Stefan Jäger Archiv

Rosenlorbeer

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0762
Autor Name: Detlef Strunk
Titel des Artikels : Rosenlorbeer
Untertitel des Artikels: Eine Betrachtung
Publikation: Heimatblatt
Titel der Publikation: Heimatblatt Hatzfeld
Herausgeber: HOG Hatzfeld
Jahr: 2006
Ausgabe: 13
Seite: 84-86
* [[Detlef Strunk]]: [[ART:0762 - Rosenlorbeer|<i>Rosenlorbeer</i>. Eine Betrachtung]]. Heimatblatt Hatzfeld. HOG Hatzfeld 2006

„Hofpartie mit Oleander", Rosenlorbeer, dem beliebten Jugendstil-Gewächs, heißt das Bild. Prachtvolle Jugendstil-Paläste und schmucke Villen, wo gepflegt der Oleander blühte und womöglich noch blüht, stehen in der Kreisstadt und Kleinstädten. Was soll der Glanz in dieser Hütte?
Deckt das Reetdach den Anbau, die „Sommerküche", wo sommers das Familienleben sich abspielt, oder die „Stub" im Altbau, wo die erwachsenen Töchter und Dienstmägde schliefen? Sei es, dass das Geld für ein Ziegeldach fürs ganze Haus nicht reichte, sei es, dass banaterschwäbische Sparsamkeit solchen Luxus für übertrieben hielt. Es ist nur am rechten, nach impressionistischer Manier „abgeschnittenen" Bildrand ein Stück Ziegeldach zu sehen.
Ist es ein Bauernhaus oder das Haus eines Kleinhäuslers?[1]. Ist die Frau unbestimmbaren Alters Magd oder Bäuerin? Ist sie die Tochter, die nicht unter die Haube kam? Ist sie Witwe?
Oleander, Zeitgeschmack der guten alten Zeit, war auch nach den Weltkriegen eine geschätzte Zimmerpflanze. Die Frau wirkt entspannt und zufrieden, als sei sie Herr der Lage und ihre Welt heil. Sie trägt Tracht. Aus der Russlandverschleppung Heimgekehrte legten die Tracht nicht wieder an.
Das Haus könnte in der Wahlheimat des Malers, der Kleinstadt Hatzfeld, in einer der „Kreuzgassen" stehen, wo Häusler und Handwerker wohnten, im Hansldorf, „Lerchedorf", Rapova, im Arbeiterviertel Futok oder auf dem „Markplatz" (Marktplatz). Der Hausherr, sei es der „Herr und Gatte", wie es damals hieß, sei es der Vater, Bruder oder Schwager dieser Frau, hat es vielleicht weder mit der Landwirtschaft noch ist er kleiner Gewerbetreibender, sondern arbeitet in der Ziegelei, in der „Dampfmühle", in der Hanfrösterei, in der Knopf-, Hut- oder Schuhfabrik.
Am linken Bildrand ist ein Stück Gartenzaun zu sehen. Die Frau könnte „fratscheln"[2]. Banater Gemüsegärten, beileibe kein anachronistisches Relikt des vorindustriellen Zeitalters, waren nie bloß Subsistenzwirtschaft. Als Kolchose und Staatsfarmen den Markt versorgen sollten, kam, ein Dorn im Auge der Machthaber, die Hälfte des Angebots aus heimischen „Küchengärten".
Auf diesem typischen Jäger-Bild ist gleichwohl nicht nur der Oleander in solch einem Hof sondern auch das Fenster, sei es der „Sommerküche", sei es der „Stub", atypisch. Es ist zu hoch. Der Raum dahinter ist ein Verlies. Andere, die Maurer, der Bauherr, der Mann im Haus, haben es geschaffen.
Die Frau, Verkörperung des weiblichen Prinzips der Bewegung und des Fortschritts, begab sich hinaus. Ganz die Manier Stefan Jägers - abseits der Kunstrichtungen wollte er seinen Landsleuten mit ihnen verständlichen Mitteln ihre Welt zeigen - hat diese Frau sich mit sparsamsten Mitteln - die Blumenkübel sind ausgediente Krautfässer, Tongeschirr und ein Blecheimer – ihr Paradies geschaffen. Wie der Maler nach getaner Arbeit den Pinsel weglegt, liegt der Besen, ihr Handwerkszeug, da. „Kehren bringt nichts". Kehren ist wie Kunst.
Der „Hof mit Oleander" ist „die Welt als Wille und Vorstellung"[3] dieser Frau. In ihrem durch Arbeit geschaffenen Paradies hat sie ihren Platz an der Sonne und ruht sie sich vor ihrem Rosenlorbeer aus. Indessen regen ihre Hände sich. Sie strickt, schlecht oder recht, an ihrem Schicksal. Es wirkt die Norne [4] den Faden, Moira,[5] mächtiger als die Götter.
Noch ist es Sommer, doch der nächste Winter kommt bestimmt. Dem zottigen Hund zu ihren Füßen kann er nichts anhaben. Den Oleander, das mit liebevoller Sorgfalt gemalte, paradiesisch schöne, doch nutzlose Mittelmeergewächs, das nur leichten Frost verträgt, so um -1° C, wird die Frau zurechtstutzen und in die Stube stellen.
Wird sie es irgendwann leid? Werden sich, wo der Oleander blüht, schrillere Exoten spreizen? Blüht in diesem Hof wie gehabt, einst wieder der Flieder, oder wird die Liebe dieser Frau zum Oleander ewig währen? Nach Jahren wird dort ein anderer Hund ihr zu Füßen liegen oder eine andere Frau sitzen.
Ahnt er - kein Exemplar seiner Rasse hatte je einen Stammbaum - dass seinesgleichen, da es den Leuten schlechter als damals geht, und die „Schwowe" weg sind, einst als elende Straßenköter ihr Leben um die Jahrtausendwende fristen, dass eine Filmdiva im Rentenalter [6] anreist, [7] um sich zwar nicht über das Elend der Menschen, wohl aber der Hunde zu entrüsten? Ahnt diese Frau, dass sie, da sie einen Stammbaum hat, [8] flüchten oder auswandern und nicht in Banater Heimaterde bestattet, oder, falls ihr Haus paar Kilometer westlich der Wahlheimat des Malers steht, [9] erschlagen, in Banater Heimaterde verscharrt und ihr ein Menschenalter darauf ein Denkmal gesetzt wird?[10].
Diese Hunderasse hielt man schon ewig. Der Charme dieser Frau ist archaisch. Wie sie Ellenbogen und Handgelenk anwinkelt und sie - aus zarten Schultern erfolgt die Bewegung - vor der flächigen, doch fülligen Brust hält, erinnert sie an die Venus von Willendorf.[11] Primitiv wie sie ist, oder eben deshalb ist die Venus von Willendorf schön.
Gelöst und doch bei der Sache, wie sie darein blickt, darauf bedacht, dass es wie auf ihrem Hof mit Oleander schön sei, mag sie, die Beine der Strickenden lassen eine repetierende [12] Bewegung erahnen, im Bett gewesen sein. Es waren banaterschwäbische Ehen kein von eben so abgrundtiefem wie wandelbarem slawischem Gefühl entfachtes und asiatischem oder lateinischem Temperament [13] endlos geschürtes Feuerwerk. Großbauernehen wurden freilich nicht im Himmel geschlossen. Damit „das Feld", der Grundbesitz, „zusammen bleibt", wurden Heiraten wie in Herrscherhäusern „ausgemacht". Die Ehen hielten.
Dass einst Schwaben im Banat waren, wird man noch lange selbst dort merken, wo längst keine mehr sind. Die Bank, worauf die Frau sitzt, ist keine Improvisation wie manches auf diesem Bild, sondern gediegene Handwerkerarbeit und typisch für banaterschwäbische Behaglichkeit. Sie passt ins Idyll.
Ist die Idylle erhaben oder grotesk? Ist der „Hof mit Oleander", Carl Spitzweg [14] lässt grüßen, Hohelied oder Karikatur verniedlichter Armut als heile Welt? Die Grenzen sind fließend. Napoleon hat es gesagt: Vom Erhabenen zum Grotesken ist es nur ein Schritt. Nichtsdestoweniger ist jeder Farbakkord auf dem „Hof mit Oleander" ein Hohelied auf die Banater Schwäbin und das Banaterland, des Malers und des Modells Heimatland.

Anmerkung:

  1. Banater Schwaben vererbten Haus und Hof, sowie sonstigen Grundbesitz dem Erstgeborenen. Die anderen gingen leer aus. Häusler, als „Futjepaure" (< rumänisch: a fute) bespöttelt, pachteten Land und verarbeiteten es um die Hälfte des Ernteertrages. Die andere Hälfte ging als Pachtzins an den Grundbesitzer. Häusler nannte man noch „Halbscheidbauern", Bauern um die Hälfte (des Ertrages)
  2. mit Gemüse handeln
  3. Arthur Schopenhauer (1788-1860), deutscher Philosoph. Bestimmte als die treibende Kraft der Vorstellung den Willen als blinden Drang zum Leben. Höchste Weisheit ist die Verneinung des Willens zum Leben, höchste Sittlichkeit Mitleid. Die Welt als Wille und Vorstellung (1819)
  4. Schicksalsgöttin der germanischen Mythologie; es gab ihrer drei: Urd (Vergangen-heit), Verdandi (Gegenwart), Skuld (Zukunft)
  5. 5 bei Homer das Göttern und Menschen zugeteilte Los
  6. Brigitte Bardot (* 1934), französische Filmschauspielerin, typbildender Star der 1950er und 1960er Jahre, heute Engagement für bedrohte Tiere
  7. nach Bukarest
  8. aus Kirchenmatrikeln ist der Stammbaum erstellbar
  9. im serbischen Banat
  10. auf dem ehemaligen Lagergelände bei Rudolfsgnad (Knićanin)
  11. Willendorf in der Wachau, österreichischer Ort bei Krems an der Donau, jung-paläolithische Fundplätze (bekannt die Venus von Willendorf, eine altsteinzeitliche Kalksteinstatuette)
  12. zusätzliche, sich wiederholende Bewegung, wenn man z.B. nach einer gezielten Bewegung noch mit den Armen oder dem Bein schlenkert
  13. Im Banat wird zu rumänisch, serbisch und kroatisch sowie ungarisch gesprochen. Die banaterdeutsche Mundart ist jetzt nur noch selten zu hören
  14. deutscher Maler (1808-1855), spätromantischer Darsteller der biedermeierlichen Welt


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