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Der banatschwäbischen Volksseele ein musikalisches Denkmal gesetzt

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0543
Autor Name: Adrian Nucă-Bartzer
Titel des Artikels : Der banatschwäbischen Volksseele ein musikalisches Denkmal gesetzt
Untertitel des Artikels: 100 Jahre seit der Geburt Emmerich Bartzers
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Banater Post
Erscheinungsort: München
Jahrgang: 41
Nummer: 9
Datum: 05.05.1996
Seite: 6
* [[Adrian Nucă-Bartzer]]: [[ART:0543 - Der banatschwäbischen Volksseele ein musikalisches Denkmal gesetzt|<i>Der banatschwäbischen Volksseele ein musikalisches Denkmal gesetzt</i>. 100 Jahre seit der Geburt Emmerich Bartzers]]. Banater Post, München 05.05.1996 (Jg.41 Nr.9), S. 6
Die Mutter mit ihren vier Söhnen um 1915 (v. l.): Emmerich Bartzer, Nikolaus Bartzer, Maria Bartzer (geb. Reitter), Franz Bartzer. Stehend: Stefan Bartzer.
Emmerich Bartzer im Jahre 1942.

100 Jahre seit der Geburt Emmerich Bartzers / Jubiläumskonzert in Ulm / "Ein Robert Stolz des Banats"

Am 1. September 1995 wäre der Banater Komponist Emmerich Bartzer 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß werden beim traditionellen Konzert beim Heimattag der Banater Schwaben am 25. Mai, 19.30 Uhr, im Kornhaus in Ulm, ausschließlich Werke dieses Komponisten aufgeführt. Es wirken das Banater Kammerorchester und der Banater Schubert-Chor mit.
Adalbert Emmerich Bartzer wurde am 1. September 1895 in Lovrin als zweiter von vier Söhnen des Mühlenbaufachmannes Stefan Bartzer, des späteren Mitbegründers der Ungarländischen Deutschen Volkspartei, und der Kaufmannstochter Maria, geborene Reitter, der Schwester des späteren Senators Dr. Emmerich Reitter, geboren. Gefördert durch das kunstsinnige Elternhaus, erhielt er bereits als Knabe Violinunterricht und machte erste Kompositionsversuche. Auf den Besuch der Volksschule in Lovrin und Billed und des Gymnasiums in Temeswar und Großsanktnikolaus folgte der Umzug der inzwischen von ihrem Gatten geschiedenen Mutter nach Szegedin, wo sich günstige Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Söhne boten.
So erhielt Bartzer ab 1911 neben dem Violin- auch Klavierunterricht an dem Städtischen Konservatorium in Szegedin. Als Schüler der Höheren Königlichen Ungarischen Industrieschule leitete er deren Schülerorchester. Nach dem Schulabschluß (1914) war er zunächst in technischen Berufen tätig, bis er 1916 eingezogen und an die italienische Front geschickt wurde.
Gleich nach dem Krieg begann er seine musikalischen Studien autodidaktisch voranzutreiben und nahm Unterricht in Kontrapunkt, Harmonielehre und Komposition bei Peter König, dem Direktor des Städtischen Konservatoriums in Szegedin, und bei Alexander Fichtner, dem Inspektor der Honved-Musikkapellen des Komitats Csongrad. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Geiger im Theater- (1919/20) und im Kinoorchester (1920/21) in Szegedin. In diese Zeit fällt auch seine erste Veröffentlichung: "Bucsu", ein Lied für Singstimme und Klavier auf einen Text von Papp Kaiman. Ebenfalls aus der Szegediner Zeit stammen mehrere Lieder, die Ballade für Männerchor "A Varodi püspök lanya" sowie mehrere Orchesterstocke und Kammermusik.
1922 folgte er seiner Mutter und seinen Brüdern nach Lovrin, wo er Teilhaber und technischer Leiter der Firma "Brüder Bartzer" wurde. 1924 heiratete er die musikalisch gebildete Budapester Lehrerin Elisabeth Filipecz, die ihm zeitlebens eine sachkundige Beraterin war. Beide Kinder, Richard (1926) und Brigitte (1929 bis 1988) wurden Musiker.
Das neue deutsche Umfeld seines Heimatortes prägte ihn nachhaltig. Fortan sah er seine Aufgabe darin, seine Kraft in den Dienst der banatschwäbischen Kultur zu stellen.
1925 gründete Bartzer das halbsinfonische Orchester der "Lovriner Musikfreunde", mit weichem er u. a. auch Franz Schuberts "Unvollendete" aufführte. 1931 übernahm er die Leitung des "Lovriner Männergesangvereins und Frauenchors". Diese Tätigkeit regte ihn zu zahlreichen Kompositionen an, wie z. B. die Walzer "Heimatbilder" und "Banater Leben", die beide vom Budapester Rundfunk ausgestrahlt wurden, und der inzwischen im ganzen Banat bekannte Ländler "Im Banat". Seinem Chor widmete er unter anderem die achtstimmigen mehrteiligen Chorstücke "Frühlingsstimmung" und "Am Felde".
1933 folgte der bereits überregional bekannte Komponist dem Ruf des "Hatzfelder Gewerbegesangvereins", übernahm die Leitung des Chores und des Orchesters und ließ sich endgültig mit seiner Familie im Heidestädtchen nieder. Er begann intensiv Instrumentalunterricht zu erteilen (Geige, Gitarre, Klavier und Akkordeon) und bildete ganze Generationen von Instrumentalisten heran, von denen einige ein Musikstudium aufnahmen und Berufsmusiker wurden. Ab 1936 wirkte er als Lehrer in den Fächern Musik und Technisches Zeichnen am Deutschen Knabengymnasium und an verschiedenen anderen Schulen bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1959. Im Schuljahr 1943/44 war er Direktor der Deutschen Lehrlingsschule in Terneswar.
Die Hatzfelder Jahre bis 1944 waren die fruchtbarsten seines Wirkens. 1937 war Bartzer einer der führenden Mitbegründer der "Werkgemeinschaft schwäbischer Künstler und Kunstfreunde", im Rahmen derer er mehrere seiner Chöre veröffentlichte und als Berater für Laienkomponisten aus dem ganzen Banat tätig war. Die Operettenaufführungen des "Gewerbegesangvereins", darunter auch "Im Weißen Rössel", nicht immer in spannungsloser Konkurrenz zum Bauernchor "Landestreu" unter der Leitung Josef Linsters, regten ihn zur Komposition der Operette "Grüßt mein Banat" auf ein Libretto von Annie Schmidt-Endres an. Die Uraufführung in Wien nach dem "Anschluß" scheiterte an der religiösen Szene des Erntedankgebetes, deren Streichung Bartzer abgelehnt hatte, da sie dem Banater Brauchtum entsprach.
An Kompositionen entstanden Chorlieder, die beiden bereits in Lovrin begonnenen Liederzyklen, die "6 ländlichen Tänze" für Akkordeon, z.T. für kleine Schülergruppen und für Orchester bearbeitet, das Streichquartett in g-Moll und viele Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten.
1944 flüchtete Bartzer mit seiner Familie nach Österreich, wo er an der städtischen Musikschule in Zwettl Harmonielehre und Musiktheorie unterrichtete.
Nach seiner Rückkehr wurde Bartzer vor den ideologischen Karren gespannt und gründete und leitete mehrere Jugend- und Fabrikchöre sowie das Orchester der "Apărarea patriotică." Es ist bezeichnend für seinen Werdegang, daß er nun sein drittes Pseudonym erfand: Nach "Imre Bartoesi" aus der Szegediner Zeit und "A. Ebl" (Adalbert Emmerich Bartzer, Lovrin) aus der Zeit danach, unterzeichnete er die zahlreichen "revolutionären" Chöre und Märsche, die er zu schreiben gezwungen war, für die ihm aber sein richtiger Name zu schade war, mit "A. Zerlov" (Bartzer, Lovrin), was sowjetisch genug klang, um den in solchen Dingen sowieso unbedarften Bonzen stalinistische Authentizität vorzutäuschen.
Es gab aber auch Glanzpunkte. Ende der 40er Jahre entstanden die zwei Operetten "Annoncenliebe" und "Wenn Herzen sprechen", beide auf Libretti von Bartzer und Cornel Poledna, die mit Begeisterung und größtem Erfolg neun- bzw. elfmal in Hatzfeld und Umgebung aufgeführt wurden. Mit den Einnahmen konnte die Auflösung des Hatzfelder Kinderheimes um zwei Jahre hinausgeschoben werden. Die Musik ist schwungvoll und heiter und steht größtenteils im Stile der damaligen Modetänze.
Durch weise Zurückhaltung und sanftes Geschick gelang Bartzer 1956 die Gründung des "Deutschen Volksorchesters", des sogenannten "Rayonsorchesters", mit welchem er beispielhaft arbeitete und in der ganzen Umgebung auftrat. Für dieses Orchester schrieb er eine ganze Reihe von Stocken, Bearbeitungen von deutschen, rumänischen und ungarischen Volksliedern und -tänzen, von denen einige im Druck erschienen.
In die 50er Jahre fällt auch die Zusammenarbeit mit der Zeit- ,schrift "Volk und Kultur" und mit den deutschsprachigen' Rundfunkanstalten in Bukarest und Temeswar, wo er vor allem für die Bewahrung der deutschen Volksmusik vor wesensfremden Einflüssen durch die Unterhaltungsmusik eintrat und Auftragskompositionen und -bearbeitungen ausführte. Das Angebot, als Musikredakteur bei "Volk und Kultur" nach Bukarest zu ziehen, lehnte er ab, da er Hatzfeld nicht verlassen wollte.
Emmerich Bartzer starb am 5. Mai 1961 in Hatzfeld an den Folgen eines Schlaganfalles, den er während eines Auftrittes mit dem "Deutschen Volksorchester" in Temeswar erlitten hatte.
Zunächst der ungarischen Volksmusik verbunden, vollzog sich ab 1922 in Bartzers Schaffen der Wandel zum banatschwäbisch empfindenden Komponisten. Mit wenigen Ausnahmen (Kunstlieder, Streichquartett, zwei Operetten) sind seine Werke vom ländlichen Volkston geprägt.
Die meist tänzerische Instrumentalmusik folgt tradiierten Formschemata, wie man sie von der Wiener Operette her kennt. Die Besetzungen reichen von der typischen Hausmusik (Akkordeon, Geige, Blockflöte u.a. in verschiedenen Kombinationen, oft für Schüler) bis zum Sinfonieorchester. Seine Instrumentationen zeigen Sinn vor orchestrale Farben und rhythmischen Pfiff. Im Gegensatz dazu ist das einsätzige Streichquartett durch strenge, im Mittelteil besonders klangschöne Polyphonie gekennzeichnet.
Die Chöre stellen z.T. Volksliedbearbeitungen dar, bzw. stehen im Volkston, z.T. handelt es sich um Chorlieder im Stile der Romantik, wie sie im gesamten deutschsprachigen Raum üblich waren. Hervorzuheben sind das hochromantisch auf Klangfarben abzielende achtstimmige Chorlied "Am Felde" auf ein Gedicht von P. Jung und der dreistimmige Frauenchor "Meeresstille" (J. W. Goethe) mit seiner eigenwilligen Harmonik.

Bei den Klavierliedern handelt es sich um zwei Zyklen zu je elf Liedern,deren einer im Volkston steht, deren anderer jedoch durch eine feinsinnige Textausdeutung gekennzeichnet ist, die Schuberts Dramatik und Schumanns Intimität der Empfindung nahe steht.
Von den drei Operetten hielt Bartzer "Grüßt mein Banat" für bedeutsamer. Die Handlung fußt auf der wahren Begebenheit, daß in den 20er Jahren Wiener Jugendliche ihre Sommerferien auf Banater Bauernhöfen verbracht haben. Festgemacht an der liebesgeschichte des Wiener Mädchens Mizzi und des Bauernsohnes Hans, verbinden sich Banater Brauchtum, Volkstanz und -lied mit Elementen der Wiener Operette zu einem bunten Reigen von Melodien und ernsten und heiteren Szenen.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß Emmerich Bartzer, wie kein anderer Komponist, der banatschwäbischen Volksseele ein musikalisches Denkmal gesetzt hat. Damit hat er die gleichen Ziele mit dem gleichen professionellen Können verfolgt wie Stefan Jäger und Peter Jung und muß mit diesen im gleichen Atemzuge genannt werden. Kaum einer hat Bartzers Schaffen so kurz und so treffend charakterisiert wie Franz Metz: "Ein Robert Stolz des Banats."

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