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Stefan Jägers Einwandererbild und das Selbstverständnis der Banater Schwaben

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0758
Autor Name: Christian Glass
Titel des Artikels : Stefan Jägers Einwandererbild und das Selbstverständnis der Banater Schwaben
Publikation: Buch
Titel der Publikation: Grenzen & Differenzen
Untertitel der Publikation: Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen
Herausgeber: Thomas Hengatner / Johannes Moser
Verlag: Leipziger Universitätsverlag
Erscheinungsort: Leipzig
Jahr: 2006
Seite: 753-760
* [[Christian Glass]]: [[ART:0758 - Stefan Jägers Einwandererbild und das Selbstverständnis der Banater Schwaben|<i>Stefan Jägers Einwandererbild und das Selbstverständnis der Banater Schwaben</i>]]. Grenzen & Differenzen. Thomas Hengatner / Johannes Moser. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006

Die historische Region Banat ist etwa so groß wie das Bundesland Baden-Württemberg und wird im Süden von der Donau, im Westen von der Theiß und im Norden vor der Marosch begrenzt. Im Osten grenzt das Banat an Siebenbürgen und an die Ausläufer der Südkarpaten. Der Begriff Banat entstand, nachdem die Habsburger Truppen in den Jahren 1716 bis 1718 die Osmanen in diesem Teil Südosteuropas besiegt, hatten. Die Osmanen, die die Region seit Mitte des 16. Jahrhunderts besetz hielten, maßen ihr wirtschaftlich keine besondere Bedeutung bei. Nach dem Frieden von Passaro im Jahr 1718 bot das Banat, wie ein Chronist bemerkte, eine traurige Abwechslung von Sumpf-, Sand- und Gestrüppboden; Fieber decimierten die serbisch-romanishe Bevölkerung. [1] Die Historiografie, insbesondere die landsmannschaftlich orientierte Geschichtsschreibung beschreibt das Banat zum Zeitpunkt der Eroberung zuweilen auch als öden und menschenleeren Raum, was bei näherer Betrachtung aber nicht stimmt. Die Region war zu diesem Zeitpunkt zumindest gering besiedelt: Die lückenhafte Auflistung eines Offiziers während der Türkenkriege zählte immerhin 688 bewohnte Orte.[2] Die Legende vom Banat als unbewohnter Wüstenei hat allerdings eine zentrale Bedeutung für die donauschwäbische Geschichtsschreibung und für die Identität der Banater Schwaben, wie ich noch zeigen werde.
Mit den Habsburgern nahm die neu eroberte Kameralprovinz, deren Name sich vom mittelalterlichen Banus (Titel des Herrschers über ein Territorium in Kroatien, Bosnien und der Walachei, später auch von Ungarn übernommen) ableitet, in einem lange andauernden Prozess andauernden Prozess wirtschaftlichen Aufschwungs. Grundlage für die Entwicklung war eine aktive Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik des Wiener Hofes. Die staatlich gesteuerte Kolonisation im Zeitraum vom späten 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts führte zur Gründung zahlreicher neuer Ortschaften und zu einem deutlichen Anwachsen der Bevölkerung im Banat. Im Zuge mehrerer Migrationswellen über einen Zeitraum von 150 Jahren, die in der Popularliteratur gerne als die „drei Schwabenzüge" beschrieben werden, wanderten vor allem Bauern und Handwerker aus den süddeutschen Territorien in das Banat ein. Die Migranten, die nur zu einem geringen Teil aus dem württembergischen oder bayerischen Schwaben kamen, siedelten ebenso aus Tirol, aus der Steiermark, aus dem Badischen, aus rhein- und mainfränkischen Gebieten, aus der Pfalz, aus dem Elsass und Lothringen oder von Saar und Mosel im Banat ein. Es handelte sich also keineswegs um eine homogene Einwanderergruppe sondern die Herkunft der Migranten war regional und sozial sehr unterschiedlich, was sich heute noch daran zeigt, dass im Banat in einem Dorf beispielsweise die bayerisch-österreichische Mundart dominiert und in einem Nachbardorf eine rheinpfälzische Mundart. Alle Dörfer im Banat, auch die von der Wiener Kameralverwaltung neu angelegten Dörfer für deutsche Kolonisten, hatten eine multiethnische Struktur, wobei die ethnische Zusammensetzung von Gemeinde zu Gemeinde verschieden war und sich im Laufe der Zeit durch Zu- und Abwanderung sowie durch das Heiratsverhalten zum Teil erheblich veränderte. Die größten ethnischen Gruppen im Banat waren um 1890 die Rumänen (39 Prozent), die Deutschen (27 Prozent), die Serben (18 Prozent) und die Ungarn (10 Prozent).[3] Darüber hinaus lebten und leben in der Region slowakische, kroatische, ruthenische, jüdische, bulgarische Minderheiten und die statistisch schwer zu fassende Gruppe der Roma.
Die Kolonisten machten infolge ihrer Einwanderung in das Banat einen mehrfachen Beheimatungs- und Akkulturationsprozess durch. Zum einen mussten sich die Migranten aus verschiedenen Herkunftsregionen auf gemeinsame kulturelle Codes und Standards einigen - ein Prozess, der unter anderem von der volkskundlichen Sprachinselforschung der 1920er bis 1940er Jahre und in der Nachkriegszeit zum Beispiel von Johannes Künzig untersucht wurde.[4] Zum anderen mussten sich die Einwanderer mit ihrer neuen Umgebung auseinandersetzen, was zum kulturellen Austausch mit den anderen Ethnien im Dorf und in der Region führte. Die Austauschbeziehungen zwischen Schwaben, Rumänen, Ungarn und Serben untersuchte in der deutschen Volkskunde der 1960er und 1970er Jahre Ingeborg Weber-Kellermann mit ihren Forschungen zur Interethnik.[5] Weber-Kellermann richtete den Fokus auf die interkulturellen Aspekte und verstand ihre Forschungen auch als Wiedergutmachung für eine ethnozentrisch-nationalistische Sprachinselforschung, in der sie als junge Forscherin selbst involviert war.[6] In der Ansiedlungsphase und in dem sich daran anschließenden, sich teilweise über mehrere Generationen hinziehenden Prozess der Anpassung an die sozialen und geografischen Gegebenheiten der Zielregion konnte Annemarie Röder keine ethnische begründete Abgrenzung der Einwanderergruppen gegenüber der Aufnahmegesellschaft feststellen. Die Immigranten orientierten sich in erster Linie an ihrer pluriethnischen Umgebung und „passten sich in mehrfacher Hinsicht den Herausforderungen des geografischen Raumes an, der dadurch eine wichtige Rolle im Identitätsbildungsprozess spielte".[7] Die deutschen Siedler definierten sich zunächst nicht über ihre Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe, sondern sie verstanden sich, vor allem auf dem Land, zunächst als Mitglieder ihrer dörflichen Gemeinschaft, zu der neben den deutschen Bewohnern auch die Angehörigen anderer ethnischer Gruppen gehörten.
Ein Beispiel für eine banatschwäbische Siedlung ist das Dorf Gertianosch (ungarisch Gyertyámos, rumänisch Cărpiniș), etwa 25 Kilometer westlich von Temeswar, der „Hauptstadt des Banats“, gelegen. Im Jahr 1784 erhielten 66 Siedlerfamilien aus verschiedenen Regionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation die Erlaubnis, sich hier unter privilegierte Bedingungen niederzulassen. Gertianosch war eine überwiegend deutsche Gemeinde, ein von der Landwirtschaft geprägtes Großdorf, das im Jahr 1934 3.100 Einwohner zählte, von denen 83 Prozent Deutsche waren, ähnlich wie schon um die Jahrhundertwende. Die Schwaben hatten im Dorf das Sagen und besetzten die repräsentativen sowie die wirtschaftlichen und politisch wichtigen Funktionen. Einer ihrer Entscheidungsträger war der Bauer Johann Röser[8], der um die Jahrhundertwende im Banat das schwäbische Raiffeisenwesen organisierte[9]. [[Gönner|Röser gehörte zu den führenden Männern im Dorf, die zusammen mit dem Gewerbeverein im Jahr 1906 den Banater Künstler Stefan Jäger mit der Anfertigung eines Bildes beauftragten. Sie sammelten den stattlichen Betrag von 4.500 Kronen, um dem jungen Maler, der gerade sein Studium an der ungarischen Modellzeichenschule und Zeichenlehrer-Bildungsanstalt beendet hatte, Studienreisen nach Deutschland zu ermöglichen. Stefan Jäger erhielt nämlich den Auftrag, die Einwanderung der Schwaben in das Banat in eine Bild zu fassen, und auf seinen Studienreisen wollte er die typischen Trachten der Herkunftsregionen studieren. Vier Jahr später wurde das Monumentalbild auf der Gertianoscher Gewerbe- und Bauernausstellung zu Pfingsten feierlich präsentiert. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es, dass die Enthüllung des Einwanderungsbildes im patriotischen Rahmen erfolgte, und dass das Bild die Gefühle des Publikums uneingeschränkt widerspiegelte.[10] Das Wandbild hatte Jäger in Gestalt eines Triptychons mit einer Höhe von 1,5 Metern und einer Breite von insgesamt fünf Metern gemalt. Den Bildern hat er von links nach rechts die Titel „Am Weg der Wanderung", „Rast beim Ankommen in der neuen Heimat" und „Die eigentliche Ansiedlung" gegeben.
Stefan Jäger hatte mit seiner Darstellung der Einwanderung nicht nur den Zeitgeschmack getroffen, sondern gleichzeitig eine Ikone banatschwäbischer Identität geschaffen, die ihre Wirkung sofort entfaltete und bis heute das Geschichtsverständnis der Banater Schwaben dominant prägt und visualisiert. Die Szenen und Figuren in Stefan Jägers Gemälde, deren Authentizität keineswegs verbürgt ist - die meisten regionaltypischen Trachten entwickelten sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts -, wurden vom Publikum als wahrhaftige und allgemeingültige Darstellung der Einwanderung akzeptiert. Der Gertianoscher Dorfschullehrer schreibt 1910 über das Bild: Drei charakteristische Anschauungen lassen sich vom Bilde herunterschauen: Unsere Ahnen trugen weder Schnurr- noch Backenbart; sie rauchten nicht und sie liebten den Kindersegen.[11] Stefan Jäger wurde durch das Einwanderungsbild zum berühmten und herausragenden Maler banatschwäbischen Volkslebens.
Die Entstehung des Bildes fällt zusammen mit einer Epoche, in der die lokalen Identitätsbezüge der Deutschen im Banat abgelöst wurden von einem langsam entstehenden Bewusstsein von der Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit in Ungarn beziehungsweise im Banat. Historiker und Ethnologen sind sich weitgehend einig, dass Ethnizität ein von außen herangetragener Prozess der Bewusstwerdung einer „Wir-Gruppe" ist, und dass Ethnisierung als eine Folge von Marginalisierung konstruiert wird.[12] Für die Deutschen im Banat oder, besser, für die ländliche deutsche Bevölkerung hieß das, dass um die Wende zum 20. Jahrhundert der dörfliche Bezugsrahmen als alleinige Grundlage der Identität nicht mehr taugte. Die Ursache hierfür lag einerseits in der Modernisierung der Gesellschaft durch Industrialisierung, Urbanisierung und eine allgemeine Veränderung der Lebensverhältnisse auch auf dem Land. Das dörfliche Gefüge veränderte sich beispielsweise durch überregionale Marktbeziehungen, durch die Industrialisierung der Landwirtschaft oder durch eine neue Verkehrsinfrastruktur. Andererseits verfehlte der unter dem Begriff Magyarisierung bekannte Assimilationsdruck der ungarischen Gesellschaft seine Auswirkungen auf die Minderheiten nicht. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 war die ungarische Reichshälfte der Doppelmonarchie innenpolitisch weitgehend selbständig. Und Ungarn war bestrebt, aus dem Vielvölkerstaat, in dem die Magyaren nicht die Bevölkerungsmehrheit darstellten, einen ethnisch zumindest homogeneren Staat zu schmieden. Während sich weite Teile des städtischen deutschen Bürgertums freiwillig magyarisierten, indem sie ungarische Namen annahmen und im Alltag die ungarische Sprache gebrauchten, war die Resistenz bei den Donauschwaben auf dem Lande größer. Doch mit verschiedenen Schulgesetzen wurde im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert die Vorherrschaft der magyarischen Unterrichtssprache festgeschrieben, was im Ergebnis zur Schließung von Nationalitätenschulen führte. Die Schwaben waren durch diese und andere Magyarisierungsmaßnahmen in ihrer kulturellen Identität bedrängt und gründeten als Reaktion darauf erstmals überregionale Interessenverbände, was 1906 zur Gründung der „Ungarländisch Deutschen Volkspartei" (UDVP) führte.[13] Stefan Jager schuf sein Einwanderungsbild also genau zu der Zeit, als die traditionellen Fundamente donauschwäbischen Selbstverständnisses ins Wanken gerieten.
Der Historiker Gerhard Seewann hat für die Donauschwaben insgesamt vier Identitätstypen ausgemacht, die in einer zeitlichen Abfolge stehen, die sich teilweise aber auch überlagern. Ich möchte hier nur zwei nennen. Der deutschungarische Typus, den Seewann auch „Hungarus" nennt, entstand „im Jahrhundert der Ansiedlung und war bis zur Schwelle des 20. Jahrhunderts, ja vielfach bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in Geltung geblieben".[14] Der Hungarus-Typ zeichnet sich aus durch „subjektive Merkmale seines ethnischen Bekenntnisses, das heißt, er pflegt ethnische Bräuche und Muttersprachenkultur aufgrund eigener Überzeugung, ist um Kulturaustausch und Interessenausgleich mit der Mehrheitsgesellschaft bemüht."[15] Der Hungarus interpretiert sich im Sinne eines Staats- und Verfassungspatriotismus als Teil der ungarischen Nation mit deutscher Herkunft, der auf Ausgleich bedacht ist. Dieser im 19. Jahrhundert dominierende Identitätstyp der Deutschen in Ungarn wird abgelöst von einem völkischen Identitätsschema. Nach dem völkischen, deutsch-nationalen Selbstverständnis definieren sich die Donauschwaben als „Neustamm“ des deutschen Volkes, der durch die Siedlungsbewegung des 17. bis 19. Jahrhunderts entstanden ist.[16] Die völkische Identität überhöht die eigene Gruppe steht in einem potenziellen Konfliktverhältnis zur andersethnischen Mehrheitsbevölkerung und sieht die deutsche Minderheit in einem beständigen Abwehrkampf gegen „fremdvölkische Elemente", von denen sie wie auf einer Sprachinsel umgeben ist.[17] Von zentraler Bedeutung ist dabei der Kolonisationsmythos, nach dem die Schwaben in Ungarn quasi aus dem Nichts blühende Landschaften erschaffen haben. Diese Kulturschöpfung aus dem Nichts ist nach dem völkischen Denkmuster auch eine Begründung für die Kulturträger-Mission der Donauschwaben. Sie beruht auf dem „rassisch begründeten Axiom von der Herrenmenschen-Überlegenheit der eigenen und der Minderwertigkeit der fremden Kultur."[18] Die Einwanderung der Schwaben wird später, in den 1930er und 1940er Jahren, als legitime germanische Landnahme fremden Bodens interpretiert.
Der völkische Identitätstyp entsteht Anfang des 20. Jahrhunderts, also noch in der alten Donaumonarchie. Während der Zeit des Dritten Reiches entwickelt er sich in radikalisierter Form zum alleingültigen Modell eines banatschwäbischen Selbstverständnisses. Doch auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat das auf Abgrenzung der Eigengruppe basierende völkische Identitätsmodell vor allem bei den Vertriebenen und in Kreisen der Landsmannschaften eine hohe Anziehungskraft. Gerhard Seewann ist in seinen Untersuchungen vor allem der „donauschwäbischen Geschichtsschreibung" - also der zahlreichen, in der Regel von Laien geschriebenen Ortsmonografien - zu dem Schluss gekommen, dass sich bei den Vertriebenen ein weitgehend völkisch determiniertes Selbstverständnis durchgesetzt hat.[19] Diese Aussage gilt sicherlich für die Zeit der 1950er bis 1980er Jahre. Für die Zeit danach, vor allem seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, konnte ich von Seiten der Landsmannschaften der Donauschwaben aber auch auf Ausgleich und Verständnis bedachte Formen donauschwäbischen Selbstverständnisses feststellen. Gegenüber den anderen Ethnien in den Siedlungsgebieten sind sie aufgeschlossen; sie sehen ihre Gruppe zusammen mit den anderen als gleichberechtigte Ethnien in einem gemeinsamen Raum und sie betonen den gegenseitigen kulturellen Austausch.
Stefan Jägers Einwandererbild, das wohl vor allem den Stolz auf die Leistungen der Vorfahren transportieren sollte, eignete sich bestens für eine ethnozentrische Interpretation. Das Triptychon wurde dann auch in diesem Sinne instrumentalisiert. Nach der Präsentation in Gertianosch kaufte der (deutsche) Bürgermeister von Temeswar das Bild noch vor dem Ersten Weltkrieg für das Stadtmuseum. In den 1920er und 1930er Jahren erschienen Drucke des Einwanderungsbildes, unter anderem ein großformatiger Farbdruck im Franklinschen Verlag in Budapest, der unter dem Titel „Einwanderung der Schwaben in Südungarn" verbreitet wurde. 1931 schmückt das Bild eine Publikation des Deutschen Auslands-Instituts über die Donauschwaben. Darüber hinaus wurde das Jäger-Bild in Büchern, vor allem in deutschen Schul- und Lesebüchern publiziert. Eine Schulwandtafel aus dem Jahr 1935 greift in Anlehnung an Jäger ebenfalls das Thema Kolonisation auf und zeigt „Schwäbische Bauern auf dem Zug ins Banat" (Signatur: W. PL.). Die Einwanderung wird hier als Kolonisation im Stile der amerikanischen Siedlertrecks dargestellt. (Was sicher ist: so darf man sich die Einwanderung nicht vorstellen.) Stefan Jägers Triptychon wurde um 1940 aus dem Banater Museum in die Räume der deutschen Volksgruppe im Scherter-Haus am Freiheitsplatz in Temeswar gebracht. Das Kulturamt der inzwischen nationalsozialistisch dominierten deutschen Volksgruppe hatte das Jäger-Bild gegen zwei Bilder eines anderen Malers getauscht. Anlässlich einer Ausstellung zum 225. Jahrestag der Befreiung der Stadt Temeswar heißt es in einem Bericht, dass „das Bild von Stefan Jäger an der Stirnwand des großen Saales eine überragende Stellung" einnahm.[20]
Am Ende des Krieges, als Bombenangriffe drohten und die Rote Armee ins Banat vorrückte, versteckte man das Triptychon auf dem Dachboden eines Bauernhofes 1945 kam es wieder zurück ins Banater Museum, wurde aber nicht in die ständige Ausstellung integriert, sondern verblieb im Depot. Anlässlich einer Gedenkausstellung nach Stefan Jägers Tod wurde es 1967 in Temeswar gezeigt. 1969 fand es seinen Platz als Leihgabe in der Stefan-Jäger-Gedenkstätte in Hatzfeld (Jimbolia). Als nach dem Sturz des Ceauşescu-Regimes 1989 in Temeswar mit deutschen Geldern das Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus gebaut wurde, hat das Einwandererbild seit 1994 als Leihgabe des Banater Museums im Foyer seinen Platz. Das AMG-Haus ist nicht nur Altersheim, sondern auch Sitz des Deutschen Forums und zentraler Veranstaltungsort für die Deutschen in Temeswar.
Obwohl das Originalbild also in der Nachkriegszeit öffentlich kaum präsent war, behielt es im Bewusstsein der Banater Schwaben seine Wirkungskraft, was sich zum Beispiel daran zeigt, dass Stefan Jäger bis ins hohe Alter (er verstarb 1962) teilweise auf Bestellung, zahlreiche Kopien und Neuschöpfungen seines Einwanderungsmotives anfertigte. Noch heute wird es gerne als identifikationsstiftende Chiffre verwendet, wie zum Beispiel auf einer Einladungskarte zum Volkstanztreffen der Banater Schwaben aus dem Jahr 2002. Bedenklich ist es, wenn das Jäger-Bild auch unkommentiert von der Wissenschaft übernommen wird, wie beim Cover einer Publikation des Germanistischen Institutes der Loránd Eötvös Universität in Budapest aus dem Jahr 2001 über die Trachten der Donauschwaben.
Der Künstler Josef de Ponte hat 2002 ein zweiteiliges Mosaik für das Donauschwäbische Zentralmuseum geschaffen Die allegorische Darstellung zeigt die Geschichte der Deutschen in Ungarn seit dem Mittelalter. Die Einwanderung der Schwaben in Ungarn ist im rechten Bild dargestellt, wo sich im Zentrum die bildliche Umsetzung der unter Donauschwaben üblichen Redensart „den Ersten der Tod, den Zweiten die Not, den Dritten das Brot" befindet. Auch de Pontes künstlerische Umsetzung kann in Bezug zum Bild Stefan Jägers und dem Ansiedlungsmythos interpretiert werden. Ganz offen auf das Jägersche Vorbild bezogen ist die laienhafte Nachbildung der Besiedlung der Ortschaft Kudritz im jugoslawischen Banat aus dem Jahr 1996. Das Donauschwäbische Zentralmuseum hat das breitformatige Bild vom Maler Jakob Rosenberg als Schenkung erhalten; es zeigt die Besiedlung des Ortes Kudritz (Gudurica) im serbischen Banat. Rosenberg hat das Bild 1996 fertig gestellt und nicht nur die Ansiedlung von Schwaben im Jahr 1739 ins Bild gesetzt, sondern gleichzeitig auch den idealisierten Dorfalltag mit dem Pinsel inszeniert. Auf der Rückseite ist vermerkt: „150 Menschen, Tiere, Häuser". Damit hat er auf seinem Gemälde mehr Figuren untergebracht als Stefan Jäger in seiner historischen Vorlage.

Anmerkung

  1. Karl von Czoerning, Ethnographie der Oesterreichischen Monarchie. Mit einer ethnographischen Karte cin vier Blättern, Band I-III, Wien 1855-1857, hier Band III, S.6
  2. Vgl. dazu Josef WOLF / Horst Förster, Entwicklung der ethnischen Struktur des Banats 1890-1992, Wien 2004, S. 30f.
  3. Vgl. ebd., S. 193.
  4. Vgl. JOHANNES KÜNZIG, Kleine volkskundliche Beiträge aus fünf Jahrzehnten, Freiburg 1972.
  5. Vgl. INGEBORG WEBER-KELLERMANN, Zur Interethnik. Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen und ihre Nachbarn, Frankfurt 1978.
  6. Vgl. ebd., S. 17.
  7. ANNEMARIE RÖDER, Deutsche, Schwaeb, Deutschschwaben. Ethnisierungsprozesse einer deutschen Minderheit in Südosteuropa, Marburg 1998, S. 39
  8. richtig Adam Röser
  9. Vgl. ebd. S.134
  10. Vgl. KARL-HANS GROSS, Stefan Jäger – Maler seiner heimatlichen Gefilde, Sersheim 1991, S.49
  11. Zitiert nach Ebd., S. 50,
  12. Vgl. dazu RÖDER, Donauschwaben (wie Anm. 7), S. 27 und S. 53.
  13. GÜNTER SCHÖDL, Am Rande des Reiches, am Rande der Nation: Deutsche im Königreich Ungarn (1867-1914/18), in: Ders. (Hg.), Landan der Donau, Berlin 1995, S. 349-454, Hier S. 410.
  14. GERHARD SEEWANN, Siebenbürger Sachse, Ungarndeutscher, Donauschwabe? Überlegungen zur Identitätsproblematik des Deutschtums in Südosteuropa, in. Ders. (Hg.),Minderheitsfragen in Südosteuropa, München 1992, S. 139-156, hier S. 142.
  15. Ebd., S. 154
  16. JOSEF VOLKMAR SENZ, Geschichte der Donauschwaben, München 1993, S. 17.
  17. Ders.; Die Verteidigung der donauschwäbischen Heimat, in: Mathias Weifert (Hg.), Donauschwäbisches Unterrichtswerk, München 1997, S. 84
  18. SEEWANN, Siebenbürger Sachse (wie Anm. 13), S. 144.
  19. Ebd., S. 143f.
  20. GROSS, Stefan Jäger (wie Anm. 9), S. 136.


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