ART:0045 - Stefan Jäger
STEFAN JÄGER
Ein Banater schwäbischer Kunstmaler
von Dr. Peter Pink, Arzt
Ostern, 26.12.1962
Der Kunstmaler Stefan Jäger wurde am 28. Mai 1877 in der Gemeinde Cenei als zweites Kind geboren. Er hatte noch einen Bruder.
Cenei, deutsch geschrieben Tschene, ungarisch Csene, liegt 16 km südöstlich von Hatzfeld und 22 km westlich von Temeswar. Es ist eine größere gemischtsprachige Gemeinde, in der zum Großteil Serben wohnen, es leben darin aber auch eine ansehnliche Zahl Kroaten und Deutsche. Letztere sind durch die sogenannte Binnenwanderung der Banater Schwaben hierher gezogen, welche schon kurz nach der offiziellen Ansiedlung der Deutschen im Banat allmählich begann. Als der Kunstmaler Stefan Jäger geboren wurde, gab es noch zwei Gemeinden namens Tschene. Die größere war hauptsächlich von Serben bewohnt und hieß daher Serbisch-Tschene, Sie hatte ungefähr 3200 Einwohner und war ein Marktflecken mit Stuhlamt. Die kleinere trug nach der Mehrheit ihrer knapp 500 zählenden Einwohnerzahl den Namen Kroatisch-Tschene. Später wurden beide Gemeinden miteinander vereinigt und so entstand das heutige Tschene.
Die deutsche Minderheit stellte die Mehrzahl der Handwerker der Ortschaft Tschene. Halb zu den Handwerkern gehörte auch der aus Nakodorf stammende Barbier und Feldscher Franz Jäger, der Vater des Kunstmalers Stefan Jäger. Obzwar schon seit dem Jahre 1859 Gewerbefreiheit herrschte, machte er sich nach dem alten Wahlspruch der Wandergesellen: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“, unternehmungslustig auf die Gesellenwanderschaft und gelangte dabei auch nach Budapest, wo er zu seinem Barbierfach auch den Feldscherberuf erlernte. Die Feldscher lernten erste Hilfe zu leisten, Ader zu lassen, Zähne zu ziehen, Wunden zu behandeln, Gelenkverrenkungen einzurenken und dergleichen mehr und da damals ein großer Mangel an gut ausgebildeten Ärzten war, hat man sie gehörig geachtet. Dementsprechend nannten höfliche Menschen sie auch: „Chirurg-Arzt-Stellvertreter.“
Franz Jäger war ein stattlicher Mann mit Vollbart. Er heiratete die um zwanzig Jahre jüngere Magdalena Schuller aus Billed und ließ sich auf der Suche nach einer Existenz in der Gemeinde Tschene nieder. Seine Frau Magdalena war klein, zierlich, mit fein geformten Gesichtszügen, die ihr Sohn Stefan von ihr erbte. Sie war lieb, gut und fleißig und ihre Kinder hingen mit sehr großer Liebe an ihr. Sie war ein adoptiertes Kind und erbte einen sehr verschuldeten Feldbesitz, den das junge Ehepaar bald verkaufen musste.
Das Ehepaar Franz Jäger war deutscher Abstammung, benützte die deutsche Schriftsprache als Umgangssprache und kleidete sich nach städtischer Art. Logischer Weise zählte man die Familie des Chirurg-Arzt-Stellvertreters zu den Intellektuellen, hatte sich doch der Feldscher Franz Jäger in Ungarns Hauptstadt, neben einem gediegenen Fachwissen, eine gute Allgemeinbildung und gute Umgangsformen angeeignet, die sich auf die Familie übertrugen.
Als Stefan Jäger schulpflichtig wurde, hatte Tschene zwei Elementarschulen, eine serbisch-orthodoxe mit serbischer und eine römisch-katholisch konfessionelle mit deutscher Unterrichtssprache. Letztere Schule wurde nicht nur von den deutschen Kindern, sondern auch von den kroatischen besucht, da auch diese römisch-katholisch waren. Sämtliche Klassen waren damals in einem Raum, der an Sonn- und Feiertagen auch als Betstätte benutzt wurde. Obwohl der Schulbesuch gesetzlich vorgeschrieben war, besuchte kaum die Hälfte der Kinder den Unterricht. Der kleine Stefan Jäger gehörte aber zu den Fleißigsten, weshalb sein Platz auszeichnungsweise fast immer in der ersten Bank war. Unter diesem bescheidenen Verhältnissen fand der kleine Stefan Eingang in die Welt der Buchstaben und Zahlen und besuchte da die vorgeschriebenen Volksschulklassen. Nebenbei bemerkt, ein aufmerksamer Beobachter, konnte in den zwei Elementarschulen Tschenes etwas abweichende Geistesrichtungen beobachten. Während in der serbisch-orthodoxen Schule der Unterricht ein bisschen serbisch-national gewürzt wurde, herrschte in der römisch-katholisch konfessionellen Schule mehr eine katholisch-humanistische Geistesrichtung vor.
Bei der Formung des Geisteshaltung der Kinder spielten in der damaligen Zeit auch die mündlichen Überlieferungen eine sehr große Rolle, an denen alle drei in Tschene wohnhaften Nationalitäten sehr reich waren. Diese mündlichen Überlieferungen waren hauptsächlich nationaler bzw. volksgeschichtlicher, aber auch allgemeingeschichtlicher Natur. Da fast nur die Intellektuellen und die Großgrundbesitzer eine bescheidene Zeitung hielten, die sie über die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme unterrichtete und Tagesneuigkeiten brachte, war beim werktätigen Volk, neben Familien- und Wirtschaftssorgen, die mündliche Überlieferung der Hauptgesprächsstoff und dabei hörten die kleinen Schüler den Alten sehr gerne zu. Da hörten sie, wie serbische und kroatische Nationalhelden mit kleinen tapferen Scharen gegen große türkische Übermacht kämpften und schließlich erlagen, wie sie dann in Gefängnissen schmachteten oder in die Sklaverei verschleppt wurden, wie die Türken serbische und kroatische Kinder raubten, die dann in besonderen Lagern zu berüchtigten Janitscharen erzogen wurden und dergleichen mehr. Die Deutschen wussten mehr darüber zu erzählen, wie die Türken durch tapfere kaiserliche Heere aus Ungarn wieder zurück in den Balkan vertrieben wurden. Nun gerade auf der Gemarkung von Tschene kämpften ein kaiserliches Heer ausgangs des 17. Jahrhunderts gegen die Türken, unter der Führung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August des I. Man sprach auch gerne über die Napoleonischen Kriege und die 48er Revolution, waren auch noch sehr lebendig. Stefans Vater hatte auf Grund seiner Berufe ganz besonders innigen Kontakt mit dem werktätigen Volke und pflegte gerne, soweit es möglich war, Geselligkeit, so dass der kleine Stefan immer wieder mit Interesse zuhören konnte, wie die Alten sich mit mündlichen Überlieferungen unterhielten. Seine Mutter nahm ihn auch gerne zuweilen mit, wenn sie auf Besuch ging oder eine schwäbische Spinnstube aufsuchte. Wie schön war es da, wenn man beim gleichmäßigen Surren der Spinnräder schöne alte Volkslieder sang, gute Märchen erzählte und zur Abwechslung auch gruselige Hexen-, Räuber- und Wolfsgeschichten vortrug. Ja nicht lange vorher gab es in Rohr des ausgedehnten Riedes bei Tschene „Rohrwölfe“, so genannt, weil sie sich am Tag im Rohr verstecken.
Nun die Geselligkeit der Alten war schön und was der kleine Stefan hörte, bewahrte er in seinem Herzen. Die gute Mutter hatte auch sehr viel Herz und Sinn für die schwäbische Tracht und die alten Sitten und Gebräuche. Bei jeder festlichen Gelegenheit machte sie ihren Stefan schon in seinen jungen Jahren auf die schönen, bunten, farbenfrohen schwäbischen Trachten aufmerksam und erklärte ihm den Sinn der alten Sitten und Gebräuche, deren es recht viele gab und die ihre Beziehungen zu Familienfesten (wie Taufe, Trauung, Namensfeste), zu Volksfesten (wie Kirchweih, Erntefest, Fasching) und zur Religion (wie zu Weihnachten, Ostern, den hl. Dreikönigen, Fronleichnam, St. Nikolaus usw.). Sie machte auch gerne ihr Söhnchen auf den Stil der althergebrachten schwäbischen Möbel mit ihren Verzierungen an den Stuhllehnen, der Familientruhe, am Zapfenbrett und auf gelegentliche geschnitzte Holzeinlagen an Schränken aufmerksam. Auch die Glasmalerei des Bildaltars in der Stube, dessen Mittelstück das hl. Grab war und die buntbemalten Teller am Zapfenbrett sollten seiner Aufmerksamkeit nicht entgehen.
Wenn wir jetzt den kleinen Elementarschüler in Gesellschaft seiner Mutter sehen, die große Einfluss auf ihn hatte, so braucht niemand zu glauben, dass er ein Stubenhocker war. Er verstand sich mit seinen schwäbischen und kroatischen Schulkameraden sehr gut. Da wurden in der freien Zeit so manche abwechslungsreiche Spiele ausgetragen und in den warmen Jahreszeiten lockte sie oft ein über 270 Joch großer Ried an der alten Bega mit seiner ungebunden wachsenden Pflanzen- und Kleintierwelt zu sich. Dieser Ried war ein Überbleibsel eines großen Sumpfes aus der Ansiedlungszeit, hatte nicht mit Unrecht etwas Geheimnisvolles für die Phantasie der Kinder und bot ihnen aber auch Gelegenheit zu Bewegungsspielen, wie Versteckeln, Buschkämpfen aber auch kriegerischen Auseinandersetzungen mit den „Türken“. Dieser Ried, der in wasserreichen Jahren eine wirkliche kleine Sumpflandschaft war, prägte sich der kleine Stefan ganz besonders gut ein. Nur mit den serbischen Schulkindern war der Umgang mehr steif, denn unter diesen war immer der eine und andere, dem die Schwaben ein Dorn im Auge waren. Sie fanden leicht Spottworte gegen die Schwaben, wussten auch gereimte Sprüche auf diese und arteten sich auch leicht in Tätlichkeiten aus. Diese rauen Umgangsformen der Serben überhaupt, sagten dem Elementarschüler Stefan nicht zu und er versuchte auch nie, auch später nicht, ihre raue Schale zu durchbrechen, um zu ihrem gesunden Kern zu gelangen. So blieb denn auch ihre Arbeits- und Lebensweise für ihn fremd und so sind auch ihre Sitten und Gebräuche nie in seine Seele gedrungen. Die Kälte der serbischen Nationalität steigerte umso mehr im feinfühlenden Kinde das Feuer der Liebe zum eigenen Volkstum, dessen Arbeits- und Lebensweise und dessen Sitten und Gebräuche seine Seele ungeteilt ausfüllen sollten. Was der Elementarschüler Stefan Jäger im Elternhaus, in der Schule, bei den geselligen Zusammenkünften der Schwaben, speziell auch in den Spinnstuben und bei den Festen der werktätigen Volksdeutschen sah und hörte, waren die ersten kleinen Mosaiksteine zu einem großen Lebenswerk und er wurde sein ganzes Leben nicht müde, Mosaiksteine zu sammeln und sie zu seinem Lebenswerk zusammenzufügen. Nach Absolvierung der Elementarschule kam Stefan Jäger nach Temesvar in die staatlich genehmigte vierklassige private Bürgerschule Wiesners, mit deutscher Unterrichtssprache, wo er außerschulisch Gelegenheit fand im Umgang mit ungarischen Kindern auch die ungarische Sprache notdürftig zu erlernen. In der Metropole des Banates interessierten den kleinen Studenten die historischen Baulichkeiten wie das [[Hunyadikatell[]], die alten Festungsmauern, die Siebenbürger Kaserne, die Domkirch, das Dikasterialgebäude und andere amtliche Gebäuden und Patrizierhäuser Alt-Temesvars, nicht zuletzt das bunte Treiben der verschiedenen Nationalitäten und der verschiedenen Militäreinheiten.
Mit 14 Jahren kam Stefan Jäger nach Szegedin, um seine Mittelschulstudien an der dortigen sechsklassigen ungarischen Bürgerschule abzuschließen und gleichzeitig seine mangelhaften Kenntnisse in der ungarischen Sprache zu vervollkommnen.
Das wichtigste Moment der Szegediner Jahre liegt für den weiteren Werdegang Jägers darin, dass sein Zeichenprofessor, ein Burgenländer namens Obendorf, seine künstlerische Begabung erkannte und ihm durch treffliche Ratschläge die Richtung wies, in die er zu gehen hatte. Auf Grund der Wegweisung von Zeichenprofessor Obendorf begann Stefan Jäger 1895 in Budapest seine vierjährige Fachausbildung für den Kunstmalerberuf als Künstlereleve an der königlich ungarischen Landeszeichenschule und Zeichenprofessoren-Präparandie in der Abteilung für bildende Kunst, die seinem Talent zur Malerei zum Durchbruch verhalf. Er konnte diese ganze vierjährige Ausbildung auf Grund eines Mittellosigkeitszeugnisses der Tschener Gemeindebehörde als Freischüler absolvieren und vollenden. Unter den leitenden Händen des Professors Bartholomäus Szekely, Schöpfer großer historischer Gemälde (er unter-richtete figurales Zeichnen und Malen), und des Professors Eduard Balló, ein bekannter Porträtist, reifte Jäger zu einer Kunstauffassung und Kunstpraxis heran, die durch die Achtung vor dem, einem sinnvollen Ganzen zugehörenden Detail und damit vor der Realität des Menschlichen und Gegenständlichen gekenn-zeichnet war und ihn zeitlebens davor bewahrte, sich in Ausflügen jenseits des einwandfrei Wirklichen zu ergehen und das Leben zum Spielzeug der Phantasie zu machen.
Trotz guter Studienresultate hatte es der Künstlereleve Stefan Jäger, insbesondere im ersten Studienjahr, sehr schwer. Er hatte das erste Schuljahr buchstäblich durchgehungert. Er erzählte gelegentlich seiner Nichte Maria Jäger, es ist vorgekommen, dass der Hunger ihn auf den Markt trieb, sein Taschengeld reichte aber nur für eine Gurke sich kaufen zu können, die er dann roher aß. Er bewarb sich ich dieser Zeit um eine Erzieherstelle und bekam eine bei der gräflichen Familie Széchy, wo er drei Jahre wirkte. Er musste von jetzt an weniger hungern, aber sein ernstes Studium, gepaart mit der außerschulischen Erziehertätigkeit, stellten an ihn große Anforderungen.
In der bescheidenen Hinterlassenschaft Jägers befanden sich drei von ihm eigenhändig mit Bleistift geschriebene Aufzeichnungen über seinen Lebenslauf, welche scheinbar für eine „Autobiographie“ anzufertigen, verfasst wurden und zwei mit Maschinenschrift geschriebene Autobiographien in rumänischer Sprache. Die eine mit Maschinenschrift geschriebene Autobiographie trägt das Datum 5. November 1953, folglich wurden die handgeschriebenen Schriften wahrscheinlich kurz vorher verfasst. Es ist vielleicht angebracht, schon an dieser Stelle authentizitätshalber paar Zeilen Jägers aus zwei von den erwähnten Schrift wörtlich anzuführen. Von der einen: „Nach vierjähriger Ausbildung unternahm ich Studienreisen im Ausland (Österreich, Deutschland, Italien). Dann begann ich in Budapest selbstständig zu arbeiten an den Aufträgen religiöser Bilder, die ich aus der engeren Heimat bekam. Unter diesen war auch der Auftrag für die „Ansiedlung der Deutschen im Südosten“.
Von der zweiten Handschrift Jägers: „Nach meiner vierjährigen Ausbildung unternahm ich Studienreisen nach Österreich, Deutschland (München, Stuttgart) und Italien (Venedig). Nachher begann ich selbstständig zu arbeiten an den Aufträgen, welche mir aus der engeren Heimat zukamen, unter diesen auch der Auftrag für die „Ansiedlung der Deutschen im Südosten.“ Zwecks Studium der Trachten der Ansiedlung unternahm ich abermals eine Reise nach Deutschland (Stuttgart, Ulm, Nürnberg). Dieses Triptychon habe ich teilweise in Budapest, teilweise in der engeren Heimat ausgeführt, es wurde 1910 in Gyertyámos, gelegentlich einer Gewerbeausstellung enthüllt.
Da ich die Wahrnehmung gemacht habe, dass in den Jahren um 1900 herum das Banat und Bacska mit reisenden Bilderhändlern überflutet war, die mit Dutzendbildern ihre Geschäfte machten und ich so manche Aufträge aus der Heimat erhielt, habe ich mich entschlossen in Hatzfeld niederzulassen. Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen und war darauf bedacht, auch den weniger bemittelten Volksgenossen die Möglichkeit zu geben, solche Bilder zu beschaffen. Ich habe mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen Trachten, die landschaftlichen Stimmungen, Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten und im Alltagsleben darzustellen.“
Auf die vier Budapester Studienjahre folgten Wanderjahre, bzw. Auslandsreisen des nun diplomierten Kunstmalers Stefan Jäger, wie er uns zuvor selbst berichtet hatte, die ihn nach Wien, München, Stuttgart und Venedig führten. Er machte seine zweite Studienreise nach Deutschland im Jahre 1906, die ihn nach Stuttgart, Ulm und Nürnberg brachte, um Aufschlüsse zu erhalten über die Trachten, in denen die schwäbischen Vorfahren im 18. Jahrhundert die Wanderung nach Südungarn vollzogen, wodurch es ihm möglich wurde, das sogenannte „Einwanderungsbild“ geschichtlich einwandfrei zu malen.
Jägers erste Auslandsreise wurde im Jahre 1901 vorzeitig unterbrochen, da ihn die Kunde von einer schweren Erkrankung seines Vaters veranlasste in das Banat zurückzureisen, dem er nun für immer verbunden bleiben sollte.
Familiennöte und materielle Sorgen, die sich durch die Erkrankung seines Vaters gesteigert haben, fesselten nun den jungen Kunstmaler Stefan Jäger bis 1902 an seine Geburtsgemeinde Tschene, wo er sich, mit besseren Aussichten rechnend, nur provisorisch eingerichtet hatte. Der Marktflecken Tschene, war zwar schon damals eine relativ große Gemeinde, doch verhältnismäßig rückständig und konnte, außerhalb der Kulturzentren des Banates liegend, auf die Entwicklung eines jungen Malers auf die Dauer nicht fördernd wirken. Eine gute Seite hatte der Geburtsort für den Anfänger doch. Der Vater des jungen Kunstmalers hatte auf Grund seiner Berufe und guten menschlichen Eigenschaften sehr gute Beziehungen zur großen kroatischen Vuchetich-Sippe, die ein Bauernadelsgeschlecht mit guten Verbindungen war, aber er pflegte auch gute Freundschaft zu anderen Personen und „Chirurg-Arzt-Stellvertretern.“ Diese Beziehungen, Freundschaften und Bekanntschaften brachten dem jungen Kunstmaler gebührendes Interesse entgegen, umso mehr, da damals im Banat Künstler Raritäten waren und man ihnen gerne den Künstlernimbus zubilligte. Sie sollten sich in ihm nicht getäuscht haben.
Der Interessentenkreis um den jungen Künstler Stefan Jäger war ohne Zweifel eng begrenzt und die Aufträge demnach spärlich. Dem damaligen Zeitgeist gemäß verlangte man von ihm hauptsächlich Heiligenbilder, Stillleben und Landschaftsbilder. Jäger begann aber schon jetzt, da er mit Aufträgen nicht überhäuft war, mit den Augen des Künstlers das Leben und die Sitten und Gebräuche seiner schwäbischen Landsleute zu studieren und Skizzen zu machen. Das Interesse, das in ihm, als er noch Kind war, seine Mutter weckte und seine Neigung dazu, die sich in ihm als Student und Hochschüler immer mehr steigerte, spornten ihn immer wieder zu volkskundlichen Studien an.
Der junge Kunstmaler Jäger kam rasch zur Einsicht, dass er aus seinem all zu bescheidenen Geburtsort und seinem noch zu kleinen Liebhaberkreis, den Sprung in die große Welt wagen muss, einerseits um nicht weiterhin mit unangenehmen materiellen Sorgen kämpfen zu müssen, vor allem aber, um seine künstlerische Weiterentwicklung zu fördern. Da kam ihm seine gute Bekanntschaft mit dem Leiter einer Budapester Kunstwarenhandlung namens Almásy zu Gute, der ihm den Antrag stellte in Budapest sich niederzulassen und für ihn zu arbeiten. Almásy befasste sich mit Vorliebe mit dem Verkauf von Bildern von Kunstmalern und schätzte besonders die Bilder von Jäger. Dieser ist in 1902 in Ungarns Hauptstadt umgezogen, wo er bis 1910 blieb, seinen Freund Almásy fleißig belieferte und auch an den Aufträgen arbeitete, die ihm nicht nur im Banat, sondern von Volksdeutschen aus dem ganzen damaligen Südungarn, also auch aus der Batschka und Syrmien zukamen. Die Aufträge aus Südungarn waren auch jetzt, wie Jäger in einer Aufzeichnung persönlich schreibt: „hauptsächlich kirchlich-religiöse Bilder“, so malte er z. B. den Erzengel Gabriel für Pancsova, den heiligen Stefan für Arad und den Erzengel Michael für Hatzfeld. Dann folgen an zweiter Stelle Aufträge für Bildnisse, darunter wohl Porträts zu verstehen sind und ebenfalls während seiner Budapester Zeit, wohl vor 1906, bekam er den wichtigsten Auftrag seines Lebens, „Die Einwanderung der Deutschen in das Banat“ zu malen, ein Triptychon, das sein Hauptwerk ist und das 1910 in Gertianosch enthüllt wurde. Über dieses sogenannte „Einwanderungsbild“ wird an geeigneter Stelle ausführlicher die Rede sein.
In einer Aufzeichnung schreibt Jäger persönlich: „Nach Vollendung dieses Triptychons, welches ich teilweise in der engeren Heimat ausführte, habe ich meine weitere malerische Tätigkeit begonnen, welche hauptsächlich dahin gerichtet war, meinen Landsleuten die Kunst zugänglich zu machen, indem ich mich bemühte in leichte verständlicher Form, Motive aus dem Banater Volksleben und Landschaften darzustellen.“
Das Einwanderungsbild wurde bei seiner Enthüllung von tausenden Volksdeutschen bewundert und alle zollten dem jungen Kunstmaler Anerkennung, Bewunderung mit Liebe und trugen seinen Ruhm bis in die entlegensten Dörfer der sogenannte Banater Schwaben. Der seinerzeit allgemein bekannte Abt-Domherr Franz Blaschkovics hielt die Enthüllungsrede.
Da der junge Kunstmaler Stefan Jäger in der Großstadtluft sich nicht wohl fühlte, entschloss er sich, von der Liebe seiner geliebten Banater Schwaben angezogen, im Jahre 1910 in Hatzfeld niederzulassen, wo er dann bis zu seinem Tode am 16. März 1962 wohnhaft blieb. Er stellte fest, dass dieses ihm günstige Bedingungen bietet, seine volkskundlichen Studien, die er in Tschene begann und an denen er sein ganzes Leben hindurch inniglich hing, fortzusetzen und sie dann später immer mehr, bis in die entlegensten Schwabendörfer auszudehnen. Zur Zeit der Niederlassung Jägers in Hatzfeld war dieses eine Großgemeinde, die sich zu einem Marktflecken entwickelt hat und von diesem, durch eine namhafte Industrie gefördert, schließlich zur Kleinstadt wurde.
Es ist am Platz, hier die schönen Worte von Robert Reiter einzufügen: „Es kann Hatzfeld nicht hoch genug angerechnet werden, dass ein Maler vom Wesen Jägers, hier die Möglichkeit für seine Betätigung gefunden hat und dass er sie bis ins hohe Alter hinein behalten konnte, durch sein ununterbrochenes Bekenntnis zum Menschlichen, zur Schönheit des Lebens bei Arbeit und Fest, durch seine Treue zum einfachen Volke, in seiner rührenden Liebe zu allem, was diesem gehörte, vom Spinnrad bis zum Zapfenbrett, von einer einfachen Schnitzerei bis zum Barockgiebel der Bauernhäuser, vom Kerweihstrauß bis zur Haartracht der aufgesteckten Zöpfe, von den einfachen Ornamenten an Möbelstücken bis zu den in die prächtige Seide der Röcke hineingewebten Blumen.“
Im Anfang fiel die Anwesenheit Jägers in Hatzfeld nicht viel auf, da er bis zum Ausbruch des ersten Weltkrie-ges in 1914 fleißig für die Kunsthandlung in Budapest, die sein früher genannter Freund leitete, malte und seine volkskundlichen Studien ganz unauffällig betrieb. Da aber sein Name nach der Enthüllung des Einwan-derungsbildes in Südungarn, insbesondere im Banat und der Batschka immer mehr bekannt wurde, mehrten sich die Aufträge aus diesen Gebieten und außer Heiligen-, Landschaftsbildern und Stillleben, begann man allmählich Genrebilder zu wünschen.
In der einen, seiner oben erwähnten, mit Hand geschriebenen Schrift für einen Lebenslauf, schreibt Jäger: „eine unangenehme Unterbrechung kam durch den ersten Weltkrieg, den ich auch leider mitmachen musste von 1914 – 18. Zurückgekehrt, nahm ich meine Tätigkeit wieder auf.“
Jäger war im ersten Weltkrieg an den Fronten in Serbien, Italien und Siebenbürgen. Er hatte auch als Soldat in seiner wenig freien Zeit gemalt. (Schreiber dieser Lebensdaten, gab seinem Sohne Helmuth, zwei Aqua-relle aus dieser Zeit Jägers. Das eine stellt die durch Kriegseinwirkung niedergebrannte Sabacser Kirche dar, das andere eine Balkan-Gebirgslandschaft).
Der Ausgang des Weltkriegs in 1918 mit seinen neuen Landesgrenzen, trennte den Kunstmaler Jäger end-gültig von Budapest und so wurde auch seine Verbindung mit der früher erwähnten Kunstwarenhandlung unterbrochen. Hatzfeld wurde bis zum Jahre 1925 ein Teil des jugoslawischen Banates und wurde dann durch eine Grenzregelung endgültig an Rumänien angeschlossen.
Es ist bekannt, dass im alten Ungarn sehr ernste Bestrebungen im Gange waren, die Volksdeutschen zu magyarisieren, so auch die Schwaben in Südungarn. Dem hat der Ausgang des ersten Weltkrieges ein Ende gemacht. Sowohl in Jugoslawien wie in Rumänien kam eine deutsche Bewegung auf, die bestrebt war, die ungarische Gesinnung aus den Schwaben im gewesenen Südungarn (Banat, Batschka und Syrmien), wie-der auszulöschen, sie zur Treue dem neuen Vaterland gegenüber zu erziehen und sie zu selbstbewussten deutschen Menschen zu machen. Diese deutsche Bewegung führte in Jugoslawien zur Gründung des Kul-turbundes mit dem Sitz in Neusatz, in Rumänien zur Gründung der Deutsch-schwäbischen Volksgemein-schaft mit dem Sitz in Temeswar. Jäger hatte sich dabei niemals als Politiker betätigt, aber man wurde auf ihn, den schwäbischen Kunstmaler immer mehr aufmerksam, obzwar er nie in der Öffentlichkeit auftrat, son-dern man könnte sagen, er blühte wie ein Veilchen im Verborgenen. Sehr intelligente Menschen sagten, auch unser sehr verehrter alte Hatzfelder Heimatdichter Peter Jung, sie wurden erst nach Beendigung des erstem Weltkrieges darauf aufmerksam, dass der Kunstmaler Stefan Jäger in Hatzfeld, unter ihnen lebt. Man wurde auf seine schönen Bilder, welche Heidelandschaften, dann die Schwaben an der Arbeit und ihre Sit-ten und Gebräuche, nicht zuletzt mit ihren farbenprächtigen Trachten, darstellen, immer mehr aufmerksam, sein Einwanderungsbild aber wurde zum Symbol der Volksdeutschen im Südosten. Jäger hat auf die Rück-verdeutschung der Schwaben im gewesenen Südungarn, durch seine schönen Genrebilder viel mehr Ein-fluss gehabt als so mancher lautstarke Politiker. Das große Interesse, dass durch die deutsche Bewegung für seine Genrebilder entstand, hat die Aufträge für Heiligenbilder, Portraits und Stillleben immer mehr in den Hintergrund gedrängt.
Hier ein paar Zeilen aus Jägers eigenhändigen Lebenslaufnotizen: „Cca 1930 herum war von meinen Arbei-ten eine Collektiv-Ausstellung in Groß-Betschkerek. Die meisten Auftraggeber waren im jugoslawischen Teil des Banates und der Bacska. Darunter auch der Kulturbund in Neusatz. Die ausgestellten Bilder waren Pri-vatbesitz.“ Diese Zeilen machen es einem verständlich, dass die Behauptung alter Hatzfelder Jägerverehrer stichhaltig ist, dass bis zum zweiten Weltkrieg der Großteil der Jägerbilder nach Jugoslawien verkauft wurde, umso mehr, da es bis dahin im Grenzverkehr keine Schwierigkeiten gab.
Jäger hatte in Hatzfeld im Laufe der fünf Jahrzehnte, die er hier wohnte, in drei verschiedenen Gassen ge-wohnt. In der letzten Zeit in der sogenannten Hauptgasse, Strada Tudor Vladimirescu Nr. 98. Hier war im Hofe sein geräumiges und hohes Atelier, das mit seinen großen Fenstern nach dem Süden schaute. Er malte am liebsten mit Ölfarben. Die Zahl seiner Ölbilder beläuft sich auf ungezählte hunderte. Nichtsdesto-weniger hat Jäger auch hunderte Aquarelle gemalt, die von manchen Kunstkennern noch höher geschätzt werden, als seine Ölbilder. Bevor aber von den Bildern selbst, den Bildmotiven und der künstlerischen Wer-tung der Arbeit des Kunstmalers gesprochen werden soll, ist es angebracht, über ihre Vorstufen, die Skiz-zen, einiges zu sagen. Stefan Jäger machte bekanntlich eingehende und umfangreiche volkskundliche Studien, die er auf seinen Skizzenblättern festhielt, um durch sie eine gute Grundlage, vor allem für seine Genrebilder, zuhaben. Diese Studien betrieb er mit den Augen des Kunstmalers und nicht als Wissen-schaftler der Volkskunde, um nur volkskundliche Arbeit zu leisten und das volkskundliche Wissen zu meh-ren, obzwar diese seine Arbeit, auch diesen Gewinn brachte. Bei einem Kunstmaler kann man wohl die Skizzen auch als Früchte der malerischen Inspiration betrachten, die sich dann in die größeren Inspirationen der Bildmotive eingliedert.
In den Notizen Jägers für seinen Lebenslauf ist nur mit einem Satz von Skizzen die Rede, wenn auch hier daraus drei Sätze zitiert werden: „1954 habe in Temesvar bei einer Regionalausstellung teilgenommen, wo auch ein Stück für das Regionalmuseum angekauft wurde. Dorthin habe ich auch Skizzen und Entwürfe überlassen (150 Stück). Auch ein in Aquarell und Deckfarbe ausgeführtes Bild (Festtag) war bei der Regio-nalausstellung in Temesvar 1954 für das Museum angekauft.“ Laut Information vom Kunstmaler Franz Ferch, der Präses der Vereinigung der Temesvarer Filiale der Plastikkünstler ist, hat das Temesvarer Regionalmuseum Jäger als Ehrengabe für die 150 Skizzen 13.000 Lei gegeben.
Nach dem Tode des Kunstmalers Stefan Jäger übernahm seine Nichte Maria Jäger mit dessen Verlassen-schaft ca. 600 (sechshundert) Stück Skizzen, die der Verstorbene in seinen letzten Lebensjahren, nach Themen in Mappen geordnet hatte. Sie hatte diese Skizzen dem Temesvarer Regionalmuseum zum Kauf angeboten und sie wurden von einer Kommission geprüft, aber man hat sie ihr mit der Bemerkung zurück-gegeben, sie möge sie auch weiterhin aufbewahren. Es hatte ihr zum Trost gereicht, dass bei dieser Gelegenheit der Kunstmaler Franz Ferch zu ihr sagte: „Ich habe Meister Jäger aufrichtig verehrt.“
Am 10. August 1968 sandte Maria Jäger dem Verfasser dieses in bescheidenem Rahmen gestalteten Lebenslaufes, nachstehende Aufstellung (Klassifizierung) der bei ihr befindlichen ca. 600 Skizzen von Jäger:
1. Das Volksleben der Banater Schwaben a) Bauarten b) Trachten c) Typen d) Landwirtschaftliche Arbeit auf dem Acker (hauptsächlich um die Weizensaat, Maispflanzungen, Ernte und der Bauernhof, Hausfrau, Kinder, Haustiere). e) Mußestunden: Spinnstube, Kartenspiel, Plaudereien, Gesang. f) Festtage: kirchliche und mit der Kirche verbundene Gebräuche, Tanz
2. Landschaften: Das Flachland des Banates in den vier Jahreszeiten, doch hauptsächlich im Frühling und Sommer auf dem Feld und im Wald.
3. Stillleben: Blumen und Obst
4. Gemüsemarkt
5. Porträte
6. Zigeuneridylle
Was das weitere Schicksal dieser Skizzen sein wird, ist derzeit eine Frage. Es wäre allerdings schade, wenn sie in unbefugte Hände geraten würden
Zur richtigen Einschätzung der Skizzen ist es angebracht, die Würdigung dieser durch einen Kenner des ganzen Lebenswerkes des Kunstmalers Stefan Jäger wiederzugeben, wie sie uns der Schriftsteller Robert Reiter in zwei Artikeln bietet, die im Jahre 1957 erschienen sind, als unser geliebter Meister sein achtzigstes Lebensjahr vollendete. Paar Worte hat der Verfasser frei wiedergegeben und paar Sätze weggelassen, da Jäger geraume Zeit nach dem Erscheinen genannter Artikel, das Ordnen seiner Skizzen beendete und die Hoffnung des Artikelschreibers, dass in farbiger Wiedergabe ein Trachtenbuch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, bis zu Stunde nicht erfüllt wurde und dem Anschein nach, noch lange nicht erfüllt wird.
Aus dem einen Artikel: „Neben dem Gesamtwerk, das über das ganze Gebiet des Banates zerstreut ist, liegt Jägers Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft, in seinen reichen Skizzenmappen eingeschlossen, die eine wahre Schatzkammer der Dokumente, schwäbischen Volkslebens darstellen. Die Ereignisse der Be-obachtungsarbeit von Jahrzehnten, liegen in diesen Blättern verschiedener Größen, in diesen Aquarellen und zum kleineren Teil Bleistift- und Tuschskizzen, die oft die Jahreszahl ihrer Entstehung und verschie-dene, mit Bleistift gemachte Anmerkungen ausweisen.“
So ist eine Skizze der Mädchentracht von Neubeschenowa, durch folgenden Text begleitet: „Blumen in Sil-berfarbe, ähnlich wie Sackelhausen“. Skizzen eines Erntefestes mit der Zeichnung eines halbkugelförmigen Ohrgehänges in Großausführung, Tanzausführung, Tanzpaare aus Bakowa, wechseln mit Schnitterinnen aus Kleinbetschkerek ab, zu denen die Bemerkung geschrieben ist, dass die besonderen breiten Strohhüte im Schnitt auch von den Männern getragen werden, neben einer Stube aus Guttenbrunn (Ofen, Spinnrad, Schubladkasten, Bett, davor Stühle und Tisch mit Krug) eine Frau beim Bügeln, ein malerisches Gassl und das Bild eines Silvesterständchens der Blechmusik aus dem gleichen Dorf. Sackelhausen ist durch eine Frauenhaube vertreten (mit Bleistift: Schwarz mit Goldstickerei). „Mattfleischfarbener Spenzer, Hemd mit roten Zacken eingefasst“, liest man neben einem Mädchen in Tracht. Ein anderes Sackelhausener Mädchen ist wie folgt beschrieben: „Tochter Suppe auftragend. Rock hechtgrau.“ Und so geht es fort: Deutschben-tschek und Kreuzstätten, Jahrmarkt und Schöndorf und noch viele andere Ortschaften. Jedes Blatt eine Fundgrube, auf jedem Blatt eine neue Entdeckung. So kehrt das, was dem Ursprung nach dem Volke gehört, über den Kunstmaler wieder dem Volke zurück, als Spiegelbild der schöpferischen Kraft, die ihm innewohnt und die wir an Hand der Jägerschen Skizzen noch besser werden kennen lernen, als es bisher möglich war.“
Aus dem anderen Artikel: „Bereiter als alles andere, überzeugender als das sorgfältigst fertiggestellte Ge-mälde, geben über des Malers innere Haltung, die Richtung seiner Gedanken und über seine Bekenntnisse betreffs der kleinen und großen Dinge des Lebens, die während der vielen Wanderjahre flüchtig gezeich-neten Skizzen, die sparsam konzentrierten Aquarellwiedergaben, ihm wesentlich dünkender Erscheinungen, Auskunft.“
Die große Bedeutung der Skizzen für die schwäbische Trachten- und Brauchtumskunde, ist vom gleichen Schriftsteller, auch in anderen Aufsätzen hervorgehoben worden. Nach diesem Hinweis schreibt er in obi-gem Artikel wörtlich weiter: „Kerweih- und Erntefest finden da in der Eile des Augenblicks geborene Abbild, die verschleierten weißen Christkind - Engel mit dem Belzebub und dem lichten Reiter, ebenso wie die Drei-könige aus dem Morgenland oder die „Gartenlies“, mit der man schlimme Kinder schreckt und die sich zwi-schen den im Winde raschelnden Maisstängeln zu verstecken pflegt. Man trennt sich nur schwer von dem Skizzenblatt, auf dem ein Spinnrad mit allen Einzelheiten abgebildet ist; es ließe sich schwer entscheiden, was den tieferen Eindruck erweckt, die Schönheit des Gerätes, die in den Proportionen ruht, oder das Sinn-reiche des Gegenstandes, das sich einem durch die natürlichen Assoziationen erschließt. Die vielen Pferde-skizzen bezeugen die schwäbische Begeisterung für schöne Rosse, die Grabatzer, Großjetschaer und Lenauheimer Abstamms allenthalben begehrt wurden.“ „Neben scheinbar ganz peripheriellen Skizzen wie „Hühner bei Regen,“ oder „Bau einer Fronleichnamska-pelle“, „Studien über Bauernhände mit den fächergleich geordneter Spielkarten“ oder Versuche, Fata-Morga-na-Erscheinungen der Heide auf einer ganzen Reihe von Blättern festzuhalten, wobei die Tageszeit und der Einfall des Gegenlichts angegeben ist, kehrt immer wieder ein großes, sich trotz allem durchsetzendes Leit-motiv, die Arbeit, zurück: die verschiedenen Phasen der Bewegung, die beim Mähen die Sense breit aus-schwingen lässt und die harte Mühe eines Schwerarbeiters, der mit dem entblößten, nach hinten gestemm-ten Oberleib, einen anstrengenden Handgriff auszuführen hat.“
Aus der großen Anzahl der Skizze kann man auf die Vielfalt der Bildmotive des Kunstmalers Stefan Jäger schließen. Wie groß die Anzahl der Bildmotive im engeren Sinne war, also die Varianten einzelner Bilder nicht gerechnet, lässt sich heute nicht mehr feststellen, da die Jägerbilder weit und breit zerstreut sind und wie wir noch hören werden, viele schon verloren gingen. Die Zahl seiner Bildmotive beläuft sich jedenfalls auf weit über 100. Nach grober Schätzung sind ca. 75% der Bildmotive Jägers aus dem Leben und Wirken und den Sitten und Gebräuchen der Banater Schwaben entnommen, die restlichen ca. 25% sind Motive aus den Banater Landschaften, Stillleben, Porträts, Heiligenbilder und paar Zigeuneridyllen. Es interessierten zwar Jäger auch Bildmotive der mit den Schwaben im Banat wohnenden anderen Nationalitäten, aber mit seinem Pinsel hielt er sie nie fest, wie das auch seine Nichte Maria Jäger ausdrücklich hervorhob. Er wollte seine Kraft nicht verzetteln und hat sich bis in die kleinsten und feinsten Einzelheiten des Lebens der Banater Schwaben eingelebt, man könnte sagen, spezialisiert und die Inspirationen, die ihn dabei überka-men, in Bildern auf der Leinwand und auf dem Papier festzuhalten, machten ihm große Freude. Während seines ganzen Lebens blieb er den Prinzipien, die er als junger Kunstmaler fasste, immer treu: „Meine male-rische Tätigkeit war hauptsächlich darauf gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder, in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen und war darauf bedacht, auch den weniger bemittelten Volksgenossen die Möglichkeit zu geben, solche Bilder zu beschaffen“, um wie man ergänzen kann, die „Dutzendbilder“ zu verdrängen. Daher musste Jäger eben auch viel malen und sein ganzes Leben ging in dieser Arbeit auf. So ein gigantisches Ziel, aber kann ein Mensch allein, wenn er auch noch so tüchtig ist, nicht erreichen. Da hätte wohl ein ganzes Kollektiv von Kunstmalern an der Arbeit sein müssen und es wäre erwünscht gewesen, noch tausende Reproduktio-nen von ihren Bildern anzufertigen, um in jedes deutsche Haus einzudringen. Reproduktionen gab es aber nur vom Einwanderungsbild, die allerdings gut verbreitet waren.
Der Kunstmaler Jäger malte, wie schon früher gesagt wurde, ungezählte hunderte von Bildern. Dabei konnte man von ihm nicht erwarten, dass er ein Bildmotiv nur einmal malt, wie das manche große Kunstmaler pfle-gen, um so mehr, da er nur von seiner Kunst, d. h. vom Erlös seiner Bilder lebte und gar keine andere Ein-nahmequelle hatte. Er war aber bestrebt, seine Bildmotive zu variieren. Von manchen beliebten Bildmotiven gibt es daher viele Variationen, wie z. B. von manchen beliebten Volksliedern Variationen gibt. Wiederholt wünschten sich Volksgenossen von seiner Hand gemalte Kopien vom Einwanderungsbild, manche weniger kunstbeflissene, wohlhabende Bauern beauftragten ihn, Kopien auch von anderen seiner Bildmotive zu malen, denn sie sagten, sie wünschen gerade so ein Bild zu besitzen, wie X oder Y eines hat.
Um die fast sechs Jahrzehnte währende malerische Arbeit Jägers richtig einzuschätzen, ist es angezeigt, an dieser Stelle zwei Kunstkenner zu diesem Thema sprechen zu lassen, denn Schreiber dieses Lebenslaufes betrachtet sich nur als ein Verehrer des Kunstmalers und als ein Liebhaber seiner Bilder, ist aber kein Kunst-sachverständiger.
Zunächst eine Stellungnahme Robert Reiters zu dieser malerischen Arbeit, aus einem seiner früher genann-ten Artikeln: „Sie ist in ihrer Gesamtheit durch eine vielfältige Thematik, durch die Art und Weise, wie sie den Alltag und das Festliche der Menschen widerspiegelt, durch ihre realistischen Vorzüge, ihre Wirklichkeits-nähe, aber auch durch ihre Schwächen, ihre zeitweiligen Zugeständnisse an einen Kunstgeschmack an-fechtbarer Art, der Banater Heimat, zugehörig. Ihr positiver Zug besteht darin, dass die Landschaft ihre höchste Sinnerfüllung durch die Arbeit empfängt, die der Mensch in ihr vollbringt. Das Wesentliche des Banates ist, dass es in rund zweihundertfünfzig Jahren einen mehrfachen Gestaltungswandel durchgemacht hat, dank der friedlichen Macht menschlicher Betätigung, die ein Netz von geordneten Wasserläufen schuf, ohne Unterlass Neuland eroberte, sprachliche Verschiedenheiten durch gleichgerichtetes Tun überbrückte, die Erde schon vor hundert Jahren durch Eisenbahnen erschüttern ließ und den Menschen bezwingende Zukunftsgläubigkeit verlieh. Aus diesem Grund ist auch das Gesamtwerk Jägers von einem optimistischen Glanz überzogen. Es ist ein aus ungezählten hunderten Stücken bestehendes Lebenswerk, von dem man wirklich sagen kann, dass es mit dem Leben des Volkes verschmolz, als dessen Abbild es geschaffen worden und dem es als solches zugedacht war. Es wäre ungemein schwer, dieser Zerstreuung der Jäger-bilder über einen großen Teil des Banates nachzuspüren, ja es wäre von vornherein aussichtslos, ein Inventar von Jägers Bildern anlegen zu wollen. Sein Werk ist nicht nur geistig, sondern auch tatsächlich Eigentum des Volkes geworden.“
Elisabeth Axmann schreibt im Jahre 1958 in einem kurzen Aufsatz über den Kunstmaler Stefan Jäger unter anderem folgendes: „Jedem oberflächlichen oder formalistischen Streben fern, blieb Jägers Kunst stets der Wirklichkeit treu, sie war in all den Jahren, dem an Arbeit und auch malerischen Festen reichen Leben, der Banater Schwaben gewidmet. Denn Stefan Jäger, davon zeugt sein ganzes Werk, hängt an seiner Heimat mit inniger, unwandelbarer Liebe, der auch die lebendigen Quellen seines künstlerischen Schaffens ent-springen. In liebevoller Mühe hat er, der von blasierten und entwurzelten Ästheten oft als ‚Bauernmaler’ über die Achsel angesehen wurde, ein Werk geschaffen, das wohl über die Tageserfolge manch eines ,…stischen’ Malers hinausging und lebendig bleiben wird.“
Es ist gebührend, über das Einwanderungsbild des Kunstmalers Stefan Jäger im Zusammenhang seines Lebenswerkes ausführlich zu schreiben, soweit der Rahmen dieser bescheidenen Arbeit es erlaubt, ja es würde sich lohnen, dass ein Kunstsachverständiger eingehend sich mit diesem Thema befasst. Am besten stellt uns dieses unser nun schon wiederholt zitierter Schriftsteller und guter Jägerkenner Robert Reiter vor. Aus seinem zu Ehren des 80. Geburtstages des schwäbischen Altmeisters geschriebenem Artikel entneh-men wir folgende aufschlussreiche Teile:
„Das Hauptwerk Stefan Jägers ist das große, 6 m lange und etwa 1.40 m hohe Triptychon, „Die Einwande-rung der Schwaben ins Banat,“ kurz Einwanderungsbild, ein dreiteiliges Ölgemälde, dessen Einzelteile trotz der Trennung voneinander, nicht nur thematisch, sondern auch darstellungsmäßig zusammengehören. Das Mittelstück setzt das auf dem ersten Dargestellte sowohl landschaftlich als auch in figuraler Hinsicht fort und mündet auf die gleiche Weise in das dritte ein. Das Werk zeigt eine Gruppe von Kolonisten auf der Wande-rung durch die damalige Banater Einöde, stellt sie auf der Rast unterwegs dar und bietet zum Schluss ihr Abbild auf der Stätte der Erfüllung, vor den halbfertigen Siedlerhäusern, in dem Augenblick, da ihnen die Be-sitzurkunde überreicht werden soll. Ein kollektives Menschenschicksal zwischen zwei Polen: zwischen der Loslösung von der alten Heimat, deren Staub sie von den Schnallenschuhen schon längst abgeschüttelt haben und der nunmehr wahr gewordenen Begegnung mit der neuen Heimat, mit dem was ihnen verheißen wurde und wovon während der langen Fahrt, ihre Träume voller Unruhe waren. Etwa achtzig kleinere und größere Gestalten bevölkern dieses Werk. Es ist also keine Übertreibung, wenn man es eine Darstellung kollektiven Schicksals nennt. Bloß ein einziger Mensch gehört nicht in ihre Reihe, ein Mann auf dem dritten Bildteil, der sie in ihr neues, aus halbgedeckten Rohbauten bestehendes Dorf einweist.“
„Das Einwanderungsbild hat thematisch seine Vorgeschichte in mehreren Aquarellblättern, die zum Teil den Aufbruch in Deutschland zeigen: Die Kolonne der Auswanderer strömt durch das Gänstor von Ulm auf den Donaustrand. Ein schwerer Bagagewagen fährt gerade über die Aufzugbrücke und weit unten sind die Fahr-zeuge zu sehen, die wegen ihrer viereckigen Form „Ulmer Schachteln“ genannt wurden und die die von kai-serlichen Agenten Geworbenen nach dem Banat zu bringen haben. Zwei Skizzen stellen die Ankunft im Banat dar, die Ausschiffung in Anwesenheit kaiserlicher Beamten und eines Mönches ist im Gange, der An-fang des Zuges hat sich schon gebildet und setzt sich mit einem Ochsengespann an der Spitze in Bewe-gung, um landeinwärts zu ziehen. Ein zweites Blatt enthält eine Variante dieser Begebenheit. Diese Ent-würfe blieben unausgeführt. Das große Einwanderungsbild hat dagegen ein Pendantstück, ein Aquarell, gleichfalls ein Triptychon, doch kleinen Formats. Der erste Teil ist Ausschnitt aus einer Banater Sumpf-landschaft, das Mittelstück stellt Vater und Sohn dar, als sie die erste Furche ackern, während der abschlie-ßende Teil schöne, der Ernte entgegen harrende Fluren und die Häuserreihe eines freundlichen Dörfchens im Hintergrund erkennen lässt. Das große Ölgemälde, das Aquarell-Triptychon, das lange vor dem Krieg ins Ausland gelangt ist und die drei Skizzen, die Studienreise, die Jäger im Jahre 1906 nach Deutschland unter-nahm, um die Trachten der Einwanderungszeit kennen zu lernen, die Arbeit an dem Gemälde, die sich in Abständen auf beinahe drei Jahre erstreckte, alle diese Tatsachen zeigen uns, mit welchem Eifer sich Jäger seinem Gegenstand widmete und wie vielfältig er sich damit auseinander setzte. Sie berechtigt uns, das geschichtliche Thema der Einwanderung als das Zentralthema in seinem malerischen Schaffen, das Gemäl-de selbst, als sein Hauptwerk zu betrachten.“
Das Einwanderungsbild wurde seinerzeit in halbfertigem Zustand von Budapest nach Temeswar, von da nach Gertianosch und dann wieder nach Budapest gebracht, jedes Stück für sich zusammengerollt, bis es nach drei Jahren vollendet war. Die Fahrt von Gertianosch nach Temeswar im Jahre 1910 sollte aber nicht die letzte Fahrt des Gemäldes gewesen sein. Während des zweiten Weltkrieges gelangte es aus dem Banater Museum in den Besitz des im Rahmen der Volksgruppe bestandenen Forschungsinstitutes, das es vor den im Frühjahr 1944 einsetzenden Bombenangriffen nach Blumenthal evakuierte.
Das Einwanderungsbild wurde im Jahre 1945 in das Banater Museum zurückgebracht, das in Temeswar im denkwürdigen Schloss der Hunyadis untergebracht ist.
Um ein abgerundetes Bild über das Thema Einwanderungsbild zu bekommen ist es angebracht, an dieser Stelle paar Sätze aus der Monographie von Dr. Matz Hoffmann „Hundertfünfzig Jahre deutsches Gertia-nosch“ und einige diesbezügliche Informationen des jetzt 76jährigen pensionierten Lehrers Simon Kreppel anzuschließen. Dr. Matz Hoffman schreibt auf Seite 57 seines Buches im Zusammenhang eines Berichtes über „Die Aus-stellung 1910“ in Gertianosch folgendes: „Wenn die Ausstellung für diese Gemeinde ein selten schönes Fest darstellte, so muss ein Ereignis, welches sich damals in Gertianosch zutrug, in seiner Bedeutung für das ganze Banat rühmlich hervorgehoben werden. Es handelt sich um die Enthüllung des Bildes vom Maler Stefan Jäger ‚Die Einwanderung der Schwaben’. Dieses Bild ist in Banater Schwabenkreisen allgemein bekannt. Die Idee zu seiner Schaffung gab Jakob Knopf, ein eifriger Förderer war Adam Röser. Jäger wohn-te damals in Tschene. Er schuf ein Bild auf Grund von Trachtenstudien, die er in Deutschland vollführte. Röser fand das ursprüngliche Einwanderungsbild in seinen Maßen zu klein. So musste Jäger ein zweites schaffen. Es ist das heute bekannte.“ Die letzten drei Sätze veranlassen einen nachzudenken und weiter zu forschen.
Der pensionierte Lehrer Simon Kreppel besitzt eine 23 x 16,5 cm große Photographie, die anlässlich der Enthüllung des Einwanderungsbildes im Jahre 1910 in Gertianosch aufgenommen wurde. Sie ist ein vor der Gertianoscher Gewerbehalle aufgenommenes Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder mit ihren Fami-lienangehörigen und dem Kunstmaler Stefan Jäger in ihrer Mitte. Auf der Rückseite dieser Photographie schrieb Kreppel in 1910 in ungarischer Sprache Aufzeichnungen, die hier in deutscher Sprache frei, aber sinngenau, wie folgt übersetzt wurden: “Diese Photographie wurde anlässlich der Enthüllung des Einwande-rungsbildes aufgenommen. Für diese Enthüllungsfeier haben die Gewerbetreibenden eine Gewerbeaus-stellung veranstaltet. Aber auch der Südungarische Landwirtschaftliche Verein wollte nicht hinter unseren Gewerbetreibenden zurückbleiben, auch er hat sich angeschlossen. Dieses große Einwanderungsbild ist durch die tatkräftige Unterstützung der Gewerbetreibenden seitens Anton Gamauf und Bankdirektor Johann Walzer zustande gekommen, so dass der Kunstmaler Stefan Jäger in das Mutterland fahren konnte, die Volkstracht zu studieren, die unsere Ahnen zur Zeit der Einwanderung trugen. Johann Walzer hat mit 200 Kronen den Sammelbogen eröffnet, den unsere Gewerbetreibenden auch unterstützt haben. Lehrer Simon Kreppel wurde als Sekretär mit der Sammlung betraut. Diese Photographie zeigt das Veranstaltungskomitee mit dem Kunstmaler Stefan Jäger, auf den das Zeichen X hinweist. Die Spender haben insgesamt 4.560 Kronen gespendet, mit welcher Summe der Kunstmaler sein Studium in Deutschland vollführte und das drei-teilige Einwanderungsbild beenden konnte.“ Soweit die Aufzeichnungen.
Lehrer Simon Kreppel, der von den jetzt noch Lebenden über die Entstehung des Einwanderungsbildes und die Geschichte seiner ersten Jahre am besten informiert zu sein scheint, verdient kurz vorgestellt und ange-hört zu werden, damit einem gewisse Zusammenhänge klar werden. Er ist derzeit 76 Jahre alt, war von 1907 bis 1929 Lehrer in Gertianosch, also auch in der Zeit, als das Einwanderungsbild gemalt, enthüllt und verkauft wurde, lebt seit 1940 ebenda als Pensionist und hat ein Gedächtnis, das an ein medizinisches Wunder grenzt. Er hatte den Kunstmaler Stefan Jäger und die Personen, die bei der Entstehung und beim Verkauf des Einwanderungsbildes eine Rolle spielten, alle sehr gut gekannt. Kreppel weiß von engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Chirurg-Arzt-Stellvertreter-Familie Franz Jäger und der ebenfalls Feldscher-Familie Klein in Gertianosch, welche letztere wieder mit dem seinerzeit namhaften Bür-germeister von Temeswar, Karl Telbisz, verwandt war. Ein weibliches Mitglied der Familie Klein war mit einem Manne aus der einflussreichen kroatischen Familie Vuchetich aus Tschene verheiratet, eine Tochter dieses Ehepaares wieder war die Frau von Kreppels Bruder, der Notar war und durch die verwandtschaft-lichen Beziehungen seiner Frau, als Sekretär bei der Verwaltungswirtschaft der Stadt Temeswar angestellt wurde. Adam Röser, der erste Postmeister von Gertianosch, Gründer des Gertianoscher Konviktes in Szegedin und Gründer der ersten Gertianoscher Sparkassen-Aktiengesellschaft, hatte ebenfalls eine Frau aus der Vuchetich-Sippe. So wurde auch damals, in der verkehrstechnisch noch armen Zeit, Fäden hin und her gesponnen und natürlich sprach man zuweilen auch über neue Ereignisse. Und so sprach wohl eines Tages Adam Röser mit dem Buchhalter seiner Bank, Jakob Knopf, über den „Landsmann“ seiner Frau, den vielversprechenden jungen Kunstmaler Stefan Jäger. Da meinte wohl Jakob Knopf, es wäre schön und gut, wenn Jäger ein Bild über die Einwanderung der Banater Schwaben malen würde. Wie aber so ein Bild gemalt werden sollte, darüber hatte er ganz gewiss nur eine ganz nebelhafte Vorstellung. Der geistesrege Adam Röser befreundete sich mit der Idee von Knopf und es gelang ihm für sie, die Besten von Gertianosch zu gewinnen, um Jäger zu beauftragen, die Einwanderung der Banater Schwaben zu malen. Zu diesem Zwecke haben dann der Gertianoscher Kasinoverein, Leseverein, Gewerbeverein, zum Teil auch der Bauernverein Vorträge, Liederabende, Konzerte, Dilettantenvorstellungen und Tanzunterhaltungen veran-staltet, deren Einnahmen sie für das Zustandekommen des Einwanderungsbildes widmeten. Es wurden aber auch direkte Spenden gesammelt, wobei Röser ein gutes Beispiel gab und als ein hübsche Summe beisam-men war, beauftragte er den Kunstmaler Stefan Jäger, das Einwanderungsbild zu malen und förderte eben mit seinem Bemühen, Jäger entsprechend zu honorieren, das Zustandekommen des Bildes. Wie das Bild gestaltet werden soll, damit musste Jäger sich selbst auseinandersetzen, bis ihm die große Inspiration zu dem dreiteiligen Triptychon mit der Darstellung der Wanderung, der Rast und der Ankunft der Einwanderer am Bestimmungsort kam. Jäger malte dann das „ursprüngliche“ Einwanderungsbild (um das treffliche Wort von Dr. Matz Hoffmann zu gebrauchen), so wie das Einwanderungsbild allgemein bekannt ist, mit dem Unterschied, dass seine Figuren mit der Tracht der Banater Schwaben gekleidet waren, wie sie sich nach der Ansiedlung im Banat abgewandelt bzw. entwickelt hat. Das fertige Bild war ca. 3 m lang und es wurde zur Besichtigung im Gertianoscher Kasinoverein ausgestellt. Der Präses des Kasinovereines, ein intelli-genter Bauersohn mit Reifeprüfung und Direktor der Gertianoscher Kleinbauernsparkasse, Johann Walzer, unterzog das Bild einer kritischen Betrachtung und beanstandete auf höfliche Weise, dass die Figuren des Bildes nicht mit der Originaltracht der Einwanderungszeit bekleidet sind. Seiner Meinung schlossen sich dann auch andere intelligente Mitglieder des Kasinovereines an, so vor allem der Präses des Gewerbe-vereines Anton Gamauf. Der junge Kunstmaler Stefan Jäger hat die Berechtigung dieser Kritik anerkannt und gewürdigt. Auf Betreiben von Johann Walzer wurde beschlossen, dass Jäger nach Deutschland fährt, um die Volkstracht der Einwanderungszeit zu studieren. Das geschah dann auch im Jahre 1906. Anton Gamauf beantragte für diese Studienreise ein Sammlung zu veranstalten und mit der Durchführung dieser wurde der Lehrer Simon Kreppel beauftragt. Die Sammelliste eröffnete Johann Walzer mit 200 Kronen und es flossen insgesamt 4560 Kronen ein, somit eine hohe Summer, mit der man damals z. B. ca. 4 ½ Waggon Weizen hätte kaufen können. Da nun das Einwanderungsbild noch einmal gemalt werden sollte, beantragte Röser, es größer zu malen als das erste und so malte dann auch Jäger das vorher von Robert Reiter beschriebene große Einwanderungsbild, das 6 m lang und ca. 170 cm hoch ist. Das erste, also das kleinere, wie Dr. Hoffmann eine treffende Bezeichnung gab: „ursprüngliche“ Einwanderungsbild, blieb im Besitz von Adam Röser, während das zweite große Einwanderungsbild gemeinsamer Besitz von Jäger und Röser wurde. Dieses Gemälde wurde zu Pfingsten im Jahre 1910 mit einer schönen Feierlichkeit, im Rahmen einer in Gertianosch veranstalteten Gewerbe- und Landwirtschaftsausstellung, enthüllt und auch von vielen auswärtigen Besuchern bewundert.
Röser geriet inzwischen durch Fehlspekulationen der von ihm gegründeten Sparkasse in materielle Schwie-rigkeiten und veranlasste auch Jäger, das große Einwanderungsbild zu verkaufen. Durch gute Familienbe-ziehungen wurde für das Gemälde zuerst der damaligen Bürgermeister der Stadt Temeswar, Karl Telbisz, interessiert, dieser Übertrug die Anregung zum Ankauf seinem Nachfolger in seinem Amte, Geml, in dessen Amtszeit dann der Stadtrat von Temeswar den städtischen Obernotar Martin Balassa mit dem Ankauf des Bildes betraute. Das Bild wurde mit 2000 Kronen honoriert, welche Summe Jäger und Röser untereinander teilten. Die Temeswarer Stadtgemeinde schenkte das Gemälde dem Temeswarer städtischen Museum.
Wie man jetzt erfuhr, war nicht nur Adam Röser der „Förderer“ des Einwanderungsbildes, sondern auch andere ehrenwerte Personen aus Gertianosch und wohl gebührt auch der ganzen Gemeinde Gertianosch Dank und Anerkennung. Schon der Spendenbetrag der Gemeinde von 4.560 Kronen fällt doch auf, wenn man hört, dass das Gemälde von der Stadt Temeswar um 2000 Kronen gekauft wurde. Die Summe von 4560 Kronen hat Jäger während seiner Studienreise in Deutschland sicherlich nicht ganz ausgegeben, sondern es blieb ihm von ihr gewiss ein hübscher Betrag als Honorar für seine Arbeit am Einwanderungsbild.
Die schlechte materielle Lage, in die Röser durch Fehlspekulationen der von ihm gegründeten Sparkasse geriet, veranlasste ihn bei der Budapester Verlagsaktiengesellschaft „Franklin“ eine große Anzahl von Re-produktionen vom Einwanderungsbild herstellen zu lassen, die er durch Reisende in den von Volksdeut-schen bewohnten Gegenden des damaligen Ungarn verkaufen ließ, wobei er den größten Teil des Betrages für sich behielt. Wohin aber das erste „ursprüngliche“ Einwanderungsbild aus Rösers Händen gelangte, ist uns derzeit noch unbekannt. Nachforschungen die nach dem Tode Jägers in 1962 angestellt wurde, blieben bisher ergebnislos.
Abschließend zum Thema Einwanderungsbild: wenn man in der Monographie von Dr. Matz Hoffmann über die Geschichte von Gertianosch auf Seite 57 die Worte liest: „Röser fand das ursprüngliche Einwanderungs-bild in seinen Maßen zu klein. So musste Jäger ein zweites schaffen. Es ist das heute Bekannte“, dann müsste man denken, das erste wäre das Originale und das zweite die Kopie. Der Umstand, dass es kleiner war (es hatte allerdings die ansehnliche Länge von 3 Metern) hebt sie Qualifikation „Original“ nicht auf. Dieses kleinere Einwanderungsbild malte doch der junge, talentierte Kunstmaler, auf Grund seiner groß-artigen Inspirationen. Nun aber, wie Lehrer Simon Kreppel behauptet, ist ihm dabei ein Fehler unterlaufen, indem er die Figuren des Gemäldes nicht in der originalen Volkstracht der Einwanderungszeit darstellt, sondern in der Banater schwäbischen Tracht. Ein Fehler, den man gutgemacht hat, ist kein Fehler mehr, sagte ein tüchtiger Mann. Auf dem zweiten Einwanderungsbild wurde der Fehle gutgemacht. Jäger malte dieses auf Grund seiner ersten großartigen Inspiration, gab ihm dieselbe Komposition und kleidete die Gestalten des Bildes in die Originalvolkstracht der Einwanderungszeit. Daher kann man das im Banater Regionalmuseum befindliche große Einwanderungsbild mit ruhigem Gewissen als das Original betrachten und das erste kleinere als das „Ursprüngliche“.
Nach dem zweiten Weltkrieg malte Jäger paar vereinzelte, scheinbar ganz periphere Bilder aus dem Zeit-geschehen, oder durch Beeinflussung aus diesem Grunde heraus, die sich schwer in sein Gesamtwerk ein-fügen lassen. Sie liegen neben seinem Gesamtwerk, wie paar übriggebliebene Mosaiksteinchen neben ei-nem fertigen großen Mosaikbild. Er hat diese Bilder nur auf ausdrücklichen Wunsch der Auftraggeber gemalt und da ihre Motive nicht aus seiner eigenen Inspiration entsprungen sind, hat der nicht alle signiert. Jäger hat zwar die gewünschten Motive mit mehr-weniger Ambition gestaltet, er konnte sich aber nicht recht zu allen bekennen. Er war eben schon alt und brachte kaum die Energie auf, sich an neue Studien zu wagen, um neue Bildmotive zu gestalten. Wenn er noch malte, malte er am liebsten auf Grund seiner alten volkskundlichen Studien, Skizzen und Entwürfen.
Ein Selbstbildnis hat Jäger nicht gemalt, wie das selbstbewusste Kunstmaler gerne zu tun pflegen, nur einen kleinen farbigen Selbstbildentwurf und zwei kleine Zeichnungen mit Stift.
Die meisten Aufträge hatte Jäger aus Kreisen der volksdeutschen Intellektuellen und wohlhabenden Bauern. Je nach Wohlstand haben manche mehr, andere weniger „Jägerbilder“ gekauft, manche waren auch mit 1 - 2 Aquarellen zufrieden. Gewiss gab es auch unter den Kaufleuten und Gewerbetreibenden Jägerliebhaber, die Arbeiterklasse aber konnte sich keine Jägerbilder leisten, wenn diese auch relativ billiger waren, als Bilder von anderen Kunstmalern mit gutem Namen
Durch den letzten Weltkrieg und die Nachkriegsverhältnisse sind viele Jägerbilder verloren gegangen. Es ist bekannt, dass aus Jugoslawien gegen Ende des Krieges ein Teil der Volksdeutschen nach dem Westen ge-flüchtet ist und mit ihrem Hab und Gut auch viele Jägerbilder zurückließen. Ein anderer Teil der Jugoslawi-endeutschen wurde in Lagern durch Seuchen dezimiert und so manche wurden im Ausflusse eines unbarm-herzigen Strafvollzuges liquidiert, weil sie durch das Hitlerregime zwangsrekrutiert, gegen das eigene Vater-land zu kämpfen gezwungen wurden und für ihre Jägerbilder hatten wohl auch kein gutes Schicksal. Auch die Schwaben aus dem rumänischen Banat, die im Nachsommer 1944, von Panik ergriffen, vor der Front nach dem Westen flüchteten, speziell auch aus Hatzfeld, mussten nach ihrer Rückkehr, nachdem Deutsch-land kapituliert hatte, feststellen, dass von ihrem beweglichen Gut, das sie zurückließen, so manches ver-loren ging, darunter auch Jägerbilder. Als man im Jahre 1951 viele Einwohner aus den Gebieten des Bana-tes, die an Jugoslawien angrenzen, in den Bărăgan umgesiedelt hat, haben diese von ihrem beweglichen Gut vieles eingebüßt, vor allem die Hatzfelder auch viele Jägerbilder.
Probebesuch im Sommer 1962 in Hatzfeld, um zu sehen, was an Jägerbildern noch vorhanden ist, haben gezeigt, dass es hier noch immer viele Ölbilder und Aquarelle von Jäger gibt, auf Grund deren alle Zweige seiner Kunst studiert werden können. Es wäre zu wünschen, dass dies in absehbarer Zeit geschieht, bevor weitere Bilder vom Winde verweht werden.
Wenn der Kunstmaler Stefan Jäger auch keine Selbstbildnisse malte, so haben doch alle Menschen mit Herz und Sinn, die ihm nahe standen oder auch nur zeitweilig mit ihm Umgang hatten, von seiner Person ein schöneres und besseres Bild bekommen, als es Pinseln malen können. Von diesem stillen, bescheidenen, innerlich aufrechten, zurückgezogenen Manne, der nur für die Malerei und ausschließlich von der Malerei lebte, gibt uns wohl das schönste Bild, der Schriftsteller Robert Reiter: „Wie er aber dieses lange Leben ge-staltet hat, darin liegt sein besonderes Verdienst. Dass kein Schatten darauf fiel aus den Verfinsterungen, die die Welt seit seiner Jugend immer wieder in Unruhe versetzten, dass von der Glut der Hassbrände, die in seiner engeren und weiteren Umwelt ihre Flammen zeitweilig emporschlagen ließen, nichts in seine Pinsel-striche hineinzudringen vermochte, dass er immer einen klaren Blick für das Menschliche hatte, dass er nie müde wurde, die Arbeit anderer zu preisen, mit Zeichenstift, der Tuschfeder, den Ölfarben seiner Palette und den kleinen runden Wasserfarben – das ist das große Verdienst Stefan Jägers und, dass er nie etwas anderes sein wollte, als dieses eine: ein Freund der Menschen und damit ein Freund des Lebens.“
Es versteht sich, dass so einem Menschen und Künstler, seine Volksgenossen und mit diesen jeder, der volksverbundene und lebendige Kunst zu schätzen weiß, gebührende Anerkennung und Liebe zollte, wenn auch nur rein geistiger Art, dass aber auch eine materielle Unterstützung in Frage gekommen wäre, daran dachte kaum jemand.
Wenn man sagt, Jäger war zeitlebens im bestimmten Sinne ein Einsamer, der einen Kreis um sich gezogen und sich darin eingerichtet hatte, oder sogar dass er in mancher Hinsicht ein Sonderling war, so darf man das gar nicht tragisch nehmen.
Als Junggeselle war Jäger tatsächlich im bestimmten Sinne zeitlebens ein Einsamer. Auf die Frage, warum er nicht geheiratet hat, gab seine Nichte jedenfalls eine sehr treffende, kurze Antwort: „Er wollte kein geteilter Mensch sein.“ Ein Jägerverehrer hat eine romantischere Behauptung: Jäger hatte in jungen Jahren ein Tscheneer schwäbisches Mädchen verehrt, die der Tod zu früh geknickt hat. Er hätte sogar ein Ölbild von diesem jungen Mädchen gemalt. Nun der Durchschnittsmensch neigt gerne zu romantischen Betrachtungen und wartet auch leicht mit der Behauptung auf, Künstler sind Sonderlinge, also muss auch Jäger einer sein. Man muss natürlich auch ihn von diesem Standpunkte aus unter die Lupe nehmen. Was aber da heraus-kommt, ist sehr wenig und reicht nicht einmal aus zu einem Gesprächsthema für ein wortreiches Kaffee-kränzchen. Nun, Jäger hatte z. B. in seinem geräumigen Atelier einen entsprechenden Arbeitsraum in enge-ren Sinne, in dem er malte. Er wollte nicht haben, dass diesen jemand betrete und ging dennoch jemand hinein, so musterte er sehr genau dessen Benehmen und man konnte es sich als eine Ehre anrechnen, wenn man nicht gleich in den Empfangsraum hinauskomplimentiert wurde. Da ging ein ehrenwerter Hatz-felder Bürger sein in Auftrag gegebenes Ölbild abnehmen, es war aber noch nicht unterschrieben. Während nun Jäger das Bild signierte, stellt sich der gute Mann hinter ihn um zuzuschauen. Das sagte Jäger: „Glauben Sie, wenn Sie nicht zuschauen, kann ich meinen Namen nicht schreiben?“ Der alte Meister wollte auch nicht haben, dass man ihn fragt, wie alt er ist. Fragte ihn jemand danach, da kam in der Regel die Gegenfrage: „Warum wollen sie das wissen?“, oder „Warum ist das wichtig?“ Einem Bekannten antwortete er auf die gleiche Frage der schon achtzigjährige Meister: „Ich will noch nicht sterben, ich habe noch große Pläne.“ Es ist menschlich verständlich, aus diesen großen Plänen ist nichts mehr geworden. Seiner lang-ährigen Wirtschafterin, die er wegen ihrer Redlichkeit und Tüchtigkeit gebührend schätzte, schrieb er seine Wünsche und Anordnungen mit einer Kreide auf eine Tafel, obzwar sie lieber mündliche Weisungen gehabt hätte. Jäger wollte eben, sie soll sich ohne viel zu fragen, auf ihre eigene Erfahrung stützen. Er war jeden-falls kein Mann vieler Worte. Dem gemäß wollte er auch nicht haben, dass man ihm gegenüber seine Bilder lobte. Tat man das, dann fuhr er wie überrascht dazwischen: „Na also! Darüber lässt sich streiten,“ und lenkte das Gespräch ab.
Wenn man sagt, Jäger war im bestimmten Sinne ein Einsamer und ein Sonderling, so kann man dem ge-genüberhalten: ein Mensch, der mit so viel Hingabe seine volkskundlichen Studien betrieb und im Ausfluss dieser, so viele Skizzen malte, der so viel Interesse am Leben und Wirken seiner Volksgenossen hatte, der so großen Anteil an deren Sitten, Gebräuchen und Festen nahm, wie es durch Jägers unzählige Genrebilder zum Ausdruck kommt, kann kein Einsamer gewesen sein. Die Innigkeit und Hingabe, mit der Jäger gemalt hat, zeigt jedenfalls, dass er sehr viel Herz und Gemüt hatte. Es handelt sich dabei um eine ganz große Aufgeschlossenheit, die eine Verschlossenheit nur vortäuscht. Wir Durchschnittsmenschen sehen eben vor lauter Bäumen den Wald nicht.
Dieser stille, bescheidene Mann mit Herz und Gemüt, wie es eben Jäger war, hatte einen stillen, feinen Humor, dessen so richtig auch nur der gewahr wurde, der das Stille, Beschauliche liebt. Erwähnt seien hier in diesem Sinne nur ein paar Aquarelle Jägers, welche dies veranschaulichen: Wasser schöpfende und trin-kende, herzige, übermütige Mädchen am Brunnen. Mädchen heben graziös ein wenig, mit einem schel-mischen Zug um den Mundwinkel, ihre prächtigen Röcke beim Überschreiten einer kleinen Wasserpfütze. Ein hübsches Mädchen flüstert ihrer eben so schönen Freundin, auf der Bank sitzend, einen lustigen Einfall ins Ohr, während der Kavalier in gemessener Haltung vor ihnen steht. Ein alter Spaßvogel flüstert einem schelmisch lachenden Mädchen, das eine Hand vor den Mund hält, etwas in das Ohr, während ihre Freundin lachend abwinkt. Die schönen schwäbischen Trachten heben dabei die Wirkung der Bilder. Sehr gut ist der Mausfang: Ein Knabe liegt kniend, mit einem Stock in der Hand, das Sitzorgan gegen die Zuschauer gewen-det, unter dem Schubladenschrank, unter dem sich das schreckliche Tier befindet. Ein großes Mädchen wartet dabei kampfbereit mit dem Zimmerbesen in der Hand auf das Erscheinen des Ungeheuers, ein zweites hat sich lachend auf ein Schämelchen geflüchtet, damit es von der Maus nicht gebissen wird.
Nein, unser guter Meister Jäger war gar nicht griesgrämig, wie manche glauben, die ihn nur oberflächlich kannten.
Die einzige außerberufliche Leidenschaft Jägers war das Wandern zu Fuß. Er machte gerne an Sonn- und Feiertagen Ausflüge weit über die mit Hatzfeld benachbarten schwäbischen Dörfer hinaus, bis in entfernt gelegene deutsche Ortschaften. Seinen guten Maleraugen prägten sich dabei immer wieder die Schönheiten der Banater Landschaft ein und sammelten Bildmotive für seine Genrebilder.
Es ist charakteristisch, wie ein Volksgenosse in einem Briefe den wandernden Maler schildert: „Ich fuhr eines Tages mit dem Wagen von Gottlob auf der Landstraße gegen Grabatz. Von weitem sah ich einen nicht sportlich gekleideten Wanderer mit Spazierstock. Er schien selbstvergessen aber aufgeschlossen für alles um ihn herum. Hier schien ihn die Kornblume und der rote Mohn am Rande des Ackers anzusprechen, dort bewunderte er die wogenden Weizenfelder, dann lauschte er vermutlich dem Lerchengesang, die Sonne am blauen Himmel war ihm Wegweiser und das nächste Schwabendorf hat ihn gerufen zu neuen Beobach-tungen, Eindrücken, Inspirationen. Sein Wanderweg war Vorbereitung, um dann in gehöriger Sonntags-stimmung sein Volk, sein Dörflein, mit ganzer Liebe, Hingezogenheit, mit offenen Augen, mit wärmsten Künstlersinnen, in sein Herz schließen zu können. Das war die Quelle, das führte ihm den berufenen Pinsel zur gestalteten Schönheit, in Liebe, Anhänglichkeit und Verehrung.“
Ein Brief, wie tausende geschrieben werden, der keinen Anspruch auf literarische Wertung erhebt. Aber viel Herz und Gemüt spricht aus dem Schreiber des Briefes, der ein großer Jägerverehrer ist und wie viel Herz und Gemüt entdeckte er in unserem lieben Meister Jäger! Sieht wohl das der Sachverständige, der mit einem Sektionsmesser das Lebenswerk des Kunstmalers zerlegt? Manchen ergeht es vielleicht wie dem Röntgenologen, der dem Patienten Wismutbrei zu trinken gab und als er ihn dann im verdunkelten Kabinett hinter den Röntgenschirm stellt, sieht er keinen Menschen mehr, sondern nur einen Darmtrakt. So geht es den Chauvinisten, die in Jäger nicht den volksverbundenen Künstler sehen, sondern er ist ihnen zu deutsch, weil seine Kunst in seinem Volkstum wurzelt, anstatt dass sie ihn als Muster betrachten und ihrem Volk als Muster hinstellen würden.
In seinen alten Tagen machte der alte Meister täglich seinen Spaziergang in Hatzfeld.
Gewiss hatte der gute Kunstmaler Stefan Jäger zuweilen auch seine Launen. Er schreibt an einer Stelle sei-ner Aufzeichnungen für einen Lebenslauf, wohl im Jahre 1953: „ Bis 1942 habe ich von verschiedenen Auf-trägen eine Lebensmöglichkeit gehabt, doch derzeit ist mein Einkommen höchst gering.“ Nun in dem Zeitab-schnitt von 1942 bis 1953 fallen der zweite Weltkrieg, die Flucht vieler Banater Schwaben nach Deutschland vor der nach dem Westen rollenden Front, die Enteignung der Mitglieder der Deutschen Volksgruppe Rumä-niens und die Bărăganaktion, was Jägers Worte hinlänglich erklärt. Nach der Information seiner Nichte ging es ihm am schlechtesten in den Jahren 1947-1948. Er musste dann sein silbernes Essbesteck, Glas-, Porzellan- und anderes Küchengeschirr verkaufen. In dieser Zeit ging er zu einer in seiner Nähe wohnhaften Lehrerfamilie, sie bitten, von ihm Bilder zu kaufen. Dieser Weg mag dem alten Meister nicht leicht gewesen sein. Diese Zeit nutzten so manche aus, um von ihm billig Bilder zu kaufen. Da er jetzt eilig und billig verkaufen musste, hat er auch manche Bilder eilig ausgeführt. Als die Lage sich mehr zu normalisieren begann, kamen auch wieder etwas mehr Aufträge, hauptsächlich von deutschen Intellektuellen, aber auch von anderen Schwaben, die heimwehgeplagte Angehörige im Westen hatten, welche Jägeraquarelle verlangten. Die Existenz des Meisters war dennoch unsicher, um so mehr, da ihn auch das Alter drückte. In dieser Notlage hat ihm der rumänische Staat großherzig geholfen. Im Jahre 1957, zu Ehren seines 80. Geburtstages, bekam er von ihm eine Ehrengabe von 20.000 Lei und einen Arbeitsorden, welchen man ihm im Rahmen einer schönen Feierlichkeit überreichte. In dieser Zeit wurde Jäger auch eine monatliche Ehrenpension von 800 Lei angewiesen. Damit war der Lebensunterhalt des Meisters für seine alten Tage gesichert. Eben schon altersschwach malte er jetzt nur noch wenig und im allgemeinen nur noch der Kunst zu Liebe.
Außer den Gratulationen und Ovationen, die der junge Kunstmaler Stefan Jäger im Jahre 1910, während der Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung in Gertianosch, anlässlich der Enthüllung des Einwanderungs-bildes bekam und der Ehrung durch die R.V. R. zu seinem 80. Geburtstage im Jahre 1957, wurden dem Meister kaum öffentliche Ehrungen zu Teil. Vielleicht sei nebenbei erwähnt, dass in Hatzfeld eine beschei-dene Nebengasse nach seinem Namen benannt wurde. Jäger reflektierte auch auf öffentliche Ehrungen und empfing daher nur ausnahmsweise Pressevertreter.
Der allerseits verehrte und geliebt Meister Stefan Jäger ist in Hatzfeld einsam und verlassen gestorben, nachdem er vorher paar Wochen hindurch an den Beschwerden einer Brusterschütterung gelitten hat, die er sich durch Fallen bei einem Spaziergang zuzog. Am 16. März 1962, in der Früh, ungefähr 6 Uhr, hörten die Zimmernachbarn den kranken Meister noch husten, nachher herrschte absolute Stille. Da er am Tage vorher augenfällig schwach war und man jetzt im Vor- und Wohnzimmer den ganzen Vormittag Licht sah, ohne dass sich etwas rühren würde, hatte man das Schlimmste geahnt. Um ungefähr 14 ½ Uhr wurde dann die Wohnungstür gewaltsam aufgemacht und man fand den Meister tot. Er hatte einen Schlafanzug an, seine zwei Füße berührten den Fußboden, der Oberkörper lag seitwärts gebeugt auf den Polstern seines Bettes, als hätte er aufstehen wollen. Der dahingeschiedene Meister wurde an seinem Todestage, den 16. März 1962 um 18 Uhr in der Kapelle des Hatzfelder Friedhofs aufgebahrt und am nächsten Nachmittag nach dem Gebräuche der röm.-kath. Kirche in bescheidenem Rahmen in die Gruft beigesetzt, in der auch seine gute Mutter ruht (Sein Vater ist in Tschene beerdigt). Die Gruft befindet sich im südwestlichen Teil des Fried-hofes, paar Schritte nach rechts vom vorderen, vor der Kapelle beginnenden, nach Westen führenden Seitenweg.
Zum Begräbnis waren aus Temeswar gekommen das ganze Komitee des Vereines der Plastikkünstler, Filiale Temeswar, dessen Präses der bekannte deutsche Kunstmaler Franz Ferch ist, und auch andere Kunstschaffende.
Die Hatzfelder politische Behörde war durch den Vorsitzenden des Hatzfelder Stadtrates und durch den Stadtratsekretär vertreten.
Die Gedächtnisreden, in denen die Persönlichkeit des Dahingeschiedenen und dessen künstlerisches Schaf-fen gewürdigt wurden, hielten Professor Somoşan Nichifor, Mitglied des Komitees des Temeswarer Künstler-vereines in rumänischer Sprache und Professor Hans Bräuner, Mitglied des Hatzfelder Lehrkörpers in deut-scher Sprache. (Der Kunstmaler Franz Ferch meinte, das Schönste am Begräbnis waren ein Schneesturm und ein Heimatlied, das der Hatzfelder Kantor mit dem Pfarrer sangen).
Eine behördliche Person sagte zur Nichte des verstorbenen Kunstmalers, sie sei mit dem Arrangement des Begräbnisses der Behörde um eine halbe Stunde zuvorgekommen, denn diese wollte ein offizielles Begräbnis veranstalten.
Nun ruhen die vielen Pinsel, die des Meisters Hand so fleißig und so wunderbar geführt hat. Er war ein Mensch und ein Künstler, dem man keinen Alltagsmaßstab anlegen kann. In seinem Auftreten war er immer bescheiden aber in seinem Inneren so groß, dass man nur in stiller Verehrung vor ihm stehen konnte. Es wird sich mit der Zeit wohl eine Künstlerseele finden, die das Schaffen unseres über alles geliebten Meisters, vom künstlerischen Standpunkt aus, fachmännisch und ausführlich würdigen wird.
Unser lieber Meister Stefan Jäger, der im Laufe von sechs Jahrzehnten unzählige Bilder gemalt hat, hat nach seiner Nichte Maria Jäger, die zusammen mit ihren Bruder seine Verlassenschaft geerbt hat, nur drei kleine Ölbilder und vier Aquarelle hinterlassen. (Von den Mappen mit den 600 Skizzen, war schon früher die Rede). Die Ölbilder sind ein Stilleben und zwei stellen Blumensträuße dar. Auf die Frage, ob in der Verlas-senschaft Meister Jägers Bilder oder andere Objekte waren, die man einem eventuell zu gründenden „Jägermuseum“ überlassen oder verkaufen könnte, antwortete die Nichte, es wäre nichts vorhanden. Die wichtigen Einrichtungsgegenstände des Ateliers des Kunstmalers Stefan Jäger samt seinen Pinseln, Farben, Farbtiegeln und dergleichen hatte sie gleich nach dem Tode des Meisters um billiges Geld einem Lehrer des Hatzfelder Lehrkörpers verkauft.
Ostern, den 26. Dezember 1962
Dr. Peter Pink, Arzt.
N A C H W O R T
Ich bin ein Verehrer des Kunstmalers Stefan Jäger, ein Kunstliebhaber, aber kein Kunstsachverständiger. Das Lebenswerk Jägers müsste nämlich ein Kunstsachverständiger wissenschaftlich bearbeiten. Wenn ich dennoch mich entschloss, einen kleinen Lebenslauf Meister Jägers zu schreiben, so deshalb, weil ich beobachtet habe, dass diejenigen, die mit notweniger Sachkenntnis seine Kunst bis zur Jubiläumsfeier seines 80. Geburtstages mit entsprechender Begeisterung und Wärme gewürdigt haben, nachher über ihn schwiegen. Warum, wissen sie wohl besser als ich. Mein kleiner Lebenslauf soll daher nur ein kleines Provisorium sein, bis ein Berufener sich entschließt, zur Feder zu greifen und dieses Problem gründlich und ausführlich behandelt. Ich wollte nur den roten Faden, der sich von der Geburt Jägers bis zu seinem Tode zieht, festhalten und auch meine paar Beobachtungen in die Erkenntnisse von Menschen einschalten, die das Glück hatten, unseren geliebten Meister noch besser zu kennen als ich und sein Lebenswerk als anerkannte Kunstkritiker zu studieren. Ich lernte Jäger erst nach dem letzten Weltkrieg persönlich kennen und kam in einen inneren Kontakt mit ihm zwischen 1952 und 1959, als ich in Hatzfeld tätig war. Diesen persönlichen Kontakt rechne ich, kleiner Dorfarzt, zu den größten und schönsten Erlebnissen meines Lebens. Ich preise glücklich diejenigen, die ihn noch besser kannten als ich. Zu diesen zähle ich die Nichte des Meisters, Maria Jäger, die mir an einem schönen Nachmittag paar Stunden opferte, um mir über ihren lieben Oheim zu erzählen und den Schriftsteller Robert Reiter, der mit weitem Gesichtskreis das Leben und Werk Jägers überschaute und durchschaute. Die künstlerische Wertung Jägers übernahm ich fast ganz von Robert Reiter, paar Zeilen auch von Elisabeth Axmann. Ich nehme an, sie werden es mir nicht verübeln.
Dieser kleine Lebenslauf ist keine wissenschaftliche Arbeit, sondern eine kleine Datensammlung für meine Familie und paar gleichgesinnte Freunde und gute Bekannte. Ich mache mir auch keine Illusionen, dass ich ihn drucken lassen und mit Jägerbilder-Reproduktionen veranschaulichen kann. Bin aber jedenfalls der Meinung, dass ein volkstümlich gehaltener Lebenslauf über den Kunstmaler Jäger, mit einigen Jägerbilder-Reproduktionen, zu geeigneter Zeit herausgegeben werden müsste, für die Volksgenossen, die nach der Tagesmühe der landwirtschaftlichen Arbeiten oder der Werkstatt, außer ihrem Kalender, auch etwas anderes lesen wollten. Und sie sollten eigentlich viel lesen. Denn so tüchtig sie auch im Leben, im Kampf um das Dasein sind, so wenig wissen sie leider über die großen Persönlichkeiten der Südostschwaben, so über den Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn, den Dichter Lenaus, den Arzt Semmelweis, den Retter der Mütter, u. a.
Ohne Zweifel hat der Kunstmaler Stefan Jäger seine Banater Schwaben über alles geliebt. Sein Lebenswerk ist ein grandioses Denkmal für sie, das wie ein Felsen stehen bleibt, auch wenn die Banater Schwaben in diesem Völkermeer untergehen sollten.
Der Verfasser, Dr. Peter Pink, Arzt