Lande</i>. Hatzfelder Fortschritt und die Welt des Stefan Jäger / "Schwabenkinder" hier zu Hause]]. Karpaten Rundschau, Kronstadt 16.04.1971 (Jg.IV (XV) Nr.15 (991)), S. 16

Hatzfelder Fortschritt und die Welt des Stefan Jäger / "Schwabenkinder" hier zu Hause

Wenn jemand einen Satz etwa so beginnt: „Wir sind die erste Stadt im Lande…", dann ist in dem eine solche Rede begleitenden Lächeln gewiss der Hinweis auf die geographische Lage des Heidestädtchens Hatzfeld enthalten, die erste, wirklich die erste Stadt zu sein, der man auf dem Wege in unser Land begegnet. Vorausgesetzt , dass man aus einer bestimmten Richtung kommt. Doch klingt da noch etwas mit – und nicht nur bei den „Alten", denen Ortsgebundenheit (worum nicht auch. -verbundenheit?) so gerne mit Schwerfälligkeit und Konservativismus in einem Zuge nachgeredet, ja sogar mit Selbstverständlichkeit zugemutet wird. Nein, die Leute hängen an dieser Stadt, auch die jungen, wie man an vielen Dörfern nicht mehr hängt; und, man muss es zugeben, dass auch das ein normales Ergebnis unserer sozialen Entwicklung und der des einzelnen Menschen ist, dessen Tätigkeitsfeld und geistiger Horizont sich dermassen erweitert hat, dass er aus der dörflichen Abgeschiedenheit ausbrechen musste, weil er mit der patriarchalischen Ruhe, mit der Enge und Abkapselung des Dorfes ganz einfach nicht mehr zufrieden sein konnte. Arbeit, Schule, Bildung – wir nennen es Fortschritt – treibt den Menschen – und das sind vor allem mal die Jungen – hinaus, wo er lernen und wirken kann, und wo er auch das findet, was neben Bildung und Beruf seine menschlichen Grundrechte ihm zu fordern erlauben.
Und das findet er in der Stadt.

Alles, oder doch von allem etwas

Hatzfeld, zu den ersten Niederlassungen in der Banaler Heide gehörend, die nicht nur durch ein behördliches „Stadt- und Marktrecht", sondern in ihrem Wesen Stadt geworden war, bietet – und das trotz allem ruralen Nachbarschaftssinn, der hier noch überall zu spüren ist –alles, oder doch von allem etwas, was die Dorfkinder heutzutage „in die Welt, das Glück zu suchen" gehen lässt. Und darum kommen so viele Hatzfelder mit ihrem abgeschlossenen Studium zurück und darum kamen und kommen noch immer so viele nach Hatzfeld, um hier zu Hause zu sein.
Die Hatzfelder Industrie, auf der Tradition starkentwickelter Handwerksbetriebe fussend, verdient heute mit vollem Recht die Bezeichnung „Fabrik", und das in der Mehrzahl, wobei zu bemerken ist, dass die Attribute „modern" und „exportfähig" in dieser Verbindung durchaus berechtigt sind. Doch darüber vielleicht ein anderes Mal; wie auch über die Schulen, deren typische Banater Vielsprachigkeit mit zu den Verwirklichungen der grosszügigen Nationalitätenpolitik unseres Staates gehört.

Ständige Schau der Industrieproduktion

Unerwähnt jedoch kann die Wirtschaftsausstellung der Hatzfelder Betriebe nicht bleiben, die am 13. April eröffnet und als ständige Schau der Industrieproduktion dieser Stadt funktionieren wird. Und wenn auch nur Lokalpatriotismus die Hatzfelder zu diesem Unternehmen bewogen hätte … Auch dann … Denn der Stolz auf ihre Leistungen ist berechtigt.
Die dritte Stefan-Jäger-Ausstellung wurde am vorigen Samstag hier in feierlichem Rahmen eröffnet. Und dieser Anlass ist wohl einen Besuch und eine Betrachtung wert, weil Stefan Jäger, als Mensch und Künstler, wie auch das in seinem gewesenen Atelier eingerichtete Gedenkhaus Aufschluss über die Menschen gibt, die in Hatzfeld geboren und geblieben, oder nach Hatzfeld gekommen und nicht mehr weggezogen sind.
Er selbst, der in Tschene Geborene, fand als reifer Mensch hier seine neue Heimat, die er nie mehr verlassen hat; er, dem nachgesagt wird, er wäre ein Einsamer, ein Alleingänger gewesen. Nach aussen hin, auf den ersten Blick sozusagen, schon … Das aber war nur Schein, eine Äusserlichkeit, die ihren Grund wer weiss wo gehabt hat. Sein Wirken und – sagen wir es ruhig – sein Fühlen war nicht einsam, hat es doch überall hingefunden, wo die Menschen Menschen sind: In ihren Alltag, zu ihren Festen, zu ihren Sorgen und Freuden; er hat ihre Arbeit gesucht und ihre Mühe, ihren Stolz dargestellt, wie ihre Probleme, mit einem Wort, ihre Welt.
Wenn das Wort „Heimatmaler" in mancher Leute Augen eine Verkleinerung darstellt, und oft sogar als ein herabschätzendes gebraucht wird, dann hat Stefan Jäger es zweifelsohne zu neuem Wert erhoben. Er, der hiergeblieben, mit allem, was den Menschen ausmacht, der aus jener „grossen Welt" hierhergekommen ist, hat das Grosse von innen heraus gesucht und gefunden und er hat dies auch zu vermitteln verstanden.
5000 Besucher hat man in knapp andertholb Jahren gezählt; aus Ungarn, Österreich, der DDR und der BRD, aus Jugoslawien, Belgien, England und Schweden, aus Kanada und den USA findet man Eintragungen im Gästebuch, neben den vielen aus allen Teilen unseres Landes. In den verschiedensten Sprachen, von den verschiedensten Menschen geschrieben, steht fast immer dasselbe: „Für uns, die wir dieses Land kennenlernen wollten, war die Besichtigung der Ausstellung ein Erlebnis, das wir nicht vergessen werden. Familie Sievert – 3121 Darngsdorf (BRD)"

Auf wann endlich das Jäger-Album?

„Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leichtverständlicher Form mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen", – sagt der Meister über seine Arbeit. Ein Budapester Professor aber meint: „Nem csak Zsomboljáé, az egész országé…" – „Nicht nur Hatzfeld, dem ganzen Lande gehört er…"
Und selbst über dieses Landes Grenzen hinaus!
„Ich, Gertrud Heinrich, bin geboren in Stuttgart, mein Vater geboren in Hatzfeld. Ich war die 1000. Besucherin, bin 15 Jahre alt." Auch zu dieser Gertrud Heinrich hat Jäger zu sprechen verstanden, wie zu vielen anderen, zu denen zu sprechen so schwergeworden ist.
20 Gemälde aus Privatbesitz sind diesmal zu sehen. Möbelstücke und Gebrauchsgegenstände des Meisters, – Uhr, Stock, Schirm – der dem 80jährigen verliehene Arbeitsorden und das einmaligste Stück seines Werkes, das Einwanderungsbild.
Und noch einmal wird etwas schmerzlich vermisst: Ein Jäger-Album. Der Kriterion-Verlag hat es nun zwar fest versprochen, die 50 Seiten starke Jäger-Biographie aus der Feder der Temesvarer Museologin Annemarie Podlipny-Hehn liegt bereits vor, die Bildauswahl für 16 farbige und ebenso viele Tafeln in Schwarz-Weiss-Ausführung ist getroffen, die Reproduktionen gemacht. Noch das leidige Thema der Auflagehöhe steht zur Sprache. Von 1000 (!) Exemplaren war die Rede … Und Kulturhausdirektor Hans Weidner verschlug es die Sprache! Vor uns wurde dann die Bestellung für 4000 (viertausend)! Exemplare des Albums ausgefertigt, unterschrieben, gesiegelt und an den Kriterion-Verlag abgeschickt; mit Kontonummer und Zahlungsverpflichtung seitens der Hatzfelder Konsumgenossenschaft versehen, gleichsam als Beweis, wie spät dieses Buch bereits herauskommt, und wie undokumentiert doch manchmal Auflageziffern bestimmt werden.

Vielfalt der Laienkunst

Hier sind auch die „Schwabenkinder" zu Hause, diese Musikformation, die mit bisher 80 Auftritten 60 Städte und Dörfer des Banats, Siebenbürgens und der Sathmarer Gegend besucht und unterhalten haben. Hier auch das ungarische Tanz- und Musikensemble, das Hatzfeld bei der Landesendphase des X. Laienkunstwettbewerbs vertreten wird. Und ein Leichtmusikorchester – das sind 14 Musiker, 9 Vokalsolisten und 4 (moderne!) Tanzpaare –das zusammen mit dem ungarischen Ensemble bereits eine Gastspielreise durch Jugoslawien erfolgreich hinter sich gebracht hat. Ein Madrigalchor, ein rumänisch-deutsch-ungarisches Folkloreensemble, aus Schülern des Lyzeums gebildet, vervollständigen die notwendige Vielfalt städtischer Kulturtätigkeit, der vorläufig noch eine intensivere Beschäftigung mit dem Sprechtheater fehlt.
Die Volksuniversität hat 260 Teilnehmer an sechs Kursen; zwei allgemeinbildende und drei auf Spachstudium ausgerichtete (Deutsch, Englisch, Französisch), sowie, als „letzter Schrei" sozusagen, die „Modeklasse", in welcher den 80 Interessierten „Mode" theoretisch und praktisch, als Wissenschaft und Handwerk nahegebracht wird.
Die Hatzfelder musikalische Tradition ist bekannt und noch immer ein lebendiges Etwas. Die Volkskunstschule hat eine Bläserklasse mit 16 Schülern, und Nikolaus Maser, der „Schwabenkinder" -Dirigent, leitet einen Studienkreis für musikalische Grundausbildung, dem 42 Schüler angehören.
Viel los also, könnte man sagen, und zufrieden sein, hätte man nicht die Auseinandersetzung erlebt, bei welcher es um „des Kaisers Bort", mit anderen Worten um etwas Nichtexistierendes, nämlich um Probe-, Studien- und andere Räume ging. Und auch um einen Saal mit entsprechender Bühne und den notwendigen (für Hatzfeld notwendigen) Zuschauerraum.

Der offizielle Wettbewerb

Am 2. Mai soll auch dieses Problem endlich gelöst, der Kulturhausumbau soweit sein, versichert man uns, und, sieht man das emsige Treiben auf der Baustelle, kann man an den Termin glauben. Ein grosser Saal mit 524 Sitzplätzen, ein kleiner mit 156, acht grosse Proberäume; Garderoben, Kabinen, Büfett, alles zentral geheizt, kurz, ein Kulturhaus, wie es im Buche steht, ist hier im Werden. Dazu darf wohl erwähnt werden, dass sich die Hatzfelder da in einem inoffiziellen Wettbewerb mit dem Dorf Darowa befinden, das nicht weniger „grossartig" an seinem Kulturheim (Dörfer haben nur „Heime") baut, und dabei auch nicht weniger Chancen hat, den Stichtag, 2. Mai, erfolgreich zu begehen.
Ein Bummel durch Hatzfeld ist ein Genuss; weil Ordnung und Sauberkeit so wohltuend wirken, weil sie dem Fremden wie eine gastfreundliche Geste vorkommen, und weil das leider noch nicht in allen Städten eine Selbstverständlichkeit ist. Und man muss es ihnen lassen, jenen Hatzfeldern, die von der „ersten Stadt" reden, dass sie auch auf diesem Gebiet etwas getan haben, das weit über das geographische Wortspiel hinausgeht …

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