ART:0794 - Ein Stück von uns: Unterschied zwischen den Versionen
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− | + | <h2 class="myuntertitel">''Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben''</h2> | |
− | + | Es ist unser Bild. Kein anderes ist so verbreitet bei den Banater Schwaben, kein anderes hat so viel Beachtung und Zustimmung gefunden wie [[Stefan Jäger]]s Triptychon „[[WK:0376|Die Einwanderung der Schwaben ins Banat]]“ – korrekter wohl „der Deutschen“, wie es gelegentlich auch bezeichnet worden ist. Es waren ja nicht vorwiegend Schwaben, die das Banat besiedelt und kultiviert haben, sondern Deutsche aus den südwestlichen Landschaften und aus anderen Gebieten des Reiches. Auch die anderssprachigen Nachbarn – die Rumänen, Ungarn und Serben – haben, so weit es mir bekannt ist, kein Kunstwerk mit vergleichbarer Popularität und Verbreitung vorzuzeigen. Der Erfolg war übrigens nicht wiederholbar. [[Stefan Jäger|Jäger]] selbst hat auf Bestellung Repliken seines Monumentalwerkes angefertigt und zum Einwanderungsthema mehrere bald vergessene Varianten gemalt, und der zwei Jahrzehnte jüngere Banater Maler [[Franz Ferch]] hat mit dem Triptychon „Das Gebet der Ahnen“ und seiner großangelegten Komposition „Das Lagerfeuer“ vergeblich an [[Stefan Jäger|Jäger]]s Erfolg anzuknüpfen versucht.<br/> | |
− | + | Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist es seine Monumentalität, die Meisterschaft der Darstellung oder haben doch eher seine Verehrer und Mittelsmänner – die Manager, wie wir heute sagen würden – den Erfolg bewirkt und ihn verfestigt? Von jedem wird wohl etwas dabei sein und jedes verdient gesondert unsere Aufmerksamkeit. Auch hier jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige Bild in der richtigen Zeit war.<br/> | |
− | + | Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie im Banat aus?<br/> | |
− | Es ist unser Bild. Kein anderes ist so verbreitet bei den Banater Schwaben, kein anderes hat so viel Beachtung und Zustimmung gefunden wie Stefan | + | Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldschers [[Franz Jäger]] und seiner Frau [[Magdalena Schuller|Magdalena]] Schuler in der Gemeinde [[Cenei|Tschene]] geboren, war [[Stefan Jäger]]s Welt das aufstrebende Bürgertum der Jahrhundertwende, die sich in Europa als Gründerzeit definierte, als eine Art fortschrittlicher Wohlstandsgesellschaft begriff und in der so genannten Belle Époque nicht nur in Frankreich den Sinn für das Dekorative sich aneignete und entwickelte. Die Industrie veränderte die Welt, alles schien machbar: Die Titanic wurde gewagt und gebaut, die europäischen Hauptstädte trugen die alten Befestigungsanlagen um den Stadtkern ab und ersetzten sie mit modernen Prachtstraßen, die Wirtschaft expandierte, die letzten Teilstücke der kolonialen Welt fanden ihre Herren, und die Kaiser, Könige und Zaren überboten einander mit Paraden und demonstrativer Macht. Europa war das unbestrittene Zentrum der Welt, und seine Mitte markierten die Dynastien der Habsburger und Hohenzollern. Nie wieder hat Europa einen solchen Glanz entfaltet.<br/> |
− | + | Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren unter ihnen, blieben davon nicht unberührt. Als wichtige Errungenschaft der Zeit durchkreuzte die Eisenbahn Heide und Hecke, die Walzmühlen verdrängten Wasser- , Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung der Landwirtschaft und ihrer Märkte steigerte die Preise und brachte das Geld in Umlauf, Sparkassen entstanden, das Großbauerntum etablierte sich neben den traditionellen Grundherren – man wollte etwas gelten und sich auch entsprechend darstellen. In ganz Europa feierte die Historienmalerei Triumphe: Preußen erkannte sich in der Bilderwelt von Adolph Menzel wieder, in Österreich war es Hans Makart, der die kaiserliche Glorie künstlerisch festzuhalten verstand, die Polen feierten ihre Größe in Johann Matejkos Bildern, die Ungarn ihre Eigenart im Werk von Michael Munkácsy, mit dem vormals schönen deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es bis dahin neben der Kirche und ihren Würdenträgern die gehobene Beamtenschicht und der eher etwas dürftige Adel, der Aufträge, vornehmlich Porträtaufträge, an einheimische und zugewanderte Künstler vergab. Nun drängte das reiche und zunehmend selbstbewusste Bürgertum nach vorn und wollte, wenn auch auf andere Weise, repräsentieren.<br/> | |
− | Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist es seine Monumentalität, die Meisterschaft der Darstellung oder haben doch eher seine Verehrer und Mittelsmänner – die Manager, wie wir heute sagen würden – den Erfolg bewirkt und ihn verfestigt? Von jedem wird wohl etwas dabei sein und jedes verdient gesondert unsere Aufmerksamkeit. Auch hier jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige Bild in der richtigen Zeit war. | + | Die in den gleichen Sog geratenen großen Landgemeinden wollten und durften nicht nachstehen. Handel und Gewerbe, aber auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit und Weltfremdheit der Dörfer durchbrochen und sie mit einem neuen Selbstwertgefühl ausgestattet, das seinen angemessenen Standort suchte. Das Vereinswesen blühte, die ausgedienten Militärmusiker gründeten mit Eifer konkurrierende Blaskapellen, Männergesangvereine traten auf, und es reihten sich die Feste aneinander: Fahnenweihen, Sport- und Sängerfeste, Kathreinbälle, Gewerbeausstellungen. Die ersten Ortsmonografien wurden geschrieben. Begüterte Familien und wendige – manchmal auch windige – Männer fanden oder erstritten sich ihren Platz in der aufstrebenden Dorfgemeinschaft, häuften Güter und Ämter, machten sich unentbehrlich und verdarben nicht selten an einer Überdosis von Raff- und Geltungssucht.<br/> |
− | + | Einer von ihnen war [[Gönner|Adam Röser]] in [[Cărpiniș|Gertianosch]]: Postmeister, Leiter des Schulausschusses, Gründer und Obmann des [[Vereine|Leichenbestattungsvereins]], Gründer des Schützenvereins, Direktor der ersten [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Sparkassa-Aktiengesellschaft und Mitbegründer des [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Konviktes in [[Szeged]]in, Besitzer einer Ziegelei. Er war durch Einheiraten in die begüterte Familie Vuchetics im benachbarten [[Cenei|Tschene]] reich geworden, galt als tüchtig, gewitzt und ist doch bis zuletzt infolge verfehlter Spekulationen zahlungsunfähig geworden. Dennoch ein Mann der Stunde und mit dem Blick aufs Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so missfällig nicht, dass gerade dieser umtriebige [[Gönner|Adam Röser]] maßgeblich an der Entstehung des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] beteiligt gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig, sein damaliger Buchhalter [[Gönner|Jakob Knopf]] geäußert haben, wie [[Dr. Peter Pink]] in seiner Arbeit „Stefan Jäger – ein Banater schwäbischer Kunstmaler“ berichtet. Zur Ausführung bedurfte es dann doch eines [[Gönner|Adam Röser]], zumal die Finanzierungsfrage für das Gelingen des Vorhabens entscheidend war. Und groß – das stand von Anfang an fest – musste das Bild schon sein. Größer als groß – monumental.<br/> | |
− | Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie im Banat aus? | + | Das passte in die Zeit, die sich im Repräsentativen gefiel, und es passte in ein groß, wohl etwas zu groß gewordenes Königreich Ungarn, das seine neue Glorie probte für sich selbst wie gegen andere Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage bei den benachbarten Slawen und Rumänen und sogar bei den biederen und landestreuen Banater Schwaben ausgelöst, um nicht zu sagen losgetreten hatte. Adam Müller-Guttenbrunns Heimatromane waren die meistgelesenen Bücher im Banat und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit, der Bauerndichter Josef Gabriel poetisierte das schwäbische Dorf, Johann Szimits die Mundart, der rebellierende Viktor Orendi-Hommenau gab in [[Timișoara|Temeswar]] die Zeitschrift „Von der Heide“ heraus, der Historiker Ludwig Baróti-Grünn belegte wissenschaftlich Herkunft und Schicksal der deutschen Siedler im Banat, die Ungarländische Deutsche Volkspartei war gegründet worden, und die schwäbischen Dörfer in Heide und Hecke gehörten zu den ansehnlichsten und wohlhabendsten im Lande. Die Selbstbesinnung und das Anliegen, auf sich selbst hinzuweisen, schien für alle ein durchaus politisch zu nennendes Gebot der Zeit zu sein.<br/> |
− | + | Dass sich die Banater Schwaben ausgerechnet für ein monumentales Gemälde entschieden, überrascht zunächst. Im eigenen regionalen Kulturverständnis gibt es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende künstlerische Monumentalarbeit hinweisen. Der häusliche Bedarf war im Wesentlichen auf die Heiligenbilder im Herrgottswinkel beschränkt und wurde von Fliegenden Händlern versorgt. Mehr an Kunst war weder nötig noch gewünscht. Die geschichtsbildprägende Funktion der Historienmalerei allerdings war zumindest der gehobenen Schicht so unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer Entscheidung für ein [[WK:0376|Einwanderungsbild]] bestärkt haben. Es war die legendäre Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische Tat im Bewusstsein der Banater Schwaben verankert war, auf die man stolz sein durfte und auf die man hinzuweisen sich nicht scheute. Den Maler dafür meinte man ja zu haben, immerhin einen akademisch ausgebildeten Kunstmaler, der aus dem Nachbarort stammte und sein Brot in der ungarischen Hauptstadt verdiente.<br/> | |
− | Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldschers Franz Jäger und seiner Frau Magdalena Schuler in der Gemeinde Tschene geboren, war Stefan | + | Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der Bestellung des Kunsthändlers [[Almásy]], der seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften und Stillleben belieferte. Gelegentliche Anfragen gleicher Art aus der Banater Heimat waren auch nicht dazu angetan, Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten, die für ihr wirtschaftliches Denken und für ihre Sparsamkeit ebenso bekannt wie geachtet waren. Von einem Maler [[Stefan Jäger]] wussten damals im Banat nur wenige. Selbst der Heimatdichter [[Peter Jung]] (1887-1966) will erst nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben, dass der Kunstmaler aus ((Cenei|Tschene]] sich bereits 1910 in [[Jimbolia|Hatzfeld]] niedergelassen hatte. Es bleibt ohnehin ein kleines Wunder, wie die recht ansehnliche Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere Vermarktung bei den sonst nüchtern kalkulierenden Schwaben auf der Banater Heide greifen konnte. Vergessen wir nicht, hier war viel Geld für etwas auszugeben, von dem die Meisten keine rechte Vorstellung haben konnten und wohl auch nicht viel gehalten haben mochten. Der [[Vereine|Kasinoverein]], der [[Vereine|Leseverein]], der [[Vereine|Gewerbeverein]] und der [[Vereine|Bauernverein]] haben Liederabende, Konzerte, Vorträge, Dilettantenvorstellungen und Bälle veranstaltet und die Überschüsse für das [[WK:0376|Einwanderungsbild]] zurückgelegt. Auch direkte Spenden wurden gesammelt, wobei [[Gönner|Adam Röser]] mit gutem Beispiel vorangegangen sein soll. [[Stefan Jäger|Jäger]] lieferte recht schnell ein drei Meter langes Bild, das so genannte „ursprüngliche“ Einwanderungsbild, das bereits die uns bekannte Dreiteilung „[[WK:0376#Wanderung|Wanderung]]“, „[[WK:0376#Rast|Rast]]“, „[[WK:0376#Ankunft|Ankunft]]“ enthielt, jedoch in den historischen Trachten der Einwanderungszeit Mängel aufwies, die beanstandet wurden und auf Betreiben von [[Gönner|Johann Walzer]], Direktor der [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Kleinbauernsparkassa, dazu führten, den Künstler auf eine Studienreise nach Deutschland zu entsenden. Der Vorsitzende des [[Vereine|Gewerbevereins]] [[Gönner|Anton Gamauf]] beauftragte Lehrer [[Gönner|Simon Kreppel]] mit der Durchführung einer neuen Sammelaktion, die diesmal [[Gönner|Johann Walzer]] mit einer Spende von 200 Kronen eröffnete. Diese zweite Aktion zeigt recht deutlich, wie sehr das [[WK:0376|Einwanderungsbild]] ein kollektives Anliegen in [[Cărpiniș|Gertianosch]] gewesen sein muss. Das macht auch die erzielte Summe von 4650 Kronen sichtbar, die damals für den Ankauf von viereinhalb Waggon Weizen ausgereicht hätte. Ein Betrag, der die Spesen der Deutschlandfahrt des Malers erheblich überstieg und ihm als ein durchaus nicht unangemessenes Honorar zugewiesen worden war, wie [[Dr. Peter Pink]] berichtet. Dieses respektable Sammelergebnis nicht zuletzt mag den auf Repräsentation bedachten [[Gönner|Adam Röser]] veranlasst haben, nun ein noch größeres, ein richtiges Monumentalgemälde bei [[Stefan Jäger]] in Auftrag zu geben. Es wurde dann, mit den uns bekannten Maßen von 5,100 x 1,450 Meter und mehr als 80 dargestellten Gestalten, das bisher größte Gemälde der Banater Schwaben und wohl auch ihr größtes aller Zeiten. Dass es auch mit Abstand unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit [[Gönner|Rösers]], der, neben dem Maler, Miteigentümer des Bildes war. Er hatte die Idee, bei der [[Budapest]]er Verlagsgesellschaft Franklin Farbreproduktionen des Einwanderungsbildes in großer Auflage herstellen zu lassen, die einen guten Absatz fanden, von dessen Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet wird, nur ein geringer Teil zufloss.<br/> |
− | + | Der besondere Auftrag – ein solcher war es wohl – traf den damals noch nicht dreißigjährigen Künstler fachlich nicht unvorbereitet. In [[Budapest]] hatte er bei dem aus Klausenburg stammenden Professor [[Bertalan Székely|Székely Bertalan]] Malerei studiert – einem in seiner Zeit viel beachteten Meister großformatiger historischer Gemälde. Das mag [[Stefan Jäger]] in seiner Entscheidung bestärkt haben, den [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Auftrag in der Zuversicht einer guten Ausführung anzunehmen. Die Ateliergeschichte des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] umschließt eine Fülle von Skizzen, Trachtenstudien und Entwürfen, angefangen vom so genannten „ursprünglichen Einwanderungsbild“ bis hin zu später ausgeführten Varianten. Darüber kann in den Veröffentlichungen von [[Dr. Peter Pink]], Dr. Matz Hoffmann, [[Robert Reiter|Franz Liebhard]], [[Dr. Annemarie Podlipny-Hehn|Annemarie Podlipny-Hehn]] und [[Karl-Hans Gross]] (der eine zweibändige Monografie über den [[Jimbolia|Hatzfeld]]er Schwabenmaler veröffentlichte) nachgelesen werden. [[Stefan Jäger]] ist es gelungen, in drei Jahren ein malerisch, kompositorisch und historisch überzeugendes Werk zu gestalten, das hundert Jahre später zumindest bei seinen deutschen Landsleuten nichts von seiner Attraktivität eingebüßt hat. [[Dr. Annemarie Podlipny-Hehn|Annemarie Podlipny-Hehn]] verweist in ihrer 1972 bei [[Kriterion]]/Bukarest herausgegebenen Veröffentlichung „Stefan Jäger“ auf „die geschickte Verteilung und Gruppierung der Figuren“ hin, auf „das Gleichgewicht der Komposition“, sie hebt die sowohl zeichnerisch wie malerisch erzielte perspektivische Wirkung des Bildes hervor und die sorgfältige Farbgebung. Der [[Timișoara|Temeswar]]er Essayist [[Robert Reiter|Franz Liebhard]] betrachtet in seiner 1970 gleichfalls bei [[Kriterion]] erschienenen Studie über den „Schwabenmaler Stefan Jäger“ das [[WK:0376|Einwanderungsbild]] als dessen Hauptwerk.<br/> | |
− | Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren unter ihnen, blieben davon nicht unberührt. Als wichtige Errungenschaft der Zeit durchkreuzte die Eisenbahn Heide und Hecke, die Walzmühlen verdrängten Wasser- , Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung der Landwirtschaft und ihrer Märkte steigerte die Preise und brachte das Geld in Umlauf, Sparkassen entstanden, das Großbauerntum etablierte sich neben den traditionellen Grundherren – man wollte etwas gelten und sich auch entsprechend darstellen. In ganz Europa feierte die Historienmalerei Triumphe: Preußen erkannte sich in der Bilderwelt von Adolph Menzel wieder, in Österreich war es Hans Makart, der die kaiserliche Glorie künstlerisch festzuhalten verstand, die Polen feierten ihre Größe in Johann Matejkos Bildern, die Ungarn ihre Eigenart im Werk von Michael Munkácsy, mit dem vormals schönen deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es bis dahin neben der Kirche und ihren Würdenträgern die gehobene Beamtenschicht und der eher etwas dürftige Adel, der Aufträge, vornehmlich Porträtaufträge, an einheimische und zugewanderte Künstler vergab. Nun drängte das reiche und zunehmend selbstbewusste Bürgertum nach vorn und wollte, wenn auch auf andere Weise, repräsentieren. | + | Tatsächlich hat es sein künstlerisches Werk neu orientiert. Der [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Erfolg hatte dazu geführt, in Leben und Arbeit der Banater Schwaben ein Thema zu finden, das auf [[Stefan Jäger|Jäger]] zugeschnitten war und zum Inhalt seines Malerlebens werden sollte. Mehr noch als in den vielen Hunderten Aquarellen aus dem Banater Volksleben sind es die ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag und zur Arbeitswelt, die zeigen, mit welcher Sorgfalt und Hingabe der [[Jimbolia|Hatzfeld]]er Meister sich des erkannten und gewählten künstlerischen Lebensthemas angenommen hat. Was ihn letzthin zum „Schwabenmaler“ werden ließ, ist die tiefe Verinnerlichung und künstlerische Umsetzung der heimatlichen Welt, wie sie sich vorwiegend in der Zwischenkriegszeit wahrgenommen und verstanden hat.<br/> |
− | + | Das Ereignis der Enthüllung des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] zur Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung zu Pfingsten 1910 in [[Cărpiniș|Gertianosch]] ist in die Annalen der Banater Schwaben eingegangen. Ausstellungen waren damals weltweit nicht nur Mode – sie entsprachen dem Zeitgeist und dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung von Völkern und Mächten, Produzenten und Händlern, Herrschern und Kirchen, Wissenschaftlern und Volkserziehern. Die Großen und Mächtigen machten vor, was, auf das jeweilige Maß reduziert, nachgeschneidert wurde. Kaiser Wilhelm II. demonstrierte in Paradeuniform, von sechs gleichfalls in Paradeuniform eingekleideten Söhnen flankiert, die Vitalität seines Reiches, die Habsburgerin Elisabeth, uns zumindest als Kinolegende Sissy in Erinnerung, hatte sich zur angeblich schönsten Monarchin der Welt durchgehungert, Paris baute zur Weltausstellung von 1889 das damalige Weltwunder Eiffelturm – höher als alles, was die moderne Welt bis dahin zu bieten hatte. Mit alldem zu konkurrieren hatte [[Cărpiniș|Gertianosch]] auf der Banater Heide begreiflicherweise nicht im Sinn, aber im eigenen Landkreis wollte man schon gesehen werden mit gutem Getreide, bestem Vieh, gediegenen Handwerkererzeugnissen, mit der Handarbeitskunst der Bäuerinnen und – mit [[Stefan Jäger]]s monumentalem [[WK:0376|Einwanderungsbild]]. Man sah sich gewissermaßen en miniatur neben den sich an Glanz überbietenden Weltausstellungen, und das war so absonderlich nicht, glaubt man Meyers Konversationslexikon von 1894, worin beanstandet wird: „Es hat Ausstellungen gegeben, deren Wert kein anderer war als der eines Jahrmarktes.“ Da konnte man sich 1910 in [[Cărpiniș|Gertianosch]] gut sehen lassen. Tausende kamen, staunten und feierten alles mit, was es zu feiern gab. Die Ortsgruppe des [[Vereine|Bauernvereins]] und der [[Vereine|Handels- und Gewerbeverein]] feierten Fahnenweihen, Ehrenurkunden wurden an Handwerker und Landwirte verliehen, man rief ausgiebig Éljen, gab sich und war vaterländisch und sah sich bestätigt, als Abt-Domherr Franz Blaskovics in Anwesenheit des Abgeordneten Julius Hódy zur Enthüllung des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] seine Anerkennung aussprach und den Segen erteilte. Erwartet worden war, wie Matz Hoffmann berichtet, auch Minister Apponyi aus [[Budapest]], der aber aus politischen Gründen der Veranstaltung fern blieb. Angeblich war es auch den örtlichen Behörden verboten, in amtlicher Eigenschaft an der Enthüllungsfeier des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] teilzunehmen. So beiläufig, wie von uns heute vielleicht angenommen, scheint der Pfingstsonntag 1910 in [[Cărpiniș|Gertianosch]] doch nicht gewesen zu sein. Zwar berichtete die „Temesvárer Zeitung“ vom 18. Mai 1910: „Die Politik war gänzlich ausgeschaltet“, doch lässt eine solche Behauptung erfahrungsgemäß die Annahme des Gegenteils zu.<br/> | |
− | Die in den gleichen Sog geratenen großen Landgemeinden wollten und durften nicht nachstehen. Handel und Gewerbe, aber auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit und Weltfremdheit der Dörfer durchbrochen und sie mit einem neuen Selbstwertgefühl ausgestattet, das seinen angemessenen Standort suchte. Das Vereinswesen blühte, die ausgedienten Militärmusiker gründeten mit Eifer konkurrierende Blaskapellen, Männergesangvereine traten auf, und es reihten sich die Feste aneinander: Fahnenweihen, Sport- und Sängerfeste, Kathreinbälle, Gewerbeausstellungen. Die ersten Ortsmonografien wurden geschrieben. Begüterte Familien und wendige – manchmal auch windige – Männer fanden oder erstritten sich ihren Platz in der aufstrebenden Dorfgemeinschaft, häuften Güter und Ämter, machten sich unentbehrlich und verdarben nicht selten an einer Überdosis von Raff- und Geltungssucht. | + | Es wurde auch fotografiert. Lehrer [[Gönner|Simon Kreppel]] hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder mit Familienangehörigen und dem Maler [[Stefan Jäger]] in der Mitte. Auf der Rückseite des Erinnerungsfotos notierte Lehrer [[Gönner|Kreppel]] kurze Bemerkungen zum Ereignis – auf ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen Patrioten gehörte. Deswegen muss er kein schlechter Landsmann gewesen sein, es zeigt aber, wie das, was wir Identität nennen, durchaus unterschiedlich auslegbar sein kann. Die Identität der Schwaben in [[Cărpiniș|Gertianosch]] litt nicht unter einer deutsch-ungarischen Gegensätzlichkeit, obwohl doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich bewusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch wollte man schon sein. Da muss auffallen, dass auf [[Stefan Jäger|Jägers]] [[WK:0376|Einwanderungsbild]] nichts Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt – neben den dargestellten Einwanderern ist als einzige andere Figur lediglich ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt, der im dritten Teil des Gemäldes den Siedlern die Häuser zuweist. Ein Ungar ist es nicht. Obwohl das Bild damals „[[WK:0376|Einzug der Deutschen in Ungarn]]“ hieß, ist von den Ungarn selbst nichts zu sehen.<br/> |
− | + | Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass [[Stefan Jäger]] damit eine politische Haltung sichtbar machen wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893 und 1899 über [[Szeged]]in und [[Budapest]] verlaufen ist, auf einer Schiene, die ungarischer nicht sein konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich, Deutschland und Italien diente so gut wie ausschließlich der künstlerischen Fortbildung, dem universellen Gedanken in der Kunst, in den auch die ungarische Welt eingebunden war. Wenn diese in der Konzeption des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]], in der Bildidee, keinen Platz gefunden hat, mag das auf eine rein malerische Intuition zurückzuführen sein, die keine politische Auslegung zulässt.<br/> | |
− | Einer von ihnen war [[Adam Röser]] in [[Cărpiniș|Gertianosch]]: Postmeister, Leiter des Schulausschusses, Gründer und Obmann des Leichenbestattungsvereins, Gründer des Schützenvereins, Direktor der ersten [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Sparkassa-Aktiengesellschaft und Mitbegründer des [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Konviktes in [[Szeged]]in, Besitzer einer Ziegelei. Er war durch Einheiraten in die begüterte Familie Vuchetics im benachbarten Tschene reich geworden, galt als tüchtig, gewitzt und ist doch bis zuletzt infolge verfehlter Spekulationen zahlungsunfähig geworden. Dennoch ein Mann der Stunde und mit dem Blick aufs Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so missfällig nicht, dass gerade dieser umtriebige [[Adam Röser]] maßgeblich an der Entstehung des Einwanderungsbildes beteiligt gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig, sein damaliger Buchhalter Jakob Knopf geäußert haben, wie Dr. Peter Pink in seiner Arbeit „Stefan Jäger – ein Banater schwäbischer Kunstmaler“ berichtet. Zur Ausführung bedurfte es dann doch eines [[Adam Röser]], zumal die Finanzierungsfrage für das Gelingen des Vorhabens entscheidend war. Und groß – das stand von Anfang an fest – musste das Bild schon sein. Größer als groß – monumental. | + | In Historikerkreisen neigt man gelegentlich dazu, den Auftrag zum [[WK:0376|Einwanderungsbild]] mit einem politischen Anliegen der Banater Schwaben um die Jahrhundertwende zu verbinden, gewissermaßen als künstlerischer Ausdruck einer deutschen Landnahme, die zur ungarischen oder slawischen dazugestellt werden sollte. Belege dafür fehlen bis heute. [[Dr. Peter Pink]] führt in seinem Bericht lediglich an, [[Gönner|Adam Röser]] habe den Kunstmaler [[Stefan Jäger]] beauftragt, die Einwanderung der Banater Schwaben zu malen. „Wie das Bild gestaltet werden soll“, so [[Dr. Peter Pink|Dr. Pink]], „damit musste sich [[Stefan Jäger|Jäger]] selbst auseinandersetzen.“ Im Bericht von [[Robert Reiter|Franz Liebhard]] wird, „nach [[Stefan Jäger|Jäger]]“ die Anregung [[Gönner|Rösers]] auf die Bemerkung reduziert: „Damit nicht allein die Sachsen ein Einwanderungsbild haben sollen.“ So irgendwie, fügt [[Robert Reiter|Liebhard]] hinzu, soll der Röserische Ansporn gelautet haben, und er bezeichnet diesen abwertend als „schwäbischen Krähwinkelneid“. Das alles ist wenig dazu angetan, einen ernsthaft durchdachten politischen Gedanken mit dem [[WK:0376|Einwanderungsbild]] in Beziehung zu bringen.<br/> |
− | + | Wir dürfen davon ausgehen, dass im Weltverständnis und in der Kunst [[Stefan Jäger]]s, das Politische nicht vorkommt und somit alle Versuche, den Meister so oder anders zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt sein müssen. In seiner Jäger-Studie von 1970 berichtet [[Robert Reiter|Franz Liebhard]], noch nachträglich um die zeitgemäße sozialistische Einordnung des Künstlers bemüht: „Der hochbetagte Meister schüttelte staunend das Haupt, wenn er vernahm, dass nach Zusammenhängen gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche liegen, sondern darunter.“ Es ging damals, am Vorabend von [[Stefan Jäger|Jägers]] 80. Geburtstag, um dessen bevorstehende Auszeichnung mit dem [[Arbeitsorden]] II. Klasse, für die eben das künstlerische Werk an sich nicht genügte, wenn es nicht klassenkämpferisch zugeordnet werden konnte. [[Robert Reiter|Franz Liebhard]] hat das mit einiger Eleganz zurechtgebogen, um nicht zu sagen verzerrt, und damit [[Stefan Jäger]] gewissermaßen sozialistisch hoffähig gemacht. Dieser hat den [[Arbeitsorden|Orden]] erhalten, und durfte ihn zum Sonntagsanzug – was geschehen ist – mit ruhigem Gewissen tragen für ein Werk, das nun auch, möglicherweise von der falschen Seite, anerkannt worden war. Deportationen, Enteignungen und Schauprozesse hatten bei den Banater Schwaben tiefe Verunsicherungen hinterlassen und sie in ihrer Würde verletzt. Ihre Zukunft war mehr als ungewiss. [[Stefan Jäger|Jägers]] Auszeichnung kann dennoch als praktiziertes sozialistisches Demokratieverständnis angesehen werden, das im Kern freilich ohne Kern und somit auch unvermittelbar geblieben ist. [[Stefan Jäger|Jäger]] selbst hat es eine Rente von monatlich 800 Lei eingebracht, das war mehr als seine Landsleute in den fünfziger Jahren durchschnittlich verdient haben mochten. Er genoss im Sozialismus die Gnade des Alters, und es mag nichts anderes als der Pragmatismus der Diktatur gewesen sein, die ihn und sein Werk unbeschadet ließ. Gewandelt hat es ihn nicht, und es ist nicht einzusehen, warum er uns mit achtzig als hungernder Maler bedeutender sein müsste.<br/> | |
− | Das passte in die Zeit, die sich im Repräsentativen gefiel, und es passte in ein groß, wohl etwas zu groß gewordenes Königreich Ungarn, das seine neue Glorie probte für sich selbst wie gegen andere Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage bei den benachbarten Slawen und Rumänen und sogar bei den biederen und landestreuen Banater Schwaben ausgelöst, um nicht zu sagen losgetreten hatte. Adam Müller-Guttenbrunns Heimatromane waren die meistgelesenen Bücher im Banat und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit, der Bauerndichter Josef Gabriel poetisierte das schwäbische Dorf, Johann Szimits die Mundart, der rebellierende Viktor Orendi-Hommenau gab in Temeswar die Zeitschrift „Von der Heide“ heraus, der Historiker Ludwig Baróti-Grünn belegte wissenschaftlich Herkunft und Schicksal der deutschen Siedler im Banat, die Ungarländische Deutsche Volkspartei war gegründet worden, und die schwäbischen Dörfer in Heide und Hecke gehörten zu den ansehnlichsten und wohlhabendsten im Lande. Die Selbstbesinnung und das Anliegen, auf sich selbst hinzuweisen, schien für alle ein durchaus politisch zu nennendes Gebot der Zeit zu sein. | + | Es war hingegen nicht eine weltabgewandte Naivität, die den Künstler unpolitisch bleiben ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des Herzens, mit der [[Stefan Jäger|Jäger]] es verstanden hat, das Tagesgeschehen seiner schwäbischen Heimat zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer schwer. Bitte, das waren seine Bilder, und sie waren und sind alles andere als verschlüsselt. Er meint nicht, sie auslegen zu müssen. In einem handschriftlichen biografischen Abriss schreibt er: „Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen.“<br/> |
− | + | Das sollte eigentlich genügen, und wer mehr hineinzureden sich abmüht, redet an [[Stefan Jäger|Jäger]] vorbei und wird ihn seinen Landsleuten entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten Versuchen zur Politisierung des künstlerischen Werkes von [[Stefan Jäger]]. Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien wollte in ihm den Streiter eines ewigen deutschen Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten des kleinen Mannes. Dass [[Stefan Jäger|Jäger]] eine heitere und heile Welt dargestellt hat, wollten die einen genau so übersehen wie die anderen die ausgeprägte und sich selbst genügende Regionalität der Bilder. Es könnte indessen auch ungewollt vorkommen, dass wir uns heute in unserer konsumorientierten Gesellschaft als nicht weniger leichtfertig erweisen, wenn wir das Jäger’sche Werk auf die Formel von Markt und Ware bringen wollten. Gewiss – [[Stefan Jäger]] malte was gefiel und bestellt wurde, und nicht selten war das der Hühnerhof wie auf dem Bild „von Nochbersch Resi“. Allemal aber bleibt es sein Verdienst, den Banater schwäbischen Bauern die Freude am echten, originalen Kunstwerk vermittelt zu haben, für das sie – was so selbstverständlich nicht ist – bereit waren Geld auszugeben. Das Banat und die Batschka waren, wie [[Stefan Jäger|Jäger]] in seinen autobiografischen Aufzeichnungen vermerkt, um 1900 herum „mit reisenden Bilderhändlern überflutet, die mit Dutzendbildern ihre Geschäfte machten... Ich habe mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen Trachten, die landschaftlichen Stimmungen, Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten und im Alltagsleben darzustellen“. Er hat mit diesem Grundsatz, über die Freude am schönen Bild hinaus, bildungsfördernd gewirkt und erheblich, wenn auch wohl nicht vorsätzlich, zur Identitätsfindung seiner Landsleute beigetragen.<br/> | |
− | Dass sich die Banater Schwaben ausgerechnet für ein monumentales Gemälde entschieden, überrascht zunächst. Im eigenen regionalen Kulturverständnis gibt es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende künstlerische Monumentalarbeit hinweisen. Der häusliche Bedarf war im Wesentlichen auf die Heiligenbilder im Herrgottswinkel beschränkt und wurde von Fliegenden Händlern versorgt. Mehr an Kunst war weder nötig noch gewünscht. Die geschichtsbildprägende Funktion der Historienmalerei allerdings war zumindest der gehobenen Schicht so unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer Entscheidung für ein Einwanderungsbild bestärkt haben. Es war die legendäre Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische Tat im Bewusstsein der Banater Schwaben verankert war, auf die man stolz sein durfte und auf die man hinzuweisen sich nicht scheute. Den Maler dafür meinte man ja zu haben, immerhin einen akademisch ausgebildeten Kunstmaler, der aus dem Nachbarort stammte und sein Brot in der ungarischen Hauptstadt verdiente. | + | Immer wieder finden wir die Identität politisch ausgedeutet, mit ideologischen Ambitionen vermengt, sie ist aber vorrangig eine kulturelle Erscheinungsform, die sich in der Tradition, im Volksgut und in der Sprache äußert und erhält. In diesem Sinne sind die zahllosen Genre-Bilder [[Stefan Jäger]]s, ihre Verbreitung und anhaltende Beliebtheit, ganz gewiss identitätsstiftend gewesen, und zwar in höherem Maße als das monumentale [[WK:0376|Einwanderungsbild]], das ja nicht aus dem Alltag gegriffen war, sondern eine zur Legende ausgewachsene historische Erinnerung zur Vorlage hatte. Es markiert allerdings den entscheidenden kreativen Ansatz des Künstlers [[Stefan Jäger]], und wir dürfen davon ausgehen, dass dieser ohne das [[WK:0376|Einwanderungsbild]] wohl kaum der „Schwabenmaler“ geworden wäre, als den wir ihn heute verehren.<br/> |
− | + | Wie andere auch, so haben auch wir Banater Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten. Zur Zeit der Einwanderung waren wir ein aus vielen deutschen Landschaften zusammengewürfeltes buntes Völkchen, das recht unterschiedliche Mundarten sprach und zudem von Franzosen aus Lothringen, Italienern aus dem Friaul und anderen Volkssplittern durchsetzt war. Wer aus dem Elsass kam, war dem Odenwälder ebenso fremd wie der Pfälzer dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler war regional geprägt und blieb es, bis die Erinnerung an die heimatliche Landschaft im Reich den konkreten Bezug weitgehend verloren hatte und von der Wahrnehmung einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst worden war, die zunächst noch am ehesten von den eingesessenen Völkern, vornehmlich von den Ungarn, erkannt und benannt worden war. Sie differenzierten die Zuwanderer nicht regional, sondern haben uns zusammenfassend als Schwaben bezeichnet, die wir wohl oder übel geblieben sind. Die alten Straßen- und Ortsnamen in unseren Dörfern aber – die Lothringer- oder die Pfälzer Gass oder Steierdorf im Banater Bergland – zeigen, wie bemüht die deutschen Siedler waren, ihre „wahre“ Identität weder zu vergessen noch zu verleugnen. Ähnlich, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, wurden nach der Vertreibung die Namen der Banater Heimatgemeinden auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen übertragen, zur Erinnerung an die alte Heimat. Allein – die Identität ist damit nicht gewährleistet. Spätestens in der dritten Generation sind wir weitgehend aufgegangen im bayrischen, württembergischen oder rheinländischen Umfeld – wir nennen das Integration -, wechseln dabei den Dialekt und tauschen die Feste aus. Wir passen uns an. Wie unsere Vorfahren auch. An die Franzosen und Italiener der Siedlungszeit erinnerten drei Generationen später nur noch die Familiennamen – auch sie der deutschen Rechtschreibung recht mutwillig unterordnet, und aus Elsässern, Pfälzern und Sauerländern sind die Banater Schwaben hervorgegangen, wenn man so will, als eigenartiges nicht wiederholbares deutsch-deutsches Konglomerat.<br/> | |
− | Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der Bestellung des Kunsthändlers Almásy, der seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften und Stillleben belieferte. Gelegentliche Anfragen gleicher Art aus der Banater Heimat waren auch nicht dazu angetan, Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten, die für ihr wirtschaftliches Denken und für ihre Sparsamkeit ebenso bekannt wie geachtet waren. Von einem Maler Stefan Jäger wussten damals im Banat nur wenige. Selbst der Heimatdichter Peter Jung (1887-1966) will erst nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben, dass der Kunstmaler aus Tschene sich bereits 1910 in Hatzfeld niedergelassen hatte. Es bleibt ohnehin ein kleines Wunder, wie die recht ansehnliche Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere Vermarktung bei den sonst nüchtern kalkulierenden Schwaben auf der Banater Heide greifen konnte. Vergessen wir nicht, hier war viel Geld für etwas auszugeben, von dem die Meisten keine rechte Vorstellung haben konnten und wohl auch nicht viel gehalten haben mochten. Der Kasinoverein, der Leseverein, der Gewerbeverein und der Bauernverein haben Liederabende, Konzerte, Vorträge, Dilettantenvorstellungen und Bälle veranstaltet und die Überschüsse für das Einwanderungsbild zurückgelegt. Auch direkte Spenden wurden gesammelt, wobei [[Adam Röser]] mit gutem Beispiel vorangegangen sein soll. Jäger lieferte recht schnell ein drei Meter langes Bild, das so genannte „ursprüngliche“ Einwanderungsbild, das bereits die uns bekannte Dreiteilung | + | Die Identität muss übrigens nicht immer als erhebend empfunden werden und nicht immer auszeichnen. Unter anderen sind es immer wieder die Künstler und Literaten, die mit ihrer Identität geradezu kollidieren. Die Aktionsgruppe Banat trat offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe oder Heimattreue verstehen, und die ebenso vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet geradezu an ihrer Identität. Wir sollten das nicht dramatisieren, denn es ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas Mann, Klabund, Bertold Brecht, François Villon, Marlene Dietrich und viele andere machten sich heimatlich unbeliebt, weil sie zumindest in Teilbereichen anderer Meinung waren und sich anders als gewünscht verhielten. Zur Identität, so ist zu sehen, gehören auch die Gegensätze, und da wird es nicht viel nützen, dass wir sie gern sauber hätten. Wir sollten uns fürs Ganze entscheiden, und es als gegeben annehmen.<br/> |
− | + | Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität am ehesten im Vergleich mit anderen. Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit den Ungarn, den Rumänen oder Serben – um das zu wissen, reicht ein Blick über den Zaun zu den Siebenbürger Sachsen. Kein Zweifel – wir sind anders, ganz abgesehen davon, dass wir katholisch sind. Das kostet uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist gut, dass es so ist. Aber auch die Religion stiftet Identität, und wir sehen, dass diese ebenso trennt wie eint. Kroaten und Serben können uns dabei einfallen, Flamen und Holländer, aber auch die unierten Rumänen oder, ins Globale verlagert, die Schiiten und Sunniten im Orient usw. usw.<br/> | |
− | Der besondere Auftrag – ein solcher war es wohl – traf den damals noch nicht dreißigjährigen Künstler fachlich nicht unvorbereitet. In [[Budapest]] hatte er bei dem aus Klausenburg stammenden Professor [[Bertalan Székely|Székely Bertalan]] Malerei studiert – einem in seiner Zeit viel beachteten Meister großformatiger historischer Gemälde. Das mag Stefan Jäger in seiner Entscheidung bestärkt haben, den [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Auftrag in der Zuversicht einer guten Ausführung anzunehmen. Die Ateliergeschichte des Einwanderungsbildes umschließt eine Fülle von Skizzen, Trachtenstudien und Entwürfen, angefangen vom so genannten „ursprünglichen Einwanderungsbild“ bis hin zu später ausgeführten Varianten. Darüber kann in den Veröffentlichungen von [[Dr. Peter Pink]], Dr. Matz Hoffmann, [[Franz Liebhard]], [[Dr. Annemarie Podlipny-Hehn|Annemarie Podlipny-Hehn]] und Karl-Hans Gross (der eine zweibändige Monografie über den | + | Wir haben erlebt, wie die Teilung des Banats nach dem Ersten Weltkrieg zu unterschiedlichen Entwicklungen bei den Banater Schwaben in Rumänien und Jugoslawien geführt haben, und heute sind eigenständige Entwicklungen bei unseren Landsleuten in den USA, in Kanada oder in Brasilien zu sehen, die sich unterschiedlichen Anforderungen stellen müssen und unterschiedlich landsmannschaftlich einzubinden sind. Das Haus der Donauschwaben in Sindelfingen – es nennt sich gern Welthaus der Donauschwaben – stellt sich der Aufgabe eines Dachverbands, der Gemeinsamkeiten auszuloten und Besonderheiten zu berücksichtigen hat, eine Zielvorgabe ausarbeitet und organisatorisch koordiniert.<br/> |
− | + | Was uns bei aller Unterschiedlichkeit einigermaßen zusammenhält sind die verlorene Banater Heimat und der damit verbundene Mythos, zusammengefasst in dem schönen Einwandererspruch: Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot. Etwas davon finden wir in [[Stefan Jäger]]s Triptychon eingearbeitet: den Drang und die Bereitschaft Heimat zu finden und ihr unser Gesicht zu geben. Adam Müller-Guttenbrunn lässt uns in seiner einst vielzitierten Hymne das Land anders in Besitz nehmen: „... und wo des Schwaben Pflug das Land durchschnitten, wird deutsch die Erde, und er weicht nicht mehr“, dichtet er. Wir aber wissen, das Unvorstellbare ist geschehen, wir sind gewichen und haben die „Heimat, deutschen Schweißes stolze Blüte“ aufgegeben und anderen überlassen oder überlassen müssen.<br/> | |
− | Tatsächlich hat es sein künstlerisches Werk neu orientiert. Der [[Cărpiniș|Gertianosch]]er Erfolg hatte dazu geführt, in Leben und Arbeit der Banater Schwaben ein Thema zu finden, das auf Jäger zugeschnitten war und zum Inhalt seines Malerlebens werden sollte. Mehr noch als in den vielen Hunderten Aquarellen aus dem Banater Volksleben sind es die ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag und zur Arbeitswelt, die zeigen, mit welcher Sorgfalt und Hingabe der | + | [[Stefan Jäger]]s [[WK:0376|Einwanderungsbild]] will nicht ein Heldenepos sein. Es ist ein künstlerisch ausgereifter Bericht über das Ereignis der Einwanderung. Der Künstler heroisiert nicht – er zeigt, wie wir Heimat finden, und dass es ein eher fragwürdiges Glück gewesen sein mochte, das die deutschen Auswanderer in Ungarn vorgefunden hatten. Denken wir daran, wie naheliegend es doch gewesen sein dürfte, zum Beispiel ein Triptychon mit der Eroberung des Banats durch den Prinzen Eugen, die Rodung der Wildnis und dem Triumph der Ernte als Einzelteile zu gestalten, so muss uns [[Stefan Jäger]]s aufrichtige und dezente Darstellung über unsere Ankunft in der Fremde mit Dank erfüllen. Nichts Belastendes haftet dem Bild an, es ist frei von jeder großen Geste und von jeder Überheblichkeit. Es ist bemerkenswert, dass spätere Varianten sich einer triumphalen Darstellung zwar annäherten, bei den Banater Schwaben jedoch nie eine auch nur annähernde Aufnahme wie das eigentliche [[WK:0376|Einwanderungsbild]] gefunden haben. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir uns gut schreiben, dass wir mit Herz und Sinn immer für dieses Monumentalwerk [[Stefan Jäger]]s gestimmt haben, es angenommen haben und bewahren wollen – denn es ist ein Stück von uns. Und das, wenn ich es richtig sehe, hat sehr viel mit dem zu tun, was wir unter Identität verstehen.<br/> |
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− | Das Ereignis der Enthüllung des | + | Franz Heinz<br/> |
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− | Es wurde auch fotografiert. Lehrer Simon Kreppel hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder mit Familienangehörigen und dem Maler Stefan Jäger in der Mitte. Auf der Rückseite des Erinnerungsfotos notierte Lehrer Kreppel kurze Bemerkungen zum Ereignis – auf ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen Patrioten gehörte. Deswegen muss er kein schlechter Landsmann gewesen sein, es zeigt aber, wie das, was wir Identität nennen, durchaus unterschiedlich auslegbar sein kann. Die Identität der Schwaben in [[Cărpiniș|Gertianosch]] litt nicht unter einer deutsch-ungarischen Gegensätzlichkeit, obwohl doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich bewusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch wollte man schon sein. Da muss auffallen, dass auf Jägers Einwanderungsbild nichts Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt – neben den dargestellten Einwanderern ist als einzige andere Figur lediglich ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt, der im dritten Teil des Gemäldes den Siedlern die Häuser zuweist. Ein Ungar ist es nicht. Obwohl das Bild damals | + | ''[Beitrag zur „43. Kulturtagung der Landsmannschaft der Banater Schwaben“ am 17.-18. November 2007 im Haus der Donauschwaben, Sindelfingen]''<br/> |
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− | Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass Stefan Jäger damit eine politische Haltung sichtbar machen wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893 und 1899 über [[Szeged]]in und [[Budapest]] verlaufen ist, auf einer Schiene, die ungarischer nicht sein konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich, Deutschland und Italien diente so gut wie ausschließlich der künstlerischen Fortbildung, dem universellen Gedanken in der Kunst, in den auch die ungarische Welt eingebunden war. Wenn diese in der Konzeption des Einwanderungsbildes, in der Bildidee, keinen Platz gefunden hat, mag das auf eine rein malerische Intuition zurückzuführen sein, die keine politische Auslegung zulässt. | ||
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− | In Historikerkreisen neigt man gelegentlich dazu, den Auftrag zum | ||
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− | Wir dürfen davon ausgehen, dass im Weltverständnis und in der Kunst Stefan | ||
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− | Es war hingegen nicht eine weltabgewandte Naivität, die den Künstler unpolitisch bleiben ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des Herzens, mit der Jäger es verstanden hat, das Tagesgeschehen seiner schwäbischen Heimat zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer schwer. Bitte, das waren seine Bilder, und sie waren und sind alles andere als verschlüsselt. Er meint nicht, sie auslegen zu müssen. In einem handschriftlichen biografischen Abriss schreibt er: „Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen.“ | ||
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− | Das sollte eigentlich genügen, und wer mehr hineinzureden sich abmüht, redet an Jäger vorbei und wird ihn seinen Landsleuten entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten Versuchen zur Politisierung des künstlerischen Werkes von Stefan Jäger. Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien wollte in ihm den Streiter eines ewigen deutschen Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten des kleinen Mannes. Dass Jäger | ||
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− | Immer wieder finden wir die Identität politisch ausgedeutet, mit ideologischen Ambitionen vermengt, sie ist aber vorrangig eine kulturelle Erscheinungsform, die sich in der Tradition, im Volksgut und in der Sprache äußert und erhält. In diesem Sinne sind die zahllosen Genre-Bilder Stefan | ||
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− | Wie andere auch, so haben auch wir Banater Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten. Zur Zeit der Einwanderung waren wir ein aus vielen deutschen Landschaften zusammengewürfeltes buntes Völkchen, das recht unterschiedliche Mundarten sprach und zudem von Franzosen aus Lothringen, Italienern aus dem Friaul und anderen Volkssplittern durchsetzt war. Wer aus dem Elsass kam, war dem Odenwälder ebenso fremd wie der Pfälzer dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler war regional geprägt und blieb es, bis die Erinnerung an die heimatliche Landschaft im Reich den konkreten Bezug weitgehend verloren hatte und von der Wahrnehmung einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst worden war, die zunächst noch am ehesten von den eingesessenen Völkern, vornehmlich von den Ungarn, erkannt und benannt worden war. Sie differenzierten die Zuwanderer nicht regional, sondern haben uns zusammenfassend als Schwaben bezeichnet, die wir wohl oder übel geblieben sind. Die alten Straßen- und Ortsnamen in unseren Dörfern aber – die Lothringer- oder die Pfälzer Gass oder Steierdorf im Banater Bergland – zeigen, wie bemüht die deutschen Siedler waren, ihre „wahre“ Identität weder zu vergessen noch zu verleugnen. Ähnlich, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, wurden nach der Vertreibung die Namen der Banater Heimatgemeinden auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen übertragen, zur Erinnerung an die alte Heimat. Allein – die Identität ist damit nicht gewährleistet. Spätestens in der dritten Generation sind wir weitgehend aufgegangen im bayrischen, württembergischen oder rheinländischen Umfeld – wir nennen das Integration -, wechseln dabei den Dialekt und tauschen die Feste aus. Wir passen uns an. Wie unsere Vorfahren auch. An die Franzosen und Italiener der Siedlungszeit erinnerten drei Generationen später nur noch die Familiennamen – auch sie der deutschen Rechtschreibung recht mutwillig unterordnet, und aus Elsässern, Pfälzern und Sauerländern sind die Banater Schwaben hervorgegangen, wenn man so will, als eigenartiges nicht wiederholbares deutsch-deutsches Konglomerat. | ||
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− | Die Identität muss übrigens nicht immer als erhebend empfunden werden und nicht immer auszeichnen. Unter anderen sind es immer wieder die Künstler und Literaten, die mit ihrer Identität geradezu kollidieren. Die Aktionsgruppe Banat trat offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe oder Heimattreue verstehen, und die ebenso vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet geradezu an ihrer Identität. Wir sollten das nicht dramatisieren, denn es ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas Mann, Klabund, Bertold Brecht, François Villon, Marlene Dietrich und viele andere machten sich heimatlich unbeliebt, weil sie zumindest in Teilbereichen anderer Meinung waren und sich anders als gewünscht verhielten. Zur Identität, so ist zu sehen, gehören auch die Gegensätze, und da wird es nicht viel nützen, dass wir sie gern sauber hätten. Wir sollten uns fürs Ganze entscheiden, und es als gegeben annehmen. | ||
− | Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität am ehesten im Vergleich mit anderen. Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit den Ungarn, den Rumänen oder Serben – um das zu wissen, reicht ein Blick über den Zaun zu den Siebenbürger Sachsen. Kein Zweifel – wir sind anders, ganz abgesehen davon, dass wir katholisch sind. Das kostet uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist gut, dass es so ist. Aber auch die Religion stiftet Identität, und wir sehen, dass diese ebenso trennt wie eint. Kroaten und Serben können uns dabei einfallen, Flamen und Holländer, aber auch die unierten Rumänen oder, ins Globale verlagert, die Schiiten und Sunniten im Orient usw. usw. | ||
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− | Wir haben erlebt, wie die Teilung des Banats nach dem Ersten Weltkrieg zu unterschiedlichen Entwicklungen bei den Banater Schwaben in Rumänien und Jugoslawien geführt haben, und heute sind eigenständige Entwicklungen bei unseren Landsleuten in den USA, in Kanada oder in Brasilien zu sehen, die sich unterschiedlichen Anforderungen stellen müssen und unterschiedlich landsmannschaftlich einzubinden sind. Das Haus der Donauschwaben in Sindelfingen – es nennt sich gern Welthaus der Donauschwaben – stellt sich der Aufgabe eines Dachverbands, der Gemeinsamkeiten auszuloten und Besonderheiten zu berücksichtigen hat, eine Zielvorgabe ausarbeitet und organisatorisch koordiniert. | ||
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− | Was uns bei aller Unterschiedlichkeit einigermaßen zusammenhält sind die verlorene Banater Heimat und der damit verbundene Mythos, zusammengefasst in dem schönen Einwandererspruch: Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot. Etwas davon finden wir in Stefan | ||
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[[Kategorie:Typoskript]] | [[Kategorie:Typoskript]] | ||
+ | [[Kategorie:Triptychon]] |
Aktuelle Version vom 11. Mai 2016, 12:33 Uhr
Bibliografie | |
---|---|
Artikel Nummer: | 0794 |
Autor Name: | Franz Heinz |
Titel des Artikels : | Ein Stück von uns |
Untertitel des Artikels: | Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben |
Publikation: | Typosktipt |
Jahr: | 2007 |
* [[Franz Heinz]]: [[ART:0794 - Ein Stück von uns|<i>Ein Stück von uns</i>. Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben]] 2007 |
Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben
Es ist unser Bild. Kein anderes ist so verbreitet bei den Banater Schwaben, kein anderes hat so viel Beachtung und Zustimmung gefunden wie Stefan Jägers Triptychon „Die Einwanderung der Schwaben ins Banat“ – korrekter wohl „der Deutschen“, wie es gelegentlich auch bezeichnet worden ist. Es waren ja nicht vorwiegend Schwaben, die das Banat besiedelt und kultiviert haben, sondern Deutsche aus den südwestlichen Landschaften und aus anderen Gebieten des Reiches. Auch die anderssprachigen Nachbarn – die Rumänen, Ungarn und Serben – haben, so weit es mir bekannt ist, kein Kunstwerk mit vergleichbarer Popularität und Verbreitung vorzuzeigen. Der Erfolg war übrigens nicht wiederholbar. Jäger selbst hat auf Bestellung Repliken seines Monumentalwerkes angefertigt und zum Einwanderungsthema mehrere bald vergessene Varianten gemalt, und der zwei Jahrzehnte jüngere Banater Maler Franz Ferch hat mit dem Triptychon „Das Gebet der Ahnen“ und seiner großangelegten Komposition „Das Lagerfeuer“ vergeblich an Jägers Erfolg anzuknüpfen versucht.
Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist es seine Monumentalität, die Meisterschaft der Darstellung oder haben doch eher seine Verehrer und Mittelsmänner – die Manager, wie wir heute sagen würden – den Erfolg bewirkt und ihn verfestigt? Von jedem wird wohl etwas dabei sein und jedes verdient gesondert unsere Aufmerksamkeit. Auch hier jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige Bild in der richtigen Zeit war.
Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie im Banat aus?
Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldschers Franz Jäger und seiner Frau Magdalena Schuler in der Gemeinde Tschene geboren, war Stefan Jägers Welt das aufstrebende Bürgertum der Jahrhundertwende, die sich in Europa als Gründerzeit definierte, als eine Art fortschrittlicher Wohlstandsgesellschaft begriff und in der so genannten Belle Époque nicht nur in Frankreich den Sinn für das Dekorative sich aneignete und entwickelte. Die Industrie veränderte die Welt, alles schien machbar: Die Titanic wurde gewagt und gebaut, die europäischen Hauptstädte trugen die alten Befestigungsanlagen um den Stadtkern ab und ersetzten sie mit modernen Prachtstraßen, die Wirtschaft expandierte, die letzten Teilstücke der kolonialen Welt fanden ihre Herren, und die Kaiser, Könige und Zaren überboten einander mit Paraden und demonstrativer Macht. Europa war das unbestrittene Zentrum der Welt, und seine Mitte markierten die Dynastien der Habsburger und Hohenzollern. Nie wieder hat Europa einen solchen Glanz entfaltet.
Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren unter ihnen, blieben davon nicht unberührt. Als wichtige Errungenschaft der Zeit durchkreuzte die Eisenbahn Heide und Hecke, die Walzmühlen verdrängten Wasser- , Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung der Landwirtschaft und ihrer Märkte steigerte die Preise und brachte das Geld in Umlauf, Sparkassen entstanden, das Großbauerntum etablierte sich neben den traditionellen Grundherren – man wollte etwas gelten und sich auch entsprechend darstellen. In ganz Europa feierte die Historienmalerei Triumphe: Preußen erkannte sich in der Bilderwelt von Adolph Menzel wieder, in Österreich war es Hans Makart, der die kaiserliche Glorie künstlerisch festzuhalten verstand, die Polen feierten ihre Größe in Johann Matejkos Bildern, die Ungarn ihre Eigenart im Werk von Michael Munkácsy, mit dem vormals schönen deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es bis dahin neben der Kirche und ihren Würdenträgern die gehobene Beamtenschicht und der eher etwas dürftige Adel, der Aufträge, vornehmlich Porträtaufträge, an einheimische und zugewanderte Künstler vergab. Nun drängte das reiche und zunehmend selbstbewusste Bürgertum nach vorn und wollte, wenn auch auf andere Weise, repräsentieren.
Die in den gleichen Sog geratenen großen Landgemeinden wollten und durften nicht nachstehen. Handel und Gewerbe, aber auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit und Weltfremdheit der Dörfer durchbrochen und sie mit einem neuen Selbstwertgefühl ausgestattet, das seinen angemessenen Standort suchte. Das Vereinswesen blühte, die ausgedienten Militärmusiker gründeten mit Eifer konkurrierende Blaskapellen, Männergesangvereine traten auf, und es reihten sich die Feste aneinander: Fahnenweihen, Sport- und Sängerfeste, Kathreinbälle, Gewerbeausstellungen. Die ersten Ortsmonografien wurden geschrieben. Begüterte Familien und wendige – manchmal auch windige – Männer fanden oder erstritten sich ihren Platz in der aufstrebenden Dorfgemeinschaft, häuften Güter und Ämter, machten sich unentbehrlich und verdarben nicht selten an einer Überdosis von Raff- und Geltungssucht.
Einer von ihnen war Adam Röser in Gertianosch: Postmeister, Leiter des Schulausschusses, Gründer und Obmann des Leichenbestattungsvereins, Gründer des Schützenvereins, Direktor der ersten Gertianoscher Sparkassa-Aktiengesellschaft und Mitbegründer des Gertianoscher Konviktes in Szegedin, Besitzer einer Ziegelei. Er war durch Einheiraten in die begüterte Familie Vuchetics im benachbarten Tschene reich geworden, galt als tüchtig, gewitzt und ist doch bis zuletzt infolge verfehlter Spekulationen zahlungsunfähig geworden. Dennoch ein Mann der Stunde und mit dem Blick aufs Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so missfällig nicht, dass gerade dieser umtriebige Adam Röser maßgeblich an der Entstehung des Einwanderungsbildes beteiligt gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig, sein damaliger Buchhalter Jakob Knopf geäußert haben, wie Dr. Peter Pink in seiner Arbeit „Stefan Jäger – ein Banater schwäbischer Kunstmaler“ berichtet. Zur Ausführung bedurfte es dann doch eines Adam Röser, zumal die Finanzierungsfrage für das Gelingen des Vorhabens entscheidend war. Und groß – das stand von Anfang an fest – musste das Bild schon sein. Größer als groß – monumental.
Das passte in die Zeit, die sich im Repräsentativen gefiel, und es passte in ein groß, wohl etwas zu groß gewordenes Königreich Ungarn, das seine neue Glorie probte für sich selbst wie gegen andere Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage bei den benachbarten Slawen und Rumänen und sogar bei den biederen und landestreuen Banater Schwaben ausgelöst, um nicht zu sagen losgetreten hatte. Adam Müller-Guttenbrunns Heimatromane waren die meistgelesenen Bücher im Banat und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit, der Bauerndichter Josef Gabriel poetisierte das schwäbische Dorf, Johann Szimits die Mundart, der rebellierende Viktor Orendi-Hommenau gab in Temeswar die Zeitschrift „Von der Heide“ heraus, der Historiker Ludwig Baróti-Grünn belegte wissenschaftlich Herkunft und Schicksal der deutschen Siedler im Banat, die Ungarländische Deutsche Volkspartei war gegründet worden, und die schwäbischen Dörfer in Heide und Hecke gehörten zu den ansehnlichsten und wohlhabendsten im Lande. Die Selbstbesinnung und das Anliegen, auf sich selbst hinzuweisen, schien für alle ein durchaus politisch zu nennendes Gebot der Zeit zu sein.
Dass sich die Banater Schwaben ausgerechnet für ein monumentales Gemälde entschieden, überrascht zunächst. Im eigenen regionalen Kulturverständnis gibt es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende künstlerische Monumentalarbeit hinweisen. Der häusliche Bedarf war im Wesentlichen auf die Heiligenbilder im Herrgottswinkel beschränkt und wurde von Fliegenden Händlern versorgt. Mehr an Kunst war weder nötig noch gewünscht. Die geschichtsbildprägende Funktion der Historienmalerei allerdings war zumindest der gehobenen Schicht so unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer Entscheidung für ein Einwanderungsbild bestärkt haben. Es war die legendäre Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische Tat im Bewusstsein der Banater Schwaben verankert war, auf die man stolz sein durfte und auf die man hinzuweisen sich nicht scheute. Den Maler dafür meinte man ja zu haben, immerhin einen akademisch ausgebildeten Kunstmaler, der aus dem Nachbarort stammte und sein Brot in der ungarischen Hauptstadt verdiente.
Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der Bestellung des Kunsthändlers Almásy, der seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften und Stillleben belieferte. Gelegentliche Anfragen gleicher Art aus der Banater Heimat waren auch nicht dazu angetan, Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten, die für ihr wirtschaftliches Denken und für ihre Sparsamkeit ebenso bekannt wie geachtet waren. Von einem Maler Stefan Jäger wussten damals im Banat nur wenige. Selbst der Heimatdichter Peter Jung (1887-1966) will erst nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben, dass der Kunstmaler aus ((Cenei|Tschene]] sich bereits 1910 in Hatzfeld niedergelassen hatte. Es bleibt ohnehin ein kleines Wunder, wie die recht ansehnliche Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere Vermarktung bei den sonst nüchtern kalkulierenden Schwaben auf der Banater Heide greifen konnte. Vergessen wir nicht, hier war viel Geld für etwas auszugeben, von dem die Meisten keine rechte Vorstellung haben konnten und wohl auch nicht viel gehalten haben mochten. Der Kasinoverein, der Leseverein, der Gewerbeverein und der Bauernverein haben Liederabende, Konzerte, Vorträge, Dilettantenvorstellungen und Bälle veranstaltet und die Überschüsse für das Einwanderungsbild zurückgelegt. Auch direkte Spenden wurden gesammelt, wobei Adam Röser mit gutem Beispiel vorangegangen sein soll. Jäger lieferte recht schnell ein drei Meter langes Bild, das so genannte „ursprüngliche“ Einwanderungsbild, das bereits die uns bekannte Dreiteilung „Wanderung“, „Rast“, „Ankunft“ enthielt, jedoch in den historischen Trachten der Einwanderungszeit Mängel aufwies, die beanstandet wurden und auf Betreiben von Johann Walzer, Direktor der Gertianoscher Kleinbauernsparkassa, dazu führten, den Künstler auf eine Studienreise nach Deutschland zu entsenden. Der Vorsitzende des Gewerbevereins Anton Gamauf beauftragte Lehrer Simon Kreppel mit der Durchführung einer neuen Sammelaktion, die diesmal Johann Walzer mit einer Spende von 200 Kronen eröffnete. Diese zweite Aktion zeigt recht deutlich, wie sehr das Einwanderungsbild ein kollektives Anliegen in Gertianosch gewesen sein muss. Das macht auch die erzielte Summe von 4650 Kronen sichtbar, die damals für den Ankauf von viereinhalb Waggon Weizen ausgereicht hätte. Ein Betrag, der die Spesen der Deutschlandfahrt des Malers erheblich überstieg und ihm als ein durchaus nicht unangemessenes Honorar zugewiesen worden war, wie Dr. Peter Pink berichtet. Dieses respektable Sammelergebnis nicht zuletzt mag den auf Repräsentation bedachten Adam Röser veranlasst haben, nun ein noch größeres, ein richtiges Monumentalgemälde bei Stefan Jäger in Auftrag zu geben. Es wurde dann, mit den uns bekannten Maßen von 5,100 x 1,450 Meter und mehr als 80 dargestellten Gestalten, das bisher größte Gemälde der Banater Schwaben und wohl auch ihr größtes aller Zeiten. Dass es auch mit Abstand unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit Rösers, der, neben dem Maler, Miteigentümer des Bildes war. Er hatte die Idee, bei der Budapester Verlagsgesellschaft Franklin Farbreproduktionen des Einwanderungsbildes in großer Auflage herstellen zu lassen, die einen guten Absatz fanden, von dessen Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet wird, nur ein geringer Teil zufloss.
Der besondere Auftrag – ein solcher war es wohl – traf den damals noch nicht dreißigjährigen Künstler fachlich nicht unvorbereitet. In Budapest hatte er bei dem aus Klausenburg stammenden Professor Székely Bertalan Malerei studiert – einem in seiner Zeit viel beachteten Meister großformatiger historischer Gemälde. Das mag Stefan Jäger in seiner Entscheidung bestärkt haben, den Gertianoscher Auftrag in der Zuversicht einer guten Ausführung anzunehmen. Die Ateliergeschichte des Einwanderungsbildes umschließt eine Fülle von Skizzen, Trachtenstudien und Entwürfen, angefangen vom so genannten „ursprünglichen Einwanderungsbild“ bis hin zu später ausgeführten Varianten. Darüber kann in den Veröffentlichungen von Dr. Peter Pink, Dr. Matz Hoffmann, Franz Liebhard, Annemarie Podlipny-Hehn und Karl-Hans Gross (der eine zweibändige Monografie über den Hatzfelder Schwabenmaler veröffentlichte) nachgelesen werden. Stefan Jäger ist es gelungen, in drei Jahren ein malerisch, kompositorisch und historisch überzeugendes Werk zu gestalten, das hundert Jahre später zumindest bei seinen deutschen Landsleuten nichts von seiner Attraktivität eingebüßt hat. Annemarie Podlipny-Hehn verweist in ihrer 1972 bei Kriterion/Bukarest herausgegebenen Veröffentlichung „Stefan Jäger“ auf „die geschickte Verteilung und Gruppierung der Figuren“ hin, auf „das Gleichgewicht der Komposition“, sie hebt die sowohl zeichnerisch wie malerisch erzielte perspektivische Wirkung des Bildes hervor und die sorgfältige Farbgebung. Der Temeswarer Essayist Franz Liebhard betrachtet in seiner 1970 gleichfalls bei Kriterion erschienenen Studie über den „Schwabenmaler Stefan Jäger“ das Einwanderungsbild als dessen Hauptwerk.
Tatsächlich hat es sein künstlerisches Werk neu orientiert. Der Gertianoscher Erfolg hatte dazu geführt, in Leben und Arbeit der Banater Schwaben ein Thema zu finden, das auf Jäger zugeschnitten war und zum Inhalt seines Malerlebens werden sollte. Mehr noch als in den vielen Hunderten Aquarellen aus dem Banater Volksleben sind es die ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag und zur Arbeitswelt, die zeigen, mit welcher Sorgfalt und Hingabe der Hatzfelder Meister sich des erkannten und gewählten künstlerischen Lebensthemas angenommen hat. Was ihn letzthin zum „Schwabenmaler“ werden ließ, ist die tiefe Verinnerlichung und künstlerische Umsetzung der heimatlichen Welt, wie sie sich vorwiegend in der Zwischenkriegszeit wahrgenommen und verstanden hat.
Das Ereignis der Enthüllung des Einwanderungsbildes zur Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung zu Pfingsten 1910 in Gertianosch ist in die Annalen der Banater Schwaben eingegangen. Ausstellungen waren damals weltweit nicht nur Mode – sie entsprachen dem Zeitgeist und dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung von Völkern und Mächten, Produzenten und Händlern, Herrschern und Kirchen, Wissenschaftlern und Volkserziehern. Die Großen und Mächtigen machten vor, was, auf das jeweilige Maß reduziert, nachgeschneidert wurde. Kaiser Wilhelm II. demonstrierte in Paradeuniform, von sechs gleichfalls in Paradeuniform eingekleideten Söhnen flankiert, die Vitalität seines Reiches, die Habsburgerin Elisabeth, uns zumindest als Kinolegende Sissy in Erinnerung, hatte sich zur angeblich schönsten Monarchin der Welt durchgehungert, Paris baute zur Weltausstellung von 1889 das damalige Weltwunder Eiffelturm – höher als alles, was die moderne Welt bis dahin zu bieten hatte. Mit alldem zu konkurrieren hatte Gertianosch auf der Banater Heide begreiflicherweise nicht im Sinn, aber im eigenen Landkreis wollte man schon gesehen werden mit gutem Getreide, bestem Vieh, gediegenen Handwerkererzeugnissen, mit der Handarbeitskunst der Bäuerinnen und – mit Stefan Jägers monumentalem Einwanderungsbild. Man sah sich gewissermaßen en miniatur neben den sich an Glanz überbietenden Weltausstellungen, und das war so absonderlich nicht, glaubt man Meyers Konversationslexikon von 1894, worin beanstandet wird: „Es hat Ausstellungen gegeben, deren Wert kein anderer war als der eines Jahrmarktes.“ Da konnte man sich 1910 in Gertianosch gut sehen lassen. Tausende kamen, staunten und feierten alles mit, was es zu feiern gab. Die Ortsgruppe des Bauernvereins und der Handels- und Gewerbeverein feierten Fahnenweihen, Ehrenurkunden wurden an Handwerker und Landwirte verliehen, man rief ausgiebig Éljen, gab sich und war vaterländisch und sah sich bestätigt, als Abt-Domherr Franz Blaskovics in Anwesenheit des Abgeordneten Julius Hódy zur Enthüllung des Einwanderungsbildes seine Anerkennung aussprach und den Segen erteilte. Erwartet worden war, wie Matz Hoffmann berichtet, auch Minister Apponyi aus Budapest, der aber aus politischen Gründen der Veranstaltung fern blieb. Angeblich war es auch den örtlichen Behörden verboten, in amtlicher Eigenschaft an der Enthüllungsfeier des Einwanderungsbildes teilzunehmen. So beiläufig, wie von uns heute vielleicht angenommen, scheint der Pfingstsonntag 1910 in Gertianosch doch nicht gewesen zu sein. Zwar berichtete die „Temesvárer Zeitung“ vom 18. Mai 1910: „Die Politik war gänzlich ausgeschaltet“, doch lässt eine solche Behauptung erfahrungsgemäß die Annahme des Gegenteils zu.
Es wurde auch fotografiert. Lehrer Simon Kreppel hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder mit Familienangehörigen und dem Maler Stefan Jäger in der Mitte. Auf der Rückseite des Erinnerungsfotos notierte Lehrer Kreppel kurze Bemerkungen zum Ereignis – auf ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen Patrioten gehörte. Deswegen muss er kein schlechter Landsmann gewesen sein, es zeigt aber, wie das, was wir Identität nennen, durchaus unterschiedlich auslegbar sein kann. Die Identität der Schwaben in Gertianosch litt nicht unter einer deutsch-ungarischen Gegensätzlichkeit, obwohl doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich bewusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch wollte man schon sein. Da muss auffallen, dass auf Jägers Einwanderungsbild nichts Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt – neben den dargestellten Einwanderern ist als einzige andere Figur lediglich ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt, der im dritten Teil des Gemäldes den Siedlern die Häuser zuweist. Ein Ungar ist es nicht. Obwohl das Bild damals „Einzug der Deutschen in Ungarn“ hieß, ist von den Ungarn selbst nichts zu sehen.
Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass Stefan Jäger damit eine politische Haltung sichtbar machen wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893 und 1899 über Szegedin und Budapest verlaufen ist, auf einer Schiene, die ungarischer nicht sein konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich, Deutschland und Italien diente so gut wie ausschließlich der künstlerischen Fortbildung, dem universellen Gedanken in der Kunst, in den auch die ungarische Welt eingebunden war. Wenn diese in der Konzeption des Einwanderungsbildes, in der Bildidee, keinen Platz gefunden hat, mag das auf eine rein malerische Intuition zurückzuführen sein, die keine politische Auslegung zulässt.
In Historikerkreisen neigt man gelegentlich dazu, den Auftrag zum Einwanderungsbild mit einem politischen Anliegen der Banater Schwaben um die Jahrhundertwende zu verbinden, gewissermaßen als künstlerischer Ausdruck einer deutschen Landnahme, die zur ungarischen oder slawischen dazugestellt werden sollte. Belege dafür fehlen bis heute. Dr. Peter Pink führt in seinem Bericht lediglich an, Adam Röser habe den Kunstmaler Stefan Jäger beauftragt, die Einwanderung der Banater Schwaben zu malen. „Wie das Bild gestaltet werden soll“, so Dr. Pink, „damit musste sich Jäger selbst auseinandersetzen.“ Im Bericht von Franz Liebhard wird, „nach Jäger“ die Anregung Rösers auf die Bemerkung reduziert: „Damit nicht allein die Sachsen ein Einwanderungsbild haben sollen.“ So irgendwie, fügt Liebhard hinzu, soll der Röserische Ansporn gelautet haben, und er bezeichnet diesen abwertend als „schwäbischen Krähwinkelneid“. Das alles ist wenig dazu angetan, einen ernsthaft durchdachten politischen Gedanken mit dem Einwanderungsbild in Beziehung zu bringen.
Wir dürfen davon ausgehen, dass im Weltverständnis und in der Kunst Stefan Jägers, das Politische nicht vorkommt und somit alle Versuche, den Meister so oder anders zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt sein müssen. In seiner Jäger-Studie von 1970 berichtet Franz Liebhard, noch nachträglich um die zeitgemäße sozialistische Einordnung des Künstlers bemüht: „Der hochbetagte Meister schüttelte staunend das Haupt, wenn er vernahm, dass nach Zusammenhängen gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche liegen, sondern darunter.“ Es ging damals, am Vorabend von Jägers 80. Geburtstag, um dessen bevorstehende Auszeichnung mit dem Arbeitsorden II. Klasse, für die eben das künstlerische Werk an sich nicht genügte, wenn es nicht klassenkämpferisch zugeordnet werden konnte. Franz Liebhard hat das mit einiger Eleganz zurechtgebogen, um nicht zu sagen verzerrt, und damit Stefan Jäger gewissermaßen sozialistisch hoffähig gemacht. Dieser hat den Orden erhalten, und durfte ihn zum Sonntagsanzug – was geschehen ist – mit ruhigem Gewissen tragen für ein Werk, das nun auch, möglicherweise von der falschen Seite, anerkannt worden war. Deportationen, Enteignungen und Schauprozesse hatten bei den Banater Schwaben tiefe Verunsicherungen hinterlassen und sie in ihrer Würde verletzt. Ihre Zukunft war mehr als ungewiss. Jägers Auszeichnung kann dennoch als praktiziertes sozialistisches Demokratieverständnis angesehen werden, das im Kern freilich ohne Kern und somit auch unvermittelbar geblieben ist. Jäger selbst hat es eine Rente von monatlich 800 Lei eingebracht, das war mehr als seine Landsleute in den fünfziger Jahren durchschnittlich verdient haben mochten. Er genoss im Sozialismus die Gnade des Alters, und es mag nichts anderes als der Pragmatismus der Diktatur gewesen sein, die ihn und sein Werk unbeschadet ließ. Gewandelt hat es ihn nicht, und es ist nicht einzusehen, warum er uns mit achtzig als hungernder Maler bedeutender sein müsste.
Es war hingegen nicht eine weltabgewandte Naivität, die den Künstler unpolitisch bleiben ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des Herzens, mit der Jäger es verstanden hat, das Tagesgeschehen seiner schwäbischen Heimat zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer schwer. Bitte, das waren seine Bilder, und sie waren und sind alles andere als verschlüsselt. Er meint nicht, sie auslegen zu müssen. In einem handschriftlichen biografischen Abriss schreibt er: „Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen.“
Das sollte eigentlich genügen, und wer mehr hineinzureden sich abmüht, redet an Jäger vorbei und wird ihn seinen Landsleuten entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten Versuchen zur Politisierung des künstlerischen Werkes von Stefan Jäger. Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien wollte in ihm den Streiter eines ewigen deutschen Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten des kleinen Mannes. Dass Jäger eine heitere und heile Welt dargestellt hat, wollten die einen genau so übersehen wie die anderen die ausgeprägte und sich selbst genügende Regionalität der Bilder. Es könnte indessen auch ungewollt vorkommen, dass wir uns heute in unserer konsumorientierten Gesellschaft als nicht weniger leichtfertig erweisen, wenn wir das Jäger’sche Werk auf die Formel von Markt und Ware bringen wollten. Gewiss – Stefan Jäger malte was gefiel und bestellt wurde, und nicht selten war das der Hühnerhof wie auf dem Bild „von Nochbersch Resi“. Allemal aber bleibt es sein Verdienst, den Banater schwäbischen Bauern die Freude am echten, originalen Kunstwerk vermittelt zu haben, für das sie – was so selbstverständlich nicht ist – bereit waren Geld auszugeben. Das Banat und die Batschka waren, wie Jäger in seinen autobiografischen Aufzeichnungen vermerkt, um 1900 herum „mit reisenden Bilderhändlern überflutet, die mit Dutzendbildern ihre Geschäfte machten... Ich habe mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen Trachten, die landschaftlichen Stimmungen, Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten und im Alltagsleben darzustellen“. Er hat mit diesem Grundsatz, über die Freude am schönen Bild hinaus, bildungsfördernd gewirkt und erheblich, wenn auch wohl nicht vorsätzlich, zur Identitätsfindung seiner Landsleute beigetragen.
Immer wieder finden wir die Identität politisch ausgedeutet, mit ideologischen Ambitionen vermengt, sie ist aber vorrangig eine kulturelle Erscheinungsform, die sich in der Tradition, im Volksgut und in der Sprache äußert und erhält. In diesem Sinne sind die zahllosen Genre-Bilder Stefan Jägers, ihre Verbreitung und anhaltende Beliebtheit, ganz gewiss identitätsstiftend gewesen, und zwar in höherem Maße als das monumentale Einwanderungsbild, das ja nicht aus dem Alltag gegriffen war, sondern eine zur Legende ausgewachsene historische Erinnerung zur Vorlage hatte. Es markiert allerdings den entscheidenden kreativen Ansatz des Künstlers Stefan Jäger, und wir dürfen davon ausgehen, dass dieser ohne das Einwanderungsbild wohl kaum der „Schwabenmaler“ geworden wäre, als den wir ihn heute verehren.
Wie andere auch, so haben auch wir Banater Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten. Zur Zeit der Einwanderung waren wir ein aus vielen deutschen Landschaften zusammengewürfeltes buntes Völkchen, das recht unterschiedliche Mundarten sprach und zudem von Franzosen aus Lothringen, Italienern aus dem Friaul und anderen Volkssplittern durchsetzt war. Wer aus dem Elsass kam, war dem Odenwälder ebenso fremd wie der Pfälzer dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler war regional geprägt und blieb es, bis die Erinnerung an die heimatliche Landschaft im Reich den konkreten Bezug weitgehend verloren hatte und von der Wahrnehmung einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst worden war, die zunächst noch am ehesten von den eingesessenen Völkern, vornehmlich von den Ungarn, erkannt und benannt worden war. Sie differenzierten die Zuwanderer nicht regional, sondern haben uns zusammenfassend als Schwaben bezeichnet, die wir wohl oder übel geblieben sind. Die alten Straßen- und Ortsnamen in unseren Dörfern aber – die Lothringer- oder die Pfälzer Gass oder Steierdorf im Banater Bergland – zeigen, wie bemüht die deutschen Siedler waren, ihre „wahre“ Identität weder zu vergessen noch zu verleugnen. Ähnlich, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, wurden nach der Vertreibung die Namen der Banater Heimatgemeinden auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen übertragen, zur Erinnerung an die alte Heimat. Allein – die Identität ist damit nicht gewährleistet. Spätestens in der dritten Generation sind wir weitgehend aufgegangen im bayrischen, württembergischen oder rheinländischen Umfeld – wir nennen das Integration -, wechseln dabei den Dialekt und tauschen die Feste aus. Wir passen uns an. Wie unsere Vorfahren auch. An die Franzosen und Italiener der Siedlungszeit erinnerten drei Generationen später nur noch die Familiennamen – auch sie der deutschen Rechtschreibung recht mutwillig unterordnet, und aus Elsässern, Pfälzern und Sauerländern sind die Banater Schwaben hervorgegangen, wenn man so will, als eigenartiges nicht wiederholbares deutsch-deutsches Konglomerat.
Die Identität muss übrigens nicht immer als erhebend empfunden werden und nicht immer auszeichnen. Unter anderen sind es immer wieder die Künstler und Literaten, die mit ihrer Identität geradezu kollidieren. Die Aktionsgruppe Banat trat offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe oder Heimattreue verstehen, und die ebenso vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet geradezu an ihrer Identität. Wir sollten das nicht dramatisieren, denn es ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas Mann, Klabund, Bertold Brecht, François Villon, Marlene Dietrich und viele andere machten sich heimatlich unbeliebt, weil sie zumindest in Teilbereichen anderer Meinung waren und sich anders als gewünscht verhielten. Zur Identität, so ist zu sehen, gehören auch die Gegensätze, und da wird es nicht viel nützen, dass wir sie gern sauber hätten. Wir sollten uns fürs Ganze entscheiden, und es als gegeben annehmen.
Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität am ehesten im Vergleich mit anderen. Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit den Ungarn, den Rumänen oder Serben – um das zu wissen, reicht ein Blick über den Zaun zu den Siebenbürger Sachsen. Kein Zweifel – wir sind anders, ganz abgesehen davon, dass wir katholisch sind. Das kostet uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist gut, dass es so ist. Aber auch die Religion stiftet Identität, und wir sehen, dass diese ebenso trennt wie eint. Kroaten und Serben können uns dabei einfallen, Flamen und Holländer, aber auch die unierten Rumänen oder, ins Globale verlagert, die Schiiten und Sunniten im Orient usw. usw.
Wir haben erlebt, wie die Teilung des Banats nach dem Ersten Weltkrieg zu unterschiedlichen Entwicklungen bei den Banater Schwaben in Rumänien und Jugoslawien geführt haben, und heute sind eigenständige Entwicklungen bei unseren Landsleuten in den USA, in Kanada oder in Brasilien zu sehen, die sich unterschiedlichen Anforderungen stellen müssen und unterschiedlich landsmannschaftlich einzubinden sind. Das Haus der Donauschwaben in Sindelfingen – es nennt sich gern Welthaus der Donauschwaben – stellt sich der Aufgabe eines Dachverbands, der Gemeinsamkeiten auszuloten und Besonderheiten zu berücksichtigen hat, eine Zielvorgabe ausarbeitet und organisatorisch koordiniert.
Was uns bei aller Unterschiedlichkeit einigermaßen zusammenhält sind die verlorene Banater Heimat und der damit verbundene Mythos, zusammengefasst in dem schönen Einwandererspruch: Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot. Etwas davon finden wir in Stefan Jägers Triptychon eingearbeitet: den Drang und die Bereitschaft Heimat zu finden und ihr unser Gesicht zu geben. Adam Müller-Guttenbrunn lässt uns in seiner einst vielzitierten Hymne das Land anders in Besitz nehmen: „... und wo des Schwaben Pflug das Land durchschnitten, wird deutsch die Erde, und er weicht nicht mehr“, dichtet er. Wir aber wissen, das Unvorstellbare ist geschehen, wir sind gewichen und haben die „Heimat, deutschen Schweißes stolze Blüte“ aufgegeben und anderen überlassen oder überlassen müssen.
Stefan Jägers Einwanderungsbild will nicht ein Heldenepos sein. Es ist ein künstlerisch ausgereifter Bericht über das Ereignis der Einwanderung. Der Künstler heroisiert nicht – er zeigt, wie wir Heimat finden, und dass es ein eher fragwürdiges Glück gewesen sein mochte, das die deutschen Auswanderer in Ungarn vorgefunden hatten. Denken wir daran, wie naheliegend es doch gewesen sein dürfte, zum Beispiel ein Triptychon mit der Eroberung des Banats durch den Prinzen Eugen, die Rodung der Wildnis und dem Triumph der Ernte als Einzelteile zu gestalten, so muss uns Stefan Jägers aufrichtige und dezente Darstellung über unsere Ankunft in der Fremde mit Dank erfüllen. Nichts Belastendes haftet dem Bild an, es ist frei von jeder großen Geste und von jeder Überheblichkeit. Es ist bemerkenswert, dass spätere Varianten sich einer triumphalen Darstellung zwar annäherten, bei den Banater Schwaben jedoch nie eine auch nur annähernde Aufnahme wie das eigentliche Einwanderungsbild gefunden haben. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir uns gut schreiben, dass wir mit Herz und Sinn immer für dieses Monumentalwerk Stefan Jägers gestimmt haben, es angenommen haben und bewahren wollen – denn es ist ein Stück von uns. Und das, wenn ich es richtig sehe, hat sehr viel mit dem zu tun, was wir unter Identität verstehen.
Franz Heinz
[Beitrag zur „43. Kulturtagung der Landsmannschaft der Banater Schwaben“ am 17.-18. November 2007 im Haus der Donauschwaben, Sindelfingen]