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Die Jäger-Gedenkstätte in Hatzfeld erhielt eine Schenkung

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0122
Autor Name: Karl-Hans Gross
Titel des Artikels : Die Jäger-Gedenkstätte in Hatzfeld erhielt eine Schenkung
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Neuland
Erscheinungsort: Salzburg
Jahrgang: 25
Datum: 22.07.1972
Folge: 13
Seite: 4
* [[Karl-Hans Gross]]: [[ART:0122 - Die Jäger-Gedenkstätte in Hatzfeld erhielt eine Schenkung|<i>Die Jäger-Gedenkstätte in Hatzfeld erhielt eine Schenkung</i>]]. Neuland, Salzburg 22.07.1972 (Jg.25 Folge13), S. 4

Am langgestreckten niederen und weißgetünchten Zwerchgiebel des von der Haupt- in die Kreuzgasse einmündenden Eckhauses ist eine schlichte Tafel angebracht. Hier befindet sich die Jäger-Gedenkstätte. Die Ausstellungsräume selbst liegen in einem Hofgebäude, in das man durch ein kleineres Holzportal mit einem relativ engen Korridor von der Kreuzgasse her gelangt.
Die Gedenkstätte weist keine großen Ausmaße auf und besteht aus zwei Räumen: dem großen Ausstellungssaal mit den nach Süden gerichteten Doppelfenstern und einem kleineren Vorraum. Wohl hätte dem Meister eine weit größere Ehrung nach seinem Tod – wenn schon nicht zu Lebzeiten – zuteil werden können. Doch kam die Wahl der Räume nicht von ungefähr, da eben an diesem Ort der Maler jahrzehntelang täglich gearbeitet hat.
Stefan Jäger errichtete diese Werkstätte vermutlich, in den zwanziger Jahren in der ursprünglich sogenannten 5-Kronen-Schule, in der die schwäbische Jugend zur Zeit der Monarchie 5 Kronen zahlte, um die ungarische Sprache zu erlernen.
Im kleinen Vorraum des Ateliers stand das kleingehackte Brennholz; das ehemalige große Klassenzimmer war durch eine provisorische Zwischenwand zweigeteilt. Der rückwärtige Raum diente dem Künstler als eigentlicher Arbeitsraum, zu dem ein gewöhnlich Sterblicher nur selten Zutritt erhielt. Heute sind hier die Jäger-Bilder ausgestellt. Gönner und Förderer haben in diesen Räumen Zeitdokumente, Bilder, Skizzen, persönliche Gebrauchsgegenstände u. a. zusammengetragen und ausgestellt. Seit 1969, dem Gründungsjahr der Jäger-Gedenkstätte, wurde diese zur ständigen Ausstellung erklärte Stätte zweimal vollkommen und ebenso oft teilweise mit Leihbildern aus dem Privatbesitz der Hatzfelder bzw. aus dem Besitz des Temescher Museums erneuert. Auch das monumentale Werk des Meisters wird hier aufbewahrt – das dreiteilige Einwanderungsbild. Das rund 7,5 Quadratmeter messende Meisterwerk befindet sich an der Stirnwand des großen Ausstellungssaales und nimmt den eintretenden Beschauer sofort gefangen.
An den alabasterfarbenen Seitenwänden sind Öl- und Aquarellbilder angebracht. In der linken vorderen Zimmerecke sind einige Möbelstücke – Kleiderschrank, Tisch, Lehnstuhl u. a. – aufgebaut. Außerdem liegen in Glasvitrinen Gebrauchsgegenstände des Künstlers. An diesem Teil der Wand hängt bloß ein einziges Bild, das von Jäger gemalte Porträt seiner Mutter. Mit gutmütigen Zügen und freundlichen Augen blickt uns die weißhaarige Frau ins Angesicht.
Die aus Nussholz geschnitzte Büste des Meisters und noch einige andere Gegenstände bilden den zeitweiligen Besitz der Gedenkstätte. Dieser mehr als bescheidenen Einrichtung der Gedenkstätte hat unlängst Maria Jäger eine Schenkung gemacht.
Wir können es der Nichte des Künstlers nicht hoch genug anrechnen, dass sie unseren Bestrebungen soviel Wohlwollen entgegenbringt und der Gedenkstätte 75 Skizzen, Studien und Entwürfe aus dem Nachlass Stefan Jägers schenkungsurkundlich überlassen hat. Dadurch wurde ein bedeutender Schritt zur Ausweitung und Aufrechterhaltung der Gedenkstätte getan, und es konnten weitere bleibende Ausstellungsstücke zu dem bereits Vorhandenen hinzugefügt werden.
Die 75 Handzeichnungen und Studien, wenn auch meist auf zerschlissenen Papierstücken ausgeführt, sind für uns keine „wertlosen“ Blätter – wie sich leider auch manche sogenannte Kunstkenner äußern, sondern stellen eine wahre Dokumentation über Sitten, Bräuche, Trachten und Vorkommnisse aus dem Leben und Wirken des hier seit zwei Jahrhunderten siedelnden schwäbischen Volksstammes dar. Die mit Pinsel und Farbe, Bleistift und Tuschfeder hergestellten „Aufzeichnungen“ des Künstlers sind ein unumstößlicher Beweis für die innere Verbundenheit des schaffenden Künstlers mit seinen Menschen und „Modellen“, die er häufig ohne jedwelche Mittelbarkeit aus ihrem naturgebundenen Wirkungsbereich, dem schwäbischen Milieu, entnommen hat.
Schon diese wenigen Blätter – von denen an die 200 im Temeswarer Museum aufliegen (leider hat man auch diese den breiten Kreisen noch nicht zugänglich gemacht, und es wäre eine lobenswerte Aktion, diese durch ständige oder zeitweilige Ausstellungen der Öffentlichkeil näher zu bringen) und noch mehr in den Privatbesitz verschiedener Personen übergegangen sind – ermöglichen es uns, wertvolle Schlüsse auf den Menschen, Künstler und sein Werk zu ziehen. Es sind dies Blätter, wenn auch lose und nicht eingeheftet, so dennoch vom „lesenden" Auge zu einem Sammelband zusammengefügt, den Jäger meist auf Wanderung von Ort zu Ort und nur begrenzt in seiner Werkstätte „geschrieben" hat. Ist es doch bekannt, dass er mit dem Bürgerschullehrer Böß, seinem nächsten Freund, zahlreiche Fußmärsche nach Lenauheim, Grabatz, Ostern, Bogarosch, Gertianosch u. a. Heidedörfer unternommen hat.
Das vorliegende dreiviertelhundert an Skizzen ist in den Hatzfelder Jahren (1910 bis 1962) vor oder nach der Heimkehr des Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges, Jäger, entstanden und zeugt davon, dass der wanderfreudige Künstler weit mehr Dörfer und Städte besucht und größere Entfernungen zurückgelegt hat, als eben bisher im allgemeinen angenommen wurde.
Für diese Annahme sprechen die erwähnten Skizzen und die von Jäger daselbst eigenhändig gemachten Notierungen in und von Ortschaften (Gajdobra, Zerne u.a.), die bis dahin von gleicher Staatszugehörigkeit und für den Maler leicht zugänglich waren. Ebenso ist aus einigen Aquarellskizzen mit ethnographischem Inhalt ersichtlich, dass Jäger sich über die „Grenzen“ seiner engeren Heimat hinaus bewegt hat. Derartige Aufzeichnungen führen uns nach entlegeneren Ortschaften in der Heide und den Hecken, ja selbst nach Siebenbürgen. Steht doch auf einem Kartonblatt mit einer siebenbürgischen Trachtenstudie notiert, „gesehen in Hermannstadt". Ja selbst eine dalmatinische Landschaft mit den dazugehörenden Menschen in typischer Tracht, die Männer mit rotem Fez und Hüfttuch angetan, finden sich unter den 75 Jäger-Skizzen.
Jäger war nicht nur ein eifriger Wanderer, sondern er war vor allem ein naturbegeisterter, naturliebender, aufmerksamer Beobachter, dessen geistiges Auge das Geschehen empfing, das er zu einem seelischen Erlebnis verarbeitet und das sodann auf dem Maltuch seinen Niederschlag fand.
Viele der Skizzen lassen sich schon bei einer Durchsicht als Entwürfe oder Studien für spätere Arbeiten in Öl, Aquarell oder deckende Wasserfarben erkennen. Derartige Vorarbeiten stellen auch die „Kartenspieler" dar, um nur eine Skizze von den 75 zu erwähnen.
Fünf typische Gestalten – Handwerker, Bauern und „Herrische" – sitzen um den ebenso typischen „Wertshaustisch" in der Dorfschenke und widmen sich mit ganzer Hingabe dem Kartenspiel, was an den Gesichtern und dem ganzen Gehabe der Beteiligten zu erkennen ist. Das gesamte Geschehen atmet reinste Atmosphäre aus dem dörflichen Leben und Treiben. Es ist, als würde man förmlich den „Tromp", die „Aichl" oder "As", in der schwieligen Bauernfaust verspüren. Dort sitzt auch der „Giwitz-halt's-Maul“ und sieht dem Treiben zu.
Es kann mit Gewissheit angenommen werden, dass diese Szene vom Künstler miterlebt, vielleicht von einem stillen Winkel aus mitangesehen wurde. Ist es doch bekannt, dass Stefan Jäger auf seinen Heidewanderungen in die Dorfwirtschaft kam, dort saß, bei einem Gläschen Wein und einem kleinen Imbiss, bis er ausgerastet war. Gerne ließ er sich den „Bakowaer" munden und behielt die besuchte Gaststätte gedächtnislagernd für das nächste Mal zurück.
Still und häufig anerkannt, kam der große Schweiger im Dorf an und ging von dannen, bedachtsam, ruhig und voller persönlichkeitsstarker Künstlerart.
Nicht weniger überzeugend und typisch sind die anderen Skizzen und Studien. Die „Tratschbasen“ könnte man die in Stift ausgeführten Hüftbildnisse der erwähnten Skizzenwerte betiteln. „To senn ich“, sollte man schier meinen beim Anblick dieser forschen Weiber im alltäglichen Trachtenkleid, dem „Schicksal“[1] auf dem Kopf und selbstsicher die Arme unterm vollen Busen verschränkt. Und die Trachtenskizzen tragen nicht selten die Aufschrift „gesehen in…“ oder die Namen der Dörfer wie Sankt Andres, Guttenbrunn, Jahrmarkt, Neu-Beschenowa, Liebling, Johannisfeld („Frauen mit Koksle"), Schöndorf, Gajdobra (Batschka), Parabutsch, Gertianosch, Lenauheim, Orcydorf, Wiesenheid, Nitzkydorf, Triebswetter, Blumenthal und Lowrin. Wieder andere Handzeichnungen zeigen nahezu futuristische Bewegungsformen, wie sie ein Carrá nicht besser hervorgebracht haben kann – so die Linien- und Bewegungsstudien zu den tanzenden Paaren oder dem pflügenden Bauer an der Kehre.
Der Dorfbarbier ist in drei verschiedenen Stellungen skizziert, mit der Messingseifendose in der Hand, wie er sie hält und den abgeschabten Seifenschaum herausschlenkert.
Doch nicht nur die obenerwähnten Handzeichnungen, sondern noch einige mit dem Bleistift oder Pinsel ausgeführte Studien und Beobachtungen zeugen von der Hingabe des Meisters, vom Mitleben und Miterleben ungezählter Situationen des dörflich-bäuerlichen Geschehens, das er mit vollen Zügen in sich aufnahm und daraus das künstlerische Werk gebar.
Nichts scheint mir wesentlicher als zu erwähnen, dass der Maler Stefan Jäger ein volksverbundener Künstler war, dessen Werk in und mit uns weiterleben wird, so lange wir uns dessen als würdig erweisen. Und das, nicht zuletzt auch durch den Fortbestand der Jäger-Gedenkstätte. Diese zu erhalten, hängt von unser aller Bestrebungen ab.

Anmerkungen:

  1. Schicksel, im Nacken gebundenes Kopftuch

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