Stefan Jäger Archiv

Ein Stück von uns

Aus Archiv
Wechseln zu:Navigation, Suche


Bibliografie
Artikel Nummer: 0811
Autor Name: Franz Heinz
Titel des Artikels : Ein Stück von uns
Untertitel des Artikels: Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben
Publikation: Broschüre
Titel der Publikation: Aufbruch und Ausklang
Untertitel der Publikation: Zur Ansiedlung und "Rückwanderung der Banater Schwaben"
Reihe: Kulturtagung
Herausgeber: Landsmannschaft der Banater Schwaben e. V.
Erscheinungsort: Stuttgart
Jahr: 2009
Seite: 147-161
* [[Franz Heinz]]: [[ART:0811 - Ein Stück von uns|<i>Ein Stück von uns</i>. Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben]]. Aufbruch und Ausklang. Landsmannschaft der Banater Schwaben e. V., Stuttgart 2009

Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben

Linkes Bild des Einwanderungs-Triptychons: Wanderung - WK:0376
Mittleres Bild des Einwanderungs-Triptychons: Rast - WK:0376
Rechts Bild des Einwanderungs-Triptychons: Ankunft - WK:0376

in: Aufbruch und Ausklang. Zur Ansiedelung der Banater Schwaben im 18. Jahrhundert und ihrer „Rückwanderung" Ende des 20. Jahrhunderts, Beiträge der 43. und 44. Kulturtagung in Sindelfingen - 17./18. November 2007 und 22./23. November 2008 - Stuttgart 2009, S.147-161

Es ist unser Bild. Kein anderes ist so verbreitet bei den Banater Schwaben, kein anderes hat so viel Beachtung und Zustimmung gefunden wie Stefan Jägers Triptychon „Die Einwanderung der Schwaben ins Banat" - korrekter wohl „der Deutschen“, wie es gelegentlich auch bezeichnet worden ist. Es waren ja nicht vorwiegend Schwaben, die das Banat besiedelt und kultiviert haben, sondern Deutsche aus den südwestlichen Landschaften und aus anderen Gebieten des Reiches. Auch die anderssprachigen Nachbarn - die Rumänen, Ungarn und Serben - haben, so weit es mir bekannt ist, kein Kunstwerk mit vergleichbarer Popularität und Verbreitung vorzuzeigen. Der Erfolg war übrigens nicht wiederholbar. Jäger selbst hat auf Bestellung Repliken seines Monumentalwerkes angefertigt und zum Einwanderungsthema mehrere bald vergessene Varianten gemalt, und der zwei Jahrzehnte jüngere Banater Maler Franz Ferch hat mit dem Triptychon „Das Gebet der Ahnen" und seiner groß angelegten Komposition „Das Lagerfeuer" vergeblich an Jägers Erfolg anzuknüpfen versucht.
Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist es seine Monumentalität, die Meisterschaft der Ausführung oder haben doch eher seine Verehrer und Mittelsmänner - die Manager, wie wir heute sagen würden - den Erfolg bewirkt und ihn verfestigt? Von jedem wird wohl etwas dabei sein und jedes verdient gesondert unsere Aufmerksamkeit. Auch hier jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige Bild in der richtigen Zeit war.
Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie im Banat aus?
Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldschers Franz Jäger und seiner Frau Magdalena Schuller in der Gemeinde Tschene geboren[1], war Stefan Jägers Welt das aufstrebende Bürgertum der Jahrhundertwende, die sich in Mitteleuropa als Gründerzeit definierte, als eine Art fortschrittlicher Wohlstandsgesellschaft begriff und sich in der so genannten Belle Èpoque nicht nur in Frankreich den Sinn für das Dekorative aneignete und entwickelte. Die Industrie veränderte die Welt, alles schien machbar: Die Titanic wurde gewagt und gebaut, die großen europäischen Städte trugen ihre alten Befestigungsanlagen um den Stadtkern ab und ersetzten sie mit modernen Prachtstraßen, die Wirtschaft expandierte, die letzten Teilstücke der kolonialen Welt fanden ihre Herren, und die Kaiser, Könige und Zaren überboten einander mit Paraden und demonstrativer Macht. Europa war das unbestrittene Zentrum der Welt, und seine Mitte markierten die Dynastien der Habsburger und Hohenzollern. Nie wieder hat Europa einen solchen Glanz entfaltet. Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren unter ihnen, blieben davon nicht unberührt. Als wichtige Errungenschaft der Zeit durchkreuzte die Eisenbahn Heide und Hecke, die Walzmühlen verdrängten Wasser-, Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung der Landwirtschaft und ihrer Märkte steigerte die Preise und brachte das Geld in Umlauf, Sparkassen entstanden, das Großbauerntum etablierte sich neben den traditionellen Grundherren - man wollte etwas gelten und sich auch entsprechend darstellen. In ganz Europa feierte die Historienmalerei Triumphe: Preußen erkannte sich in der Bilderwelt von Adolph Menzel wieder, in Österreich war es Hans Makart, der die kaiserliche Glorie künstlerisch festzuhalten verstand, die Polen feierten ihre Taten in Johann Matejkos Bildern, die Ungarn ihre Eigenart im Werk von Michael Munkácsy, mit dem vormals schönen deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es bis dahin neben der Kirche und ihren Würdenträgern die gehobene Beamtenschicht und der eher etwas dürftige Adel, der Aufträge, vornehmlich Porträtaufträge, an einheimische und zugewanderte Künstler vergab. Nun drängte das reiche und zunehmend selbstbewusste Bürgertum nach vorn und wollte, wenn auch auf andere Weise, repräsentieren. Die in den gleichen Sog geratenen großen Landgemeinden wollten und durften nicht nachstehen. Handel und Gewerbe, aber auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit und Weltfremdheit der Dörfer durchbrochen und sie mit einem neuen Selbstwertgefühl ausgestattet, das seinen angemessenen Standort suchte. Das Vereinswesen blühte, die ausgedienten Militärmusiker gründeten mit Eifer konkurrierende Blaskapellen, Männergesangvereine traten auf, und es reihten sich die Feste aneinander: Fahnenweihen, Sport- und Sängerfeste, Kathreinbälle, Gewerbeausstellungen. Die ersten Ortsmonografien wurden geschrieben. Begüterte Familien und wendige - manchmal auch windige - Männer fanden oder erstritten sich ihren Platz in der aufstrebenden Dorfgemeinschaft, häuften Güter und Ämter, machten sich unentbehrlich und verdarben nicht selten an einer Überdosis von Raff- und Geltungssucht. Einer von ihnen war Adam Röser in Gertianosch: Postmeister, Leiter des Schulausschusses, Gründer und Obmann des Leichenbestattungsvereins, Gründer des Schützenvereins, Direktor der ersten Gertianoscher Sparkasse-Aktiengesellschaft und Mitbegründer des Gertianoscher Konviktes in Szegedin, Besitzer einer Ziegelei. Er war durch Einheiraten in die begüterte Familie Vuchetics[2] im benachbarten Tschene reich geworden, galt als tüchtig, gewitzt und ist doch bis zuletzt infolge verfehlter Spekulationen zahlungsunfähig geworden. Dennoch ein Mann der Stunde und mit dem Blick aufs Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so missfällig nicht, dass gerade dieser umtriebige Adam Röser maßgeblich an der Entstehung des Einwanderungsbildes beteiligt gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig, sein damaliger Buchhalter Jakob Knopf geäußert haben, wie Dr. Peter Pink in seiner Arbeit „Stefan Jäger - ein Banater schwäbischer Kunstmaler" berichtet. Zur Ausführung bedurfte es dann doch eines Adam Röser, zumal die Finanzierungsfrage für das Gelingen des Vorhabens entscheidend war. Und groß - das stand von Anfang an fest - musste das Bild schon sein. Größer als groß - monumental.
Das passte in die Zeit, die sich im Repräsentativen gefiel, und es passte in ein groß, wohl etwas zu groß geratenes Königreich Ungarn[3], das seine neue Glorie probte für sich selbst wie gegen andere Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage bei den benachbarten Slawen und Rumänen und sogar bei den biederen und landestreuen Banater Schwaben ausgelöst, um nicht zu sagen losgetreten hatte. ([Adam Müller-Guttenbrunn]]s Heimatromane waren die meistgelesenen Bücher im Banat und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit[4], der Bauerndichter Josef Gabriel poetisierte das schwäbische Dorf, Johann Szimits die Mundart, der rebellierende Viktor Orendi-Hommenau gab in Temeswar die Zeitschrift „Von der Heide" heraus, der Historiker Ludwig Baróti-Grünn belegte wissenschaftlich Herkunft und Schicksal der deutschen Siedler im Banat, die Ungarländische Deutsche Volkspartei war gegründet worden, und die schwäbischen Dörfer in Heide und Hecke gehörten zu den ansehnlichsten und wohlhabendsten im Lande. Die Selbstbesinnung und das Anliegen, auf sich selbst hinzuweisen, war für alle ein durchaus politisch zu nennendes Gebot der Zeit.
Dass sich die Banater Schwaben ausgerechnet für ein monumentales Gemälde entschieden, überrascht zunächst. Im eigenen regionalen Kulturverständnis gibt es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende künstlerische Monumentalarbeit hinweisen. Der häusliche Bedarf war im Wesentlichen auf die Heiligenbilder im Herrgottswinkel beschränkt und wurde von Fliegenden Händlern versorgt. Mehr an Kunst war weder nötig noch gewünscht. Die geschichtsbildprägende Funktion der Historienmalerei allerdings war zumindest der gehobenen Schicht so unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer Entscheidung für ein Einwanderungsbild bestärkt haben. Es war die legendäre Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische Tat im Bewusstsein der Banater Schwaben verankert war, auf die man stolz sein durfte und auf die man hinzuweisen sich nicht scheute. Den Maler dafür meinte man ja zu haben, immerhin einen akademisch ausgebildeten Kunstmaler, ein Banater Kind, das sein Brot in der ungarischen Hauptstadt verdiente[5]. Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der Bestellung des Kunsthändlers Almásy, der seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften und Stillleben belieferte. Gelegentliche Anfragen gleicher Art aus der Banater Heimat waren ebenso wenig dazu angetan, Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten, die für ihr wirtschaftliches Denken und für ihre Sparsamkeit ebenso bekannt wie geachtet waren. Von einem Maler Stefan Jäger wussten damals im Banat nur wenige. Selbst der Heimatdichter Peter Jung (1887-1966)[6] will erst nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben, dass der Kunstmaler aus Tschene sich bereits 1910 in Hatzfeld niedergelassen hatte. Es bleibt ohnehin ein kleines Wunder, wie die recht ansehnliche Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere Vermarktung bei den sonst nüchtern kalkulierenden Schwaben auf der Banater Heide greifen konnte. Vergessen wir nicht, hier war viel Geld für etwas auszugeben, von dem die meisten keine rechte Vorstellung haben konnten und wohl auch nicht viel gehalten haben mochten. Der Kasinoverein, der Leseverein, der Gewerbeverein und der Bauernverein haben Liederabende, Konzerte, Vorträge, Dilettantenvorstellungen und Bälle veranstaltet und die Überschüsse für das Einwanderungsbild zurückgelegt. Auch direkte Spenden wurden gesammelt, wobei Adam Röser mit gutem Beispiel vorangegangen sein soll. Jäger lieferte recht schnell ein drei Meter langes Bild, das so genannte „ursprüngliche" Einwanderungsbild[7], das bereits die uns bekannte Dreiteilung „Wanderung", „Rast", „Ankunft" enthielt, jedoch in den historischen Trachten der Einwanderungszeit Mängel aufwies, die beanstandet wurden und auf Betreiben von Johann Walzer, Direktor der Gertianoscher Kleinbauernsparkassa, dazu führten, den Künstler auf eine Studienreise nach Deutschland zu entsenden. Der Vorsitzende des Gewerbevereins Anton Gamauf beauftragte Lehrer Simon Kreppel mit der Durchführung einer neuen Sammelaktion, die diesmal Johann Walzer mit einer Spende von 200 Kronen eröffnete. Diese zweite Aktion zeigt recht deutlich, wie sehr das Einwanderungsbild ein kollektives Anliegen in Gertianosch gewesen sein muss. Das macht auch die erzielte Summe von 4650 Kronen sichtbar, die damals für den Ankauf von viereinhalb Waggon Weizen ausgereicht hätte. Ein Betrag, der die Spesen der Deutschlandfahrt des Malers erheblich überstieg und ihm als ein durchaus nicht unangemessenes Honorar zugewiesen worden war, wie Dr. Peter Pink berichtet[8]. Dieses respektable Sammelergebnis nicht zuletzt mag den auf Repräsentation bedachten Adam Röser veranlasst haben, nun ein noch größeres, ein richtiges Monumentalgemälde bei Stefan Jäger in Auftrag zu geben. Es wurde dann, mit den uns bekannten Maßen von 5,100 x 1,450 Meter und mehr als 80 dargestellten Gestalten, das bisher größte Gemälde der Banater Schwaben und wohl auch ihr größtes aller Zeiten. Dass es auch mit Abstand unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit Rösers, der, neben dem Maler, Miteigentümer des Bildes war. Er hatte die Idee, bei der Budapester Verlagsgesellschaft Franklin Farbreproduktionen des Einwanderungsbildes in großer Auflage herstellen zu lassen, die einen guten Absatz fanden, von dessen Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet wird, nur ein geringer Teil zufloss. Der besondere Auftrag - ein solcher war es wohl - traf den damals noch nicht dreißigjährigen Künstler fachlich nicht unvorbereitet. In Budapest hatte er bei dem aus Klausenburg stammenden Professor Székely Bertalan Malerei studiert - einem in seiner Zeit viel beachteten Meister großformatiger historischer Gemälde. Das mag Stefan Jäger in seiner Entscheidung bestärkt haben, den Gertianoscher Auftrag in der Zuversicht einer guten Ausführung anzunehmen. Die Ateliergeschichte des Einwanderungsbildes umschließt eine Fülle von Skizzen, Trachtenstudien und Entwürfen, angefangen vom so genannten „ursprünglichen Einwanderungsbild" bis hin zu später ausgeführten Varianten. Darüber kann in den Veröffentlichungen von Dr. Peter Pink, Dr. Matz Hoffmann, Franz Liebhard, Annemarie Podlipny-Hehn und Karl-Hans Gross (der eine zweibändige Monografie über den Hatzfelder Schwabenmaler veröffentlichte) nachgelesen werden.
Stefan Jäger ist es gelungen, in drei Jahren ein malerisch, kompositorisch und historisch überzeugendes Werk zu gestalten, das hundert Jahre später zumindest bei seinen deutschen Landsleuten nichts von seiner Attraktivität eingebüßt hat. Annemarie Podlipny-Hehn verweist in ihrer 1972 bei Kriterion / Bukarest herausgegebenen Veröffentlichung „Stefan Jäger" auf „die geschickte Verteilung und Gruppierung der Figuren" hin, auf „das Gleichgewicht der Komposition", sie hebt die sowohl zeichnerisch wie malerisch erzielte perspektivische Wirkung des Bildes hervor und die sorgfältige Farbgebung. Zu Recht bezeichnet der Temeswarer Essayist Franz Liebhard in seiner 1970 gleichfalls bei Kriterion erschienenen Studie über den „Schwabenmaler Stefan Jäger" das Einwanderungsbild als dessen Hauptwerk. Tatsächlich hat es sein künstlerisches Werk neu orientiert. Der Gertianoscher Erfolg hatte dazu geführt, in Leben und Arbeit der Banater Schwaben ein Thema zu finden, das auf Jäger zugeschnitten war und zum Inhalt seines Malerlebens werden sollte. Mehr noch als in den vielen Hunderten Aquarellen aus dem Banater Volksleben sind es die ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag und zur Arbeitswelt, die zeigen, mit welcher Sorgfalt und Hingabe der Hatzfelder Meister sich des erkannten und gewählten künstlerischen Lebensthemas angenommen hat[9] Was ihn letzthin zum „Schwabenmaler" werden ließ, ist die tiefe Verinnerlichung und künstlerische Umsetzung der heimatlichen Welt, wie sie sich vorwiegend in der Zwischenkriegszeit wahrgenommen und verstanden hat.
Das Ereignis der Enthüllung des Einwanderungsbildes zur Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung zu Pfingsten 1910 in Gertianosch ist in die Annalen der Banater Schwaben eingegangen. Ausstellungen waren damals weltweit nicht nur Mode - sie entsprachen dem Zeitgeist und dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung von Völkern und Mächten, Produzenten und Händlern, Herrschern und Kirchen, Wissenschaftlern und Volkserziehern. Die Großen und Mächtigen machten vor, was, auf das jeweilige Maß reduziert, nachgeschneidert wurde. Kaiser Wilhelm II. demonstrierte in Paradeuniform, von sechs gleichfalls in Paradeuniform eingekleideten Söhnen flankiert, die Vitalität seines Reiches, die Habsburgerin Elisabeth, uns zumindest als Kinolegende Sissy in Erinnerung, hatte sich zur angeblich schönsten Monarchin der Welt durchgehungert, Paris baute zur Weltausstellung von 1889 das damalige Weltwunder Eiffelturm - höher als alles, was die moderne Welt bis dahin zu bieten hatte. Mit alldem zu konkurrieren hatte Gertianosch auf der Banater Heide begreiflicherweise nicht im Sinn, aber im eigenen Landkreis wollte man schon gesehen werden mit gutem Getreide, bestem Vieh, gediegenen Handwerkserzeugnissen, mit der Handarbeitskunst der Bäuerinnen und - mit Stefan Jägers monumentalem Einwanderungsbild. Man sah sich gewissermaßen en miniatur neben den sich an Glanz überbietenden Weltausstellungen, und das war so absonderlich nicht, glaubt man Meyers Konversationslexikon von 1894, worin beanstandet wird: „Es hat Ausstellungen gegeben, deren Wert kein anderer war als der eines Jahrmarktes." Da konnte man sich 1910 in Gertianosch gut sehen lassen. Tausende[10] kamen, staunten und feierten alles mit, was es zu feiern gab. Die Ortsgruppe des Bauernvereins und der Handels- und Gewerbeverein feierten Fahnenweihen, Ehrenurkunden wurden an Handwerker und Landwirte verliehen, man rief ausgiebig Éljen, gab sich und war vaterländisch und sah sich bestätigt, als Abt-Domherr Franz Blaskovics in Anwesenheit des Abgeordneten Julius Hódy zur Enthüllung des Einwanderungsbildes seine Anerkennung aussprach und den Segen erteilte. Erwartet worden war, wie Matz Hoffmann berichtet, auch Minister Apponyi aus Budapest, der aber aus politischen Gründen der Veranstaltung fern blieb. Angeblich war es auch den örtlichen Behörden verboten, in amtlicher Eigenschaft an der Enthüllungsfeier des Einwanderungsbildes teilzunehmen. So beiläufig, wie von uns heute vielleicht angenommen, scheint der Pfingstsonntag 1910 in Gertianosch doch nicht gewesen zu sein. Zwar berichtete die „Temesvárer Zeitung" vom 18. Mai 1910: „Die Politik war gänzlich ausgeschaltet", doch lässt eine solche Behauptung erfahrungsgemäß die Annahme des Gegenteils zu.[11]
Es wurde auch fotografiert. Lehrer Simon Kreppel hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder mit Familienangehörigen und dem Maler Stefan Jäger in der Mitte. Auf der Rückseite des Erinnerungsfotos notierte Lehrer Kreppel kurze Bemerkungen zum Ereignis - auf ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen Patrioten gehörte. Deswegen muss er kein schlechter Landsmann gewesen sein, es zeigt aber, wie das, was wir Identität nennen, durchaus unterschiedlich auslegbar sein kann. Die Identität der Schwaben in Gertianosch litt nicht unter einer deutsch-ungarischen Gegensätzlichkeit, obwohl doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich bewusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch wollte man schon sein. Da muss auffallen, dass auf Jägers Einwanderungsbild nichts Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt - neben den dargestellten [[WK:0376|Einwanderern ist als einzige andere Figur lediglich ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt, der im dritten Teil des Gemäldes den Siedlern die Häuser zuweist. Ein Ungar ist es nicht. Obwohl das Bild damals „Einzug der Deutschen in Ungarn" hieß, ist von den Ungarn selbst nichts zu sehen.
Dennoch scheint es eher unwahrscheinlich, dass Stefan Jäger damit eine politische Haltung sichtbar machen wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893 und 1899 über Szegedin und Budapest verlaufen ist, auf einer Schiene, die ungarischer nicht sein konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich, Deutschland und Italien diente so gut wie ausschließlich der künstlerischen Fortbildung, dem universellen Gedanken in der Kunst, in den auch die ungarische Welt eingebunden war. Wenn diese in der Konzeption des Einwanderungsbildes, in der Bildidee, keinen Platz gefunden hat, mag das auf eine rein malerische Intuition zurückzuführen sein, die keine politische Auslegung zulässt.
In Historikerkreisen neigt man gelegentlich dazu, den Auftrag zum Einwanderungsbild mit einem politischen Anliegen der Banater Schwaben um die Jahrhundertwende zu verbinden, gewissermaßen als künstlerischer Ausdruck einer deutschen Landnahme, die zur ungarischen oder slawischen dazugestellt werden sollte.[12] Dr. Peter Pink führt in seinem Bericht lediglich an, Adam Röser habe den Kunstmaler Stefan Jäger beauftragt, die Einwanderung der Banater Schwaben zu malen. „Wie das Bild gestaltet werden soll", so Dr. Pink, „damit musste sich Jäger selbst auseinandersetzen." Im Bericht von Franz Liebhard wird, „nach Jäger" die Anregung Rösers auf die Bemerkung reduziert: „Damit nicht allein die Sachsen ein Einwanderungsbild haben sollen." So irgendwie, fügt Liebhard hinzu, soll der Röserische Ansporn gelautet haben, und er bezeichnet diesen abwertend als „schwäbischen Krähwinkelneid". Das alles ist wenig dazu angetan, einen ernsthaft durchdachten politischen Gedanken mit dem Einwanderungsbild in Beziehung zu bringen. Wir dürfen davon ausgehen, dass im Weltverständnis und in der Kunst Stefan Jägers das Politische nicht vorkommt und somit alle Versuche, den Meister so oder anders zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt sein müssen. In seiner Jäger-Studie von 1970 berichtet Franz Liebhard, noch nachträglich um die zeitgemäße sozialistische Einordnung des Künstlers bemüht: „Der hochbetagte Meister schüttelte staunend das Haupt, wenn er vernahm, dass nach Zusammenhängen gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche liegen, sondern darunter." Es ging damals, am Vorabend von Jägers 80. Geburtstag, um dessen bevorstehende Auszeichnung mit dem Arbeitsorden II. Klasse, für die eben das künstlerische Werk an sich nicht genügte, wenn es nicht klassenkämpferisch zugeordnet werden konnte. Franz Liebhard hat das mit einiger Eleganz zurechtgebogen, um nicht zu sagen verzerrt, und damit Stefan Jäger gewissermaßen sozialistisch hoffähig gemacht. Dieser hat den Orden erhalten und durfte ihn zum Sonntagsanzug - wie geschehen - mit ruhigem Gewissen tragen für ein Werk, das nun auch, möglicherweise von der falschen Seite, anerkannt worden war. Deportationen, Enteignungen und Schauprozesse hatten bei den Banater Schwaben tiefe Verunsicherungen hinterlassen und sie in ihrer Würde verletzt. Ihre Zukunft war mehr als ungewiss. Jägers Auszeichnung kann dennoch als praktiziertes sozialistisches Demokratieverständnis angesehen werden, das im Kern freilich ohne Kern und somit auch unvermittelbar geblieben ist. Jäger selbst hat es eine Rente von monatlich 800 Lei eingebracht, das war mehr als seine Landsleute in den fünfziger Jahren durchschnittlich verdient haben mochten. Er genoss im Sozialismus die Gnade des Alters, und es mag nichts anderes als der Pragmatismus der Diktatur gewesen sein, die ihn und sein Werk unbeschadet ließ. Gewandelt hat es ihn nicht, und es ist nicht einzusehen, warum er uns mit achtzig als hungernder Maler bedeutender sein müsste.[13]
Es war indessen nicht eine weltabgewandte Naivität, die den Künstler unpolitisch bleiben ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des Herzens, mit der Jäger es verstanden hat, das Tagesgeschehen seiner schwäbischen Heimat zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer schwer. Bitte, das waren seine Bilder, und sie waren und sind alles andere als verschlüsselt. Er meint nicht, sie auslegen zu müssen. In einem handschriftlichen biografischen Abriss schreibt er: „Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen."
Das sollte eigentlich genügen, und wer mehr hineinzureden sich abmüht, redet an Jäger vorbei und wird ihn seinen Landsleuten entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten Versuchen zur Politisierung des künstlerischen Werkes von Stefan Jäger. Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien wollte in ihm den Streiter eines ewigen deutschen Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten des kleinen Mannes. Dass Jäger eine heitere und heile Welt dargestellt hat[14], wollten die einen genau so übersehen wie die anderen die ausgeprägte und sich selbst genügende Regionalität der Bilder. Es könnte allerdings, wenn auch ungewollt, vorkommen, dass wir uns heute in unserer konsumorientierten Gesellschaft als nicht weniger leichtfertig erweisen, wenn wir das Jäger'sche Werk auf die Formel von Markt und Ware bringen wollten. Gewiss - Stefan Jäger malte was gefiel und bestellt wurde, und nicht selten war das der Hühnerhof wie auf dem Bild „von Nochbersch Resi". Allemal aber bleibt es sein Verdienst, den Banater schwäbischen Bauern die Freude am echten, originalen Kunstwerk vermittelt zu haben, für das sie - was so selbstverständlich nicht ist - bereit waren Geld auszugeben. Das Banat und die Batschka waren, wie Jäger in seinen autobiografischen Aufzeichnungen vermerkt, um 1900 herum „mit reisenden Bilderhändlern überflutet, die mit Dutzendbildern ihre Geschäfte machten... Ich habe mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen Trachten, die landschaftlichen Stimmungen, Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten und im Alltagsleben darzustellen". Er hat mit diesem Grundsatz, über die Freude am schönen Bild hinaus, bildungsfördernd gewirkt und erheblich, wenn auch wohl nicht vorsätzlich, zur Identitätsfindung seiner Landsleute beigetragen. Immer wieder finden wir die Identität politisch ausgedeutet, mit ideologischen Ambitionen vermengt, sie ist aber vorrangig eine kulturelle Erscheinungsform, die sich in der Tradition, im Volksgut und in der Sprache äußert und erhält. In diesem Sinne sind die zahllosen Genre-Bilder Stefan Jägers, ihre Verbreitung und anhaltende Beliebtheit, ganz gewiss identitätsstiftend gewesen, und zwar in höherem Maße als das monumentale Einwanderungsbild, das ja nicht aus dem Alltag gegriffen war, sondern eine zur Legende ausgewachsene historische Erinnerung zur Vorlage hatte. Es markiert allerdings den entscheidenden kreativen Ansatz des Künstlers Stefan Jäger, und wir dürfen davon ausgehen, dass dieser ohne das Einwanderungsbild wohl kaum der „Schwabenmaler" geworden wäre, als den wir ihn heute verehren.
Wie andere auch, so haben auch wir Banater Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten. Zur Zeit der Ansiedlung waren wir ein aus vielen deutschen Landschaften zusammen gewürfeltes buntes Völkchen, das recht unterschiedliche Mundarten sprach und zudem von Franzosen aus Lothringen, Italienern aus dem Friaul und anderen Volkssplittern durchsetzt war. Wer aus dem Elsass kam, war dem Odenwälder ebenso fremd wie der Pfälzer dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler war regional geprägt und blieb es, bis die Erinnerung an die heimatliche Landschaft im Reich den konkreten Bezug weitgehend verloren hatte und von der Wahrnehmung einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst worden war, die zunächst noch am ehesten von den eingesessenen Völkern, vornehmlich von den Ungarn, erkannt und benannt wurde. Sie differenzierten die Zuwanderer nicht regional, sondern haben diese zusammenfassend als Schwaben bezeichnet, die wir wohl oder übel geblieben sind. Die alten Straßen- und Ortsnamen in unseren Dörfern aber - die Lothringer- oder die Pfälzer Gass oder Steierdorf im Banater Bergland oder Tirol (auch wenn diese Ortsbezeichnung erst von der rumänischen Verwaltung eingeführt wurde) - zeigen, wie bemüht die deutschen Siedler waren, ihre „wahre" Identität weder zu vergessen noch zu verleugnen. Ähnlich, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, wurden nach Flucht, Vertreibung und Auswanderung im 20. Jahrhundert die Namen der Banater Heimatgemeinden auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen übertragen, zur Erinnerung an die alte Heimat. Allein - die Identität ist damit nicht gewährleistet. Spätestens in der dritten Generation sind wir weitgehend aufgegangen im bayrischen, württembergischen oder rheinländischen Umfeld - wir nennen das Integration -, wechseln dabei den Dialekt und tauschen die Feste aus. Wir passen uns an. Wie unsere Vorfahren auch. An die Franzosen und Italiener der Siedlungszeit erinnerten drei Generationen später nur noch die Familiennamen - auch sie der deutschen Rechtschreibung recht mutwillig unterordnet, und aus Elsässern, Pfälzern und Sauerländern sind die Banater Schwaben hervorgegangen, wenn man so will, als eigenartiges nicht wiederholbares deutsch-deutsches Konglomerat mit Einsprengseln.
Die Identität muss übrigens nicht immer als erhebend empfunden werden und nicht immer auszeichnen. Unter anderen sind es immer wieder die Künstler und Literaten, die mit ihrer Identität geradezu kollidieren. Die Aktionsgruppe Banat trat offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe oder Heimattreue verstehen, und die ebenso vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet geradezu an ihrer Identität. Das mag mehr oder weniger nachvollziehbare Ursachen haben. Wir sollten das nicht landsmannschaftlich dramatisieren. Dagegen zu sein ist nicht immer ein Gütesiegel, aber auch nicht immer zu verurteilen, und es ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas Mann, Klabund, Bertold Brecht, François Villon, Marlene Dietrich und viele andere - durchaus auch weniger illustre Gestalten - machten sich heimatlich unbeliebt, weil sie zumindest in Teilbereichen anderer Meinung waren und sich anders als gewünscht verhielten. Zur Identität, so ist zu sehen, gehören auch die Gegensätze, und da wird es nicht viel nützen, dass wir sie gern sauber hätten. Wir sollten uns fürs Ganze entscheiden, und es als gegeben annehmen.
Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität am ehesten in der Gegenüberstellung mit anderen. Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit den Ungarn, den Rumänen oder Serben - um das zu wissen, reicht ein Blick hinüber zu den Siebenbürger Sachsen. Kein Zweifel - wir sind anders, ganz abgesehen davon, dass wir katholisch sind. Das kostet uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist gut so. Aber auch die Religion stiftet Identität, und wir sehen, dass diese ebenso trennt wie eint. Kroaten und Serben können uns dabei einfallen, Flamen und Holländer, aber auch die unierten Rumänen oder, ins Globale verlagert, die Schiiten und Sunniten im Orient usw. usw.
Wir haben erlebt, wie die Teilung des Banats nach dem Ersten Weltkrieg zu unterschiedlichen Entwicklungen bei den Banater Schwaben in Rumänien und Jugoslawien geführt hat, und heute sind eigenständige Entwicklungen bei unseren Landsleuten in den USA, in Kanada oder in Brasilien zu sehen, die sich unterschiedlichen Anforderungen stellen müssen und unterschiedlich landsmannschaftlich einzubinden sind. Das Haus der Donauschwaben in Sindelfingen - es nennt sich gern Welthaus der Donauschwaben - stellt sich der Aufgabe eines Dachverbands, der Gemeinsamkeiten auszuloten und Besonderheiten zu berücksichtigen hat, eine Zielvorgabe ausarbeitet und organisatorisch koordiniert. Es bleibt abzuwarten, wie dieser schöne Gedanke die Zeit überdauert.
Was uns bei aller Unterschiedlichkeit einigermaßen zusammenhält sind die verlorene Banater Heimat und der damit verbundene Mythos, zusammengefasst in dem schönen Einwandererspruch: Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot. Etwas davon finden wir in Stefan Jägers Triptychon eingearbeitet: den Drang und die Bereitschaft Heimat zu finden und ihr unser Gesicht zu geben. Adam Müller-Guttenbrunn lässt uns in seiner einst vielzitierten Hymne das Land anders in Besitz nehmen: „…und wo des Schwaben Pflug das Land durchschnitten, wird deutsch die Erde, und erweicht nicht mehr", dichtet er. Wir aber wissen, das Unvorstellbare ist geschehen, wir sind gewichen und haben die „Heimat, deutschen Schweißes stolze Blüte" aufgegeben und anderen überlassen oder überlassen müssen. Stefan Jägers Einwanderungsbild will nicht ein Heldenepos sein. Es ist ein künstlerisch ausgereifter Bericht über das Ereignis der Einwanderung. Der Künstler heroisiert nicht - er zeigt, wie wir Heimat finden, und dass es ein eher fragwürdiges Glück gewesen sein mochte, das die deutschen Auswanderer in Ungarn vorgefunden hatten. Denken wir daran, wie nahe liegend es doch gewesen sein dürfte, zum Beispiel ein Triptychon mit der Eroberung des Banats durch den Prinzen Eugen, die Rodung der Wildnis und dem Triumph der Ernte als Einzelteile zu gestalten, so muss uns Stefan Jägers aufrichtige und dezente Darstellung über unsere Ankunft in der Fremde mit Dank erfüllen. Nichts Belastendes haftet dem Bild an, es ist frei von jeder großen Geste und von jeder Überheblichkeit. Es ist bemerkenswert, dass spätere Varianten sich einer triumphalen Darstellung zwar annäherten, bei den Banater Schwaben jedoch nie eine vergleichbare Aufnahme wie das eigentliche Einwanderungsbild gefunden haben. Das dürfen wir uns gut schreiben, dass wir mit Herz und Sinn immer für dieses Monumentalwerk Stefan Jägers gestimmt haben, es angenommen haben und bewahren wollen - denn es ist ein Stück von uns. Und das, wenn ich es richtig sehe, hat sehr viel mit dem zu tun, was wir unter Identität verstehen.

Bemerkungen:

  1. Stefan Jägers Vater Franz Jäger (1839-1901) stammte aus Nakodorf und war in Tschene als Feldscher und Barbier tätig. Die Mutter Magdalena (1855-1927), geborene Schuller (Schuler), war ein adoptiertes Kind aus Billed, die einen kleinen Grundbesitz mit in die Ehe gebracht hat. Stefans älterer Bruder Ferdinand wurde 1875 geboren. Tschene bestand damals aus zwei Gemeinden: Serbisch-Tschene mit 3200 Einwohnern und Kroatisch-Tschene mit 500 auch deutschen Einwohnern.
  2. Die kroatische Adelsfamilie Vuchetics gelangte um 1820 ins Banat, wo sie für ihren in der Militärgrenze gelegenen Besitz begütert wurde und über den regionalen Bereich hinaus Einfluss ausübte. Sämtliche 23 Mitglieder der Gemeindevertretung im damaligen Tschene trugen den Namen Vuchetics (vgl. Franz Liebhard: Menschen und Zeiten. Bukarest: Kriterion 1970).
  3. Das Königreich Ungarn umfasste vor dem Ersten Weltkrieg 322.310 Quadratkilo-meter mit insgesamt 17 Millionen Einwohnern, von denen nur etwas über 7 Millionen ungarischer Nationalität waren. Neben ihnen lebten mehr als 2,5 Millionen Serben und Kroaten, nahezu 2 Millionen Slowaken, 380.000 Ruthenen, 2,5 Millionen Rumänen, über 2 Millionen Deutsche, 725.000 Juden, 91.000 Zigeuner und zahlreiche kleinere Gruppen anderer Nationalitäten. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rücksichtslos betriebene Madjarisierungspolitik löste bei den Minderheiten nationale Gegenbewegungen aus, die 1918 zum Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie beigetragen haben.
  4. Adam Müller-Guttenbrunns volkserzieherische Tätigkeit behandelt Dr. Hans Weresch ausführlich in „Adam Müller-Guttenbrunn - sein Leben, Denken und Schaffen", 2 Bände, Freiburg 1975 im Selbstverlag. Kein anderer Autor aus Banater Wurzel ist bei den Banater Schwaben bekannter oder mehr gelesen. Für seinen 1910 bei Staackmann/Leipzig erschienenen Roman „Glocken der Heimat" wird vom Verlag eine Startauflage von 46.000 Exemplaren angegeben. Nur Jägers Einwanderungsbild fand als Reproduktion eine ähnliche Verbreitung.
  5. Nach der römisch-katholischen Elementarschule in Tschene besuchte Stefan Jäger 1889-93 die Private Handelsschule von Franz Wieszner in Temeswar. Wieszner (Wiesner, Wiessner) stammte aus Mähren, war 1860 nach Temeswar zugewandert und bis 1899 Direktor der Schule, die 1900 in den Besitz der Stadt überging. 1893-95 besuchte Jäger die Bürgerschule in Szegedin, wo seine künstlerische Begabung von dem Burgenländer Zeichenlehrer Obendorf erkannt und gefördert wurde. Ein Mittellosigkeitszeugnis der Gemeindebehörde Tschene verhalf ihm 1895-99 als Freischüler zur künstlerischen Ausbildung an der Zeichenlehrer-Bildungsanstalt / Landeszeichenschule (Modellzeichenschule) in Budapest (Schüler von E. Balló und B. Székely). Zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten war Jäger genötigt, eine Erzieherstelle bei der gräflichen Familie Széchy anzunehmen. 1899-1901 Studienreisen durch Österreich, Deutschland, Italien.
  6. Peter Jung (1887-1966), Hatzfelder Dichter und Journalist. 1920-28 und 1931-41 Schriftleiter der „Hatzfelder Zeitung", 1928-31 Redaktionsmitglied der „Banater Deutschen Zeitung". Veröffentlichungen in zahlreichen deutschsprachigen Publikationen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Gedicht „Mein Heimatland" wurde von Wilhelm Ferch und Josef Linster vertont.
  7. Als „ursprüngliches Einwanderungsbild" bezeichnet Dr. Matz Hoffmann (1891-1957) die drei Meter lange erste Ausführung des Bildes. Es wurde erstmals im Gertianoscher Kasinoverein ausgestellt. Dr. Peter Pink (1900-1973) übernahm die Bezeichnung in seiner biografischen Arbeit über Stefan Jäger. Das Bild befand sich im Besitz von Adam Röser und gilt heute als verschollen. In seinem Buch „Stefan Jäger. Maler seiner heimatlichen Gefilde", Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 1991, weist Karl-Hans Gross auf eine im Nachlass des Künstlers aufgefundene Negativplatte hin, in der ein Abbild des „ursprünglichen" Einwanderungsbildes vermutet werden könnte.
  8. Dr. Peter Pink berichtet in „Stefan Jäger - Ein Banater schwäbischer Maler": „Wie man jetzt hier erfuhr, war nicht nur Adam Röser der ‚Förderer’ des Einwanderungsbildes, sondern auch andere ehrenwerte Personen aus Gertianosch, und wohl gebührt auch der ganzen Gemeinde Gertianosch Dank und Anerkennung."
  9. Sowohl Franz Liebhard wie Dr. Peter Pink und Annemarie Podlipny-Hehn weisen auf die Bedeutung und Vielzahl der Skizzen von Stefan Jäger hin. In den Notizen zu seinem Lebenslauf führt der Künstler an: „...habe 1954 in Temeswar bei einer Regionalausstellung teilgenommen, wo auch ein Stück für das Regionalmuseum angekauft wurde. Dorthin habe ich Skizzen und Entwürfe überlassen (150 Stück)." – Wie Franz Ferch, damals Vorsitzender der Temeswarer Filiale des Künstlerverbandes, berichtet, hat das Temeswarer Museum Jägers Skizzen für 13.000 Lei angekauft. Dr. Peter Pink erwähnt „ca. 600 Skizzen, die Stefan Jäger in seinen letzten Lebensjahren nach Themen in Mappen geordnet hatte" und die nach dem Tod des Künstlers von seiner Nichte Maria betreut wurden. Jäger hatte die Skizzen in sechs Abschnitte gegliedert:
    1. Das Volksleben der Banater Schwaben (Bauarten, Trachten, Typen, Landwirtschaftliche Arbeit auf dem Acker, Mußestunden, Festtage)
    2. Landschaften - das Flachland des Banats in den vier Jahreszeiten
    3. Stillleben - Blumen und Obst
    4. Gemüsemarkt
    5. Portraits
    6. Zigeuneridylle.
  10. „Es waren die Behörden, die Intelligenz der Umgebung und nahezu 5000 Festgäste erschienen aus allen Gauen Südungarns." (Stefan Dold: Die Einwanderung und Ansiedlung der Deutschen in Südungarn, Kurzgefasste Gelegenheitsbroschüre zur Bildenthüllung in Gyertyámos am 15. Mai 1910.) - Die „Temesvárer Zeitung" vom 18. Mai 1910 berichtet: „Aus Nah und Fern, von überall, wo der Bauernverein Mitglieder besitzt, waren Gäste - an 2000 Personen - erschienen, um Zeugen der wirtschaftlichen Erfolge und Bestrebungen der Gyertyámoscher zu sein. Ein besonderes Illustre erhielt das Arrangement durch die Enthüllung des Bildes 'Einzug der Deutschen in Ungarn', das, von einem engeren Landsmann gemalen, doppelt an Werth gewann."
  11. „Zur Enthüllungsfeier wurde auch ein Minister erwartet (Apponyi). Er kam aber nicht, weil die 48-er Partei hier sehr stark war. Es wurde sogar den Behörden verboten, in amtlicher Eigenschaft an der Enthüllungsfeier des Bildes und an der Ausstellung teilzunehmen. So hatte die politische Leidenschaft auch an diesem Feste ihre Hand im Spiel." (Matz Hoffmann: 1785-1935. Hundertfünfzig Jahre deutsches Gertianosch, Banat- Rumänien. Temeswar 1935)
  12. Josef Wolf vom Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen äußerte in einem Diskussionsbeitrag (43. Kulturtagung der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Landesverband Baden-Württemberg, 17./18.11.2007) die Ansicht, dass mit der Entscheidung für das Einwanderungsbild der Banater Schwaben ein Konkurrenzdenken mit den benachbarten Völkern nicht auszuschließen ist. Der ungarischen, slawischen und siebenbürgisch-sächsischen Landnahme sollte damit das Sinnbild einer schwäbischen beigestellt werden. - Es stellt sich die Frage, ob die von Franz Liebhard aufgegriffene angebliche Bemerkung Adam Rösers „damit nicht nur die Sachsen ihr Einwanderungsbild haben" in diesem Zusammenhang zu sehen wäre? Belege für diese Annahme gibt es zurzeit nicht.
  13. In den langen Jahrzehnten zwischen der Festveranstaltung von 1910 und der Auszeichnung mit dem Arbeitsorden 1957 wurden Stefan Jäger kaum öffentliche Ehrungen zuteil. Es gab auch nur wenige, eher bescheidene Ausstellungen mit Werken des Hatzfelder Künstlers. In seinen Aufzeichnungen zum Lebenslauf notiert er 1953: „Bis 1942 habe ich von verschiedenen Aufträgen eine Lebensmöglichkeit gehabt, doch derzeit ist mein Einkommen höchst gering." Besonders schwierig waren die Jahre 1947-48, als die Enteignung und Entrechtung der Banater Schwaben zu einer allgemeinen Notlage führte. Um die Zeit zu überstehen, musste Jäger die wenigen Wertsachen aus seinem Besitz veräußern.
  14. Im Kapitel 7 „Kleine Chronik in Bildern" seines umfangreichen Jäger-Buches geht Karl-Hans Gross auf das Spätwerk des Hatzfelder Malers ein, das auch Gemälde zum Nachkriegsschicksal seiner Landsleute enthält: „Die Flucht", „Einzug der Kolonisten", „Die Verschleppung". Jäger bewährt sich auch hier als zuverlässiger Chronist der Banater Schwaben, bemüht, das künstlerisch festzuhalten, was die Heimat veränderte und letztlich zerstörte. Es sind Schicksalsbilder über Ereignisse, die den Künstler menschlich tief bewegt haben. Die politische Auseinandersetzung hat er nicht gesucht.


PDF-Datei des Artikels