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Wie politisch ist es, den unpolitischen schwäbischen Arbeitsmenschen zu malen

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0861
Autor Name: Detlef Strunk
Titel des Artikels : Wie politisch ist es, den "unpolitischen schwäbischen Arbeitsmenschen" zu malen?
Untertitel des Artikels: Eine Betrachtung zu Jägers Triptychon
Publikation: Heimatblatt
Titel der Publikation: Heimatblatt Hatzfeld
Herausgeber: HOG Hatzfeld
Jahr: 2010
Ausgabe: 17
Seite: 131-134
* [[Detlef Strunk]]: [[ART:0861 - Wie politisch ist es, den unpolitischen schwäbischen Arbeitsmenschen zu malen|<i>Wie politisch ist es, den "unpolitischen schwäbischen Arbeitsmenschen" zu malen?</i>. Eine Betrachtung zu Jägers Triptychon]]. Heimatblatt Hatzfeld. HOG Hatzfeld 2010

Eine Betrachtung zu Jägers Triptychon

Gelegenheitsbroschüre

Am 13. Mai 1894 wurde die Budapester Millenniumsausstellung eröffnet. Eine der Attraktionen war das Panorama-Gemälde von Feszty Árpád (geb. am 25. Dezember 1856 in Ógyalla, gest. am 1. Juni 1914 in Lovrana). Die Ankunft der Magyaren, quasi die Geburtsurkunde der völkerwandernden Ungarn als europäische Nation, die Landnahme (ungarisch: honfoglalás), wovon Details als Druck auch in Hatzfelder Wohnungen hingen.
Zeitnah, am Pfingstsonntag, dem 15. Mai 1910, wurde in der vom Südungarischen Landwirtschaftlichen Bauernverein organisierten Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung Jägers Einwanderungsbild ausgestellt. „Dass es auch mit Abstand unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit |Rösers, der, neben dem Maler, Miteigentümer des Bildes war. Er hatte die Idee, bei der Budapester Verlagsgesellschaft Franklin Farbreproduktionen des Einwanderungsbildes in großer Auflage herstellen zu lassen, die einen guten Absatz fanden, von dessen Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet, nur ein geringer Teil zufloss", schreibt Franz Heinz. [1]
Dr. Peter Pink führt in seiner 1962 verfassten und erst Jahre später veröffentlichten Jäger-Biographie lediglich an, Adam Röser habe den Kunstmaler Stefan Jäger beauftragt, „die Einwanderung der Banater Schwaben zu malen"[2]. Nach Franz Liebhard soll das Einwanderungsbild deshalb gemalt worden sein, „damit nicht allein die Sachsen ein Einwanderungsbild haben sollen". „So irgendwie", fügt Liebhard hinzu, „soll der Röserische Ansporn gelautet haben". Um „schwäbischen Krähwinkelneid" soll es gegangen sein[3].
Sehr wohl konnten auch Jäger und seine Auftraggeber ermessen, welches die politische Bewandtnis eines monumentalen Einwanderungsbildes sei. „Denken wir daran, wie naheliegend es doch gewesen sein dürfte, zum Beispiel ein Triptychon mit der Eroberung des Banats durch den Prinzen Eugen, die Rodung der Wildnis und dem Triumph der Ernte als Einzelteile zu gestalten", gibt Franz Heinz zu bedenken.[4] Liebhards dreist zur Schau gestellte Ignoranz ist Opportunismus. Für den 1899 in Temeswar Geborenen waren die Millenniumsfeiern gestern gewesen. Sah er unter den Farben des Triptychons nicht Fesztys Panorama-Gemälde durchscheinen? Im nationalkommunistischen Rumänien die Schatten der Vergangenheit vor Trianon allzu genau zeichnen, hätte der gehätschelte Liebhard „zeitgeschichtlich bedingte Brüche und Einschnitte" - wie Walter Tonţa sich anderem Zusammenhang ausdrückt - seiner Biographie riskiert. Es sticht schon ins Auge, wie Liebhard krampfhaft die Augen vor den Schatten der Vergangenheit verschließt. Als das Hin und Her mit Peter Jungs „Heidesymphonie" war, stellte Johann Bräuner in einem Artikel in der Bukarester Tageszeitung „Neuer Weg" die rhetorische Frage: „Was hat der einflussreiche Liebhard getan?" Nichts hat der einflussreiche Liebhard getan.
Wie politisch ist es, „den unpolitischen schwäbischen Arbeitsmenschen" zu malen? Heinrich Valentin prägte diesen Ausdruck. Das Einwanderungsbild ist kein „künstlerischer Ausdruck einer deutschen Landnahme"[5]. Unsere Vorfahren kamen nicht als Eroberer, sondern als Untertanen. Schufen sie „in harter Arbeit (...) eine hochstehende, unverwechselbare Kulturlandschaft", wie die Gedenktafel in der Hatzfelder Kirche kündet, kann das Triptychon immerhin als so etwas wie die „schwowischi honfoglalás" gelten, die zwar anders als die ungarische, keine Landnahme war, nichtsdestotrotz anschauliche Geburtsurkunde eines „Neustammes". Die Vielzahl der Trachten auf dem Einwanderungsbild bekundet kein deutsch-deutsches Multikulti. Zwar wohnten die Teilnehmer an der vom Südungarischen Landwirtschaftlichen Bauernverein arrangierten Vernissage noch in der Mainzer, Trier, Lothringer, Litzporcher und Sauer Gass', doch waren sie längst Banater Schwaben geworden. Um teures Geld wurde Jäger von der Gemeinde Gertianosch zwecks Trachtenstudiums „naus, ens Reich" geschickt. Um einen Verwaltungsbeamten der Rokoko-Zeit zu malen, bedurfte es keiner Studienreise. Verpasst ihm Jäger im dritten Teil seines Triptychons einen zeitlos modernen und zeitgenössischen Habitus, ist das die Botschaft, der Schwob dient nicht nur diesem, sondern auch jedem Herren? Zur Zeit der ersten beiden Schwabenzüge (1722-1726 und 1763-1772) wurde das Banat von Wien aus verwaltet, ab 1778 und als das Einwanderungsbild entstand, von Budapest aus.
Steht am Ende der Integration die Assimilation? „Die ungarische Zeit bis 1918 (…) hatte auch bei den Hatzfeldern Spuren hinterlassen (…). Dem großungarischen Staat war es spielend gelungen, fast das ganze ungarndeutsche Bürgertum auf seine Seite zu ziehen, so dass das Deutschtum Gefahr lief, vom Magyarentum assimiliert zu werden", schreibt Anton Schenk[6]. Es mussten „zu Beginn des 20. Jahrhunderts (…) Banater Landwirte (…) sich gegen den (…) ungarischen Staat (…) wehren", schreibt Hans Fink[7]. Ende des Zweiten Weltkriegs zeigte sich, wie erst recht verhängnisvoll die Ausrichtung am Mutterland war.
Rechtfertigt Loyalität alles? Fast zwanzig Jahre nach dem Ende des kalten Krieges rieb Herta Müller es der Landsmannschaft unter die Nase. CNSAS-Akten, einer der deutschen Gaug-Behörde (aktuell Birthler-Behörde) ähnlichen Einrichtung zur Erforschung der Geheimdienstarchive aus kommunistischer Zeit, zeigen auf, wie „Lehrer, Professoren, Beamte, Journalisten, Schauspieler, Schriftsteller" einem verbrecherischen Regime, wie Staatspräsident Traian Băsescu es nennt, als Spitzel dienten.[8] So lange eine Beziehung in Ordnung ist, wird nicht groß darüber geredet. Die Diskussion beginnt, wenn es zu kriseln beginnt. So kommt nach dem Exodus mit Jägers Einwanderungsbild die Identität der Banater Schwaben ins Gespräch. „Franz Heinz wird ebenso als Kunstkenner geschätzt", lobt Hans Dama. „Bescheiden und ausdrucksstark" sei er.[9] Heinz' Definition der Banater Schwaben ist ausdrucksstark wie keine. Ein „eigenartiges, nicht wiederholbares deutsch-deutsches Konglomerat" seien sie, ersieht er.[10]
Franz Ferch (1900-1981) malte den „Tennmann"[11], einen Saisonarbeiter, den man heuert und feuert – ein Schicksal, das unsere Geschichte vollauf bestätigt. Die Vorlage sei die vom Betrachter aus nach links blickende sitzende Figur des mittleren Teils des Triptychons.
Erbauliches ist im Buche 1 Könige 3, 16-28 zu lesen: Zwei Huren zanken um ein Kind. „Zerschneidet das lebende Kind und gebt jeder von ihnen die Hälfte", ergeht das salomonische Urteil. Entsetzt verzichtet eine der Frauen auf ihren Teil. Ihr wurde das Kind zugesprochen. Ein Pilpul (Haarspalterei): Geht aus dem sakralen Text hervor, dass die, der das Kind zugesprochen wurde, die leibliche Mutter sei? Bei Bertolt Brecht ist „die rechte Mutter" nicht die leibliche Mutter, die es ausnützt, sondern jene, die dem Kind nützt, gleich wenn sie nicht die leibliche Mutter ist. Verpasste Brecht ihr das Unrechte Kind?[12] „Umweg der Geschichte" nennt Dr. Johann Wolf „den umgekehrten Schwabenzug", wie Bernd G. Längin zitiert[13]. Abgesehen von einem fast geschlossenen Siedlungsgebiet in der Banater Heide konnte weder von einer demographischen Dominanz der Banater Schwaben im Banat die Rede sein, noch von Kontinuität, die allein Rumänen ins Feld führen können. Dass wir dem Banat genützt haben, wird keiner bestreiten.

Anmerkungen

  1. Franz Heinz: Ein Stück von uns. Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben. In: Heimatblatt Hatzfeld, 15. Ausgabe 2008, S. 135-143, hier S. 138.
  2. Peter Pink: Stefan Jäger- ein Banater schwäbischer Kunstmaler. In: Peter Pink, Maria Schulz, Hans Schulz: Schriften über Stefan Jäger / Scrieri despre Stefan Jäger. o.O. [Timişoara]: Ed. Marineasa o.J. [2001]. S. 7-36, hier S. 25.
  3. Franz Liebhard (d.i. Robert Reiter): Der Schwabenmaler Stefan Jäger. In: Ders.: Menschen und Zeiten. Aufsätze und Studien. Bukarest: Kriterion Verlag 1970. S. 105-120, hier 117f.
  4. Franz Heinz: wie Anm. 1, S. 143
  5. Ebda, S. 140.
  6. Anton Schenk: „Kann net ongrisch, kann net teitsch". Die Magyarisierung im Zeitalter des Dualismus und ihre Auswirkungen auf Hatzfeld. In: Heimatblatt Hatzfeld, 16. Ausgabe 2009, S. 44-50, hier S. 50.
  7. Hans Fink: Das Aushängeschild im weltweiten Netz. Die Banater Schwaben in der »Wikipedia«. In: Banater Post, 53. Jg., Nr. 13-14 v. 10. Juli 2009, S. 5, 8, hier S. 5.
  8. Herta Müller: Cristina und ihre Attrappe oder Was (nicht) in den Akten der Securitate steht. Göttingen: Wallstein 2009, S. 41.
  9. Hans Dama: Bescheiden und ausdrucksstark. Franz Heinz zum 80. Geburtstag. In: Banater Post, 53. Jg., Nr. 23-24 v. 10. Dezember 2009, S. 11.
  10. Franz Heinz: wie Anm. 1, S. 142.
  11. Siehe Franz Heinz: Franz Ferch und seine Banater Welt. München: Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks 1988, S. 19 f.
  12. Vgl. Brechts Erzählung Der Augsburger Kreidekreis.
  13. Bernd G. Längin: Unvergessene Heimat Banat. Städte, Landschaften und Menschen auf alten Fotos, Augsburg: Weltbild Verlag 2000, S. 100.


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