Stefan Jäger Archiv

Begegnung mit dem Meister

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0176
Autor Name: Franz Liebhard
Titel des Artikels : Begegnung mit dem Meister
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Neue Banater Zeitung
Untertitel der Publikation: NBZ-Sonderseite
Erscheinungsort: Temeschburg
Jahrgang: 21
Nummer: 4503
Datum: 26.05.1977
Seite: 2 und 3
* [[Franz Liebhard]]: [[ART:0176 - Begegnung mit dem Meister|<i>Begegnung mit dem Meister</i>]]. Neue Banater Zeitung, Temeschburg 26.05.1977 (Jg.21 Nr.4503), S. 2 und 3

NBZ-Sonderseite zum 100. Geburtstag des Heimatmalers Stefan Jäger

Handgearbeitetes Medaillon – Karton mit Sicherheitsnadel überklebt mit Fotografie. Arbeit des Fotografen Eduard Jankovits und der Lyzealschüler und Leitung von Prof. Karl-Hans-Gross. Das Medaillon wurde beim Eintritt zu den Festlichkeiten aufgesteckt.
Reproduktion aus dem Volkslesebuch Adam Müller-Guttenbrunns (1914) [III. Jahrgang zum Romanfragment „Der große Schwabenzug“ S. 72 – 73] Die erste fotografische Wiedergabe des Triptychons - WK:0376
(handschriftliche Notiz) Mit dem Frühzug musste der Gertjanoscher Kreppel dem Temeswarer Bürgermeister als Geschenk 12 Rebhühner, 4 Fasane und 2 Hasen auf die Kanzlei bringen, damit dieser schon „in der Früh gut gelaunt wird"
(handschriftliche Notiz) Von den Bildern Stefan Jägers „imponierten“ den Temeswarern „besonders das Einwanderungsbild“

Zu jener Zeit, an einem herrlichen Tag des Hochfrühlings – es war im Kalenderjahr 1944, und das Banat stand unter unbestimmten Ahnungen – entschloss ich mich, eine Sonntagsfahrt nach Hatzfeld zu unternehmen. Damit sollte endlich der Schlusspunkt hinter einen Redaktionsplan gesetzt werden, den wir schon vor Jahren gefasst hatten. Es ging um ein Gespräch mit Stefan Jäger, von dessen monumentalem Einwanderungsbild im Temeswarer Buchhandel damals noch in ziemlicher Anzahl Farbdrucke vorhanden waren, die vor dem Weltkrieg in einer Pester Kunstdruckanstalt bestellt worden waren und auf die Käufer warteten. Für das Gespräch war von der Redaktion aus seinerzeit der Dichter Peter Jung bestimmt gewesen, ein seit der Geburt einsässiger Hatzfelder, dem Stefan Jäger nach der triumphalen 1910er Ausstellung in Gertjanosch und seiner kurz darauf erfolgten Übersiedlung in den Hauptort der gräflich Csekonichschen Domäne im spruchhaften Sinne Landsmann geworden war. Trotzdem, das Gespräch wollte und wollte nicht zustande kommen, es gab immer wieder von Seiten des Dichters eine Ausflucht und es hatte den Anschein, dass Reim- und Pinselkunst – zumindest in Hatzfeld – sich nicht am besten verstanden.Jäger sei verschlossen, für derlei Gespräche überhaupt nicht zugänglich und es ergab sich eine hartnäckige Stockung, bis dann Peter Jung[1] eines Tages die Temeswarer Redaktion verließ und nach Arad zur dortigen Zeitung verzog.
Stand im Hintergrund vielleicht ein Hatzfelder Kasino-Konflikt[2] zwischen beiden? Dies kann man heute, nach so langer Zeit, weder bejahen noch verneinen. Allerdings war das kein Grund, den Gesprächsplan fallen zu lassen, und so kam es zu meiner Hatzfelder Fahrt, die ich – der Rückblick mag das nicht verschweigen – mit einer guten Dosis Lampenfieber antrat. Ich sollte doch dem Mann gegenübertreten, der als Urheber eines Riesengemäldes weithin bekannt geworden war. Es war die Wiedergabe von etlichen Dutzenden Menschen, Erwachsenen und Kindern, die unter Fährnissen und Spannungen im 18. Jahrhundert hierher gewandert waren, um sich in der Mitte der unwirtlichen Banater Steppe niederzulassen und Wurzeln zu schlagen.

Erster Aufsatz

Der Empfang war überaus herzlich. Wir kamen sehr rasch in ein recht lebendiges Gespräch. Von Wortknappheit oder gar Einsilbigkeit war bei Jäger keine Spur. Die Zeit verrann im Nu, und da erlebte ich auch die große Überraschung dieses Besuches. Es waren die aber Hunderte von Skizzenblättern in Aquarell und Tusche, und als ich entzückt vom Gesehenen bemerkte, ich habe das Gefühl, skizzierte Dokumente der schwäbischen Ethnographie, Tracht und Geräte vor mir zu haben, war ein wohlgestimmtes Lächeln das Zeichen seines Einverständnisses mit diesen Worten.
Der Besuch dauerte etwa drei Stunden. Wir nahmen gemeinsam das Mittagmahl ein. Als ich mich dann mit meinen Notizen und mehreren Skizzenblättern zur Auswahl auf den Weg machte, um den nächsten Temeswarer Zug nicht zu versäumen, fragte er freundschaftlich, ob ich damit einverstanden sei, mich von ihm zum Stationsgebäude begleiten zu lassen. Das ist die Entstehungsgeschichte meines Jägeraufsatzes von 1944, signiert von Robert Reiter. Es war der erste, den ich über ihn geschrieben hatte. Es sollten dann noch etwa sieben oder acht folgen, die von Franz Liebhard und Johann Wanderer signiert waren. Besonders gut gelang die Druckwiedergabe der dem ersten Aufsatz beigelegten Aquarell-Skizzen. Sie waren für mich, und ich zweifle keinen Augenblick daran, auch für die vielen Leser des Blattes der Beweis, dass es dem Autor gelungen war, einen wertvollen Schatz schwäbisch-banater Volkskunde ausfindig zu machen. Ich wurde nicht müde, über die stoßweise geschichteten Skizzenblätter immer wieder in dieser Tonart zu sprechen.
Aber auch in einer anderen Hinsicht war es ein erster Aufsatz. Man hatte über Jäger bisher nur eine geringe Anzahl von Zeilen aus der Feder fließen lassen. Vielleicht auch, weil es an der entsprechenden Einstellung zu Jägers Künstlerpersönlichkeit und Werk fehlte. Interessant ist es festzuhalten, dass die Verfasser der Temeswarer Zeitungsberichte über die Ausstellung des Jäger-Gemäldes in Gertjanosch den Einfluss der in der kleinen Geleitbroschüre enthaltenen Feststellungen nicht abzuschütteln vermochten. Meine Jäger-Aufsätze brachten mir eine Freundschaft ein, die sich im Laufe der Zeit immer mehr vertiefte. Es handelt sich um den Osterner und eine Zeitlang Hatzfelder Arzt Dr. Pink, der sich von meinem ersten Aufsatz veranlasst sah, mich in Temeswar zu besuchen und mit mir die Gedanken über Jäger auszutauschen, der in ihm einen aufrichtigen Bewunderer hatte und gleichzeitig einen Forscher, der alles daran setzte, konsequent und leidenschaftlich zusammenzutragen und aufzunotieren, was zum besten Verständnis des Malers und seines Werkes beizutragen vermochte.

Sinn für Monumentalität

Über Jägers Werde- und Studiengang sind wir nur in großen, flüchtigen Zügen unterrichtet. Zumeist handelt es sich leider nur um Informationen aus zweiter und dritter Hand. Die erste Schulanstalt, die er nach Beendung der Dorfschulklassen besuchte, war die Wiesnerische vierklassige private Bürgerschule in Temeswar. Die Wahl des Vaters, des Feldschers Jäger, fiel auf diese Lehranstalt offenbar aus dem Grund, weil sie im damaligen Temeswar die einzige Mittelschule war, die Deutsch als Unterrichtssprache zu behalten vermocht hatte. Über Szegedin, wo er in eine staatliche Schule höheren Grades eingeschrieben war, führte ihn dann der Weg nach Budapest.
Außer dem für alle Absolventen gültigen Lehrstoff nahm er als geistige Bagage das neu erweckte Interesse für Zeichnen und Malerei mit, das er dem Zeichenlehrer Obendorf, einem gebürtigen Burgenländer, zu verdanken hatte. Dass seine Ausbildung als Maler in Budapest von Anbeginn an den richtigen Händen anvertraut wurde, dürfte auch auf die Ratschläge Obendorfs zurückzuführen sein.
Sein Sinn für historische Monumentalität erfuhr in Budapest die beste Pflege im Lehrgang des Akademieprofessors Bertalan Székely, dessen Name damals schon mit etlichen grandiosen Schöpfungen verbunden war, indes seine Ausbildung zum vorzüglichen Porträtisten in den Händen des gleichfalls in Budapest wirkenden Professors Ede Baló lag. Bei dem ersteren eignete er sich das Wissen des figuralen Zeichnens an und vertiefte seinen Sinn für Monumentalität, worauf die Schaffung des Großgemäldes der Einwanderung eigentlich zurückzuführen war. Beide Meister unterrichteten an der Landeszeichenschule, die gleichzeitig auch die Funktion einer Zeichenlehrer-Präparandie besaß.
Seine weitere Ausbildung empfing er im Ausland (München, Stuttgart, Venedig). Die materielle Voraussetzung[3] dafür ergab eine in breiten Kreisen bewerkstelligte Sammlung, ein durchaus demokratischer Akt, durch den nicht weniger als 456 Goldkronen aufgebracht wurden, der gleiche Betrag, den zu jener Zeit viereinhalb Waggon Weizen kosteten. Als Jäger fortzog, stand noch keineswegs fest, was diesen vielfältigen Bemühungen entspringen soll – ein Großgemälde über das Thema der Schwabeneinwanderung ins Banat oder ein Trachtenbuch. Ausschlaggebend für den Entschluss, alte Bemühungen auf das Zustandebringen eines Einwanderungsbildes zu konzentrieren, scheint die Stellungnahme des Buchhalters Adam Knopf[4] gewesen zu sein. Als Angestellter der Adam Röserschen Bank hatte er offenbar einen starken Sinn dafür, wie die Gesamtheit all der geistigen und materiellen Investitionen am besten zu Geld zu machen wäre. Zunächst wurde dann später, als das Gemälde fertig war, eine große Auflage farbiger Reproduktionen bei einer Budapester Kunstdruckanstalt bestellt, die als Wandschmuck für die schwäbischen Häuser in den Verkauf gelangen sollten. Es mochte ein Test nach dieser Richtung gewesen sein, dass Adam Röser, der Bankier und Großbauer, seine Zustimmung erteilte, einen schwarz-weißen Abdruck in Adam Müller-Guttenbrunns Volkslesebuch dritter Jahrgang in das Romanfragment „Der große Schwabenzug" zwischen Seite 72 und 73 einzufügen. Diese Beilage war ein Produkt der Heimischen Druckanstalt von Temeswar.
Der seiner zeitige Farbendruck ist längst vergriffen. Für ein Trachtenbuch wäre es auch heute noch nicht zu spät. Das Notwendigste – die Aquarell- und Tuschskizzen – dürften im großen ganzen noch unversehrt vorhanden sein. Es fragt sich nur, wer Kraft und Begeisterung aufbrächte, mit diesem Buch unsere Bevölkerung zu beschenken.

Einwanderungsbild nach Temeswar

Der vor dem ersten Weltkrieg keineswegs reißende Absatz des Bildes dürfte gezeigt haben, dass mit der Vervielfältigung auf keinen Fall das gewinnreiche Geschäft zu machen war, mit dem Adam Röser, der sich so gerne in der Rolle des uneigennützigen Mäzens von Stefan Jäger gefiel, gerechnet hatte. Das von Röser lange erwartete Geld kam von einer ganz anderen Seite.
Durch eine Freundschaft zwischen Temeswarer und Gertjanoscher Jägern entstand eine Situation, die es ermöglichte, den damaligen Bürgermeister von Temeswar, Dr. Telbisz, der selbst mit Leib und Seele dem Jagdsport frönte, für einen Ankauf des Gemäldes durch die Stadt Temeswar zu stimmen. Wie der einstige Gertjanoscher Lehrer Simon Kreppel, ein zweifellos fabulierbegabter Mann, in hinterlassenen Aufzeichnungen erzählt, soll eine wahre Konspiration eingefädelt worden sein, um das Oberhaupt der Stadt Temeswar für den Ankauf zu gewinnen. An einem Jagdausflug nach Gertjanosch nahm zusammen mit anderen Temeswarer Nimrod-Jüngern auch Telbisz teil. Er sah sich bei dieser Gelegenheit das Gemälde an und lernte auch dessen Schöpfer kennen. Wie nicht anders zu erwarten war, fand er Worte der Anerkennung für den Meister. Nach alter Jagdsitte beteiligte sich an der Jagd auch der Maler, und zwar als Treiber ehrenhalber.
Auf Veranlassung von Kreppels Bruder, der Wirtschaftssektor der Stadt war, brachte Simon am nächsten Tag von der Jagdbeute zwölf Rebhühner, vier Fasane und zwei Hasen dem Jagdfreund der Gertjanoscher im Temeswarer Bürgermeisterstuhl als Präsent. Bei dem Gespräch, das sich im Bürgermeisterzimmer des alten Stadthauses in freudiger Stimmung entspann, waren auch Oberbuchhalter Balassa und der Kultursenator der Stadt Bellai zugegen, der nach der 1917er Oktoberrevolution unter seinem früheren Namen Bellak in der selbständig gewordenen Slowakei als erster slowakischer Obergespan – Schupan – ernannt wurde.
Das Ergebnis der herzlichen Pourparlers war der Beschluss, das Einwanderungsbild des Hatzfelder Malers zu Lasten der Stadt Temeswar anzukaufen. Der Kaufpreis wurde mit 2.000 Kronen festgesetzt.
Nachdem der Betrag zur Auszahlung gekommen, war, streifte der „Mäzen" die Hälfte der Summe kurzweg ein. Für die immense Arbeit und den bedeutenden künstlerischen Aufwand musste sich der Maler mit der anderen Hälfte begnügen. Das war des „Gönners" allerhöchster Wille, an dem niemand zu rütteln vermocht hätte, denn in der Person Rösers vereinigten sich der Bankier, der Großgrundbesitzer und der Kunstspekulant. Was blieb dem Maler anderes übrig, als angesichts einer solchen Zusammenballung der Macht kleinlaut die Waffen zu strecken.
Das Gemälde kam als städtische Donation in den Besitz der Temeswarer Archäologischen und Geschichtswissenschaftlichen Gesellschaft. Seither ist es schon längs Staatseigentum und in der Hatzfelder Jägergedenkstätte aufbewahrt.
Was geschah, bis es an diese Stätte gelangte, würde ein umfangreiches Schlusskapitel bilden, das noch geschrieben werden muss.

Anmerkungen

  1. An Ostern 1932 wird Peter Jung wegen Meinungsverschiedenheiten aus der Leitung der "Banater Zeitung" fristlos entlassen
  2. Es ist nicht überliefert, dass Jäger das Kasino frequentiert hätte.
  3. Jäger war zweimal auf Auslandsreisen. Die zweite wurde von den Auftraggebern finanziert.
  4. richtig Jakob


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