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Gedanken um Stefan Jäger

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0529
Autor Name: Karl-Hans Gross
Titel des Artikels : Gedanken um Stefan Jäger
Untertitel des Artikels: Zum 120. Geburtstag des Malers
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Banater Post
Erscheinungsort: München
Jahrgang: 42
Nummer: 11
Datum: 05.06.1997
Seite: 4
* [[Karl-Hans Gross]]: [[ART:0529 - Gedanken um Stefan Jäger|<i>Gedanken um Stefan Jäger</i>. Zum 120. Geburtstag des Malers]]. Banater Post, München 05.06.1997 (Jg.42 Nr.11), S. 4
Die Eltern des Malers - WK:0419
Die Eltern des Malers - WK:0869
Stefan Jäger im Hof seines Wohnhauses.

Zum 120. Geburtstag des Malers

Das liebste Stück, das man zuweilen an den vier Wänden im Zimmer hängen hat, ist nicht selten ein Jäger-Bild. Sei es auch nur eine Kopie eines malbegeisterten Dilettanten, eines handwerklichen Amateurs oder gar ein Farbdruck, eine fotografische Reproduktion - so es kein Original im Hause gibt -, es ist in jedem Falle ein bei unseren Leuten wohlbehütetes Kleinod, auf das man uneingeschränkt stolz ist. Stolz und begeistert nicht allein, weil es ein echter Jäger oder eine gut gelungene Nachahmung ist, sondern weil es ein Stück von daheim, zuweilen eine Erinnerung ist und etwas in sich birgt, mit dem man sich gerne identifiziert.
Das liebste Stück, das der bereits betagte, alleinstehende Maler in seinem schlichten Wohnzimmer an der ansonsten recht kargen Wand seit jeher hängen hatte, war das Bild seiner Mutter. Ein von ihm gemaltes Porträt, das eine ältere Frau im verzierten Goldrahmen zeigt. Es ist jene Frau, die dem Maler vor 120 Jahren das Leben geschenkt hat. Es ist das Bildnis eines von Güte erfüllten Menschen mit sanftem Ausdruck im mütterlichen Angesicht. Die recht kleine Malerei in Öl, die das Oval des leicht fülligen Gesichtes hervorleuchten lässt, hebt sich von dem satten, dunkelfarbigen Hintergrund recht deutlich und aussagekräftig ab. Dadurch kommen die vom Künstler wohl angestrebten Hell-Dunkel-Effekte mit merklicher Wirksamkeit zur Geltung. Die regelmäßigen Züge mit relativ wenigen Falten und Furchen verdeutlichen die Güte im ruhigen Angesicht. Über der freien Stirn sind die silbergrauen Haare noch recht, dicht vertreten. Sie heben die beiden Schläfen leicht hervor. Gutmütig sehen uns die hellschimmernden Augen entgegen. Ein leichter Flor umrahmt den offenen, liebevollen Blick der alten Frau. Zu alldem passen die schmalen Lippen, das rundliche Kinn und die etwas stärker hervorgearbeitete Nase recht gut. Alles ist in diesem Kopf-Bildnis zu einem harmonischen Ganzen vereint. Es ist mit Liebe und Sorgfalt, mit künstlerischem Können, der liebenden Mutter zu Ehren, vom dankbaren Sohne gemalt. Man fühlt geradezu die innere Emotion des Künstlers, die er mit jedem Pinselstrich in die Iris, in die Pupille, in das lebensechte Abbild dieser alten Frau übertragen hat.
Vor uns haben wir das Bildnis einer alten Mutter, die ihrem (unverheirateten, alleinstehenden) Sohne, und damit seiner Kunst (die er solcherart ungestört treiben konnte), bis an ihr Lebensende (1927) treu ergeben war. Dem Künstler selbst war aber noch ein langes Leben in schier abgekehrter Einsamkeit beschieden (1962). Ihm hatte dazumal die sorgende Mutter schon so manches Mal gefehlt.
Außer diesem, von Stefan Jäger gemalten Mutter-Porträt, gibt es noch ein zweites (das Abbild einer jüngeren Frau), zu dem ein gleichwertiges Gegenstück in Öl, ein Vater-Porträt, gehört. Wenn ich nun auf diese beiden etwas größeren, gleichformatigen Kopf-Bildnisse zurückgreife, so geschieht dies aus gutem, ganz bestimmten Grund. Und zwar: Erstens, weil es um die Eltern-Porträts des Schwabenmalers geht, deren bildlicher Abdruck (obzwar als textliche Bildbefragung vorhanden) selbst in meinem Stefan-Jäger-Buch (aus finanziellen Gründen) fehlt und zweitens, weil es zu den in der wieder errichteten Hatzfelder Gedenkstätte ausgehängten Bildnissen keine eindeutige Bezugnahme gibt. Eine Bezugnahme zu dem, was daselbst bildlich dargeboten wird. Es fallen hier nämlich zwei Kopf-Bildnisse auf, die an der Stirnseite des Ausstellungssaales - da, wo in der vormaligen Stefan-Jäger-Gedenkstätte von 1969 bis 1989 das große, fünf Meter breite Einwanderungstriptychon seinen Ehrenplatz gefunden hatte - hängen und, mit je einer Plakette versehen, ganz lapidar beschriftet sind: „Porträt eines Mannes", „Porträt einer Frau". Da staunt der kundige Besucher, wenn er feststellen muss, dass zwei Menschen mithin in der Anonymität versinken. Denn die beiden daselbst gezeigten Bildnisse stellen die Eltern des Malers dar: den Vater Franz mit dichtem Vollbart und ruhigem Blick vom Sohn, dem Maler selbst, gemalt, in Öl, und die Mutter Magdalena (geb. Schuller) mit Zügen im ruhigen Angesicht, wo die Augen, die Nase, die Stirn, der Mund und das Kinn sich durchaus mit dem vorhin präsentierten Porträt der alten Mutter vergleichen lassen.
Auf einem uns bekannt gewordenen frühen Foto des jungen Ehepaares im Ganzporträt erkennen wir den Vater als stattlichen, hochgewachsenen, schlanken Mann, der seine, fast um einen ganzen Kopf kleinere, zierliche, gutaussehende Gattin im langen Sonntagsstaat an der ihm dargereichten Hand hält.
Soweit recht und soweit gut. Die Eltern halte man in Ehren. Und Stefan Jäger?! Was halten wir eigentlich von einem Menschen, dessen wir an diesem Tag Gedenken? Aber vielleicht erübrigt es sich, mehr zum 120. Geburtstag Stefan Jägers zu sagen, weil uns doch mittlerweile die Lebensabläufe, die biographischen Stationen des Menschen und Malers zum guten Teil aus verschiedenen Publikationen, gelungenen Ausstellungen und Symposien recht gut bekannt geworden sind. Dennoch ergeben sich gelegentliche innere Zwänge und Bedürfnisse es zu tun, weil noch immer „weite Räume" seines künstlerischen Schaffens zu beschreiten bleiben, weil es immer noch „Neues" zu entdecken und bislang unbekannt gebliebene Jäger-Bilder irgendwo zu befragen gibt. Wer gibt sie zu erkennen? Wer hat sie im Besitz? Jedes der Originale von Jäger ist von geistigem Interesse und einschätzbarer Bedeutung, wenngleich auch sein Œuvre sich uneingeschränkt in großen Zügen bereits abhandeln lässt.
Dahingehend widerspiegeln die Jäger-Bilder - wie allgemein bekannt - das Leben in fast ausschließlicher Weise, wie es einstmals auf unseren schwäbischen Dörfern vonstatten gelaufen ist. So gesehen ist ein Stück unserer Vergangenheit in seinem Werk vertreten, wenngleich auch manche der dargestellten Vorkommnisse durchaus noch in der Gegenwart des Dorfes ihre Entsprechungen finden. Seine Kunst ist voller Ereignisse, voller bekannter Geschehen; das werden wir immer wieder auch bei „Neuentdeckungen" erfahren; sie ist ausgefüllt mit den Vorkommnissen des täglichen Lebens, dessen Gewichtigkeit und Tiefe wie eine Eingebung die empfindsame Seele des aufmerksamen Betrachters umfängt. Lassen Sie mich es bitte nochmals sagen: Seine Kunst ist nicht bloßer Anschein, ist keine vorgespielte, künstlich aufgeblähte Welt; sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine konkrete, reale und erlebte, wenn auch kleine (schwäbische) Welt, die zwar meistens nur die schönen Augenblicke des Lebens - frei von Brutalität, Gewalt und Hässlichkeiten - widerspiegelt und dennoch eine wahre ist. Damit wäre sein Wert für uns in knapper Form umrissen, wissend, dass sich noch vieles dazu sagen lässt.
Und noch etwas - zu seinem Angedenken. Vor 20 Jahren wurde sein Centenarium im Rahmen einer propagandistisch aufgezogenen multinationalen Trachtenschau als Anhängsel mit einbezogen. Ob es heuer in Hatzfeld (oder hier - ich habe gerne eine Bilderausstellung befürwortet) einen Gedenktag ihm zu Ehren gibt, das weiß ich nicht. Tatsache ist, dass es im vergangenen Jahr eine Stefan-Jäger-Feier, zur Eröffnung des neuerrichteten Begegnungshauses mit renovierter Gedenkstätte, gab. Lob und Dank all jenen, die sich bei diesem einzigartigen Vorhaben verdient gemacht haben. Außerdem waren ja auch Bilderausstellungen, in letzter Zeit, mal da und dort zu sehen. Damit glaubt vielleicht manch einer, es wäre des Guten genug um Jäger herum getan. Dem ist aber nimmer und niemals so. Denn Stefan Jäger kann nicht nur zwischendurch mal gelten. Und Jäger-Bilder sind nicht nur dann und wann beliebt. Denn - Jäger-Bilder sind auch wir. So ergeben sich aus diesen Sachverhalten Konsequenzen, deren wir auch hier in unserer neuen Heimat Rechnung tragen wollen.
Und die neue Gedenkstätte? Sie hat ihre Türen dort geöffnet, wo auch die alte ihre Besucher entgegen nahm. Im ehemaligen Atelier des Meisters. Im Hinterhof. Dort schließt sie baulich an das neue Begegnungshaus an. Es ist ein sauberer, zweckdienlicher, wenn auch in der Außenarchitektur etwas zu nüchtern ausgefallener, ebenerdiger Bau, der anstelle des sehr vernachlässigten (zum Teil baufälligen) Gemäuer eines Hauses (in dem auch Jäger zu Lebzeiten wohnte) getreten ist. Wohl gemerkt, ich war bisher noch nicht vor Ort. Es liegen mir aber Fotos von diesen baulichen Einrichtungen vor. Wenn ich nun diese Bilder mit jenen vergleiche, die den hochbetagten Altmeister zeigen, als er sich noch tagtäglich über den Hof - von seiner Wohnung zum Atelier und nach getaner Arbeit wieder zurück - mühte, dann wird es mir nach fast einem halben Jahrhundert erst recht bewusst, in welche Armut, in welches unwirtliche Umfeld der Maler in der ersten Nachkriegszeit hineingezwängt worden war. Wie sehr ist er doch zu bewundern, ob der Leistungen und der Treue, ob der vielen schönen Arbeiten, die trotz der widrigen Lebensverhältnisse unbeirrt von allen Nöten der Zeit entstanden sind. So wird er uns wohl auch in dieser Hinsicht – in einer Zeit der Entrechtung, Enteignung und allgemeinen Verarmung, in der wir damals lebten - zum Vorbild. Denn Stefan Jäger zeigt, dass der Mensch auch unter diesen Zwängen würdig arm sein kann.

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