ART:0920 - Stefan Jäger zum 50.Todestag – 2012: Unterschied zwischen den Versionen
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<h2 class="myuntertitel">''Zur Ausstellung in Ingolstadt, Nischbachhaus''</h2> | <h2 class="myuntertitel">''Zur Ausstellung in Ingolstadt, Nischbachhaus''</h2> | ||
− | + | Wenn sich die Schleier | |
− | + | der Geschichte allmählich | |
− | + | heben, kann man | |
+ | im Rückblick leicht reden. | ||
+ | Wenn aber zum 50. | ||
+ | Todestag eines Künstlers | ||
+ | gesprochen werden soll, | ||
+ | muss man sich hauptsächlich | ||
+ | mit dem Werk | ||
+ | des Künstlers beschäftigen. Wurde doch | ||
+ | schon viel über Stefan Jäger geschrieben | ||
+ | und gesagt, oft enthusiastisch und geradezu | ||
+ | euphorisch, aber am eigentlichen Werk vorbei. | ||
+ | Ich will mich um eine sachliche, kunstgeschichtliche | ||
+ | Gesamtanalyse des Werkes | ||
+ | Stefan Jägers bemühen. Denn nur das Werk | ||
+ | eines Künstlers kann für oder gegen ihn sprechen. | ||
+ | Der Maler öffnet seine Seele - soweit | ||
+ | dies überhaupt möglich ist - in den Bildern, | ||
+ | die für ihn stehen. In diesen Bildern klingen | ||
+ | stille Sehnsüchte und heimliche Hoffnungen | ||
+ | nach, auch wenn diese scheinbar verdeckt, | ||
+ | zunächst hinter der reinen sinnfreudigen | ||
+ | Anschauung verborgen bleiben. Erst die | ||
+ | kontemplative Betrachtung des Gesamtwerkes, | ||
+ | der Entstehungsprozesse der Bilder | ||
+ | sowie der uns bekannten Lebensumstände | ||
+ | des Künstlers, lässt uns jene Nähe zu ihm | ||
+ | finden, derer es bedarf, um sein Werk zu verstehen. | ||
+ | Dabei geht es weniger um Lust am | ||
+ | Schauen, was bei der hier gebotenen Werkfülle | ||
+ | verständlich wäre, sondern um die Bedeutung | ||
+ | der künstlerischen Persönlichkeit | ||
+ | des Malers. Es geht um die innere Haltung | ||
+ | des Künstlers beim Schaffen seiner Werke, | ||
+ | um seine geduldige Zwiesprache mit dem | ||
+ | Betrachter seiner Bilder - auch mit uns - seinen | ||
+ | Bewunderern -, um sein persönliches | ||
+ | Ringen um Akzeptanz. | ||
+ | Meine erste Begegnung mit dem Werk Stefan | ||
+ | Jägers fand während meines Kunststudiums | ||
+ | in Temeswar statt. Unmittelbaren Zugang | ||
+ | fand ich aber erst in den 6oer Jahren, als die | ||
+ | ersten Bilder in der deutschen Lokalpresse | ||
+ | erschienen. Der akademische Kunstbetrieb | ||
+ | ignorierte das Werk Jägers weitestgehend, | ||
+ | zumal die sporadische Präsenz der Bilder sich | ||
+ | auf die volkstümlichen Seiten der Zeitungen | ||
+ | beschränkte oder gar als Kalenderbeigaben | ||
+ | für das „biedere Volk“ gerierte. Dies wurde | ||
+ | noch verstärkt durch die offensichtlich altmeisterliche | ||
+ | Manier des Künstlers, ohne jeden | ||
+ | Anklang an die stilistischen Umbrüche | ||
+ | der Zeit und eine enge, scheinbar freiwillige | ||
+ | Selbstbeschränkung auf eine Thematik, die | ||
+ | sich auf das ländliche, volkstümliche Geschehen | ||
+ | bezog. In der Schule, gar im Unterricht, | ||
+ | wurde über ihn kaum gesprochen. Ich habe | ||
+ | an deutschen Klassen unterrichtet und erinnere | ||
+ | mich lediglich an eine bis zwei diesbezügliche | ||
+ | Unterrichtsstunden. Wir waren wohl | ||
+ | zu feige oder huldigten dem Zeitgeist, bewunderten | ||
+ | die europäische Moderne, von der wir | ||
+ | allerdings auch kaum was wussten. In meinen | ||
+ | Unterlagen fand ich immerhin das Konzept | ||
+ | eines Vortrages vor rumänischen Kunst-Kollegen | ||
+ | (Referat!), den ich wohl kurz vor meinem | ||
+ | Abgang (1972) über das Schaffen Stefan Jägers | ||
+ | (auch das Einwanderungsbild !) in Temeswar | ||
+ | gehalten habe. Dies müsste nach der Retrospektive | ||
+ | zum 80. Geburtstag des Künstlers | ||
+ | gewesen sein. Und dennoch blieb sein Werk | ||
+ | über all die Jahre im Bewusstsein der Banater | ||
+ | Schwaben tief verankert. Je länger das demonstrative | ||
+ | Verschweigen andauerte, umso | ||
+ | präsenter wurde das geheimnisvolle Wissen | ||
+ | um einen banat-schwäbischen Künstler, der | ||
+ | im Stillen, wie in einer versunkenen Welt, seine | ||
+ | Volks- und Heide-Bilder vor sich hin malte. | ||
+ | Getan haben wir, von wenigen Ausnahmen | ||
+ | in seinem persönlichen Freundeskreis abgesehen, | ||
+ | aber nicht viel für ihn. Nur selten war | ||
+ | man bereit, einen kleinen Obolus zu entrichten, | ||
+ | um ein Bild von ihm zu besitzen. Wann | ||
+ | kam man schon nach Hatzfeld, jene etwas | ||
+ | abgelegene Großgemeinde, an deren Bahnhof | ||
+ | man sich einer strengen Grenzkontrolle | ||
+ | stellen musste, Ziel und Zweck der Reise genauestens | ||
+ | protokolliert wurde. | ||
+ | Es hatte wahrlich grandios begonnen. Den | ||
+ | Anfang machte ein großflächiges, breit angelegtes | ||
+ | Bild von ungewohnten Ausmaßen. Es | ||
+ | stand plötzlich da, wie ein Paukenschlag: Ein | ||
+ | Triptychon, drei ineinander gehende Gemäldeteile, | ||
+ | ein Galeriebild, das in keine Wohnstube | ||
+ | passte (5m/1,5m). Erstmals 1910 zur Gewerbeausstellung | ||
+ | in Gertianosch vorgestellt. | ||
+ | Die Erinnerungen an das große Bild lebten | ||
+ | immer noch, waren unauslöschlich in das Gedächtnis | ||
+ | der Gruppe eingegraben. Auch wenn | ||
+ | man nur hinter vorgehaltener Hand darüber | ||
+ | sprach und der politische Opportunismus es | ||
+ | spät - aber immerhin - aus dem Museumsfundus | ||
+ | wieder ans Tageslicht gebracht hatte. Was | ||
+ | hatte dieses Bild an sich, was sehen wir auf | ||
+ | diesem „Einwanderungsbild der Deutschen | ||
+ | nach Süd-Ungarn“? Ein erzählendes Werk, | ||
+ | das in einfacher, schlicht realistischer Sprache | ||
+ | den Anfang unserer Geschichte schildert. | ||
+ | Man tritt vor das Bild und bleibt zunächst | ||
+ | von der Detailvielfalt verwirrt stehen. Doch | ||
+ | alsbald wird man vom Handlungsablauf mitgerissen, | ||
+ | in das Geschehen einbezogen. Denn | ||
+ | aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins | ||
+ | strömen Erinnerungen an Gespräche aus | ||
+ | Kindheit und Jugend, vereinen sich mit diesen | ||
+ | uns scheinbar längst bekannten Bildern. | ||
+ | Ja, so muss es gewesen sein, so hat man sich | ||
+ | die Einwanderung unserer Ahnen ins Banat | ||
+ | immer schon vorgestellt. Wir standen vor | ||
+ | einem Bild, in dem alles, was wir uns vorgestellt | ||
+ | hatten, urplötzlich sichtbare Gestalt angenommen | ||
+ | hatte. Wie war es denn möglich, | ||
+ | dass ein Künstler unsere ureigenen Bilder auf | ||
+ | die Leinwand projizierte? Wie konnte es sein, | ||
+ | dass dabei solche offensichtlich deckungsgleiche | ||
+ | Vorstellungen zu einem realen Bild | ||
+ | gerinnen? Gibt es etwa doch ein kollektives | ||
+ | Gedächtnis? | ||
+ | 2 | ||
+ | Alles ist Erde, feucht und glitschig, eine Erde, | ||
+ | die an Schuhen und Kleidern klebt, eine Erde | ||
+ | in die man versinkt, morastig und scheinbar | ||
+ | fruchtbar, säumen doch helle Grasbüschel den | ||
+ | Weg. Menschen gehen, sitzen und liegen auf | ||
+ | dieser Erde, als hätten sie ihre Bestimmung, | ||
+ | ja ihr Glück endlich gefunden, und können | ||
+ | es scheinbar noch gar nicht fassen. Wie Findlinge | ||
+ | oder glatt geschliffene Kieselsteine füllen | ||
+ | sie den Raum. Kein einziger überragt den | ||
+ | Horizont, alle sind Teil dieser Erde, werden | ||
+ | von ihr aufgenommen. Doch auch in diesem | ||
+ | gemeinsamen Handeln bleiben sie deutlich | ||
+ | isoliert, bewahren ihre Individualität und reagieren | ||
+ | je nach persönlichem Temperament | ||
+ | sehr unterschiedlich. Sie haben wohl erst unterwegs | ||
+ | zueinander gefunden, haben scheinbar | ||
+ | alle ein gemeinsames Ziel. Doch man | ||
+ | ist sich noch etwas fremd, sitzt in isolierten | ||
+ | Kleingruppen beisammen und setzt dennoch | ||
+ | auf einen Neuanfang, den man auch nur gemeinsam | ||
+ | wird schaffen können. | ||
+ | Erde und Himmel teilen sich im Goldenen | ||
+ | Schnitt auf der Fläche. Dem Himmel gebührt | ||
+ | der kleinere Teil, er leuchtet fahl, gelblich | ||
+ | grau bewölkt, als käme alsbald wieder ein | ||
+ | Gewitter auf. An den stehenden Pfützen in | ||
+ | Fahrrillen und Trittspuren sind noch Spuren | ||
+ | des letzten Regengusses erkennbar. Dem | ||
+ | Halmwuchs nach muss es Frühsommer sein, | ||
+ | nicht allzu warm oder gar schwül heiß, denn | ||
+ | die Menschen tragen noch ihre Jacken, Hüte | ||
+ | und Mäntel, als würde es sie leicht frösteln. | ||
+ | Man war eben schon lange unausgeschlafen | ||
+ | unterwegs. | ||
+ | Der Panoramablick des Bildes besteht eigentlich | ||
+ | aus drei verschiedenen zentralperspektivischen | ||
+ | Blickpunkten, was zunächst kaum | ||
+ | erkenntlich wird. Der erste Blickpunkt führt | ||
+ | zur Mitte der Kommenden und verschwindet | ||
+ | auf der Hügelkuppe hinter dem Horizont. | ||
+ | (Man kommt aus der unendlichen Ferne!) | ||
+ | Der Fluchtpunkt des Mittelbildes liegt abermals | ||
+ | im Goldenen Schnitt des Himmels, unmittelbar | ||
+ | über dem Kopf der stehender Mutter | ||
+ | mit Kind. (Das ist wohl die ferne Zukunft!) | ||
+ | Gleichsam wie eine Madonna beherrscht | ||
+ | sie die Szenerie, im Schutze des aufrechten | ||
+ | Schwarzwälders in der Mitte der Gesamtkomposition. | ||
+ | Der dritte Fluchtpunkt steht | ||
+ | auf der Höhe der angeschnittenen Dächer auf | ||
+ | der Kante zwischen Mittelbild und rechtem | ||
+ | Abschlussbild. (Hier soll man sich wohl verweilen | ||
+ | und niederlassen!) Man muss das Bild | ||
+ | gemächlich abschreiten, um es lesen zu können, | ||
+ | dadurch merkt man die verschiedenen | ||
+ | Fluchtpunkte kaum, denn sowohl durch die | ||
+ | durchgehende Horizontlinie wie auch durch | ||
+ | verschiedene Staffagen werden die drei Bildteile | ||
+ | immer wieder miteinander verwoben. So | ||
+ | führen z.B. Fluchtlinien der Fahrrillen vom | ||
+ | Mittelbild nach links in die Tiefe des ersten | ||
+ | Bildes, nach oben fluchtende, parallele Balken | ||
+ | verbinden ihrerseits Mittelbild mit der rechten | ||
+ | Ankunftsszene. Ein äußerst penibel ausgedachtes | ||
+ | Liniensystem zeugt von der hohen | ||
+ | Kunst eines Meisters der Komposition. Liest | ||
+ | man aber die drei Teile im Einzelnen, so folgt | ||
+ | der Blick des Betrachters unwillkürlich den | ||
+ | vom Künstler angesetzten Blickpunkten auf | ||
+ | der Höhe des schauenden Auges. Ein dichter, | ||
+ | nicht abreißender Menschenkeil kommt von | ||
+ | links aus der Tiefe des Raumes und zieht uns | ||
+ | entgegen. Die Menschen kommen uns näher | ||
+ | und näher, mit jedem Schritt werden ihre | ||
+ | Gesichtszüge deutlicher und ihre Kleidung | ||
+ | erkennbarer, ja selbst kleinste Details bleiben | ||
+ | uns nicht verborgen. Die erwartungsfreudigen | ||
+ | Gesichter sind uns nur in dieser Szene | ||
+ | zugewandt, ja sie blicken den Betrachter geradezu | ||
+ | fragend an. Dagegen würdigen sie uns | ||
+ | bei der Ankunft keines Blickes, sie stellen sich | ||
+ | mit dem Rücken zu uns, kümmern sich nur | ||
+ | noch um ihre Angelegenheiten, sind nur noch | ||
+ | auf die rasche Übernahme des ersehnten Besitzes | ||
+ | bedacht. Wir sind nur noch geduldete | ||
+ | Zuschauer. | ||
+ | Der etwas größere mittlere Hauptteil trägt die | ||
+ | eigentliche Komposition. Zwei große, beherrschende | ||
+ | Menschengruppen, jeweils in zwei | ||
+ | großen Dreiecken zusammengefasst, bilden | ||
+ | dabei das tragende Gerüst des Bildes. In der | ||
+ | Mitte ein gleichseitiges Dreieck, welches mit | ||
+ | der Spitze auf dem Bündel im Vordergrund | ||
+ | steht, umfasst mit der Basis das winkende Paar | ||
+ | bis zur stehenden Mutter. Von dort führen jeweils | ||
+ | zwei ordnende Linien herab. Rechts erhebt | ||
+ | sich - diesmal mittleres und rechtes Bild | ||
+ | verzahnend - eine gewaltige Menschenpyramide, | ||
+ | die den Schlafenden und die sitzende | ||
+ | Lahnerin mit ihren zwei Kindern als Basis benutzt, | ||
+ | um von dort jeweils zum Dachfirst der | ||
+ | noch erkennbaren Häuserzeile zu führen. All | ||
+ | dies sind keine Zufälligkeiten, es sind kompositorische | ||
+ | Mittel zur Gestaltfindung. Gestaltungsmittel, | ||
+ | welche einen akademischen | ||
+ | Maler bestimmen. Den Künstler können wir | ||
+ | nicht mehr befragen. Tatsächlich geschieht | ||
+ | dies gewöhnlich eher unbewusst, indem man | ||
+ | seine Übung im Umgang mit dem Bildaufbau | ||
+ | spontan einbringt, dies sogar im konkreten | ||
+ | Fall gar nicht begründen kann. Geht es doch | ||
+ | vielmehr um Begabung und Intuition. | ||
+ | 3 | ||
+ | So sind auch die vereinzelt dastehenden | ||
+ | Randfiguren anzusehen, wie etwa der Schuhschnürer | ||
+ | links am linken äußeren Rand und | ||
+ | der Hesse im hellen Mantel rechts am Rand. | ||
+ | Sie halten das gesamte Bild in der Waage. | ||
+ | Wobei Jäger noch eins draufsetzt, mit der | ||
+ | Frau, die auf den Holzbalken rechts sitzt: wie | ||
+ | ein stures, hotzenwäldlerisches „Mir bliebet | ||
+ | jetzt do!“. | ||
+ | Das vielfältige Geschehen ruht im Gleichgewicht. | ||
+ | Dies verleiht dem Bild etwas sehr | ||
+ | Ruhiges, wenn auch sehr Bestimmtes. Als | ||
+ | hätte das Schicksal dies so ergeben. Alles | ||
+ | scheint in geordneten Bahnen zu verlaufen. | ||
+ | Dennoch herrscht keine Stille, man meint | ||
+ | noch die scharrenden Schritte der Kommenden | ||
+ | zu hören, man ist versucht die leisen Zwiegespräche mit zu verfolgen oder | ||
+ | der Rede des kaiserlichen Kommissars zu | ||
+ | lauschen. Weitere bildbestimmende Mittel | ||
+ | sind die verbindenden Blickkontakte und | ||
+ | die unzähligen Zeige- und Hinweisgesten. | ||
+ | Erstaunlicherweise sucht keine einzige Figur | ||
+ | mehr den Blickkontakt mit dem Betrachter, | ||
+ | sie bleiben unter sich. Ihre Blickrichtungen | ||
+ | führen uns von Gruppe zu Gruppe und auch | ||
+ | schon mal wieder zurück, bevor man wieder | ||
+ | etwas übersehen hat. Sie sind mit sich selbst | ||
+ | beschäftigt, rufen oder winken sich zu, kümmern | ||
+ | sich aber weiter auch nicht um den Betrachter, | ||
+ | obzwar ihm ihre Gesichter unmittelbar | ||
+ | zugewandt scheinen. Wir blicken auf | ||
+ | offene, gutmütige Gestalten mit auffallend | ||
+ | kräftigen Händen und klobigem Schuhwerk. | ||
+ | Obzwar von einer langen Reise kommend, | ||
+ | leicht angeschlagen, mit etwas abgetragenen | ||
+ | Kleidern, welche da und dort sogar leicht | ||
+ | eingerissen sind, strahlen die Personen eine | ||
+ | gewisse Würde aus. Ihre geringe Habe tragen | ||
+ | sie mit sich, überall sind die mitgeführten | ||
+ | Bündel zu sehen. Die Menschen sind stattlich | ||
+ | und im besten Alter: breitschultrige | ||
+ | Männer von ausnehmend kräftiger Statur, | ||
+ | handfeste Frauen mit zupackenden Armen | ||
+ | und strammen Waden. Es überrascht uns | ||
+ | auch nicht, eine große Zahl von Halbwüchsigen | ||
+ | und Kindern zu sehen, nur mit ihnen | ||
+ | geht man in die Zukunft. (Weiterführende | ||
+ | Gedanken über die Trachten des 18. Jahrhunderts | ||
+ | scheinen mir in diesem Rahmen nicht | ||
+ | sinnvoll, es geht um das Werk.) | ||
+ | Die Farbgebung folgt der Logik der Komposition, | ||
+ | sie bleibt im großen akademischen | ||
+ | Ton der Historienmalerei des späten 19. | ||
+ | Jahrhunderts. Farbe ist stets reine beschreibende | ||
+ | Dingfarbe, folgt weder wechselnden | ||
+ | Sinneseindrücken noch wird sie symbolisch | ||
+ | überhöht oder gar befrachtet. Die äußerst | ||
+ | realistische Sehweise des Künstlers ist | ||
+ | stets um Sachlichkeit bemüht, sparsamste | ||
+ | Farbakzente beleben dennoch den Bildeindruck | ||
+ | im Detail und erhellen die vielfältigen | ||
+ | Szenerien spürbar. Es ist ein sichtbares | ||
+ | Bemühen um historische Genauigkeit und | ||
+ | akribische Freude an körperlicher Räumlichkeit. | ||
+ | Es stimmt alles: Aufbau, Komposition | ||
+ | sowie Farbgebung und Inhalt. Es fehlen alle | ||
+ | bekannten moralisierenden Lehrgesten. Seine | ||
+ | einzige Geste bleibt die technisch ausgeklügelte, | ||
+ | reife Bildkomposition. | ||
+ | Unverständlich bleibt die Angst der kommunistischen | ||
+ | Machthaber vor diesem friedlichen | ||
+ | Bild. Ein Bild, das eher vom menschlichen | ||
+ | Wagnis kündet, das keinerlei eroberungssüchtige | ||
+ | Menschen zeigt, sondern von einer | ||
+ | friedlichen Pionierarbeit kündet. Ein Bild, | ||
+ | das für viele Kolonisten in der Neuen und alten | ||
+ | Welt stehen kann. Ein Bild, das weder mit | ||
+ | ideologischem Pathos beladen ist, das weder | ||
+ | bedrohlich noch fordernd auf den Betrachter | ||
+ | wirkt. Ein Tatsachenbericht, wie er nur aus | ||
+ | der Phantasie eines Stefan Jägers kommen | ||
+ | konnte, aus der Hand eines stillen, leisen | ||
+ | Künstlers, dem jedes angeberische Getue zuwider | ||
+ | war. Ja es war eine Auftragsarbeit, eine | ||
+ | vielversprechende sogar. Doch auch dabei | ||
+ | wurde er, wo es nur ging, immer wieder übervorteilt. | ||
+ | Aber wie konnte es geschehen, dass | ||
+ | Folgeaufträge ausblieben? Wo ist z.B. seine | ||
+ | große aquarellierte Studie, das Triptychon | ||
+ | „Donauschwäbische Kulturarbeit“ verblieben? | ||
+ | Wieso kam es, gerade in einer Zeit der | ||
+ | Besinnung und des Auflebens der Deutschen | ||
+ | Schule und Kultur im Banat zu keinen großformatigen | ||
+ | Folgeaufträgen mehr? Selbst wenn | ||
+ | Jäger noch in den zwanziger Jahren Bilder mit | ||
+ | István Jäger aus Cseney signiert hat (Ausstellung | ||
+ | in Großsanktnikolaus), sein Bruder Ferdinand | ||
+ | zeitlebens der „Nandi“ blieb und seine | ||
+ | Haushälterinnen die Klaranéni (Klara Csáki), | ||
+ | Kathinéni (Ludwig) und Jostnéni blieben. | ||
+ | War es etwa in anderen intellektuellen Kreisen | ||
+ | z.B. in Temeswar anders bestellt? Schließlich | ||
+ | hatte Jäger seine künstlerischen Wurzeln | ||
+ | in Budapest gefunden. Auch wenn Hatzfeld | ||
+ | bis 1924 zu Serbien gehörte, Jäger blieb kein | ||
+ | Magyarone, dies hat er durch sein ganzes Lebenswerk | ||
+ | bekundet. Denn seine Bilder wurden | ||
+ | allein schon von seiner Entscheidung, | ||
+ | mitten unter seinen Landsleuten leben und | ||
+ | schaffen zu wollen, bestimmt. | ||
+ | 4 | ||
+ | Schon in den zwanziger Jahren hat er mit großen | ||
+ | finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, | ||
+ | da er seine Ersparnisse durch den Börsencrash | ||
+ | verloren hatte. Mit kleinen Auftragsarbeiten | ||
+ | hat er sich und seine Mutter mühsam über die | ||
+ | Zeiten gerettet. Stefan Jäger war ein Mensch, | ||
+ | der sich niemals vordrängte, der stets in den | ||
+ | hinteren Reihen stand. So hat er seine vier | ||
+ | Landser-Jahre während des I. Weltkrieges | ||
+ | verbracht, so ging es mit ihm immer weiter. | ||
+ | Auch wenn der Weg zum Künstler mühsam | ||
+ | war - hatte er sich doch stets der breiten Öffentlichkeit | ||
+ | verweigert - so bleiben hier viele | ||
+ | Fragen offen. Denn die Lebensumstände Jägers, | ||
+ | unseres heute gefeierten Jubilars, werfen | ||
+ | auch ein sehr bezeichnendes Bild auf unsere | ||
+ | Gruppe. Haben wir uns nicht allzu sehr in | ||
+ | dem Gestrüpp-Denken der Rentabilität, nach | ||
+ | dem Maße der Wiener Cameralverwaltung | ||
+ | verloren? Wurde nicht immer wieder nach | ||
+ | dem Nützlichkeitsprinzip gehandelt? Wie | ||
+ | war unser Blick auf die „brotlose“ hohe Kunst | ||
+ | oder gar auf gefällige, naive Bildchen mit röhrenden | ||
+ | Hirschen und Klatschmohn, Kornblumen | ||
+ | oder anderen Surrogaten? Hätte man | ||
+ | nicht schon viel früher auf echte, empfindsame | ||
+ | Kunst achten können? Oder war man im | ||
+ | täglichen existenziellen Kampf so befangen, | ||
+ | dass man für echte Kunst keine Opfer mehr | ||
+ | bringen konnte? | ||
+ | Betrachtet man den weiteren Fortgang des | ||
+ | künstlerischen Schaffens Stefan Jägers, so | ||
+ | bietet sich ein sehr komplexes, vielschichtiges | ||
+ | Bild dar. Denn dieses Werk scheint in | ||
+ | der Thematik doch recht eindeutig zu sein, | ||
+ | ist aber, was die künstlerischen Ansprüche | ||
+ | betrifft, nicht immer gleichwertig. Erkennbar | ||
+ | bleibt zunächst seine tiefe Verwurzelung | ||
+ | mit der heimatlichen Erde, jenem Boden, den | ||
+ | er schon mit seinem großen Werk besungen | ||
+ | hat. Alles dreht sich bei ihm um diese Erde, | ||
+ | für die man alles und jedes zu opfern bereit | ||
+ | war. Seine Welt bleibt der kleine, überschauSchafbare | ||
+ | Haushalt, alles, was mit der Eigenwirtschaft | ||
+ | verbunden war, als hätte der Maler die | ||
+ | großen kollektiven Zusammenrottungen der | ||
+ | 50er Jahre nicht mehr miterlebt. Immer wieder | ||
+ | beschäftigt er sich mit der bäuerlichen | ||
+ | Alltagswelt, dem Leben und Streben auf dieser | ||
+ | Erdenkrume, dem Arbeiten und Feiern in | ||
+ | der gewachsenen Gemeinschaft. Mensch und | ||
+ | Tier in einer friedlichen optimistischen Symbiose. | ||
+ | (Was für Hähne und was für Hühner! | ||
+ | Welch innige Beziehung zur Tierwelt wird | ||
+ | hier spürbar, auch wenn man sie später ihrem | ||
+ | Zwecke zuführen musste.) Seine Kunst konzentriert | ||
+ | sich mehr und mehr auf das Studium | ||
+ | der vergänglichen Werte, will festhalten, | ||
+ | was allmählich zu entschwinden drohte, was | ||
+ | von der technischen Revolution verdrängt | ||
+ | wurde. Ganze Konvolute an Trachtenstudien, | ||
+ | Skizzen von Gerätschaften und Werkzeugen, | ||
+ | nicht zuletzt von Sitten und Gebräuchen wird | ||
+ | er hinterlassen. Dies ist seine große einmalige | ||
+ | Leistung. Dazwischen stehen aber auch | ||
+ | isolierte Kostbarkeiten, jene hymnischen Sinneseindrücke | ||
+ | der heimatlichen Landschaft, | ||
+ | die so nur von seiner Hand entstehen konnten. | ||
+ | Realistische Bilder mittlerer Größe, ohne | ||
+ | jeglichen Auftrag, einfach aus der schöpferischen | ||
+ | Lust heraus entstanden. Manche | ||
+ | Bilder scheinen das Flimmern der Luft, das | ||
+ | Rauschen der Pappeln, das Wogen der Ähren | ||
+ | einzufangen. Alles in dieser von ihm geschilderten | ||
+ | Welt ist selbstverständlich. Ein zarter, | ||
+ | friedlicher Zauber liegt über dieser Welt, | ||
+ | wenn die Farbe gleichsam die atmosphärische | ||
+ | Bewegung des Lichtes aufsaugt und den Blick | ||
+ | des Betrachters über klar strukturierte Formen | ||
+ | - über Busch und Baum, über Fluss und | ||
+ | Land - in die Tiefe lenkt, um sich in diesigem | ||
+ | Blau zu verlieren. | ||
+ | Bezeichnend für sein gesamtes OEuvre bleibt | ||
+ | diese stille, unpathetische Art des Malens, die | ||
+ | unwillkürlich an das frühe Einwanderungsbild | ||
+ | erinnert. Man hat ihm dies sogar als Schwäche | ||
+ | ausgelegt, als fehlende Anteilnahme am | ||
+ | Geschehen, als l´arte pour l´art Haltung angekreidet. | ||
+ | Seine gewissermaßen unpolitische | ||
+ | Art, an die Dinge heranzugehen, ohne sich | ||
+ | von Zeiteinflüssen berühren zu lassen, war | ||
+ | für den konfliktscheuen Künstler selbstverständlicher | ||
+ | Teil seiner Sprache. Seine innere, | ||
+ | künstlerische Entwicklung vollzog sich „im | ||
+ | gelebten Alltag“ auf der Dorfstraße, auf dem | ||
+ | Feld oder auf der Tenne. In der Begegnung | ||
+ | mit Menschen, die, überzeugt von ihrem | ||
+ | sinnhaften Tun, auch in höchster Bedrängnis | ||
+ | nicht loslassen konnten. Menschen, die | ||
+ | ihr Schicksal angenommen hatten: Jede körperliche | ||
+ | Anstrengung wirkt bei Jäger leicht, | ||
+ | wird scheinbar zur freudigen, daseins- bestätigenden | ||
+ | Erfüllung. Seine Bilder sind | ||
+ | das Werk eines modernen Aussteigers. Sein | ||
+ | Monte Verita wurde das Banat. Hier wollte | ||
+ | er „stehen bleiben“, hier, inmitten seiner | ||
+ | Landsleute, in einer überschaubaren, (für | ||
+ | ihn sicher) heilen Welt. Denn er war | ||
+ | kein Revoluzzer, kein Weltbeweger, wollte | ||
+ | den Lauf der Dinge weder beschleunigen, | ||
+ | noch aufhalten. Einfach ein empfindsamer | ||
+ | Mensch, der an dem heimatlichen Lebensgefühl | ||
+ | hing. Gelegentlich kommen sogar | ||
+ | kleine „Schlitzohrigkeiten“ zum Vorschein | ||
+ | und man erkennt die sprichwörtliche „Bauernschläue“ | ||
+ | aus Haltung oder Blicken. Doch | ||
+ | seine Schilderungen erreichen niemals die | ||
+ | Untiefen der Seelen, die wollte er einfach | ||
+ | nicht ausloten. Der Vorwurf : Dies sei eine | ||
+ | recht „einfältige Nähe“ zu den Geschehnissen | ||
+ | der Zeit geblieben, kann man dabei erheben. | ||
+ | Doch das Schwere, Düster-Zerstörerische | ||
+ | war nicht seine Welt. Da floh er lieber | ||
+ | in die heilsame Einsamkeit der Natur. Nicht | ||
+ | zufällig war sein bester Freund botanisch | ||
+ | interessiert. So wie jener seine Pflanzen sortierte | ||
+ | und beschriftete, so sammelte er seine | ||
+ | Gestalten und erlebten Ereignisse in Skizzen | ||
+ | und Bildern, die er anhäufte. Er wollte | ||
+ | lediglich aus dem ursprünglich Einfachen, | ||
+ | aus dem Geringen heraus Gültiges schaffen. | ||
+ | Später, im reiferen Alter, wird auch der Pinselschlag | ||
+ | lockerer und leichter, gelegentlich | ||
+ | spontaner. Ein pastoser Farbauftrag lässt uns | ||
+ | die leichte Seligkeit des malerischen Schaffens spürbar nachempfinden. Impressionistische | ||
+ | Malweisen werden erkennbar, denn | ||
+ | längst hat er das Atelier verlassen und malt | ||
+ | und skizziert auch im Freien. Nein, er war | ||
+ | kein Corot, auch kein Leibl - ein Künstler, | ||
+ | den er zeitlebens als Beispiel vor sich sah - er | ||
+ | war eher ein Defregger des Banats. Von der | ||
+ | malerischen Stofflichkeit her stand er wohl | ||
+ | dem Schwarzwälder Hans Thoma am nächsten. | ||
+ | Gewiss hat er die Ismen des 20. Jahrhunderts | ||
+ | gekannt (wohl als launische Torheiten | ||
+ | abgetan). Aber sie hätten ihm ja nicht weiterhelfen | ||
+ | können. | ||
+ | 5 | ||
+ | Für sein Vorhaben kam ja nur ein gestrenger | ||
+ | Realismus in Frage, eine Sprache, die auch | ||
+ | seine „Landsleute leicht verstehen“ konnten, | ||
+ | mit Themen, die ihren Lebensinhalt schilderten. | ||
+ | War diese Entscheidung nicht legitim? | ||
+ | Das heroisch Überhöhte lag ihm nicht. | ||
+ | So agiert man nicht im Alltag, denn dieser | ||
+ | ist schlicht und einfach. Auch wenn er Franz | ||
+ | Ferch gut verstehen konnte. Es bleibt doch | ||
+ | etwas befremdlich, dass seine Präsenz in | ||
+ | den Ausstellungen der Deutschen Künstler | ||
+ | der 30er und 40er Jahre kaum wahrgenommen | ||
+ | werden kann. So wie er auch später, in | ||
+ | den 50er Jahren, lange Zeit persona non grata | ||
+ | blieb. Erst sein 80-jähriger Geburtstag wurde | ||
+ | gebührend gefeiert, blieb aber ein isoliertes, | ||
+ | regionales Ereignis. | ||
+ | Man verkennt den späten Ruhm des Künstlers, | ||
+ | denn hier herrscht ein großes Missverständnis | ||
+ | vor. Denn sein Name gerät dabei in | ||
+ | ein nostalgisches Gefühlsdickicht von Erinnerungen | ||
+ | und Erfahrungen, die man beim | ||
+ | Verlassen der Heimat empfindet. Je weiter | ||
+ | und je länger man sich von den Orten seiner | ||
+ | Kindheit und Jugend entfernt, desto sehnsüchtiger | ||
+ | blickt man zurück und sucht nach | ||
+ | Ersatz. Und da man seine Heimat nicht mitnehmen | ||
+ | kann, Ereignisse und Erlebnisse | ||
+ | schon gar nicht, sucht man verzweifelt nach | ||
+ | Ersatz. So kam es, während der Zeit des Exodus, | ||
+ | zu der Wiederentdeckung unseres (vergessenen) | ||
+ | Heimatmalers. Zum Glück konnte | ||
+ | Den Skizzen gegenüber wirken dann die im | ||
+ | Atelier entstandenen, wiederholt gemalten | ||
+ | Bilder oft etwas gestellt, gekünstelt, etwas | ||
+ | affektiert und manieriert, eben wie es seinen | ||
+ | schwäbischen Landsleuten gefiel. Zum | ||
+ | Überleben musste er derartige Zugeständnisse | ||
+ | machen. Am Beispiel: „Drei Mädchen | ||
+ | auf der Bank (Sonntag ist’s)“ erkennen wir | ||
+ | leicht Unregelmäßigkeiten, die komisch wirken, | ||
+ | die wir aber nicht überbewerten dürfen. | ||
+ | Stefan Jäger (1877-1962) und | ||
+ | Heinrich Zille (1858-1929) | ||
+ | Wenn wir Jäger und Zille vergleichen, so nicht | ||
+ | wegen des ähnlichen Malstils. Die Themen | ||
+ | sind es, die so ähnlich und doch so ganz anders | ||
+ | sind. Beide sind Genremaler und die Maler | ||
+ | ihrer Umgebung: Jäger unser Schwabenmaler | ||
+ | und Zille der des Berliner „Milljöhs“. | ||
+ | Auch Zille entstammte keiner begüterten | ||
+ | Familie, seinen Unterricht bei einem Zeichenlehrer | ||
+ | bezahlte der 11-Jährige mit selbstverdientem | ||
+ | Geld. Später als Litograf ging | ||
+ | Zille abends zum Unterricht zu Professor | ||
+ | Theodor Hosemann, von dem dann der entscheidende | ||
+ | Hinweis kam: „Gehen Sie lieber | ||
+ | auf die Straße hinaus, ins Freie, beobachten | ||
+ | Sie selber; das ist besser, als wenn Sie mich | ||
+ | kopieren“. Und Zille ging hinaus auf die Straßen | ||
+ | des Berliner Ostens. Und Zille zeichnete | ||
+ | die ungeschönte Wirklichkeit der Gründerjahre: | ||
+ | das Leben in den Hinterhöfen der | ||
+ | Massenbauten, Elendsquartiere in feuchten | ||
+ | Wohnungen und nassen Kellern. In seinem | ||
+ | „Milljöh“ des „fünften Standes, der Vergessenen“, | ||
+ | wie er es nannte, war er Vertrauter | ||
+ | auch von Huren und Asozialen, da war er | ||
+ | der „Pinselheinrich“ und „Vater Zille“. Dabei | ||
+ | war er durchdrungen von jenem Humor, | ||
+ | der zeigte, dass auch das armseligste Leben | ||
+ | nicht Stunde um Stunde armselig ist, dass es | ||
+ | sich, wie jedes andere, zusammensetzt aus | ||
+ | Höhen und Tiefen. Die anderen nannten ihn | ||
+ | „Abort- und Schwangerschaftsmaler“. | ||
+ | Wie anders war doch Jäger! Er war kein Vertrauter | ||
+ | seiner Mitmenschen, er stürzte sich | ||
+ | nicht mitten ins Volksgetümmel, er stand | ||
+ | lieber beobachtend und skizzierend als | ||
+ | „Herrischer“ abseits, nahm als stiller Gast | ||
+ | an allen Festen und Handlungen in seiner | ||
+ | näheren und manchmal auch weiteren Umgebung | ||
+ | teil. Unzählige Gemälde und noch | ||
+ | viel mehr Skizzen stellen eine farbenfrohe, | ||
+ | lebendige Dokumentation zur Volkskunde | ||
+ | der Banater Schwaben dar. | ||
+ | Lassen wir nun einige Bilder von Stefan Jäger | ||
+ | und Heinrich Zille selbst sprechen. Es wird | ||
+ | uns dabei sicherlich nicht der große Kontrast | ||
+ | zwischen den beiden Welten, Banat | ||
+ | und Berlin, entgehen: | ||
+ | Hier Arbeit und Feierabend, Mehrgenerationenhaushalt, | ||
+ | Einkindsystem; hier arbeiten | ||
+ | und unterhalten sich die Großen, | ||
+ | während die Kinder von den Großmüttern | ||
+ | behütet werden, Wohlstand und heile Welt, | ||
+ | selbst dann noch, als sich der schwäbische | ||
+ | Bauer durch Enteignung in Notstand geraten | ||
+ | glaubte; | ||
+ | Dort Armut, Elend, Arbeitslosigkeit, Haufen | ||
+ | von Kindern, das Fehlen von alten Leuten, | ||
+ | weil die Lebenserwartung so niedrig war. | ||
+ | Wie haben beide doch eine Fülle von Figuren | ||
+ | auf einer kleinen Fläche untergebracht! | ||
+ | Und alles echtes, wirkliches Leben! | ||
+ | Wir Banater Schwaben dürfen es als Sternstunde | ||
+ | unseres Kulturlebens empfinden, | ||
+ | dass uns ein Dokumentarist vom Range Stefan | ||
+ | Jägers beschieden war. Was wäre aber, | ||
+ | wenn er eine andere künstlerische Laufbahn | ||
+ | und einen anderen Lebensweg eingeschlagen | ||
+ | hätte? Er wäre vielleicht in der großen | ||
+ | Masse der Anpasser und der Neuerer-Nachahmer | ||
+ | untergegangen und uns vielleicht | ||
+ | unbekannt geblieben. Wer hätte dann die | ||
+ | 250 Jahre lange Kulturgeschichte unseres | ||
+ | kleinen Volksstammes geschrieben? Eines | ||
+ | Volksstammes, der im deutschen Mitteleuropa | ||
+ | seine Wurzeln hatte und irgendwo im | ||
+ | Südosten Europas untergegangen ist: die der | ||
+ | Banater Schwaben. | ||
+ | <br style="clear:both"/> | ||
+ | ==PDF-Datei des Artikels== | ||
+ | * {{pdf|ART_0920.pdf|Ausstellungskatalog}} | ||
[[Kategorie:Veranstaltung]] | [[Kategorie:Veranstaltung]] | ||
[[Kategorie:Kunstwerke]] | [[Kategorie:Kunstwerke]] |
Version vom 17. Januar 2016, 16:07 Uhr
Bibliografie | |
---|---|
Artikel Nummer: | 0920 |
Autor Name: | Hans Hausenstein-Burger |
Titel des Artikels : | Stefan Jäger zum 50. Todestag – 2012 |
Untertitel des Artikels: | Zur Ausstellung in Ingolstadt, Nischbachhaus |
Publikation: | Ausstellungskatalog |
Titel der Publikation: | Hommage an Stefan Jäger |
Untertitel der Publikation: | Katalog zur Ausstellung und zum Symposium |
Herausgeber: | Hilfswerk der Banater Schwaben |
Druckerei: | diedruckerei.de |
Erscheinungsort: | Ingolstadt |
Jahr: | 2012 |
Seite: | 136-140 |
* [[Hans Hausenstein-Burger]]: [[ART:0920 - Stefan Jäger zum 50.Todestag – 2012|<i>Stefan Jäger zum 50. Todestag – 2012</i>. Zur Ausstellung in Ingolstadt, Nischbachhaus]]. Hommage an Stefan Jäger. Hilfswerk der Banater Schwaben, Ingolstadt 2012 |
Zur Ausstellung in Ingolstadt, Nischbachhaus
Wenn sich die Schleier
der Geschichte allmählich
heben, kann man
im Rückblick leicht reden.
Wenn aber zum 50.
Todestag eines Künstlers
gesprochen werden soll,
muss man sich hauptsächlich
mit dem Werk
des Künstlers beschäftigen. Wurde doch
schon viel über Stefan Jäger geschrieben
und gesagt, oft enthusiastisch und geradezu
euphorisch, aber am eigentlichen Werk vorbei.
Ich will mich um eine sachliche, kunstgeschichtliche
Gesamtanalyse des Werkes
Stefan Jägers bemühen. Denn nur das Werk
eines Künstlers kann für oder gegen ihn sprechen.
Der Maler öffnet seine Seele - soweit
dies überhaupt möglich ist - in den Bildern,
die für ihn stehen. In diesen Bildern klingen
stille Sehnsüchte und heimliche Hoffnungen
nach, auch wenn diese scheinbar verdeckt,
zunächst hinter der reinen sinnfreudigen
Anschauung verborgen bleiben. Erst die
kontemplative Betrachtung des Gesamtwerkes,
der Entstehungsprozesse der Bilder
sowie der uns bekannten Lebensumstände
des Künstlers, lässt uns jene Nähe zu ihm
finden, derer es bedarf, um sein Werk zu verstehen.
Dabei geht es weniger um Lust am
Schauen, was bei der hier gebotenen Werkfülle
verständlich wäre, sondern um die Bedeutung
der künstlerischen Persönlichkeit
des Malers. Es geht um die innere Haltung
des Künstlers beim Schaffen seiner Werke,
um seine geduldige Zwiesprache mit dem
Betrachter seiner Bilder - auch mit uns - seinen
Bewunderern -, um sein persönliches
Ringen um Akzeptanz.
Meine erste Begegnung mit dem Werk Stefan
Jägers fand während meines Kunststudiums
in Temeswar statt. Unmittelbaren Zugang
fand ich aber erst in den 6oer Jahren, als die
ersten Bilder in der deutschen Lokalpresse
erschienen. Der akademische Kunstbetrieb
ignorierte das Werk Jägers weitestgehend,
zumal die sporadische Präsenz der Bilder sich
auf die volkstümlichen Seiten der Zeitungen
beschränkte oder gar als Kalenderbeigaben
für das „biedere Volk“ gerierte. Dies wurde
noch verstärkt durch die offensichtlich altmeisterliche
Manier des Künstlers, ohne jeden
Anklang an die stilistischen Umbrüche
der Zeit und eine enge, scheinbar freiwillige
Selbstbeschränkung auf eine Thematik, die
sich auf das ländliche, volkstümliche Geschehen
bezog. In der Schule, gar im Unterricht,
wurde über ihn kaum gesprochen. Ich habe
an deutschen Klassen unterrichtet und erinnere
mich lediglich an eine bis zwei diesbezügliche
Unterrichtsstunden. Wir waren wohl
zu feige oder huldigten dem Zeitgeist, bewunderten
die europäische Moderne, von der wir
allerdings auch kaum was wussten. In meinen
Unterlagen fand ich immerhin das Konzept
eines Vortrages vor rumänischen Kunst-Kollegen
(Referat!), den ich wohl kurz vor meinem
Abgang (1972) über das Schaffen Stefan Jägers
(auch das Einwanderungsbild !) in Temeswar
gehalten habe. Dies müsste nach der Retrospektive
zum 80. Geburtstag des Künstlers
gewesen sein. Und dennoch blieb sein Werk
über all die Jahre im Bewusstsein der Banater
Schwaben tief verankert. Je länger das demonstrative
Verschweigen andauerte, umso
präsenter wurde das geheimnisvolle Wissen
um einen banat-schwäbischen Künstler, der
im Stillen, wie in einer versunkenen Welt, seine
Volks- und Heide-Bilder vor sich hin malte.
Getan haben wir, von wenigen Ausnahmen
in seinem persönlichen Freundeskreis abgesehen,
aber nicht viel für ihn. Nur selten war
man bereit, einen kleinen Obolus zu entrichten,
um ein Bild von ihm zu besitzen. Wann
kam man schon nach Hatzfeld, jene etwas
abgelegene Großgemeinde, an deren Bahnhof
man sich einer strengen Grenzkontrolle
stellen musste, Ziel und Zweck der Reise genauestens
protokolliert wurde.
Es hatte wahrlich grandios begonnen. Den
Anfang machte ein großflächiges, breit angelegtes
Bild von ungewohnten Ausmaßen. Es
stand plötzlich da, wie ein Paukenschlag: Ein
Triptychon, drei ineinander gehende Gemäldeteile,
ein Galeriebild, das in keine Wohnstube
passte (5m/1,5m). Erstmals 1910 zur Gewerbeausstellung
in Gertianosch vorgestellt.
Die Erinnerungen an das große Bild lebten
immer noch, waren unauslöschlich in das Gedächtnis
der Gruppe eingegraben. Auch wenn
man nur hinter vorgehaltener Hand darüber
sprach und der politische Opportunismus es
spät - aber immerhin - aus dem Museumsfundus
wieder ans Tageslicht gebracht hatte. Was
hatte dieses Bild an sich, was sehen wir auf
diesem „Einwanderungsbild der Deutschen
nach Süd-Ungarn“? Ein erzählendes Werk,
das in einfacher, schlicht realistischer Sprache
den Anfang unserer Geschichte schildert.
Man tritt vor das Bild und bleibt zunächst
von der Detailvielfalt verwirrt stehen. Doch
alsbald wird man vom Handlungsablauf mitgerissen,
in das Geschehen einbezogen. Denn
aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins
strömen Erinnerungen an Gespräche aus
Kindheit und Jugend, vereinen sich mit diesen
uns scheinbar längst bekannten Bildern.
Ja, so muss es gewesen sein, so hat man sich
die Einwanderung unserer Ahnen ins Banat
immer schon vorgestellt. Wir standen vor
einem Bild, in dem alles, was wir uns vorgestellt
hatten, urplötzlich sichtbare Gestalt angenommen
hatte. Wie war es denn möglich,
dass ein Künstler unsere ureigenen Bilder auf
die Leinwand projizierte? Wie konnte es sein,
dass dabei solche offensichtlich deckungsgleiche
Vorstellungen zu einem realen Bild
gerinnen? Gibt es etwa doch ein kollektives
Gedächtnis?
2
Alles ist Erde, feucht und glitschig, eine Erde,
die an Schuhen und Kleidern klebt, eine Erde
in die man versinkt, morastig und scheinbar
fruchtbar, säumen doch helle Grasbüschel den
Weg. Menschen gehen, sitzen und liegen auf
dieser Erde, als hätten sie ihre Bestimmung,
ja ihr Glück endlich gefunden, und können
es scheinbar noch gar nicht fassen. Wie Findlinge
oder glatt geschliffene Kieselsteine füllen
sie den Raum. Kein einziger überragt den
Horizont, alle sind Teil dieser Erde, werden
von ihr aufgenommen. Doch auch in diesem
gemeinsamen Handeln bleiben sie deutlich
isoliert, bewahren ihre Individualität und reagieren
je nach persönlichem Temperament
sehr unterschiedlich. Sie haben wohl erst unterwegs
zueinander gefunden, haben scheinbar
alle ein gemeinsames Ziel. Doch man
ist sich noch etwas fremd, sitzt in isolierten
Kleingruppen beisammen und setzt dennoch
auf einen Neuanfang, den man auch nur gemeinsam
wird schaffen können.
Erde und Himmel teilen sich im Goldenen
Schnitt auf der Fläche. Dem Himmel gebührt
der kleinere Teil, er leuchtet fahl, gelblich
grau bewölkt, als käme alsbald wieder ein
Gewitter auf. An den stehenden Pfützen in
Fahrrillen und Trittspuren sind noch Spuren
des letzten Regengusses erkennbar. Dem
Halmwuchs nach muss es Frühsommer sein,
nicht allzu warm oder gar schwül heiß, denn
die Menschen tragen noch ihre Jacken, Hüte
und Mäntel, als würde es sie leicht frösteln.
Man war eben schon lange unausgeschlafen
unterwegs.
Der Panoramablick des Bildes besteht eigentlich
aus drei verschiedenen zentralperspektivischen
Blickpunkten, was zunächst kaum
erkenntlich wird. Der erste Blickpunkt führt
zur Mitte der Kommenden und verschwindet
auf der Hügelkuppe hinter dem Horizont.
(Man kommt aus der unendlichen Ferne!)
Der Fluchtpunkt des Mittelbildes liegt abermals
im Goldenen Schnitt des Himmels, unmittelbar
über dem Kopf der stehender Mutter
mit Kind. (Das ist wohl die ferne Zukunft!)
Gleichsam wie eine Madonna beherrscht
sie die Szenerie, im Schutze des aufrechten
Schwarzwälders in der Mitte der Gesamtkomposition.
Der dritte Fluchtpunkt steht
auf der Höhe der angeschnittenen Dächer auf
der Kante zwischen Mittelbild und rechtem
Abschlussbild. (Hier soll man sich wohl verweilen
und niederlassen!) Man muss das Bild
gemächlich abschreiten, um es lesen zu können,
dadurch merkt man die verschiedenen
Fluchtpunkte kaum, denn sowohl durch die
durchgehende Horizontlinie wie auch durch
verschiedene Staffagen werden die drei Bildteile
immer wieder miteinander verwoben. So
führen z.B. Fluchtlinien der Fahrrillen vom
Mittelbild nach links in die Tiefe des ersten
Bildes, nach oben fluchtende, parallele Balken
verbinden ihrerseits Mittelbild mit der rechten
Ankunftsszene. Ein äußerst penibel ausgedachtes
Liniensystem zeugt von der hohen
Kunst eines Meisters der Komposition. Liest
man aber die drei Teile im Einzelnen, so folgt
der Blick des Betrachters unwillkürlich den
vom Künstler angesetzten Blickpunkten auf
der Höhe des schauenden Auges. Ein dichter,
nicht abreißender Menschenkeil kommt von
links aus der Tiefe des Raumes und zieht uns
entgegen. Die Menschen kommen uns näher
und näher, mit jedem Schritt werden ihre
Gesichtszüge deutlicher und ihre Kleidung
erkennbarer, ja selbst kleinste Details bleiben
uns nicht verborgen. Die erwartungsfreudigen
Gesichter sind uns nur in dieser Szene
zugewandt, ja sie blicken den Betrachter geradezu
fragend an. Dagegen würdigen sie uns
bei der Ankunft keines Blickes, sie stellen sich
mit dem Rücken zu uns, kümmern sich nur
noch um ihre Angelegenheiten, sind nur noch
auf die rasche Übernahme des ersehnten Besitzes
bedacht. Wir sind nur noch geduldete
Zuschauer.
Der etwas größere mittlere Hauptteil trägt die
eigentliche Komposition. Zwei große, beherrschende
Menschengruppen, jeweils in zwei
großen Dreiecken zusammengefasst, bilden
dabei das tragende Gerüst des Bildes. In der
Mitte ein gleichseitiges Dreieck, welches mit
der Spitze auf dem Bündel im Vordergrund
steht, umfasst mit der Basis das winkende Paar
bis zur stehenden Mutter. Von dort führen jeweils
zwei ordnende Linien herab. Rechts erhebt
sich - diesmal mittleres und rechtes Bild
verzahnend - eine gewaltige Menschenpyramide,
die den Schlafenden und die sitzende
Lahnerin mit ihren zwei Kindern als Basis benutzt,
um von dort jeweils zum Dachfirst der
noch erkennbaren Häuserzeile zu führen. All
dies sind keine Zufälligkeiten, es sind kompositorische
Mittel zur Gestaltfindung. Gestaltungsmittel,
welche einen akademischen
Maler bestimmen. Den Künstler können wir
nicht mehr befragen. Tatsächlich geschieht
dies gewöhnlich eher unbewusst, indem man
seine Übung im Umgang mit dem Bildaufbau
spontan einbringt, dies sogar im konkreten
Fall gar nicht begründen kann. Geht es doch
vielmehr um Begabung und Intuition.
3
So sind auch die vereinzelt dastehenden
Randfiguren anzusehen, wie etwa der Schuhschnürer
links am linken äußeren Rand und
der Hesse im hellen Mantel rechts am Rand.
Sie halten das gesamte Bild in der Waage.
Wobei Jäger noch eins draufsetzt, mit der
Frau, die auf den Holzbalken rechts sitzt: wie
ein stures, hotzenwäldlerisches „Mir bliebet
jetzt do!“.
Das vielfältige Geschehen ruht im Gleichgewicht.
Dies verleiht dem Bild etwas sehr
Ruhiges, wenn auch sehr Bestimmtes. Als
hätte das Schicksal dies so ergeben. Alles
scheint in geordneten Bahnen zu verlaufen.
Dennoch herrscht keine Stille, man meint
noch die scharrenden Schritte der Kommenden
zu hören, man ist versucht die leisen Zwiegespräche mit zu verfolgen oder
der Rede des kaiserlichen Kommissars zu
lauschen. Weitere bildbestimmende Mittel
sind die verbindenden Blickkontakte und
die unzähligen Zeige- und Hinweisgesten.
Erstaunlicherweise sucht keine einzige Figur
mehr den Blickkontakt mit dem Betrachter,
sie bleiben unter sich. Ihre Blickrichtungen
führen uns von Gruppe zu Gruppe und auch
schon mal wieder zurück, bevor man wieder
etwas übersehen hat. Sie sind mit sich selbst
beschäftigt, rufen oder winken sich zu, kümmern
sich aber weiter auch nicht um den Betrachter,
obzwar ihm ihre Gesichter unmittelbar
zugewandt scheinen. Wir blicken auf
offene, gutmütige Gestalten mit auffallend
kräftigen Händen und klobigem Schuhwerk.
Obzwar von einer langen Reise kommend,
leicht angeschlagen, mit etwas abgetragenen
Kleidern, welche da und dort sogar leicht
eingerissen sind, strahlen die Personen eine
gewisse Würde aus. Ihre geringe Habe tragen
sie mit sich, überall sind die mitgeführten
Bündel zu sehen. Die Menschen sind stattlich
und im besten Alter: breitschultrige
Männer von ausnehmend kräftiger Statur,
handfeste Frauen mit zupackenden Armen
und strammen Waden. Es überrascht uns
auch nicht, eine große Zahl von Halbwüchsigen
und Kindern zu sehen, nur mit ihnen
geht man in die Zukunft. (Weiterführende
Gedanken über die Trachten des 18. Jahrhunderts
scheinen mir in diesem Rahmen nicht
sinnvoll, es geht um das Werk.)
Die Farbgebung folgt der Logik der Komposition,
sie bleibt im großen akademischen
Ton der Historienmalerei des späten 19.
Jahrhunderts. Farbe ist stets reine beschreibende
Dingfarbe, folgt weder wechselnden
Sinneseindrücken noch wird sie symbolisch
überhöht oder gar befrachtet. Die äußerst
realistische Sehweise des Künstlers ist
stets um Sachlichkeit bemüht, sparsamste
Farbakzente beleben dennoch den Bildeindruck
im Detail und erhellen die vielfältigen
Szenerien spürbar. Es ist ein sichtbares
Bemühen um historische Genauigkeit und
akribische Freude an körperlicher Räumlichkeit.
Es stimmt alles: Aufbau, Komposition
sowie Farbgebung und Inhalt. Es fehlen alle
bekannten moralisierenden Lehrgesten. Seine
einzige Geste bleibt die technisch ausgeklügelte,
reife Bildkomposition.
Unverständlich bleibt die Angst der kommunistischen
Machthaber vor diesem friedlichen
Bild. Ein Bild, das eher vom menschlichen
Wagnis kündet, das keinerlei eroberungssüchtige
Menschen zeigt, sondern von einer
friedlichen Pionierarbeit kündet. Ein Bild,
das für viele Kolonisten in der Neuen und alten
Welt stehen kann. Ein Bild, das weder mit
ideologischem Pathos beladen ist, das weder
bedrohlich noch fordernd auf den Betrachter
wirkt. Ein Tatsachenbericht, wie er nur aus
der Phantasie eines Stefan Jägers kommen
konnte, aus der Hand eines stillen, leisen
Künstlers, dem jedes angeberische Getue zuwider
war. Ja es war eine Auftragsarbeit, eine
vielversprechende sogar. Doch auch dabei
wurde er, wo es nur ging, immer wieder übervorteilt.
Aber wie konnte es geschehen, dass
Folgeaufträge ausblieben? Wo ist z.B. seine
große aquarellierte Studie, das Triptychon
„Donauschwäbische Kulturarbeit“ verblieben?
Wieso kam es, gerade in einer Zeit der
Besinnung und des Auflebens der Deutschen
Schule und Kultur im Banat zu keinen großformatigen
Folgeaufträgen mehr? Selbst wenn
Jäger noch in den zwanziger Jahren Bilder mit
István Jäger aus Cseney signiert hat (Ausstellung
in Großsanktnikolaus), sein Bruder Ferdinand
zeitlebens der „Nandi“ blieb und seine
Haushälterinnen die Klaranéni (Klara Csáki),
Kathinéni (Ludwig) und Jostnéni blieben.
War es etwa in anderen intellektuellen Kreisen
z.B. in Temeswar anders bestellt? Schließlich
hatte Jäger seine künstlerischen Wurzeln
in Budapest gefunden. Auch wenn Hatzfeld
bis 1924 zu Serbien gehörte, Jäger blieb kein
Magyarone, dies hat er durch sein ganzes Lebenswerk
bekundet. Denn seine Bilder wurden
allein schon von seiner Entscheidung,
mitten unter seinen Landsleuten leben und
schaffen zu wollen, bestimmt.
4
Schon in den zwanziger Jahren hat er mit großen
finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen,
da er seine Ersparnisse durch den Börsencrash
verloren hatte. Mit kleinen Auftragsarbeiten
hat er sich und seine Mutter mühsam über die
Zeiten gerettet. Stefan Jäger war ein Mensch,
der sich niemals vordrängte, der stets in den
hinteren Reihen stand. So hat er seine vier
Landser-Jahre während des I. Weltkrieges
verbracht, so ging es mit ihm immer weiter.
Auch wenn der Weg zum Künstler mühsam
war - hatte er sich doch stets der breiten Öffentlichkeit
verweigert - so bleiben hier viele
Fragen offen. Denn die Lebensumstände Jägers,
unseres heute gefeierten Jubilars, werfen
auch ein sehr bezeichnendes Bild auf unsere
Gruppe. Haben wir uns nicht allzu sehr in
dem Gestrüpp-Denken der Rentabilität, nach
dem Maße der Wiener Cameralverwaltung
verloren? Wurde nicht immer wieder nach
dem Nützlichkeitsprinzip gehandelt? Wie
war unser Blick auf die „brotlose“ hohe Kunst
oder gar auf gefällige, naive Bildchen mit röhrenden
Hirschen und Klatschmohn, Kornblumen
oder anderen Surrogaten? Hätte man
nicht schon viel früher auf echte, empfindsame
Kunst achten können? Oder war man im
täglichen existenziellen Kampf so befangen,
dass man für echte Kunst keine Opfer mehr
bringen konnte?
Betrachtet man den weiteren Fortgang des
künstlerischen Schaffens Stefan Jägers, so
bietet sich ein sehr komplexes, vielschichtiges
Bild dar. Denn dieses Werk scheint in
der Thematik doch recht eindeutig zu sein,
ist aber, was die künstlerischen Ansprüche
betrifft, nicht immer gleichwertig. Erkennbar
bleibt zunächst seine tiefe Verwurzelung
mit der heimatlichen Erde, jenem Boden, den
er schon mit seinem großen Werk besungen
hat. Alles dreht sich bei ihm um diese Erde,
für die man alles und jedes zu opfern bereit
war. Seine Welt bleibt der kleine, überschauSchafbare
Haushalt, alles, was mit der Eigenwirtschaft
verbunden war, als hätte der Maler die
großen kollektiven Zusammenrottungen der
50er Jahre nicht mehr miterlebt. Immer wieder
beschäftigt er sich mit der bäuerlichen
Alltagswelt, dem Leben und Streben auf dieser
Erdenkrume, dem Arbeiten und Feiern in
der gewachsenen Gemeinschaft. Mensch und
Tier in einer friedlichen optimistischen Symbiose.
(Was für Hähne und was für Hühner!
Welch innige Beziehung zur Tierwelt wird
hier spürbar, auch wenn man sie später ihrem
Zwecke zuführen musste.) Seine Kunst konzentriert
sich mehr und mehr auf das Studium
der vergänglichen Werte, will festhalten,
was allmählich zu entschwinden drohte, was
von der technischen Revolution verdrängt
wurde. Ganze Konvolute an Trachtenstudien,
Skizzen von Gerätschaften und Werkzeugen,
nicht zuletzt von Sitten und Gebräuchen wird
er hinterlassen. Dies ist seine große einmalige
Leistung. Dazwischen stehen aber auch
isolierte Kostbarkeiten, jene hymnischen Sinneseindrücke
der heimatlichen Landschaft,
die so nur von seiner Hand entstehen konnten.
Realistische Bilder mittlerer Größe, ohne
jeglichen Auftrag, einfach aus der schöpferischen
Lust heraus entstanden. Manche
Bilder scheinen das Flimmern der Luft, das
Rauschen der Pappeln, das Wogen der Ähren
einzufangen. Alles in dieser von ihm geschilderten
Welt ist selbstverständlich. Ein zarter,
friedlicher Zauber liegt über dieser Welt,
wenn die Farbe gleichsam die atmosphärische
Bewegung des Lichtes aufsaugt und den Blick
des Betrachters über klar strukturierte Formen
- über Busch und Baum, über Fluss und
Land - in die Tiefe lenkt, um sich in diesigem
Blau zu verlieren.
Bezeichnend für sein gesamtes OEuvre bleibt
diese stille, unpathetische Art des Malens, die
unwillkürlich an das frühe Einwanderungsbild
erinnert. Man hat ihm dies sogar als Schwäche
ausgelegt, als fehlende Anteilnahme am
Geschehen, als l´arte pour l´art Haltung angekreidet.
Seine gewissermaßen unpolitische
Art, an die Dinge heranzugehen, ohne sich
von Zeiteinflüssen berühren zu lassen, war
für den konfliktscheuen Künstler selbstverständlicher
Teil seiner Sprache. Seine innere,
künstlerische Entwicklung vollzog sich „im
gelebten Alltag“ auf der Dorfstraße, auf dem
Feld oder auf der Tenne. In der Begegnung
mit Menschen, die, überzeugt von ihrem
sinnhaften Tun, auch in höchster Bedrängnis
nicht loslassen konnten. Menschen, die
ihr Schicksal angenommen hatten: Jede körperliche
Anstrengung wirkt bei Jäger leicht,
wird scheinbar zur freudigen, daseins- bestätigenden
Erfüllung. Seine Bilder sind
das Werk eines modernen Aussteigers. Sein
Monte Verita wurde das Banat. Hier wollte
er „stehen bleiben“, hier, inmitten seiner
Landsleute, in einer überschaubaren, (für
ihn sicher) heilen Welt. Denn er war
kein Revoluzzer, kein Weltbeweger, wollte
den Lauf der Dinge weder beschleunigen,
noch aufhalten. Einfach ein empfindsamer
Mensch, der an dem heimatlichen Lebensgefühl
hing. Gelegentlich kommen sogar
kleine „Schlitzohrigkeiten“ zum Vorschein
und man erkennt die sprichwörtliche „Bauernschläue“
aus Haltung oder Blicken. Doch
seine Schilderungen erreichen niemals die
Untiefen der Seelen, die wollte er einfach
nicht ausloten. Der Vorwurf : Dies sei eine
recht „einfältige Nähe“ zu den Geschehnissen
der Zeit geblieben, kann man dabei erheben.
Doch das Schwere, Düster-Zerstörerische
war nicht seine Welt. Da floh er lieber
in die heilsame Einsamkeit der Natur. Nicht
zufällig war sein bester Freund botanisch
interessiert. So wie jener seine Pflanzen sortierte
und beschriftete, so sammelte er seine
Gestalten und erlebten Ereignisse in Skizzen
und Bildern, die er anhäufte. Er wollte
lediglich aus dem ursprünglich Einfachen,
aus dem Geringen heraus Gültiges schaffen.
Später, im reiferen Alter, wird auch der Pinselschlag
lockerer und leichter, gelegentlich
spontaner. Ein pastoser Farbauftrag lässt uns
die leichte Seligkeit des malerischen Schaffens spürbar nachempfinden. Impressionistische
Malweisen werden erkennbar, denn
längst hat er das Atelier verlassen und malt
und skizziert auch im Freien. Nein, er war
kein Corot, auch kein Leibl - ein Künstler,
den er zeitlebens als Beispiel vor sich sah - er
war eher ein Defregger des Banats. Von der
malerischen Stofflichkeit her stand er wohl
dem Schwarzwälder Hans Thoma am nächsten.
Gewiss hat er die Ismen des 20. Jahrhunderts
gekannt (wohl als launische Torheiten
abgetan). Aber sie hätten ihm ja nicht weiterhelfen
können.
5
Für sein Vorhaben kam ja nur ein gestrenger
Realismus in Frage, eine Sprache, die auch
seine „Landsleute leicht verstehen“ konnten,
mit Themen, die ihren Lebensinhalt schilderten.
War diese Entscheidung nicht legitim?
Das heroisch Überhöhte lag ihm nicht.
So agiert man nicht im Alltag, denn dieser
ist schlicht und einfach. Auch wenn er Franz
Ferch gut verstehen konnte. Es bleibt doch
etwas befremdlich, dass seine Präsenz in
den Ausstellungen der Deutschen Künstler
der 30er und 40er Jahre kaum wahrgenommen
werden kann. So wie er auch später, in
den 50er Jahren, lange Zeit persona non grata
blieb. Erst sein 80-jähriger Geburtstag wurde
gebührend gefeiert, blieb aber ein isoliertes,
regionales Ereignis.
Man verkennt den späten Ruhm des Künstlers,
denn hier herrscht ein großes Missverständnis
vor. Denn sein Name gerät dabei in
ein nostalgisches Gefühlsdickicht von Erinnerungen
und Erfahrungen, die man beim
Verlassen der Heimat empfindet. Je weiter
und je länger man sich von den Orten seiner
Kindheit und Jugend entfernt, desto sehnsüchtiger
blickt man zurück und sucht nach
Ersatz. Und da man seine Heimat nicht mitnehmen
kann, Ereignisse und Erlebnisse
schon gar nicht, sucht man verzweifelt nach
Ersatz. So kam es, während der Zeit des Exodus,
zu der Wiederentdeckung unseres (vergessenen)
Heimatmalers. Zum Glück konnte
Den Skizzen gegenüber wirken dann die im
Atelier entstandenen, wiederholt gemalten
Bilder oft etwas gestellt, gekünstelt, etwas
affektiert und manieriert, eben wie es seinen
schwäbischen Landsleuten gefiel. Zum
Überleben musste er derartige Zugeständnisse
machen. Am Beispiel: „Drei Mädchen
auf der Bank (Sonntag ist’s)“ erkennen wir
leicht Unregelmäßigkeiten, die komisch wirken,
die wir aber nicht überbewerten dürfen.
Stefan Jäger (1877-1962) und
Heinrich Zille (1858-1929)
Wenn wir Jäger und Zille vergleichen, so nicht
wegen des ähnlichen Malstils. Die Themen
sind es, die so ähnlich und doch so ganz anders
sind. Beide sind Genremaler und die Maler
ihrer Umgebung: Jäger unser Schwabenmaler
und Zille der des Berliner „Milljöhs“.
Auch Zille entstammte keiner begüterten
Familie, seinen Unterricht bei einem Zeichenlehrer
bezahlte der 11-Jährige mit selbstverdientem
Geld. Später als Litograf ging
Zille abends zum Unterricht zu Professor
Theodor Hosemann, von dem dann der entscheidende
Hinweis kam: „Gehen Sie lieber
auf die Straße hinaus, ins Freie, beobachten
Sie selber; das ist besser, als wenn Sie mich
kopieren“. Und Zille ging hinaus auf die Straßen
des Berliner Ostens. Und Zille zeichnete
die ungeschönte Wirklichkeit der Gründerjahre:
das Leben in den Hinterhöfen der
Massenbauten, Elendsquartiere in feuchten
Wohnungen und nassen Kellern. In seinem
„Milljöh“ des „fünften Standes, der Vergessenen“,
wie er es nannte, war er Vertrauter
auch von Huren und Asozialen, da war er
der „Pinselheinrich“ und „Vater Zille“. Dabei
war er durchdrungen von jenem Humor,
der zeigte, dass auch das armseligste Leben
nicht Stunde um Stunde armselig ist, dass es
sich, wie jedes andere, zusammensetzt aus
Höhen und Tiefen. Die anderen nannten ihn
„Abort- und Schwangerschaftsmaler“.
Wie anders war doch Jäger! Er war kein Vertrauter
seiner Mitmenschen, er stürzte sich
nicht mitten ins Volksgetümmel, er stand
lieber beobachtend und skizzierend als
„Herrischer“ abseits, nahm als stiller Gast
an allen Festen und Handlungen in seiner
näheren und manchmal auch weiteren Umgebung
teil. Unzählige Gemälde und noch
viel mehr Skizzen stellen eine farbenfrohe,
lebendige Dokumentation zur Volkskunde
der Banater Schwaben dar.
Lassen wir nun einige Bilder von Stefan Jäger
und Heinrich Zille selbst sprechen. Es wird
uns dabei sicherlich nicht der große Kontrast
zwischen den beiden Welten, Banat
und Berlin, entgehen:
Hier Arbeit und Feierabend, Mehrgenerationenhaushalt,
Einkindsystem; hier arbeiten
und unterhalten sich die Großen,
während die Kinder von den Großmüttern
behütet werden, Wohlstand und heile Welt,
selbst dann noch, als sich der schwäbische
Bauer durch Enteignung in Notstand geraten
glaubte;
Dort Armut, Elend, Arbeitslosigkeit, Haufen
von Kindern, das Fehlen von alten Leuten,
weil die Lebenserwartung so niedrig war.
Wie haben beide doch eine Fülle von Figuren
auf einer kleinen Fläche untergebracht!
Und alles echtes, wirkliches Leben!
Wir Banater Schwaben dürfen es als Sternstunde
unseres Kulturlebens empfinden,
dass uns ein Dokumentarist vom Range Stefan
Jägers beschieden war. Was wäre aber,
wenn er eine andere künstlerische Laufbahn
und einen anderen Lebensweg eingeschlagen
hätte? Er wäre vielleicht in der großen
Masse der Anpasser und der Neuerer-Nachahmer
untergegangen und uns vielleicht
unbekannt geblieben. Wer hätte dann die
250 Jahre lange Kulturgeschichte unseres
kleinen Volksstammes geschrieben? Eines
Volksstammes, der im deutschen Mitteleuropa
seine Wurzeln hatte und irgendwo im
Südosten Europas untergegangen ist: die der
Banater Schwaben.