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<h2 class="myuntertitel">''Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben''</h2>
<h2 class="myuntertitel">''Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben''</h2>


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Es ist unser Bild. Kein
anderes ist so verbreitet
bei den Balli:lter Schwaben,
kein anderes hat so
viel Beachtung und Zustimmung
gefunden wie
Stefan Jägers Triptychon
. Die Einwanderung der
Schwaben ins Banat" - korrekter wohl „der
Deutschen", wie es ursprünglich auch bezeichnet
worden ist. Es waren ja nicht vorwiegend
Schwaben, die das Banat besiedelt
und kultiviert haben, sonde1n Deutsche aus
den südwestlichen Landschaften und aus
ande1:en Gebieten des Reiches. Es ist unser
Bild. Kein anderes Siedlungsgebiet in Südosteuropa
hat Vergleichha.i·es vorzuzeigen,
und auch unsere anderssprachigen Nachbarn
- die Rumänen, Ungarn und Serben -
verfügen, so weit es mir bekannt ist, nicht
über ein in gleichem Maße verallgemeinertes
Kunstwerk. Der Erfolg war übrigens
nicht wiederholbar. Jäger selbs t hat auf Bestellung
Repliken seines Monumentalwerkes
angefertigt und zum Einwanderungsthema
mehrere, inzwischen vergessene, Varianten
gemalt. Der zwei Jalu-zehnte jüngere Balli:lter
Male.r Franz Ferch versuchte, mit dem
Triptychon . Das Gebet der Ahnen' und
seiner groß angelegten Komposition „Das
Lagerfeuer" an Jägers Erfolg anzuknüpfen.
Vergeblich .
Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist
es seine Monumentalität, die Meisterschaft
der Dars tellung oder haben doch eher seine
Verehrer und Mittelsmänner - die Manag~
wie wir heute sagen wiirden - den Erfolg bewirkt
und ihn veifestigt? Von jedem wohl
wird etwas dabei sein und jedes verdient gesondert
unsere Aufmerksamkeit. Auch hier
jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige
Werk in der richtigen Zeit war.
Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie
im Banat aus?
Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldsehers
Franz Jäger und seiner Frau Magdalena
Schuler in der Gemeinde Tschene geboren,
war Stefan Jägers Welt das aufstrebende
Bürgertum der Jahrhundertwende, die sich
als GründeJLeit definierte, als eine Art fortschrittliche1
· Wohlstands-Gesellschaft begriff
und in der sogenannten Belle Epoque
nicht nur in Frankreich den Sinn für das Dekorative
entwickelte und übei-steigerte. Die
Industrie veränderte die Welt, alles schien
machbar: Die Titanik wurde gewagt und gebaut,
die europäischen Hauptstädte trugen
die alten Befes tigungsanlagen um den Stadtkern
ab und ersetzten sie mit modernen
Prunks t:raßen, die Wirtschaft expandierte,
die letzten Teilstücke der kolonialen Welt
fanden ihre Herren, und die Kaiser, Könige
und Zaren überboten einander mit Paraden
und demonstrativer Macht. Europa war das
unbestrittene Zentrum der Welt, und nie
wieder hat es einen solchen Glanz entfaltet
Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren
unte1· ihnen, blieben davon nicht unberührt.
Als wichtige EITungenschaft der Zeit
durchkreuzte die Eisenhalm Heide und Hecke,
die Walzmühlen verdrängten Wasser- ,
Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung
der Landwirtschaft und ihrer Märkte
steigerte die P1·eise und brachte das Geld in
Umlauf Spai·kassen entstanden, das Groß-
Franz Heinz
bauerntum etablierte sich neben den traditionellen
Grundhen-en, llldil wollte etwas gelten
und sich auch entsprechend darstellen.
In ganz Europa feierte die His torienmalei·ei
Triumphe: Preußens Gl01ia durch.geisterte
die Bilderwelt von Adolph Menzel, in Österreich
war es Hans Maka.rt, der den ka.isei·lichen
Glanz der Zeit künstlerisch festzuhalten
vers tand, in Polen Illdlte Johann Matejko
das nationale Heldentum, in Ungarn Michael
Munkacsy, mit dem vormals schönen
deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es
bis dahin neben der Kirche und illl'en Würdenträgein
die gehobene Beamtenschicht
und der, vielleidlt etwas dürftige, Adel, der
Aufträge, vornehmlich Porträtaufu:äge an
einheimisd1e und zugewanderte Künstler
vergalb. Nun drängte das reiche und zunehmend
selbstbewusste Bürgeitum nach vorn
und wollte nicht weniger, weim aud1 auf andere
Weise, repräsentiei·en.
Die in den gleid1en Sog geratenen großen
Landgemeinden wollten und durften nid1t
lldchstehen. Handel und Gewerbe, aber
auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit
und Weltfreindheit der Dörfer
dw·chbrochen und sie mit einen1 neuen
Selbstwertgefühl ausgestattet. Das Vei·einswesen
blühte, die ausgedienten Militärmusiker
gründeten mit Eifer konkunierende
Blaskapellen, Männergesangvereine traten
auf, und es reiliten sid1 die Feste aneinander:
Falmenweilien, Sport- und Sängeifeste,
Kathreinhälle, Gewerbeausstellungen. Die
ersten Ortsmonografien wurden geschrieben.
Begüterte Familien und wendige -
manchmal auch windige - Männer fanden
odei· erstritten sich iluen Platz in de1· auf
strebenden D01fgemeinschaft, häuften Güter
und Ämter, machten sich unentbehrlich
und verdarben nicht selten an einer Überdosis
von Raff- und Geltungssucht.
Einer von ihnen war Adam Röser in Gertianosch:
Postmeister, Leiter des Schulausschusses,
Gründer und Obm.ann des
Leichenbestattungsvei·eins, Gründer des
Schützenvereins, Direktor dei· ersten Gertianoscher
Sp<ukassa-Al::tiengesellschaft und
Mitbegründer des Gei·tianosd1ei· Konviktes
in Szegedin, Besitzer einer Ziegelei. Er war
durch Einheiraten in die begüterte Familie
Vuchetics im. benachbarten Tsd1ene reich
geworden, galt als tüchtig. gewitzt und ist
doch bis zuletzt infolge verlehlter Spekulationen
Zc1hlungsunfähig ~vorden. Er war
ein Mann der Stunde, mit dein Blick aufs
Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so
missfällig nicht, dass gerade diesei· umtriebige
Adam Röser maßgeblich an der Entstehung
des Einwanderungsbildes beteiligt
gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig,
sein damaliger Buchhalter Jakob Knopf
geäußert haben, wie Dr. Peter Pink in seiner
Arbeit „Stefan Jäger - ein Banatei· schwäbischer
Kunstmaler" berichtet. Zu iluer Ausführung
bedurfte es dann doch eines Adam
Röser, zumal die Finanzierungsfrage für das
Gelingen des Vorhabens entscheidend war.
Und groß - das stand von Anfang an fest -
musste das Bild schon sein. Größer als groß
- monumental.
Das passte in die Zeit, die sich im. Repräsentativen
gefiel, und es passte in ein groß,
vielleicht etwas zu groß gewordenes ungarisches
Königreich, das seine neue Glorie
probte für sich selbst und auch gegen andei
·e Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage
bei den benachbarten Slawen und
Rumäneil und sogar bei den biederen und
landestreuen Banater Schwaben ausgelöst,
um nicht zu sagen losgetreten hatte. Adam
Müller-Guttenbrunns Heimatromane waren
die meistgelesenen Bücher im Banat
und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit,
der Historil::er Ludwig BarOti-Grünn belegte
wissenschaftlid1 Herlamft und Sdllcksal
der deutschen Siedler im. Banat, deren Dörfer
in Heide und Hecl::e inzwischen zu den
ansehnlichsten und wohfüabendsten im.
Lande zählten. Die Selbstbesinnung und das
Anliegen, auch auf sich selbst hinzuweisen,
schien für alle ein Gebot der Zeit zu sein.
Dass sich die Banater Schwaben ausgeredmet
für ein monumentales Gemälde
entsdlleden, überrascht zunächst. Im eigenen
regionalen Kultu1verständnis wie in
dein dei· anderssprachigell Nachbarn gibt
es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende
künstlerische Monumentalarbeit
hinweisen. Der häusliche Bedarf war
im. Wesentlichen auf die Heiligenbilder im
Herrgottswinkel beschränkt und wurde
von fliegenden Händlern versorgt. Mehr
an Kunst war weder nötig noch gewünsd1t.
Die gesdlld1tsbild-prägende Funktion der
Histo1ienmalerei allerdings war zumindest
der gehobenen Sdllcht auf dem Lande so
unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer
Entscheidung für ein Einwanderungsbild
bestärkt haben. Denn es war die legendäre
Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische
Tat im. Bewusstsein de1· Banatei·
Schwaben verankert war, auf die man stolz
sein durfte und auf die man hinzuweisen
sid1 nicht scheute. Den Malei· dafür meinte
man ja im. Banat zu haben, immerhin einen
akadeinisch ausgebildeten Kunstmaler, der
zur Zeit sein Brot in der ungarischen Hauptstadt
verdiente.
Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der
Bestellung des Kunsthändlers Ahnasy, der
seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften
und Stillleben belieferte. Gelegent-
Hommage an Stefan Jäger
liehe Anfragen gleichei· Art aus der Banater
Heimat waren auch nicht dazu angetan,
Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten,
die für ihr wirtschaftliches Deilken
und für ilue Sparsamkeit ebenso bekannt
wie geachtet waren. Von einem Maler Stefan
Jäger wussten damals im Banat nur wellige.
Selbst der Heimatdichter Peter Jung will erst
nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben,
dass der Kunstmaler aus Tschene sich bereits
1910 in Hatzfeld niedergelassen hatte.
Ohne den Auftrag zum Einwanderungsbild
und dessen nachhaltigen Erfolg wäre
das wohl nie geschehen und Stefan Jägers
künstlerisches Werk hätte wahrscheinlidi
eine andere, für uns welliger bedeutende
Richtung erhalten. Es bleibt ohne.hin ein
kleines Wunder, dass die recht ansehnliche
Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere
Vermarktung bei den sonst nüchte1n
kalkulierenden Schwaben auf der Banater
Heide zustande kam. Vergessen •vir nid1t,
hierwarviel Geld für etwas auszugeben, von
dem die Meisten keine rechte Vorstellung
haben konnten und wohl auch nid1t viel
gehalten haben mochten. Der Kasinoverein,
der Leseverein, der Gewerbeverein und der
Bauernverein haben Liedeiabende, Konzerte,
Vorträge, Dilettantenvorstellungen und
Bälle veranstaltet und die daraus erzielten
Überschüsse für das Einwanderungsbild zurückgelegt.
Auch direkte Spenden wurden
gesammelt, wobei Adam Röser mit gutem
Beispiel vorangegangen sein soll.
Jäger lieferte recht schnell ein drei Meter
langes Bild, das sogenannte . ursprüngliche"
Einwanderungsbild, das bereits die uns bekannte
Dreiteilung .Wanderung", .Rast",
„Ankunft" entllielt, jedoch wegen Mängel in
der Darstellung der historischen Trachten
der Einwanderungszeit beanstandet worden
ist. Abhilfe sollte eine Studieiueise des
Künstlers nach Deutschland bringen, die auf Betreiben von Johann Waher, Direktor
der Gertianoscher Kleinbauernsparkassa,
ermöglicht \'lllrde. Der Vorsitzende des Gewerbevereins
Anton Gamauf beaufuagte
Lehrer Simon Kreppel mit der Durchführung
einer neuen Sammelaktion, die diesmal
Johann Walzer mit einer Spende von
200 Ki·onen eröffuete. Diese zweite Aktion
zeigt recht deutlich, wie sehr das Einwanderungsbild
ein kollektives Anliegen in Gertianosch
gewesen sein muss. Das macht auch
die erzielte Summe von 4650 Kronen sichtbar,
die damals für den Ankauf von viereinhalb
Waggon Weizen ausgereicht hätte . Ein
Betrag, der die Spesen der Deutschlandfahrt
des Malers erheblich überstieg und ihm als
ein durchaus nicht unangemessenes Honorar
zugefullen war. Dieses respektable
Sammelergebnis nicht zuletzt mag den auf
Repräsentation bedachten Adam Röser veranlasst
haben, nun ein noch größeres, ein
richtiges Monumentalgemälde bei Stefan
Jäger in Aufuag zu geben. Es wurde dann,
mit den uns bekannten Maßen von 5,100 x
1,450 Meter und mehr als So dargestellten
Ges talten, das bisher größte Gemälde der
Banater Schwaben und wohl auch ihr größtes
aller Zeiten. Dass es auch mit Abstand
unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem
Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit
Rösers. Er hatte die Idee, bei
de1: Budapester Verlagsgesellschaft Franklin
Farbreproduktionen des Einwanderungsbildes
in großer Auflage hers tellen zu lassen,
die einen guten Absatz fanden, von d essen
Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet
wird, nur ein geringer Teil zufloss.
Der besondere Auftrag - ein solcher war
es wohl - traf den damals noch nicht dreißigjährigen
Künstler fachlich nicht unvorbereitet.
In Budapest hatte er bei dem aus
Klausenburg stammenden Professor Szelcely
Bertalan Malerei studiert - einem in seiner
Zeit viel beachteten Meister g:rnßformatiger
his torischer Gemälde. Das mag Stefan Jäger
die Sicherheit gegeben haben, den Gertianoscher
Aufu·ag in der Zuversicht einer
guten Ausführung angenommen zu haben.
Die Ateliergeschichte des Einwanderungsbildes
wä1·e eine Abhandlung für sich und
umschließt eine Fülle von Angaben über
zahlreiche Skizzen zum Bild, über Trachtenstudien,
zum sogenannten . ursprünglichen
Einwanderungsbild" bis hin zu später
ausgeführten Varianten. Darüber kann in
den Veröffentlichungen von Dr. Peter Pink,
Dr. Matz Hoffmann, Franz Liebhard, Annemarie
Podlipny-Hehn und Karl-Hans Gross
(der eine 4 50 Seiten starke Monografie über
den Hatzfelder Schwabenmaler veröffentlichte)
nachgelesen werden. Stefan Jäger ist
es gelungen, in drei Jahren ein malerisch,
kompositorisch und historisch überzeugendes
Wei·k zu gestalten, das hundert Jahre
später zumindest bei seinen deutschen
Landsleuten nichts von seiner Attraktivität
eingebüßt hat. Annemarie Podlipny-Helm
ve1weist in ihrer 1972 im Bukarester Kriterion
Verlag heiausgegebenen Monografie
„Stefan Jäger" auf „die gesdnckte Verteilung
und Gruppierung der Figuren" hin, auf „das
Gleichgewicht der Komposition", sie hebt die
sowohl zeichnerisch wie malerisch erzielte
perspektivische Wirkung des Bildes hervor
und die sorgfältige Farbgebung. Und Franz
Liebhard betrachtet in seiner 1970 gleichfalls
bei Ki·iterion erschienenen Studie über
den „Sclnvabenmaler Stefan Jäger" das Einwanderungsbild
als dessen Hauptwerk.
Tatsädilich hat es sein künstlerisches Werk
neu orientiert. Der Gertianoscher Erfolg
hatte Jäger einen Themenbereich eröffuet,
der auf ihn zugeschnitten war und zum Inhalt
seines Maierlebens werden sollte. Mehr
noch als in den vielen Hunderten Aquarellen
aus dem Banater Volksleben sind es die
147
ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag
und zur Aibeitswelt, die zeigen, mit welcher
Sorgfalt und Hingabe der Hatzfelder
Meister sich des erkannten und gewählten
künstlerischen Lebenstl1einas angenommen
hat. Was ihn letzthin zum .Schwabenmaler"
werden ließ, ist die tiefe Verinnerlichung
und künstlerische Umsetzung der heimatlichen
Welt, wie sie sich vo1wiegend in der
Zwischenkriegszeit wahrgenommen und geäußert
hat.
Das Ereignis der Enthüllung des Einwanderungsbildes
zur Landwirtschafts- und
Gewerbeausstellung zu Pfingsten 1910 in
Gertianosch ist in die Annalen der Banater
Schwaben eingegangen. Ausstellungen waren
damals weltweit nicht nur Mode - sie
entsprachen dem Repräsentationsbedürfnis
von Völke1n und Mächten, Produzenten und
Händlein, Herrschern und Kirchen, Wissenschaftlern
und Volkserziehern. Die Großen
und Mächtigen machten vor, was, auf
das jeweilige Maß reduziert, in der Provinz
nachgeschneidertwurde. Kaiser Wilhelm II.
demonstrierte, von sechs Söhnen flankiert,
die Vitalität des Reiches, die Habsburgerin
Elisabeth, uns zumindest als Kinolegende
Sissy in Erinnerung, hatte sich zur angeblich
schönsten Monarchin der Welt durchgehungert,
Paris baute zur Weltausstellung von
i889 das damalige Weltwunder Eiffelturm
- höher als alles, was die moderne Welt bis
dahin zu bieten hatte. Das wird auch im Banat
nicht ohne Wirl."llllg geblieben sein und
dürfte die Idee einer Gewerbeausstellung
in Ge1tianosch nid1t nur am Rande mitbestimmt
haben. Zumindest im eigenen Landkreis
wollte IIldil schon gesehen werden mit
gutem Getreide, bestem Vieh, gediegenen
Handwerkererzeugnissen, mit der Handarbeitskunst
der Bäuerinnen und - mit Stefan
Jägers monumentalem Einwanderungsbild.
Glaubt man Meyers Konversationslexikon
von 1894, in dem vermerkt wird: „Es hat
Au sstellungen gegeben, deren Wert kein
anderer w.u- als der eines Jahnna.rktes", so
konnte sich Gert:ianosch 1910 mit seine1·
Ausstellung auf der Banater Heide gut sehen
lassen. Tausende kamen, staunten und
feierten alles mit, was es zu feiern gab. Die
Ortsgruppe des Bauernvereins und der Handels-
und Gewerbeverein feierten gleich
zwei Fahnenweihen, Ehrenurkunden wurden
an Handwerker und Landviirte verliehen,
man rief ausgiebig Eljen, gab sich und
war vaterländisch und sah sich bestätigt, als
Abt-Domherr Franz Blaskowitsch in Anwesenheit
des Abgeordneten Julius Hody zur
Enthüllung des Einwanderungsbildes seine
Anerkennung aussprach und seinen Segen
erteilte. Erwartet worden war, wie Matz
Hoffinann berichtet, auch Minister Appony
aus Budapest, der aber aus politischen
Gründen der Veranstaltung fem blieb. Angeblich
war es auch den örtlichen Behörden
verboten, in amtlicher Eigenschaft an der
Enthüllungsfeier des Einwanderungsbildes
teilzunehmen. So beiläufig. wie von uns
heute vielleicht angenommen, scheint der
Pfingstsonntag 1910 in Gertianosch doch
nicht gewesen zu sein.
Es wurde auch fotografiert. Lehrer Simon
Kreppe! hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein
Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder
mit Familienangehörigen und dem Maler
Stefan Jäger in der Mitte. Auf der Rückseite
des Erinnerungsfotos hat Lehi·er Kreppe!
kurze Bemerl'"llngen zum Ereignis notiert -
auf Ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen
Patrioten gehörte. Deswegen muss
er kein schlechter Landsmann gewesen sein,
es zeigt abe1·, wie das, was wir Identität nennen,
durchaus unterschiedlich auslegbar
sein kann. Die Identität der Schwaben in
Gertianosch litt nicht unter einer deutschungarischen
Gegensätzlichkeit, obwohl
doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass
dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich
be\-vusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch
wollte man schon sein. Da fällt es auf,
dass auf Jägers Einwanderungsbild nichts
Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt
- neben den dargestellten Einwanderern
ist als einzige andere Figur lediglich
ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt,
der im dritten Teil des Gemäldes den
Neuankömmlingen die Häuser zuweist. Ein
Ungar ist es nicht.
Es ist nicht anzunehmen, dass Stefan Jäger
damit eine politische Haltung sichtbar machen
wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn
dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal
sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893
und 1899 über Szegedin und Budapest lief,
auf e.iner Schiene, die ungarischer nid1t sein
konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich,
Deutsdiland und Italien diente so
gut wie ausschließlich der künstlerischen
Fortbildung, dem universellen Gedanken in
der Kunst, in den die ungarische Welt eingebunden
war. Dennoch ist festzuhalten,
dass sich ihm in der Konzeption des Einwanderungsbildes
das ungarische Element
nicht aufdrängte. Es fund in seiner Bildidee
keinen Platz, dod1 war Stefan Jäger zu unpolitisch,
um dahinter eine Gegenposition
erkennen zu wollen. Waluscheinlid1 folgte
er damit einer rein maleiischen Intuition,
die ke.ine politische Auslegung zulässt.
Wir dürfen annehmen, dass im Weltverständnis
und in der Kunst Stefan Jägei·s
das Politische kaum vorkommt und somit
alle Versuche, den Meister so oder anders
zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt
sein müssei1. In seiner Jäger-Studie von 1970
berichtet Franz Liebhard, durchaus um die
zeitgemäße sozialistische Einordnung des
Künstlers bemüht: .Der hochbetagte Meis-
Hommage an Stefan Jäger
ter schüttelte staunend das Haupt, wenn
er vernahm, dass nach Zusammenhängen
gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche
liegen, sondern darunter.• Es ging damals,
am Vorabend von Jägers So. Geburtstag, um
dessen bevorstehende Auszeidmung mit
dem Arbeitsorden II. Klasse, für die eben
das künstlerische Werk an sich nicht genügte,
wenn es nidit klassellkämpferisd1
zugemdnet werden konnte. Franz Liebhard
hat das mit einiger Eleganz zurechtgebogen,
um nicht zu sagen verzerrt und damit
Stefan Jäger in gewissem Sinn sozialistisch
hoffähig gemacht. Dieser hat den Orden erhalten
und durfte ihn zum Sonntagsanzugwas
gesd1ehen ist - mit ruhigem Gewissen
tragen für ein We1·k, das nun auch, möglicherweise
von der falschen Seite, anerkannt
worden wai·. Deportationen, Enteignungen
und Schauprozesse hatten bei den Banater
Schwaben tiefe Verunsicherungen hinte1·lassen
und sie in ilirer Würde verletzt. Ihre Zukunft
war melu als ungewiss. Dennoch wäre
Jägers Auszeidmung als praktiziertes sozialistisd1es
Demokratieverständnis zu werten,
das freilich ohne Kern und somit auch
unvermittelbar geblieben ist. Jäger selbst
hat es eine Rente von monatlich 800 Lei eingebracht,
das war mehi· als seine Landsleute
in den fünfziger Jalrren durchschnittlich
verdient haben. Er genoss im Sozialismus
die Gnade des Alters, und es mag nichts
anderes als der Pragmatismus der Diktatur
gewesen sein, die ihn und sein Werk unbeschadet
ließen. Gewandelt hat es ilin nicht,
und es ist nicht einzusehen, warum er uns
mit achtzig als hungernder Maler bedeutender
sein müsste.
Es war hingegen keine weltabgewandte Naivität,
die den Künstler unpolitisch bleiben
ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des
HerzellS, mit der Jäger es verstanden hat, das
Tagesgeschehen zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer
schwer. Bitte, das waren seine Bilde:i; und
sie waren und sind alles andere als verschlüsselt.
Er meint nicht, sie auslegen zu müssen.
In einem handschriftlid1.en biografischen Abriss
schreibt er: „Meine malerische Tatigkeit
war hauptsädilich dahin gerichtet, meinen
Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder
in leicht verständlicher Form, mit Motiven
aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften
zugänglich zu machen."
Das sollte eigentlich genügen. Wei· melu·
hineinzureden sich abmüht, redet an Jäger
vorbei und wird ihn seinen Landsleuten
entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten
Vei·suchen zur Politisierung des
künstlerischen Werkes von Stefan Jäger. Die
deutsche Volksgrnppe in Rumänien wollte
in ihm den Streiter eines ewigen deutschen
Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden
Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten
des kleinen Mannes. Das eine ist so
unangebracht wie das andere, und es könnte
leicht sein, dass wir uns heute in unsere1·
konsumorientiei·ten Gesellschaft als nicht
weniger leidltfertig erweisen, wenn wir das
Jäger'sche Werk auf die Formel von Mai·kt
und Ware bringen wollten. Gewiss - Stefan
Jäger malte, was gefiel und bes tellt wm·de,
auch wenn ihn die oft dainit verbundenen
Auflagen - etwa den Hühnei·hof gen.au so
„wie bei Nochbersch Resi" und nid'lt anders
zu malen - verstimmten. Es bleibt ind essen
sein Verdienst, den Banater schwäbisd1en
Bauern die Freude am echten, originalen
Kunstwerk vel'Dlittelt zu haben, für das sie
- was so selbstverständlich nicht gewesen
ist - Geld auszugeben bereit waren. Das
Banat und die Batsdika waren, wie Jäger in
seinen autobiografischen Aufzeichnungen
vein1.e1.·kt, um 1900 herum „mit reisenden
Bilderhändlern überflutet, die mit Dutzendbildein
ilue Geschäfte machten ... Ich habe
mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen
Trachten, die landsdiaftlichen Stimmungen,
Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten
und im Alltagsleben dai-zustellen". Er
hat mit diesem Grundsatz, über die Freude
am schönen Bild hinaus, bild ungsfördernd
gewirkt und erheblich, wenn auch wohl
nicht vorsätzlich, zur Identitätsfindung seiner
Landsleute beigetragen.
Immer wieder finden wir die Identität politisd'I.
ausgedeutet und mit ideologischen
Ambitionen vermengt. Sie ist aber vorrangig
eine kulturelle Erscheinungsform, die
sich in der Tradition, im Volksgut und in
der Sprache äußert und e1·hält. In diesem
Sinne sind die zalillosen Genre-Bildei· Stefan
Jägers, ilue Verbreitung und anhaltende
Beliebtheit, ganz gewiss identitätsstiftend
gewesen, und zwar in weit höherem Maße
als das monumentale Einwanderungsbild,
das ja nicht aus dem Alltag gegriffen war,
sondern eine zur Legende ausgewachsene
historisd1.e Erinnerung zur Vorlage hatte.
Es markiei1: allerdings den entscheidenden
kreativen Ansatz des Künstlers Stefan Jäger,
und wir dürfen davon ausgehen, dass dieser
ohne das Einwanderungsbild wohl kaum
der .Schwabenmaler" geworden wäre, als
den wir ihn heutevei·ehren.
Wie andere auch, so haben auch wir Banatei·
Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten.
Zur Zeit der Einwandeiung waren
wir ein aus vielen deutschen Landschaften
zusaD'lll'l.engewürfeltes buntes Völkchen,
das recht unterschiedliche Mundarten
sprach und zudem von F1-anzosen aus Lothringen
und Italienern aus deni Friaul durchsetzt
war. We1· aus dein Elsass kam, war dem
Odenwälder ebel.'l.So fremd wie der Pfälzer
dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler
war regional geprägt und blieb es, bis die
Erinnerung an die heimatliche Landschaft
149
im Reich den konkreten Bezug weitgehend
veifo1-en hatte und von der Walunehmung
einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst
worden war, die zunächst noch am ehesten
von den eingesessenen Völkern, vornelunlich
von den Ungarn, erkannt und !benannt
worden war. Sie differenzierten die Zuwande1
·er nicht regional, sondern haben uns zusammenfassend
als Schwaben bez.eidmet,
die wir wohl oder übel geblieben sind. Die
alten Sb·aßen- und Ortsnamen in unseren
Dörfern abe1· - die Lotl'lringer- oder die Pfälzer
Gass, Steierdorf im Banater Bergland
oder das Dorf Tirol zeigen, wie bemüht die
deutsd'len Siedler waren, ihre „wahre" Identitität
weder zu vergessen noch zu verleugnen.
Ähnlich, wenn aud'I. mit umgekehrten
Vorzeid'l.en, WUI'den nach dei· Vertreibung
die Namen der Banater Heimatgemeinden
auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen
übertragen, zur Erinneiung an die alte Heimat
Allein - die Identität ist dainit nid'lt
gewäluleistet. Spätestens in der dritten Generation
sind wir weitgehend aufgegangen
im bayrischen, württembergischen odei·
rheinländischen Umfeld, wechseln dabei
den Dialekt und tauschen die Feste aus.
Wir passen uns an. Wie unsere Vorfaluen
auch. An die Franzosen und Italiener der
Siedlungszeit erinnerten drei Generationen
später nur noch die Familiel.ll'laIOen - auch
sie der deutschen Rechtschreibung redit
mutwillig unterordnet, und aus Elsässein,
Pfälzern und Sauei·ländern sind die Banatei·
Schwaben he:iv orgegangen, wenn man so
will, als eigenai1:iges, nicht wiederholbai·es
deutsd'l.-deutsches Konglomerat.
Die Identität muss übrigens nicht immer
als erhebend empfunden werden und nid'lt
immer auszeidmen. Unter anderen sind es
immer wieder die Künstler und Literaten,
die mit ihrer Identität geradezu kollidiei·en.
Die Aktionsgruppe Banat b·at offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe
oder Heimatti·eue verstehen, und die ebenso
vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet
geradezu an ihrer Identität. Wir sollten
das nicht zusätzlich dramatisieren, denn es
ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas
Mann, Klabund, Brecht, Francois Villon,
Marlene Dietrich und viele andere ma.chten
sich heimatlich unbeliebt, weil sie, zumindest
in Teilbereichen, anderer Meinung waren
und sich, anders als gewünscht, vex·hielten.
Zur Identität, so ist zu sehen, gehören
auch die Gegensätze, und da wird es nicht
viel nützen, dass wir sie ge1n anders hätten.
Wh: sollten uns fürs Ganze entscheiden, und
es als gegeben annehmen.
Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität
am eh esten im Vergleich mit anderen.
Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit
den Ungarn, den Rumänen oder Serben -
um das zu wissen, reicht ein Blick über die
Schulter zu den Siebenbürger Sachsen.. Kein
Zweifel - wir sind anders, ganz abgesehen
davon, dass wir katholisch sind. Das kostet
uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist
gut so. Aber auch die Religion stiftet Identität,
und wir sehen, dass diese ebenso trennt
wie eint. Kroaten und Serben können uns
dabei einfallen, Flamen und Holländer, aber
auch die unierten Rumänen oder, ins Globale
verlagert, die Schiiten und Sunniten im
Orient usw. usw.
Wir haben erlebt, wie die Teilung des Banats
nach dem Ersten Weltkrieg zu unterschiedlichen
Entwicklungen bei den Banater
Schwaben in Rumänien und Jugoslawien
geführt hat, und heute sind eigenständige
Entwicklungen bei unseren Landsleuten
in den USA, in Kanada oder in Brasilien zu
sehen, die sid1 unterschiedlichen Anforderungen
stellen müssen und unters chiedlich
landsmannschaft:lid1 einzubinden sind.
Das Haus de1· Donauschwaben in Sindelfingen
- es nennt sich gern Welthaus der
Donauschwaben - stellt sich der Aufgabe
eines Dachverbands, der Gemeinsamkeiten
auszuloten und Besonderheiten zu berücksichtigen
hat, eine Zielvorgabe ausarbeitet
und koordiniert.
Was uns bei aller Unterschiedlichkeit einigermaßen
zusammenhält, sind die verlorene
Banater Heimat und der, dalnit verbundene
Mythos, zusammengefasst in dem schönen
Einwandererspruch: Dem Ersten der Tod,
dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot.
Etwas davon finden wir in Stefan Jägei·s
Triptychon eingearbeitet: den Drang und
die Bereitschaft:, im Banat Heimat zu finden
und ihr unser Gesicht zu geben. Adam
Müller-Guttenbrunn lässt uns in seiner viel
zitierten Hymne das Land anders in Besitz
nehmen,„."und wo des Sdr.-vaben Pflug
das Land durchschnitten, wird deutsch die
fade, und er weicht nicht melu", dichtet er.
Hommage an Stefan Jäger
Wir aber wissen, das Unvorstellbare ist geschehen,
wir sind gewichen und haben die
„Heimat, deutschen Schweißes s tolze Blüte"
aufgegeben und anderen überlassen oder
überlassen müssen .
Stefan Jägers Einwanderungsbild präsentiert
kein Heldenepos. Es ist ein künstle-
1isch ausgereifter Bericht übei· das Ereignis
der Einwanderung Der Künstler hei·oisiei·t
nicht - er zeigt, wie wir Heimat finden, und
dass es ein eher fragwürdiges Glück gewesen
sein mochte, das die deutsd1en Auswanderer
in Ungarn vorgefunden hatten. Denken
wir daran, ·wie naheliegend es doch für den
Künstler gewesen sein dürfte, zum Beispiel
ein Triptyd1on mit den Einzelteilen „Eroberung
des Banats", .Rodung der Wildnis" und
„Triumph der Ernte" zu gestalten, so muss
uns Stefan Jägers eher zurückhaltende Variante
über unsei·e Ankunft in dei· fremde
mit Dank erfüllen. Nichts Belastendes haftet
dem Bild an, es ist frei von jeder großen
Geste und von jeder Überheblichkeit Es
ist bemerkenswert, dass spätere, sich einer
triumphalen Darstellung annähernde Varianten
bei den Banater Schwaben nie eine
mit dem Einwanderungsbild veigleichbare
Aufnahme gefunden haben. Das dürfen wir
uns gut sdueiben, dass wir mit Herz und
Sinn immei· für dieses Monumentalwerk
Stefan Jägers gestimmt haben. Wir wollen es
bewal1ren, denn es ist ein Stück von uns.
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Version vom 17. Januar 2016, 12:14 Uhr


Bibliografie
Artikel Nummer: 0923
Autor Name: Franz Heinz
Titel des Artikels : Ein Stück von uns
Untertitel des Artikels: Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben
Publikation: Ausstellungskatalog
Titel der Publikation: Hommage an Stefan Jäger
Untertitel der Publikation: Katalog zur Ausstellung und zum Symposium
Herausgeber: Hilfswerk der Banater Schwaben
Druckerei: diedruckerei.de
Erscheinungsort: Ingolstadt
Jahr: 2012
Seite: 145-150
* [[Franz Heinz]]: [[ART:0923 - Ein Stück von uns|<i>Ein Stück von uns</i>. Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben]]. Hommage an Stefan Jäger. Hilfswerk der Banater Schwaben, Ingolstadt 2012

Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben

Es ist unser Bild. Kein anderes ist so verbreitet bei den Balli:lter Schwaben, kein anderes hat so viel Beachtung und Zustimmung gefunden wie Stefan Jägers Triptychon . Die Einwanderung der Schwaben ins Banat" - korrekter wohl „der Deutschen", wie es ursprünglich auch bezeichnet worden ist. Es waren ja nicht vorwiegend Schwaben, die das Banat besiedelt und kultiviert haben, sonde1n Deutsche aus den südwestlichen Landschaften und aus ande1:en Gebieten des Reiches. Es ist unser Bild. Kein anderes Siedlungsgebiet in Südosteuropa hat Vergleichha.i·es vorzuzeigen, und auch unsere anderssprachigen Nachbarn - die Rumänen, Ungarn und Serben - verfügen, so weit es mir bekannt ist, nicht über ein in gleichem Maße verallgemeinertes Kunstwerk. Der Erfolg war übrigens nicht wiederholbar. Jäger selbs t hat auf Bestellung Repliken seines Monumentalwerkes angefertigt und zum Einwanderungsthema mehrere, inzwischen vergessene, Varianten gemalt. Der zwei Jalu-zehnte jüngere Balli:lter Male.r Franz Ferch versuchte, mit dem Triptychon . Das Gebet der Ahnen' und seiner groß angelegten Komposition „Das Lagerfeuer" an Jägers Erfolg anzuknüpfen. Vergeblich . Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist es seine Monumentalität, die Meisterschaft der Dars tellung oder haben doch eher seine Verehrer und Mittelsmänner - die Manag~ wie wir heute sagen wiirden - den Erfolg bewirkt und ihn veifestigt? Von jedem wohl wird etwas dabei sein und jedes verdient gesondert unsere Aufmerksamkeit. Auch hier jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige Werk in der richtigen Zeit war. Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie im Banat aus? Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldsehers Franz Jäger und seiner Frau Magdalena Schuler in der Gemeinde Tschene geboren, war Stefan Jägers Welt das aufstrebende Bürgertum der Jahrhundertwende, die sich als GründeJLeit definierte, als eine Art fortschrittliche1 · Wohlstands-Gesellschaft begriff und in der sogenannten Belle Epoque nicht nur in Frankreich den Sinn für das Dekorative entwickelte und übei-steigerte. Die Industrie veränderte die Welt, alles schien machbar: Die Titanik wurde gewagt und gebaut, die europäischen Hauptstädte trugen die alten Befes tigungsanlagen um den Stadtkern ab und ersetzten sie mit modernen Prunks t:raßen, die Wirtschaft expandierte, die letzten Teilstücke der kolonialen Welt fanden ihre Herren, und die Kaiser, Könige und Zaren überboten einander mit Paraden und demonstrativer Macht. Europa war das unbestrittene Zentrum der Welt, und nie wieder hat es einen solchen Glanz entfaltet Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren unte1· ihnen, blieben davon nicht unberührt. Als wichtige EITungenschaft der Zeit durchkreuzte die Eisenhalm Heide und Hecke, die Walzmühlen verdrängten Wasser- , Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung der Landwirtschaft und ihrer Märkte steigerte die P1·eise und brachte das Geld in Umlauf Spai·kassen entstanden, das Groß- Franz Heinz bauerntum etablierte sich neben den traditionellen Grundhen-en, llldil wollte etwas gelten und sich auch entsprechend darstellen. In ganz Europa feierte die His torienmalei·ei Triumphe: Preußens Gl01ia durch.geisterte die Bilderwelt von Adolph Menzel, in Österreich war es Hans Maka.rt, der den ka.isei·lichen Glanz der Zeit künstlerisch festzuhalten vers tand, in Polen Illdlte Johann Matejko das nationale Heldentum, in Ungarn Michael Munkacsy, mit dem vormals schönen deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es bis dahin neben der Kirche und illl'en Würdenträgein die gehobene Beamtenschicht und der, vielleidlt etwas dürftige, Adel, der Aufträge, vornehmlich Porträtaufu:äge an einheimisd1e und zugewanderte Künstler vergalb. Nun drängte das reiche und zunehmend selbstbewusste Bürgeitum nach vorn und wollte nicht weniger, weim aud1 auf andere Weise, repräsentiei·en. Die in den gleid1en Sog geratenen großen Landgemeinden wollten und durften nid1t lldchstehen. Handel und Gewerbe, aber auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit und Weltfreindheit der Dörfer dw·chbrochen und sie mit einen1 neuen Selbstwertgefühl ausgestattet. Das Vei·einswesen blühte, die ausgedienten Militärmusiker gründeten mit Eifer konkunierende Blaskapellen, Männergesangvereine traten auf, und es reiliten sid1 die Feste aneinander: Falmenweilien, Sport- und Sängeifeste, Kathreinhälle, Gewerbeausstellungen. Die ersten Ortsmonografien wurden geschrieben. Begüterte Familien und wendige - manchmal auch windige - Männer fanden odei· erstritten sich iluen Platz in de1· auf strebenden D01fgemeinschaft, häuften Güter und Ämter, machten sich unentbehrlich und verdarben nicht selten an einer Überdosis von Raff- und Geltungssucht. Einer von ihnen war Adam Röser in Gertianosch: Postmeister, Leiter des Schulausschusses, Gründer und Obm.ann des Leichenbestattungsvei·eins, Gründer des Schützenvereins, Direktor dei· ersten Gertianoscher Sp<ukassa-Al::tiengesellschaft und Mitbegründer des Gei·tianosd1ei· Konviktes in Szegedin, Besitzer einer Ziegelei. Er war durch Einheiraten in die begüterte Familie Vuchetics im. benachbarten Tsd1ene reich geworden, galt als tüchtig. gewitzt und ist doch bis zuletzt infolge verlehlter Spekulationen Zc1hlungsunfähig ~vorden. Er war ein Mann der Stunde, mit dein Blick aufs Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so missfällig nicht, dass gerade diesei· umtriebige Adam Röser maßgeblich an der Entstehung des Einwanderungsbildes beteiligt gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig, sein damaliger Buchhalter Jakob Knopf geäußert haben, wie Dr. Peter Pink in seiner Arbeit „Stefan Jäger - ein Banatei· schwäbischer Kunstmaler" berichtet. Zu iluer Ausführung bedurfte es dann doch eines Adam Röser, zumal die Finanzierungsfrage für das Gelingen des Vorhabens entscheidend war. Und groß - das stand von Anfang an fest - musste das Bild schon sein. Größer als groß - monumental. Das passte in die Zeit, die sich im. Repräsentativen gefiel, und es passte in ein groß, vielleicht etwas zu groß gewordenes ungarisches Königreich, das seine neue Glorie probte für sich selbst und auch gegen andei ·e Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage bei den benachbarten Slawen und Rumäneil und sogar bei den biederen und landestreuen Banater Schwaben ausgelöst, um nicht zu sagen losgetreten hatte. Adam Müller-Guttenbrunns Heimatromane waren die meistgelesenen Bücher im Banat und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit, der Historil::er Ludwig BarOti-Grünn belegte wissenschaftlid1 Herlamft und Sdllcksal der deutschen Siedler im. Banat, deren Dörfer in Heide und Hecl::e inzwischen zu den ansehnlichsten und wohfüabendsten im. Lande zählten. Die Selbstbesinnung und das Anliegen, auch auf sich selbst hinzuweisen, schien für alle ein Gebot der Zeit zu sein. Dass sich die Banater Schwaben ausgeredmet für ein monumentales Gemälde entsdlleden, überrascht zunächst. Im eigenen regionalen Kultu1verständnis wie in dein dei· anderssprachigell Nachbarn gibt es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende künstlerische Monumentalarbeit hinweisen. Der häusliche Bedarf war im. Wesentlichen auf die Heiligenbilder im Herrgottswinkel beschränkt und wurde von fliegenden Händlern versorgt. Mehr an Kunst war weder nötig noch gewünsd1t. Die gesdlld1tsbild-prägende Funktion der Histo1ienmalerei allerdings war zumindest der gehobenen Sdllcht auf dem Lande so unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer Entscheidung für ein Einwanderungsbild bestärkt haben. Denn es war die legendäre Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische Tat im. Bewusstsein de1· Banatei· Schwaben verankert war, auf die man stolz sein durfte und auf die man hinzuweisen sid1 nicht scheute. Den Malei· dafür meinte man ja im. Banat zu haben, immerhin einen akadeinisch ausgebildeten Kunstmaler, der zur Zeit sein Brot in der ungarischen Hauptstadt verdiente. Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der Bestellung des Kunsthändlers Ahnasy, der seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften und Stillleben belieferte. Gelegent- Hommage an Stefan Jäger liehe Anfragen gleichei· Art aus der Banater Heimat waren auch nicht dazu angetan, Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten, die für ihr wirtschaftliches Deilken und für ilue Sparsamkeit ebenso bekannt wie geachtet waren. Von einem Maler Stefan Jäger wussten damals im Banat nur wellige. Selbst der Heimatdichter Peter Jung will erst nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben, dass der Kunstmaler aus Tschene sich bereits 1910 in Hatzfeld niedergelassen hatte. Ohne den Auftrag zum Einwanderungsbild und dessen nachhaltigen Erfolg wäre das wohl nie geschehen und Stefan Jägers künstlerisches Werk hätte wahrscheinlidi eine andere, für uns welliger bedeutende Richtung erhalten. Es bleibt ohne.hin ein kleines Wunder, dass die recht ansehnliche Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere Vermarktung bei den sonst nüchte1n kalkulierenden Schwaben auf der Banater Heide zustande kam. Vergessen •vir nid1t, hierwarviel Geld für etwas auszugeben, von dem die Meisten keine rechte Vorstellung haben konnten und wohl auch nid1t viel gehalten haben mochten. Der Kasinoverein, der Leseverein, der Gewerbeverein und der Bauernverein haben Liedeiabende, Konzerte, Vorträge, Dilettantenvorstellungen und Bälle veranstaltet und die daraus erzielten Überschüsse für das Einwanderungsbild zurückgelegt. Auch direkte Spenden wurden gesammelt, wobei Adam Röser mit gutem Beispiel vorangegangen sein soll. Jäger lieferte recht schnell ein drei Meter langes Bild, das sogenannte . ursprüngliche" Einwanderungsbild, das bereits die uns bekannte Dreiteilung .Wanderung", .Rast", „Ankunft" entllielt, jedoch wegen Mängel in der Darstellung der historischen Trachten der Einwanderungszeit beanstandet worden ist. Abhilfe sollte eine Studieiueise des Künstlers nach Deutschland bringen, die auf Betreiben von Johann Waher, Direktor der Gertianoscher Kleinbauernsparkassa, ermöglicht \'lllrde. Der Vorsitzende des Gewerbevereins Anton Gamauf beaufuagte Lehrer Simon Kreppel mit der Durchführung einer neuen Sammelaktion, die diesmal Johann Walzer mit einer Spende von 200 Ki·onen eröffuete. Diese zweite Aktion zeigt recht deutlich, wie sehr das Einwanderungsbild ein kollektives Anliegen in Gertianosch gewesen sein muss. Das macht auch die erzielte Summe von 4650 Kronen sichtbar, die damals für den Ankauf von viereinhalb Waggon Weizen ausgereicht hätte . Ein Betrag, der die Spesen der Deutschlandfahrt des Malers erheblich überstieg und ihm als ein durchaus nicht unangemessenes Honorar zugefullen war. Dieses respektable Sammelergebnis nicht zuletzt mag den auf Repräsentation bedachten Adam Röser veranlasst haben, nun ein noch größeres, ein richtiges Monumentalgemälde bei Stefan Jäger in Aufuag zu geben. Es wurde dann, mit den uns bekannten Maßen von 5,100 x 1,450 Meter und mehr als So dargestellten Ges talten, das bisher größte Gemälde der Banater Schwaben und wohl auch ihr größtes aller Zeiten. Dass es auch mit Abstand unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit Rösers. Er hatte die Idee, bei de1: Budapester Verlagsgesellschaft Franklin Farbreproduktionen des Einwanderungsbildes in großer Auflage hers tellen zu lassen, die einen guten Absatz fanden, von d essen Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet wird, nur ein geringer Teil zufloss. Der besondere Auftrag - ein solcher war es wohl - traf den damals noch nicht dreißigjährigen Künstler fachlich nicht unvorbereitet. In Budapest hatte er bei dem aus Klausenburg stammenden Professor Szelcely Bertalan Malerei studiert - einem in seiner Zeit viel beachteten Meister g:rnßformatiger his torischer Gemälde. Das mag Stefan Jäger die Sicherheit gegeben haben, den Gertianoscher Aufu·ag in der Zuversicht einer guten Ausführung angenommen zu haben. Die Ateliergeschichte des Einwanderungsbildes wä1·e eine Abhandlung für sich und umschließt eine Fülle von Angaben über zahlreiche Skizzen zum Bild, über Trachtenstudien, zum sogenannten . ursprünglichen Einwanderungsbild" bis hin zu später ausgeführten Varianten. Darüber kann in den Veröffentlichungen von Dr. Peter Pink, Dr. Matz Hoffmann, Franz Liebhard, Annemarie Podlipny-Hehn und Karl-Hans Gross (der eine 4 50 Seiten starke Monografie über den Hatzfelder Schwabenmaler veröffentlichte) nachgelesen werden. Stefan Jäger ist es gelungen, in drei Jahren ein malerisch, kompositorisch und historisch überzeugendes Wei·k zu gestalten, das hundert Jahre später zumindest bei seinen deutschen Landsleuten nichts von seiner Attraktivität eingebüßt hat. Annemarie Podlipny-Helm ve1weist in ihrer 1972 im Bukarester Kriterion Verlag heiausgegebenen Monografie „Stefan Jäger" auf „die gesdnckte Verteilung und Gruppierung der Figuren" hin, auf „das Gleichgewicht der Komposition", sie hebt die sowohl zeichnerisch wie malerisch erzielte perspektivische Wirkung des Bildes hervor und die sorgfältige Farbgebung. Und Franz Liebhard betrachtet in seiner 1970 gleichfalls bei Ki·iterion erschienenen Studie über den „Sclnvabenmaler Stefan Jäger" das Einwanderungsbild als dessen Hauptwerk. Tatsädilich hat es sein künstlerisches Werk neu orientiert. Der Gertianoscher Erfolg hatte Jäger einen Themenbereich eröffuet, der auf ihn zugeschnitten war und zum Inhalt seines Maierlebens werden sollte. Mehr noch als in den vielen Hunderten Aquarellen aus dem Banater Volksleben sind es die 147 ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag und zur Aibeitswelt, die zeigen, mit welcher Sorgfalt und Hingabe der Hatzfelder Meister sich des erkannten und gewählten künstlerischen Lebenstl1einas angenommen hat. Was ihn letzthin zum .Schwabenmaler" werden ließ, ist die tiefe Verinnerlichung und künstlerische Umsetzung der heimatlichen Welt, wie sie sich vo1wiegend in der Zwischenkriegszeit wahrgenommen und geäußert hat. Das Ereignis der Enthüllung des Einwanderungsbildes zur Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung zu Pfingsten 1910 in Gertianosch ist in die Annalen der Banater Schwaben eingegangen. Ausstellungen waren damals weltweit nicht nur Mode - sie entsprachen dem Repräsentationsbedürfnis von Völke1n und Mächten, Produzenten und Händlein, Herrschern und Kirchen, Wissenschaftlern und Volkserziehern. Die Großen und Mächtigen machten vor, was, auf das jeweilige Maß reduziert, in der Provinz nachgeschneidertwurde. Kaiser Wilhelm II. demonstrierte, von sechs Söhnen flankiert, die Vitalität des Reiches, die Habsburgerin Elisabeth, uns zumindest als Kinolegende Sissy in Erinnerung, hatte sich zur angeblich schönsten Monarchin der Welt durchgehungert, Paris baute zur Weltausstellung von i889 das damalige Weltwunder Eiffelturm - höher als alles, was die moderne Welt bis dahin zu bieten hatte. Das wird auch im Banat nicht ohne Wirl."llllg geblieben sein und dürfte die Idee einer Gewerbeausstellung in Ge1tianosch nid1t nur am Rande mitbestimmt haben. Zumindest im eigenen Landkreis wollte IIldil schon gesehen werden mit gutem Getreide, bestem Vieh, gediegenen Handwerkererzeugnissen, mit der Handarbeitskunst der Bäuerinnen und - mit Stefan Jägers monumentalem Einwanderungsbild. Glaubt man Meyers Konversationslexikon von 1894, in dem vermerkt wird: „Es hat Au sstellungen gegeben, deren Wert kein anderer w.u- als der eines Jahnna.rktes", so konnte sich Gert:ianosch 1910 mit seine1· Ausstellung auf der Banater Heide gut sehen lassen. Tausende kamen, staunten und feierten alles mit, was es zu feiern gab. Die Ortsgruppe des Bauernvereins und der Handels- und Gewerbeverein feierten gleich zwei Fahnenweihen, Ehrenurkunden wurden an Handwerker und Landviirte verliehen, man rief ausgiebig Eljen, gab sich und war vaterländisch und sah sich bestätigt, als Abt-Domherr Franz Blaskowitsch in Anwesenheit des Abgeordneten Julius Hody zur Enthüllung des Einwanderungsbildes seine Anerkennung aussprach und seinen Segen erteilte. Erwartet worden war, wie Matz Hoffinann berichtet, auch Minister Appony aus Budapest, der aber aus politischen Gründen der Veranstaltung fem blieb. Angeblich war es auch den örtlichen Behörden verboten, in amtlicher Eigenschaft an der Enthüllungsfeier des Einwanderungsbildes teilzunehmen. So beiläufig. wie von uns heute vielleicht angenommen, scheint der Pfingstsonntag 1910 in Gertianosch doch nicht gewesen zu sein. Es wurde auch fotografiert. Lehrer Simon Kreppe! hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder mit Familienangehörigen und dem Maler Stefan Jäger in der Mitte. Auf der Rückseite des Erinnerungsfotos hat Lehi·er Kreppe! kurze Bemerl'"llngen zum Ereignis notiert - auf Ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen Patrioten gehörte. Deswegen muss er kein schlechter Landsmann gewesen sein, es zeigt abe1·, wie das, was wir Identität nennen, durchaus unterschiedlich auslegbar sein kann. Die Identität der Schwaben in Gertianosch litt nicht unter einer deutschungarischen Gegensätzlichkeit, obwohl doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich be\-vusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch wollte man schon sein. Da fällt es auf, dass auf Jägers Einwanderungsbild nichts Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt - neben den dargestellten Einwanderern ist als einzige andere Figur lediglich ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt, der im dritten Teil des Gemäldes den Neuankömmlingen die Häuser zuweist. Ein Ungar ist es nicht. Es ist nicht anzunehmen, dass Stefan Jäger damit eine politische Haltung sichtbar machen wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893 und 1899 über Szegedin und Budapest lief, auf e.iner Schiene, die ungarischer nid1t sein konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich, Deutsdiland und Italien diente so gut wie ausschließlich der künstlerischen Fortbildung, dem universellen Gedanken in der Kunst, in den die ungarische Welt eingebunden war. Dennoch ist festzuhalten, dass sich ihm in der Konzeption des Einwanderungsbildes das ungarische Element nicht aufdrängte. Es fund in seiner Bildidee keinen Platz, dod1 war Stefan Jäger zu unpolitisch, um dahinter eine Gegenposition erkennen zu wollen. Waluscheinlid1 folgte er damit einer rein maleiischen Intuition, die ke.ine politische Auslegung zulässt. Wir dürfen annehmen, dass im Weltverständnis und in der Kunst Stefan Jägei·s das Politische kaum vorkommt und somit alle Versuche, den Meister so oder anders zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt sein müssei1. In seiner Jäger-Studie von 1970 berichtet Franz Liebhard, durchaus um die zeitgemäße sozialistische Einordnung des Künstlers bemüht: .Der hochbetagte Meis- Hommage an Stefan Jäger ter schüttelte staunend das Haupt, wenn er vernahm, dass nach Zusammenhängen gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche liegen, sondern darunter.• Es ging damals, am Vorabend von Jägers So. Geburtstag, um dessen bevorstehende Auszeidmung mit dem Arbeitsorden II. Klasse, für die eben das künstlerische Werk an sich nicht genügte, wenn es nidit klassellkämpferisd1 zugemdnet werden konnte. Franz Liebhard hat das mit einiger Eleganz zurechtgebogen, um nicht zu sagen verzerrt und damit Stefan Jäger in gewissem Sinn sozialistisch hoffähig gemacht. Dieser hat den Orden erhalten und durfte ihn zum Sonntagsanzugwas gesd1ehen ist - mit ruhigem Gewissen tragen für ein We1·k, das nun auch, möglicherweise von der falschen Seite, anerkannt worden wai·. Deportationen, Enteignungen und Schauprozesse hatten bei den Banater Schwaben tiefe Verunsicherungen hinte1·lassen und sie in ilirer Würde verletzt. Ihre Zukunft war melu als ungewiss. Dennoch wäre Jägers Auszeidmung als praktiziertes sozialistisd1es Demokratieverständnis zu werten, das freilich ohne Kern und somit auch unvermittelbar geblieben ist. Jäger selbst hat es eine Rente von monatlich 800 Lei eingebracht, das war mehi· als seine Landsleute in den fünfziger Jalrren durchschnittlich verdient haben. Er genoss im Sozialismus die Gnade des Alters, und es mag nichts anderes als der Pragmatismus der Diktatur gewesen sein, die ihn und sein Werk unbeschadet ließen. Gewandelt hat es ilin nicht, und es ist nicht einzusehen, warum er uns mit achtzig als hungernder Maler bedeutender sein müsste. Es war hingegen keine weltabgewandte Naivität, die den Künstler unpolitisch bleiben ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des HerzellS, mit der Jäger es verstanden hat, das Tagesgeschehen zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer schwer. Bitte, das waren seine Bilde:i; und sie waren und sind alles andere als verschlüsselt. Er meint nicht, sie auslegen zu müssen. In einem handschriftlid1.en biografischen Abriss schreibt er: „Meine malerische Tatigkeit war hauptsädilich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen." Das sollte eigentlich genügen. Wei· melu· hineinzureden sich abmüht, redet an Jäger vorbei und wird ihn seinen Landsleuten entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten Vei·suchen zur Politisierung des künstlerischen Werkes von Stefan Jäger. Die deutsche Volksgrnppe in Rumänien wollte in ihm den Streiter eines ewigen deutschen Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten des kleinen Mannes. Das eine ist so unangebracht wie das andere, und es könnte leicht sein, dass wir uns heute in unsere1· konsumorientiei·ten Gesellschaft als nicht weniger leidltfertig erweisen, wenn wir das Jäger'sche Werk auf die Formel von Mai·kt und Ware bringen wollten. Gewiss - Stefan Jäger malte, was gefiel und bes tellt wm·de, auch wenn ihn die oft dainit verbundenen Auflagen - etwa den Hühnei·hof gen.au so „wie bei Nochbersch Resi" und nid'lt anders zu malen - verstimmten. Es bleibt ind essen sein Verdienst, den Banater schwäbisd1en Bauern die Freude am echten, originalen Kunstwerk vel'Dlittelt zu haben, für das sie - was so selbstverständlich nicht gewesen ist - Geld auszugeben bereit waren. Das Banat und die Batsdika waren, wie Jäger in seinen autobiografischen Aufzeichnungen vein1.e1.·kt, um 1900 herum „mit reisenden Bilderhändlern überflutet, die mit Dutzendbildein ilue Geschäfte machten ... Ich habe mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen Trachten, die landsdiaftlichen Stimmungen, Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten und im Alltagsleben dai-zustellen". Er hat mit diesem Grundsatz, über die Freude am schönen Bild hinaus, bild ungsfördernd gewirkt und erheblich, wenn auch wohl nicht vorsätzlich, zur Identitätsfindung seiner Landsleute beigetragen. Immer wieder finden wir die Identität politisd'I. ausgedeutet und mit ideologischen Ambitionen vermengt. Sie ist aber vorrangig eine kulturelle Erscheinungsform, die sich in der Tradition, im Volksgut und in der Sprache äußert und e1·hält. In diesem Sinne sind die zalillosen Genre-Bildei· Stefan Jägers, ilue Verbreitung und anhaltende Beliebtheit, ganz gewiss identitätsstiftend gewesen, und zwar in weit höherem Maße als das monumentale Einwanderungsbild, das ja nicht aus dem Alltag gegriffen war, sondern eine zur Legende ausgewachsene historisd1.e Erinnerung zur Vorlage hatte. Es markiei1: allerdings den entscheidenden kreativen Ansatz des Künstlers Stefan Jäger, und wir dürfen davon ausgehen, dass dieser ohne das Einwanderungsbild wohl kaum der .Schwabenmaler" geworden wäre, als den wir ihn heutevei·ehren. Wie andere auch, so haben auch wir Banatei· Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten. Zur Zeit der Einwandeiung waren wir ein aus vielen deutschen Landschaften zusaD'lll'l.engewürfeltes buntes Völkchen, das recht unterschiedliche Mundarten sprach und zudem von F1-anzosen aus Lothringen und Italienern aus deni Friaul durchsetzt war. We1· aus dein Elsass kam, war dem Odenwälder ebel.'l.So fremd wie der Pfälzer dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler war regional geprägt und blieb es, bis die Erinnerung an die heimatliche Landschaft 149 im Reich den konkreten Bezug weitgehend veifo1-en hatte und von der Walunehmung einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst worden war, die zunächst noch am ehesten von den eingesessenen Völkern, vornelunlich von den Ungarn, erkannt und !benannt worden war. Sie differenzierten die Zuwande1 ·er nicht regional, sondern haben uns zusammenfassend als Schwaben bez.eidmet, die wir wohl oder übel geblieben sind. Die alten Sb·aßen- und Ortsnamen in unseren Dörfern abe1· - die Lotl'lringer- oder die Pfälzer Gass, Steierdorf im Banater Bergland oder das Dorf Tirol zeigen, wie bemüht die deutsd'len Siedler waren, ihre „wahre" Identitität weder zu vergessen noch zu verleugnen. Ähnlich, wenn aud'I. mit umgekehrten Vorzeid'l.en, WUI'den nach dei· Vertreibung die Namen der Banater Heimatgemeinden auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen übertragen, zur Erinneiung an die alte Heimat Allein - die Identität ist dainit nid'lt gewäluleistet. Spätestens in der dritten Generation sind wir weitgehend aufgegangen im bayrischen, württembergischen odei· rheinländischen Umfeld, wechseln dabei den Dialekt und tauschen die Feste aus. Wir passen uns an. Wie unsere Vorfaluen auch. An die Franzosen und Italiener der Siedlungszeit erinnerten drei Generationen später nur noch die Familiel.ll'laIOen - auch sie der deutschen Rechtschreibung redit mutwillig unterordnet, und aus Elsässein, Pfälzern und Sauei·ländern sind die Banatei· Schwaben he:iv orgegangen, wenn man so will, als eigenai1:iges, nicht wiederholbai·es deutsd'l.-deutsches Konglomerat. Die Identität muss übrigens nicht immer als erhebend empfunden werden und nid'lt immer auszeidmen. Unter anderen sind es immer wieder die Künstler und Literaten, die mit ihrer Identität geradezu kollidiei·en. Die Aktionsgruppe Banat b·at offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe oder Heimatti·eue verstehen, und die ebenso vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet geradezu an ihrer Identität. Wir sollten das nicht zusätzlich dramatisieren, denn es ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas Mann, Klabund, Brecht, Francois Villon, Marlene Dietrich und viele andere ma.chten sich heimatlich unbeliebt, weil sie, zumindest in Teilbereichen, anderer Meinung waren und sich, anders als gewünscht, vex·hielten. Zur Identität, so ist zu sehen, gehören auch die Gegensätze, und da wird es nicht viel nützen, dass wir sie ge1n anders hätten. Wh: sollten uns fürs Ganze entscheiden, und es als gegeben annehmen. Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität am eh esten im Vergleich mit anderen. Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit den Ungarn, den Rumänen oder Serben - um das zu wissen, reicht ein Blick über die Schulter zu den Siebenbürger Sachsen.. Kein Zweifel - wir sind anders, ganz abgesehen davon, dass wir katholisch sind. Das kostet uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist gut so. Aber auch die Religion stiftet Identität, und wir sehen, dass diese ebenso trennt wie eint. Kroaten und Serben können uns dabei einfallen, Flamen und Holländer, aber auch die unierten Rumänen oder, ins Globale verlagert, die Schiiten und Sunniten im Orient usw. usw. Wir haben erlebt, wie die Teilung des Banats nach dem Ersten Weltkrieg zu unterschiedlichen Entwicklungen bei den Banater Schwaben in Rumänien und Jugoslawien geführt hat, und heute sind eigenständige Entwicklungen bei unseren Landsleuten in den USA, in Kanada oder in Brasilien zu sehen, die sid1 unterschiedlichen Anforderungen stellen müssen und unters chiedlich landsmannschaft:lid1 einzubinden sind. Das Haus de1· Donauschwaben in Sindelfingen - es nennt sich gern Welthaus der Donauschwaben - stellt sich der Aufgabe eines Dachverbands, der Gemeinsamkeiten auszuloten und Besonderheiten zu berücksichtigen hat, eine Zielvorgabe ausarbeitet und koordiniert. Was uns bei aller Unterschiedlichkeit einigermaßen zusammenhält, sind die verlorene Banater Heimat und der, dalnit verbundene Mythos, zusammengefasst in dem schönen Einwandererspruch: Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot. Etwas davon finden wir in Stefan Jägei·s Triptychon eingearbeitet: den Drang und die Bereitschaft:, im Banat Heimat zu finden und ihr unser Gesicht zu geben. Adam Müller-Guttenbrunn lässt uns in seiner viel zitierten Hymne das Land anders in Besitz nehmen,„."und wo des Sdr.-vaben Pflug das Land durchschnitten, wird deutsch die fade, und er weicht nicht melu", dichtet er. Hommage an Stefan Jäger Wir aber wissen, das Unvorstellbare ist geschehen, wir sind gewichen und haben die „Heimat, deutschen Schweißes s tolze Blüte" aufgegeben und anderen überlassen oder überlassen müssen . Stefan Jägers Einwanderungsbild präsentiert kein Heldenepos. Es ist ein künstle- 1isch ausgereifter Bericht übei· das Ereignis der Einwanderung Der Künstler hei·oisiei·t nicht - er zeigt, wie wir Heimat finden, und dass es ein eher fragwürdiges Glück gewesen sein mochte, das die deutsd1en Auswanderer in Ungarn vorgefunden hatten. Denken wir daran, ·wie naheliegend es doch für den Künstler gewesen sein dürfte, zum Beispiel ein Triptyd1on mit den Einzelteilen „Eroberung des Banats", .Rodung der Wildnis" und „Triumph der Ernte" zu gestalten, so muss uns Stefan Jägers eher zurückhaltende Variante über unsei·e Ankunft in dei· fremde mit Dank erfüllen. Nichts Belastendes haftet dem Bild an, es ist frei von jeder großen Geste und von jeder Überheblichkeit Es ist bemerkenswert, dass spätere, sich einer triumphalen Darstellung annähernde Varianten bei den Banater Schwaben nie eine mit dem Einwanderungsbild veigleichbare Aufnahme gefunden haben. Das dürfen wir uns gut sdueiben, dass wir mit Herz und Sinn immei· für dieses Monumentalwerk Stefan Jägers gestimmt haben. Wir wollen es bewal1ren, denn es ist ein Stück von uns.

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