Stefan Jäger Archiv

Ich red nix un ich sing nix

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0779
Autor Name: Hans Bohn
Titel des Artikels : Ich red’ nix un ich sing nix ... !
Untertitel des Artikels: Deutsche Rundfunksendung im Banat (2)
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Banater Post
Erscheinungsort: München
Jahrgang: 51b
Nummer: 10
Datum: 25.05.2007
Seite: 6
* [[Hans Bohn]]: [[ART:0779 - Ich red’ nix un ich sing nix|<i>Ich red’ nix un ich sing nix ... !</i>. Deutsche Rundfunksendung im Banat (2)]]. Banater Post, München 25.05.2007 (Jg.51b Nr.10), S. 6
Musikaufnahme im Rundfunkstudio Temeswar. Am Schaltpult Musikredakteurin Lucia Boleantu, rechts Redakteur Hans Bohn.

Deutsche Rundfunksendung im Banat (2)

(Auszug)
Ich kam[1] nach Hatzfeld mit dem Vorhaben, den bekannten Maler Stefan Jäger für die nächste Sendung des Kulturfunks aufzunehmen. Ich wusste sehr wohl um die langjährige volkskundliche Tätigkeit des Künstlers, welcher auf ungezählten Wanderungen und Studienreisen nicht nur Landschaftsforschungen angestellt, sondern wie kein zweiter auch die Lebensart, das Brauchtum und die Trachten, Wohn- und Arbeitsweise und vieles mehr über Werktag, Feste und Eigenheiten der Banater Schwaben studiert, skizziert und in ungezählten farbenfrohen Ölgemälden gemalt hat. Auch hatte ein Hatzfelder Freund mir erzählt dass der bejahrte Maler letzthin kränkelte und sich manchmal recht mürrisch zeigte und mit niemanden sprechen wolle. Sein einziger Weg führte ihn mit seinem unentbehrlich gewordenen Gehstock in das Restaurant in der Hauptgasse, wo er das Mittagsmahl einnahm. So stand ich denn auch mit gemischten Gefühlen vor dem verschlossenen Hofeingang des mir persönlich unbekannten, jedoch weit über das Banat berühmten Künstlers Stefan Jäger und bekam einigen Zweifel über meine Überzeugungskraft.
Nach erfolglosem Pochen an die Torpforte und einigen üblichen Hallo-Rufen näherten sich langsam schleppende Schritte, und ich vernahm ein nicht gerade ermunterndes „Wer ist denn da, und was wollen Sie überhaupt von mir?“ Der greise Künstler schien letzthin keine besonders gute Erfahrung mit Besuchern gemacht zu haben, zumal wir uns nun schon minutenlang Frage und Antwort über das gelb gestrichene Brettertor warfen, ohne einander zu Gesicht bekommen zu haben: „... deutsches Radio – gibt’s doch gar nicht! Und was sollte ich da schon erzählen? Dass man mir alles weggenommen hat, mich wie einen Verbrecher eingefangen und nach Russland ins Lager verschleppt hat? Schauen sie mich doch an – ich bin ein Wrack von einem Menschen!“ „Ich kann Sie ja nicht sehen, aber in der Grube von Stalino war ich auch, ganze fünf Jahre lang und dann auch noch drei in Lupeni!“ „Und jetzt arbeiten sie auch noch für dieses Volk, das uns verraten und zu Bettlern gemacht hat? Ich jedenfalls rede nichts, denn wir haben hier nichts mehr zu reden. Was sind sie eigentlich für ein Mensch?“ „Ein ehemaliger Zögling des katholischen Priesterseminars, der vielleicht noch fünfzig Jahre lang hier leben muss, denn ich bin erst über zwanzig! Oder soll etwa alles im Banat so weitergehen – ohne deutsche Schule, deutsches Lied oder schwäbische Kirchweih, die Sie selber so oft und farbenprächtig gemalt haben? Was bleibt uns im Banat zurückgebliebenen Schwaben ansonsten übrig, etwa alle schnell rumänisch zu lernen oder? Aber dieses oder ist wie ein Zettel in der Lotterie …“
Der große Schlüssel bewegte sich, und die Torpforte tat sich langsam im Uhrzeigertakt auf. Vor mir stand die leicht geneigte, hagere Statur des seelisch gebrochenen Künstlers im mit Farbe bekleckerten Überrock und dunklen Filzhut auf dem Kopfe. Wir fanden ungewöhnlich rasch zu einem gemeinsamen Tenor, sprachen lang und eingehend – sogar ins Mikrophon über manche Begebenheit aus seinem Leben. Zweimal hielt Stefan Jäger mich davon ab, schon zu gehen, bis ich ihn schließlich am Arm ins Restaurant geleitete, wo er, mit gewohnter schwäbischer Pünktlichkeit, um zwölf Uhr sein Mittagsmahl einnahm. Es war meine erste, zugleich auch vorletzte Begegnung mit dem greisen Volkskünstler des Banats.
Wir drei Reporter mussten anfangs Tag für Tag solche abweisenden Haltungen überwinden, um überhaupt deutsche Stimmen in der Tagessendung zur Geltung kommen zu lassen. Immer wieder dieses: „Ich red’ nix un ich sing’ nix ...!“ Das Aufnahmegerät hing mir wie ein Bettelsack an der Seite. Welch eine unsichere, traurige Zeit – ich musste betteln um ein deutsches Lied. Wer konnte damals ahnen, dass man sich in einem Deutschland von heute eine solche Mühe gar nicht mehr geben sollte!

Anmerkungen:

  1. 1959, siehe den Beitrag "Harte Schale, empfindliche Seele" von Hans Bohn

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