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Die Türkenkriege des 18. Jahrhunderts

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Bibliografie
Artikel Nummer: 1172
ART 1172 1.jpg
Titel des Artikels :
Publikation: Buch
Titel der Publikation: Die Türkenkriege des 18. Jahrhunderts.
Untertitel der Publikation: Wahrnehmen – Wissen – Erinnern
Herausgeber: Schnell & Steiner
Druckerei: Schnell & Steiner
Erscheinungsort: Regensburg
Jahr: 2017
* * * *: [[ART:1172 - Stefan Jägers Einwanderung der Schwaben|<i></i>]]. Die Türkenkriege des 18. Jahrhunderts.. Schnell & Steiner, Regensburg 2017
Stefan Jäger: Die Enwanderung der Schwaben Tafel1 - WK:0376
Stefan Jäger: Die Enwanderung der Schwaben Tafel2 - WK:0376
Stefan Jäger: Die Enwanderung der Schwaben Tafel3 - WK:0376


Robert Born: Schlachten, Triumphe, Flucht. Die Türkenkriege im historischen Ungarn in der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts. In: Wolfgang Zimmermann, Josef Wolf (Hg.): Die Türkenkriege des 18. Jahrhunderts. Wahrnehmen – Wissen – Erinnern. Regensburg: Schnell & Steiner, 2017. S. 339-361
Gliederung des Beitrags
1. Vorbemerkungen
2. Die Historienmalerei als Medium eines monarchischen Patriotismus
3. Gyula Bencúrs Darstellung der Einnahme Ofens
4. Ferenc Eisenhuts Monumentalgemälde zur Schlacht von Zenta
5. Türkenkriege und Migrationsprozesse: Paja Jovanovićs Wanderung der Serben
6. Stefan Jägers Einwanderung der Schwaben
Abstract
Literatur

Anbei Teil 6 des Beitrags

Stefan Jägers Einwanderung der Schwaben


Eine Mythologisierung begegnet auch auf dem von Stefan Jäger (1877-1962) angefertigten dreiteiligen Gemälde, das die Einwanderung der Schwaben ins Banat zeigt (vgl. Abb. 5).

Obwohl die von dem Künstler gewählte Form eines Triptychons über Jahrhunderte im Bereich der sakralen Malerei verbreitet war, enthält die bildliche Erzählung keinerlei religiös bzw. konfessionell konnotierte Elemente. Wie bei allen bisher ausführlicher vorgestellten Werken handelt es sich auch bei diesem Gemälde um eine Auftragsarbeit für eine repräsentative Veranstaltung: die Gewerbe- und Bauernausstellung 1910 in Gertianosch (rum. Cărpiniş, ung. Gytertyámos) im Banat. Eine von Adam Rösner (1838-1914), Ziegeleibesitzer und Direktor der lokalen Sparkasse, angeführte Gruppe banatschwäbischer Honoratioren war bereits 1906 an Stefan Jäger herangetreten. Bei dieser Gelegenheit hatten die Auftraggeber vermutlich das 1883 von dem Berliner Historien- und Schlachtenmaler Georg Bleibtreu (1828-1892) geschaffene Bild Die Einwanderung der Sachsen nach Siebenbürgen und die Gründung von Hermannstadt vor Augen, das über eine Vielzahl von Reproduktionen eine weite Verbreitung, auch jenseits der Grenzen von Siebenbürgen, erfahren hatte. Die Festlegung des Sujets in dem Auftrag an Stefan Jäger auf die Schilderung der Einwanderung der Donauschwaben implizierte einen selektiven Blick auf die Ereignisse in der Nachfolge der Türkenkriege. Im Rahmen des von den Habsburgern angestrebten Landesausbaus spielte die Impopulationspolitik eine Schlüsselrolle. Unter den Kolonisten bildeten die Verbände aus dem deutschsprachigen Raum sicherlich eine bedeutende Gruppe, allerdings förderten die neuen Landesherren in einer ersten Phase auch den Zuzug von rumänischen, serbischen, bulgarischen, italienischen sowie spanischen Einwanderergruppen. Anfang des 19. Jahrhunderts ließen sich zudem Einwanderer aus Böhmen im Banater Bergland nieder.

Die feierliche Bildenthüllung am 15. Mai 1910 gilt als eine der wichtigsten Veranstaltungen der Banater Schwaben vor dem Ersten Weltkrieg. Die anlässlich dieser Feierlichkeiten von dem Pädagogen Stefan Dold (1869-1944) verfasste kleine Broschüre liefert Informationen zur Genese des Bildes und zu den mit dieser Darstellung assoziierten politischen Vorstellungen. Wie im Falle des Gemäldes von Georg Bleibtreu für Siebenbürgen oder Jovanovićs Darstellung der ›Großen Wanderung‹ der Serben, so sollte auch Stefan Jägers Bild die Position einer ethnischen Minderheit vor dem Hintergrund der sich intensivierenden Magyarisierungspolitik selbstbewusst visualisieren. Die von den Budapester Ministerien betriebenen Initiativen umfassten nicht nur die Ebene der Geschichtspolitik wie im Falle der Millenniumsfeierlichkeiten, sondern zielten zunehmend auf eine sprachliche Assimilierung der Minderheiten ab, wie im Falle der 1907 von dem Kultusminister Albert Apponyi erlassenen Verordnung zum Gebrauch der magyarischen Sprache in den Gemeinde- und Konfessionsschulen. In Anbetracht dieser Entwicklung fanden die national-deutschen Ideen zunehmend Anhänger im Kreise des Bürgertums und führten Ende 1906 zur Gründung der Ungarländischen Deutschen Volkspartei (UDVP). Die Veranstaltung in Gertianosch setzte die Akzente jedoch anders. So betonte man vordergründig die Loyalität gegenüber dem »gesegneten Heim […] ein ewiges Vaterland, welchen wir stets treu, mit Gut und Blut beistehen«. Gleichzeitig betont die Broschüre weitere besondere, über Generationen vererbte Charaktereigenschaften der »Staatsbürger unseres inneren Vaterlandes Südungarn«, wie den »angeborenen deutschen Fleiss«, die Ausdauer und die Bescheidenheit. Diese Elemente des Selbstbildes der Banater Deutschen wurden auf das 18. Jahrhundert rückprojiziert. Bisweilen übernahm Stefan Jägers Bild sogar die Rolle eines authentischen Dokuments. So weist Dold darauf hin: »Drei charakterisierende Anschauungen lassen sich vom Bilde herunterschauen: Unsere Ahnen trugen weder Schnurr- noch Backenbart; sie rauchten nicht; sie liebten den Kindersegen.« 

Wie bei allen bisher vorgestellten Werken wurde auch diese Komposition durch ausgiebige Vorstudien vorbereitet. Um die große maria-theresianische Einwanderung (1763-1772) historisch präzise zu schildern, unternahm, Jäger 1906 mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde Gertianosch eine Reise in mehrere süddeutsche Regionen und sammelte dort Vorlagen für die Gestaltung der Trachten. Realiter handelte es sich jedoch um Fiktionen, da die dargestellten regionalen Trachten mehrheitlich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Das zusammengetragene Material verarbeitete Jäger dann auf den drei Tafeln des Einwanderungsbildes, das bei seiner Enthüllung den Titel Die Einwanderung der Deutschen nach Ungarn trug. Im Gegensatz zu Jovanović entschied sich Jäger dazu, die Einwanderung als Abfolge unterschiedlicher Ereignisse zu schildern. Die erste Tafel zeigt den Zug der Kolonisten, die beschwerlich entlang eines schlammigen Weges voranschreiten. Das der Broschüre beigegebene Faltblatt identifiziert einzelne Figuren anhand ihrer Kleidung als Auswanderer aus dem Schwarzwald, aus der Pfalz, Elsass-Lothringen, Württemberg sowie Hessen. Eine analoge Konstellation begegnet auf der etwas größer proportionierten Mitteltafel, auf der eine Rast auf der beschwerlichen Wanderschaft zu sehen ist. Auf der dritten Tafel wird schließlich das Ziel der Wanderung erkennbar. Den ankommenden Kolonisten werden halb fertige Stampfhäuser durch einen etwas anachronistisch gekleideten Impopulationskommissar zugeteilt. Die einzelnen Episoden der Wanderung wurden von Jäger durch einen durchlaufenden Landschaftsausschnitt formal miteinander verklammert. Auf der inhaltlichen Ebene erfolgt dies durch die Wiederholung von kleinen Gruppen von Eltern mit Kindern. Besonders auffällig ist – gerade im Vergleich mit der Schilderung der Wanderung der Serben bei Jovanović – das Fehlen von älteren Menschen auf dem Einwanderungsbild. Durch diese Akzentsetzung betonte Jäger den auf die Zukunft, auf die Urbarmachung der umgebenden Landschaft abgestimmten performativen Charakter der Ansiedlung der deutschen Kolonisten. Dieses Narrativ wurde bereitwillig von den nachfolgenden Generationen Banater Schwaben aufgenommen, wodurch das Bild von Stefan Jäger binnen kürzester Zeit zu einer Ikone der Identität dieser Gruppe mutierte.

Einen wesentlichen Beitrag zur Zementierung dieses Bildes im Kollektivgedächtnis der Banater Schwaben übernahmen die vielfachen Reproduktionen und großformatigen Farbdrucke, die in den 1920er und 1930er Jahren angefertigt wurden. Zudem wurden die beiden Einwanderungsbilder von Bleibtreu und Jäger in den Schulbüchern dieser Zeit abgedruckt. Die mit diesem Bild assoziierten Vorstellungen von der Rolle der Banater Schwaben als Kulturträger erlebten ihren negativen Höhepunkt in der Propaganda der Deutschen Volksgruppe in Rumänien. Im Umfeld der »225-Jahrfeier der Rückeroberung von Stadt und Festung Temeschburg« 1941 sah man in den militärischen Erfolgen des Prinzen Eugen einen wichtigen Beitrag zur »Schaffung eines südöstlichen Kernraumes reichischer Ordnung« und interpretierte den Zuzug der Kolonisten als Teil einer Jahrhunderte alten deutschen Ostkolonisierung »[…] wie zur Zeit Heinrich des Löwen und noch großartiger, tat das Reich eine weltgeschichtlichen Schritt nach Osten und schenkte den Ländern der Donau deutschen Geist und deutsche Kultur.«  Entsprechende Vorstellungen überdauerten auch die Periode nach 1945, vor allem im Westen. Im sozialistischen Rumänien blieb das Einwanderungsbild, trotz seiner vormaligen politischen Instrumentalisierung, als Teil der in Hatzfeld (rum. Jimbolia, ung. Zsombolya, serb. Žombolj) eingerichteten Ausstellung in der Stefan-Jäger-Gedenkstätte den Besuchern zugänglich. Seit 1994 ist das Bild als Leihgabe prominent im Foyer des Temeswarer Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses, dem zentralen Veranstaltungsort und gleichzeitigen Sitz der minderheitenpolitischen Vertretung der Deutschen im Banat, in Szene gesetzt.

Literatur

Dold 1910 Stefan Dold: Die Einwanderung und Ansiedlung der Deutschen. Kurzgefasste Gelegenheitsbroschüre zur Bildenthüllung in Gyertyámos am 15. Mai 1910, Temesvár 1910. [Digitalisat unter URL: http://jaeger.banater-archiv.de/images/c/cc/ART_0002.pdf (19.04.2017)].

Glass 2013 Christian Glass: Die inszenierte Einwanderung. Stefan Jägers Triptychon »Die Einwanderung der Schwaben in das Banat« und seine Wirkungsgeschichte, in: Márta Fata (Hg.): Migration im Gedächtnis. Auswanderung und Ansiedlung im 18. Jahrhundert in der Identitätsbildung der Donauschwaben, Stuttgart 2013 (Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Bd. 16), S. 55 – 70.

Hubert 1941 Nikolaus Hubert: Prinz Eugen. Feldherr und Staatsmann der Deutschen. Zur 225-Jahrfeier der Rückeroberung von Stadt und Festung Temeschburg, in: Volk im Osten 2 (1941), S. 19 – 25.
Klein 2009 Konrad Klein: »… seine Kunst in den Dienst unserer nationalen Sache gestellt«. Anmerkungen zu Georg Bleibtreus Historienbild »Die Einwanderung der Sachsen nach Siebenbürgen und die Gründung von Hermannstadt«, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 32 (2009), S. 133 – 148.

Podlipny-Hehn 1972 Annemarie Podlipny-Hehn: Stefan Jäger, Bukarest 1972.

Wolf 2010 Josef Wolf: »Ehre dem Andenken der deutschen Einwanderer!« Historischer Kontext der Erinnerungsstrategien der feierlichen Enthüllung von Stefan Jägers Einwanderungsbild vor 100 Jahren, in: Banater Post Nr. 13-14, 10. Juli 2010, S. 6 – 7; Nr. 15, 5. August 2010, S. 5.

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