Stefan Jäger Archiv

Bekenntnis zum kollektiven Schicksal

Aus Archiv
Wechseln zu:Navigation, Suche


Bibliografie
Artikel Nummer: 0751
Autor Name: Dr. Walther Konschitzky
Titel des Artikels : Bekenntnis zum kollektiven Schicksal
Untertitel des Artikels: Laudatio auf den Grafiker, Maler und Bildhauer Walter Andreas Kirchner
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Banater Post
Erscheinungsort: München
Jahrgang: 51
Nummer: 2
Datum: 20.01.2006
Seite: 4
* [[Dr. Walther Konschitzky]]: [[ART:0751 - Bekenntnis zum kollektiven Schicksal|<i>Bekenntnis zum kollektiven Schicksal</i>. Laudatio auf den Grafiker, Maler und Bildhauer Walter Andreas Kirchner]]. Banater Post, München 20.01.2006 (Jg.51 Nr.2), S. 4
Walter Andreas Kirchner
Walter Andreas Kirchner: Madonna mit Kind, Marmorplastik

Donauschwäbischer Kulturpreis
Laudatio auf den Grafiker, Maler und Bildhauer Walter Andreas Kirchner

Seit vier Jahrzehnten verfolge ich das künstlerische Wirken Walter Andreas Kirchners aufmerksam, freundschaftlich und kritisch. Das hat unserer Freundschaft keinen Abbruch getan. Erwarten Sie also nicht – meine Damen und Herren –, dass meine Ausführungen anders sein werden als jede Laudatio, die je gehalten wurde: Sie ist subjektiv. Die Wertung der Gestaltung, der Aussage und der Wirkung von Kirchners Zeichnungen, Holzschnitten und Radierungen, seiner Ölgemälde und Aquarelle und nicht zuletzt seiner Plastiken in Holz, Eisen, Kunststein und Marmor trägt dennoch auch Erkenntnissen aus veröffentlichten Einschätzungen anderer Rechnung. Als erster Wesenzug seines Werkes zeichnet sich in dieser Aufzählung bereits für jeden sichtbar die Vielfalt der Gestaltungsmittel ab, die Kirchner beherrscht und für das jeweils gestellte Thema im Ringen nach größtmöglicher Aussagekraft einsetzt.

Selbsterlebtes gestaltet

Das Land Baden-Württemberg zeichnet mit dem Donauschwäbischen Kulturpreis 2005 drei Künstler aus, die sich in ihren Arbeiten mit spezifischen Fragen der Herkunftsgemeinschaft der Donauschwaben auseinandersetzen. Dies ist zwar nicht die einzige Thematik ihres Schaffens, aber es ist jene Komponente, die es für die Verleihung dieses Kulturpreises erst legitimiert. Dass das Patenland der Donauschwaben dieser Kunst seit Jahrzehnten ein Forum gibt, das zeichnet dieses Bundesland vor anderen aus, und das macht diesen Preis in der weiten Landschaft der Kultur- und Kunstpreise Deutschlands einzig.
Die Jury hat dem Werk Walter Andreas Kirchners die Ehrengabe des Donauschwäbischen Kulturpreises zugesprochen und ist damit der Kernaussage seines Bewerbungsschreibens gefolgt. Darin heißt es: „Ich bewerbe mich um diesen Preis in erster Linie auf Grund meiner vier Jahrzehnte langen künstlerischen Auseinandersetzung mit Themen und Motiven zur Donauschwäbischen Geschichte und Zeitgeschichte, zum Geistesleben, zur Volkskultur und Kulturgeschichte meiner schwäbischen Landsleute.”
Als Ergebnis dieser Beschäftigung mit der eigenen herkunftsgebundenen Kultur steht eine eindrucksvolle Zahl von künstlerisch niveauvollen Arbeiten. Welches ist die Motivation und die Triebkraft, die Künstler veranlassen, sich dem Kultur- und Geistesleben, aber auch den gegenwärtigen Fragestellungen ihrer Gruppe in solcher Intensität zu widmen? Ich meine, es ist das selbst Erlebte.
Vielleicht sind Lebensdaten zur Antwortfindung hilfreich: Im Banat geboren mitten im Krieg, Flucht der Familie vor der nahenden Front nach Österreich, 1949 verhängnisvoller Entscheid zur Rückkehr ins Banat; danach Schule, Ausbildung und Wirken unter den Gegebenheiten eines totalitären kommunistischen Regimes, 1981 schließlich die langersehnte Aussiedlung nach Deutschland. Einschneidende Themen und Motive dieser Vita rangen bereits bei dem jungen Künstler um Ausdruck, ihren stärksten Niederschlag sollten sie jedoch nach seiner Ankunft in Deutschland finden.
Seit dieser Zeit bestimmen Themen wie Flucht, Vertreibung, Aussiedlung aus dem Osten und Heimatfindung in Deutschland vielfach die Art der Gestaltung, auch heute. Soeben nimmt in seinem Atelier eine Plastik mit dem Arbeitstitel „Angekommen – angenommen” Gestalt an. Zwischen den beiden Wörtern des Titels vermuten wir einen langen Gedankenstrich, und in unserem Verständnis steht er für das, was zwischen dem Moment der Ankunft in der ab - weisenden Welt der Ruinen in den letzten Monaten des Krieges oder unmittelbar danach und der schließlich geglückten Annahme in der deutschen Gesellschaft geschah. Er steht für das vielfach Unausgesprochene: für Bedrückendes und für Verletzungen ebenso wie für das Ringen der Geflüchteten auf dem mühsamen Weg ihrer politischen Durchsetzung als Gruppe. Es ging ihnen nicht zuletzt auch um die ihnen so wesentlich erscheinende Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gemäß ihrer Leistung im Herkunftsgebiet und ihrer Aufbauleistung in Deutschland. Und es gelang.
Das Werk Kirchners entsprach und entspricht diesem Anliegen seiner Landsleute, das mit Selbstachtung und Selbstwertgefühl zu tun hat. Sein Bekenntnis zur Gruppe, seine Identifikation mit den brennenden Fragen seiner Landsleute wurde bereits im Banat sichtbar, wo seine Arbeiten einen nachhaltigen Beitrag zur Bewahrung von Kulturwerten der Deutschen in einer Zeit der zunehmenden Entnationalisierungsbestrebungen seitens des Staates leisteten. Sein – oft in verschlüsselter Sprache geäußertes – künstlerisches und politisches Engagement darf mit Fug und Recht auch als Beitrag zum Erhalt der ethnischen Gruppenidentität gewertet werden.
Nach seiner Ankunft in Deutschland verfolgt Kirchner – nun im demokratischen Kultur- und Kunstbetrieb in unverblümter, direkter Rede – Zielsetzungen verwandter Art. Es geht ihm um die wahrheitsgemäße Vermittlung von Wissen über das Schicksal seiner Gruppe mit den Mitteln der Kunst, es geht ihm auch hier um den Erhalt von Kulturwerten seiner Herkunfts- und Erlebniswelt.
In repräsentativen Gruppenausstellungen der Landsmannschaft der Banater Schwaben, des Hauses der Heimat Stuttgart, des Hauses der Donauschwaben Sindelfingen und des Gerhart-Hauptmann-Hauses Düsseldorf, aber auch in zahlreichen eigenen Expositionen hat er Motive aus dem kollektiven Erleben der Donauschwaben gestaltet, neben Flucht, Deportation, Entrechtung und Aussiedlung hat er aber auch die Welt seiner Herkunft in Landschaftsbildern, Kompositionen und Porträts festgehalten, und er schuf Bronzebüsten namhafter Banater Künstler wie Adam Müller-Guttenbrunn und Stefan Jäger.

Bilder von tiefer Symbolik

Es wäre hier jedoch ein Versäumnis, auf eine zweite Komponente des künstlerischen Schaffens von Walter Andreas Kirchner nicht hinzuweisen. Aus seinem Bewerbungsschreiben zitieren wir dazu die Passage: „Bei meiner Bewerbung liegt mir auch viel daran, dass die in den Unterlagen aufscheinenden Motive und Fragestellungen meines Werkes wahrgenommen werden, die sich nicht mit spezifisch donauschwäbischer Thematik befassen, denn sie sprechen von meiner Ankunft in Deutschland und von meinem Eingebundensein in dieser neuen Lebenswelt. Als Beispiel dafür möchte ich die Enthüllung meines Friedrich-Schiller-Denkmals in der Stadtmitte von Ettlingen anführen.”
Eine sehr große Zahl weiterer Arbeiten belegt dies auf beeindruckende Weise. Aus der Fülle seien hier nur die Mappe mit Farbradierungen im Großformat zum „Hohelied Salomons”, die Bronzeplastik „Phoenix” als Symbol des Wiedererstehens Deutschlands aus Schutt und Asche und die zahlreichen Marmorskulpturen erwähnt, die in den letzten Jahren in der Toskana – dem zweiten Zuhause des Künstlers – entstanden sind. Der Donauschwäbische Kulturpreis aber würdigt in seinem Werk in erster Linie die Gestaltung süd-ostdeutscher Themen. Gestatten Sie mir, daraus eine Darstellung der Flucht und der Aussiedlung der Donauschwaben aus ihren Herkunftsgebieten hervorzuheben. Es ist das ungewöhnliche Gemälde, das in mehreren Ausstellungen des Hauses der Heimat Stuttgart breite Anerkennung gefunden hat. Es hat auch mich berührt. Kirchner malt auf eine gewöhnliche Holztür den Augenblick des Abschieds von Menschen, die ihr Haus und ihre Heimat unter Zwang verlassen. Es ist, als wäre das Bild der Verzweifelten für immer in die Tür eingebrannt – als Zeugnis für drei Jahrhunderte donauschwäbischer Existenz im Südosten. Ein Bild – und ein Symbol.
Dass das Land Baden-Württemberg solche Kunst auszeichnet, das macht den Donauschwäbischen Kulturpreis – ich wiederhole es gern – unverwechselbar und einzig.

PDF-Datei des Artikels