ART:0053 - Stefan Jäger und seine Welt: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 31. Mai 2016, 13:19 Uhr
Bibliografie | |
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Artikel Nummer: | 0053 |
Autor Name: | Franz Liebhard |
Titel des Artikels : | Stefan Jäger und seine Welt |
Untertitel des Artikels: | Bemerkungen zur Temesvarer Ausstellung |
Publikation: | Zeitung |
Titel der Publikation: | Neuer Weg |
Erscheinungsort: | Bukarest |
Jahrgang: | 19 |
Datum: | 24.06.1967 |
Seite: | 3 |
* [[Franz Liebhard]]: [[ART:0053 - Stefan Jäger und seine Welt|<i>Stefan Jäger und seine Welt</i>. Bemerkungen zur Temesvarer Ausstellung]]. Neuer Weg, Bukarest 24.06.1967 (Jg.19), S. 3 |
Bemerkungen zur Temesvarer Ausstellung
Die Bereiche des Banater Museums, die die bildenden Künste umfassen, haben durch ihre lebhaft gewordene geistige Zirkulation die Aufmerksamkeit der Freunde aller schönen Künste in den letzten Jahren immer wieder auf sich gelenkt. Was ein konzeptionelles Denken hervorzubringen vermag, das von den Gegebenheiten ausgeht und sich in rastloser Bewegung Ziel um Ziel setzt, das bekundet uns die strebsam beharrliche Tätigkeit der Vorsteherin der Sektion Bildende Künste, Stella Radu, und der Sektionsleiterin Annemarie Podlipny-Hehn. Es ist ihnen gelungen, das Interesse für Schöpfungen von Malern und Bildhauern, für Werke von Meistern des Kunstgewerbes und verschiedener Kleinkunstgattungen nicht nur zu wecken, sondern auch wach zu halten, zu nähren und so eine ständig wachsende Gemeinde von Kunstfreunden um das Museum zu sammeln. In erster Reihe sei hier an die Sonderschauen gedacht, durch die sie im großen ganzen unbekannte Musealbestände ans Tageslicht gebracht haben, wofür die Besucher aufrichtig dankbar waren. Ihre Methode, Museales durch Leihgaben aus Privatbesitz zu erweitern und aufs beste zu ergänzen, erwies sich als eine willkommene Neuerung, die zur Schaffung engerer Beziehungen der Verbundenheit zwischen Museum und Publikum beizutragen geeignet ist.
Schwäbischer Alltag
Die gegenwärtige Stefan-Jäger-Ausstellung, die an die Gemäldegalerie anschließend in einem halben Dutzend Räumlichkeiten Unterkunft gefunden hat, fügt sich eindrucksvoll in diese Reihe von Sonderschauen ein. Sie vermittelt eine umfassende Kenntnis dieses Banater Malers, der sich ein langes Leben hindurch vom Klein- und Kleinstthema des Alltags der schwäbischen Dorfbevölkerung angezogen fühlte. Ihr war er kraft heimatlicher Tradition und muttersprachlichen Dialekts sowie durch die Anhänglichkeit zu überlieferten Lebensformen innigst verhaftet. Man kann wohl sagen, dass seine fast schon hartnäckig beobachtete Sparsamkeit in bezug auf das gesprochene Wort schwäbisch-bäuerlich war, nicht anders wie die misstrauische Reserve Gefühlsentladungen gegenüber, die eine richtig gefügte Ordnung der Dinge lind Menschen zu verrücken geeignet schienen.
Aus diesen und ähnlichen Zügen, aber auch aus der Scheu, in ein Größeres hineinzugreifen und den Sprung über sich selbst und seine Welt hinaus zu wagen, setzte sich Jägers Persönlichkeit zusammen. Die menschliche, die bestimmende, was die Bewegung der pinselführenden Hand betrifft, und die künstlerische, die zeitlebens bestrebt, war, seiner fest konturierten, in ihren Atemzügen wohl engen, mit den Realitäten menschlicher Existenz unter allen Umständen unzertrennlich verbundenen Welt formale Ausgewogenheit und den Glanz wohlgestimmter Farben zu verleihen.
Kann dieser Tatbestand nicht dazu verleiten, dem Maler, dessen Wesen von vornherein solche Schranken gesetzt waren, das wahrhaft Künstlerische abzusprechen? Diese Frage zu stellen, ist heute um so begründeter, als man zuweilen der Neigung begegnen kann, Inhaltliches und Formales, das außerhalb des Problematischen im Sinne von Kompliziertem und des Experimentellen in der Bedeutung eines gewissen Vorschubs der äußeren Art und Weise des Auszusagenden liest, einfach an den Rand zu verweisen und mitunter auch als etwas Provinzielles abzutun.
Das, wofür er einen malerischen Ausdruck gesucht, einen solchen auf die redlichste Weise erstrebt hat, war in einer räumlichen Tiefe und Breite von etwa rund hundert Kilometern von einigen an den Fingern einer Hand abzählbaren Hunderttausenden von Menschen vertreten, und was noch dazu, gehört zwischen Wiege und Lehnsessel des Gealterten. Unbestreitbar eine kleine Welt; Aber nicht weniger unbestreitbar, dass es doch eine Welt ist mit ihrem eigener Entwicklung entspringendem Wachstum, mit einem ihr innewohnenden Drang, verstanden, gehegt, gepflegt, geehrt und geliebt zu werden.
Wie wertet sich doch Stefan Jägers Gewicht gleich um, sobald der heimatliche Mikrokosmos, in dem er stand und dem er seine ganze Aufgeschlossenheit, seine Empfangsbereitschaft, seine seelische Tongabel als Maler zuwandte, als mit dem vaterländischen Makrokosmos durch unzählige Berührungen verknüpft gedacht wird. Erst durch diese höhere Sinngebung wird man dem Werk Stefan Jägers gerecht. So versteht man es auch, was es zu bedeuten hatte, dass dem Meister, den man viele Jahrzehnte abseits stehen lassen, in eine bittere Einsamkeit geradezu hineingezwungen hatte, im hohen Alter ein Orden der Volksmacht zuteil wurde, und dem heute, wo sein Geburtsjahr allmählich dem Zentenarium zurückt, die erste Grossausstellung veranstaltet wurde.
Von den anderthalb hundert Exponaten, die Annemarie Podlipny-Hehn für diese Schau mit einem achtenswerten Aufgebot von Fleiß und Suchfreude zusammengetragen hat, rührt ein bedeutender Teil aus Privatbesitz her. Man soll all jenen, die sich von den ans Herz gewachsenen Aquarellen oder Ölbildern auf einige Wochen zu trennen bereit waren, Dank und Anerkennung nicht vorenthalten. Es wäre nur zu wünschen, dass ihr Beitrag zum Erfolg der Ausstellung auch denjenigen zu denken gäbe, die sich aus Gründen der Kleinlichkeit dem Ruf nach Leihgaben für die Ausstellung versagen zu müssen glaubten. Dabei dürfte es sich in etlichen Fällen um Stücke handeln, die unbedingt in die Ausstellung gehört und in einer oder anderer Hinsicht eine Aufwertung mit sich gebracht hätten. Sie haben Jäger verweigert, was ihm, vielleicht in ausschlaggebender Weise sogar, durch „ihre Bilder", die doch nicht zufällig das Namenszeichen des bescheidenen stillen Hatzfelder Meisters tragen, verdienter Weise zukommen hätte müssen.
Synthese von Kunst und Dokumentation
Das Museum selbst ist in der Ausstellung vor allem durch das große, nach der Art eines Tryptichons geschaffene Einwanderungsbild und eine größere Anzahl in Aquarell ausgeführter Skizzen, Studien und dokumentativer Tuschzeichnungen vertreten, die sich in der Hauptsache auf Trachten und deren Varianten, Volkstypen, Gegenstände der Einrichtung und des Gebrauchs, Volksfest- und Volkstanzmotive erstrecken. Die Skizzen und Studien sind, außerdem dass sie als Komponenten eines Archivs schwäbischer Ethnographie angesprochen werden dürfen, von einer Unmittelbarkeit und Frische, einer so erstaunlichen Konzentration und Lebendigkeit der Wiedergabe des Erlebten, dass sie eine seltsame Synthese von Kunst und Dokumentation darstellen.
Zu einem besonders aufschlussreichen Ergebnis gelangt man, wenn man all diese Skizzen- und Studienblätter vor dem Einwanderungsbild als Hintergrund einer Prüfung unterzieht. Es ist bekannt, dass Jäger zu dem Einwanderungsbild, dessen öffentlich-festliche Bekanntgabe an die Bevölkerung 1910 in der großen landwirtschaftlich-gewerblichen Ausstellung von Gertjanoscher vor nicht weniger als viertausend Besuchern vollzogen wurde, in den Ursprungsländern der schwäbischen Kolonisten längere Zeit umsichtige Trachtenstudien, betrieben hat. Daraus, wie er seine Einwanderer in die einzelnen Phasen der Ansiedlung kleidete, spricht die Realität, des Dokuments. Vergleicht man nun beide, die alten Trachtendokumente, und diesen um zweihundert Jahre entrückt, die in den Skizzen enthaltenen Dokumente einer Lebenslage des Gegenwärtigen, so lässt sich von Haus aus bis zur Tracht, von der Art, ein Reisebündel zusammenzupacken, bis zur Haltung der Menschen ein Unterschied feststellen, der hier entstanden ist als Ergebnis der Entwicklung der neuen Heimat, einer neuen Landschaft, einer wesentlich anderen Umwelt und ihrer Einflüsse. Darum wäre dieser Ausschnitt an Volksleben, der uns durch Mittel der Kunst und von der Kunst durchwärmt geboten wird, durch ein reduzierendes Abtun als Provinzielles nicht nur völlig missgedeutet, sondern in seinem eigentlichsten Kern, und das ist seine Eingebettetheit in das große Umfassende, in das Vaterlandhafte, geradezu total verkannt.
Nicht ohne Ergriffenheit lassen wir den Blick verweilen auf einer Reihe von Hausgiebeln, die Jäger als am Dorfrand befindlich bezeichnet Zwar widerspiegeln sie voneinander abweichende Arten der Giebelkonstruktion, in einem entscheidenden Zug jedoch sind sie einander gleich. Es sind Barockgiebel, einer darunter von einem überaus reichen Fluss der Linie, und erzählen uns in der beredten Sprache ihrer Architektur, wie unsere Vorfahren in dieser neuen Umwelt vom schmucklos nüchternen, mit dem rechnerischen Kanzleistift entworfenen Kolonistenhaus zur Wohlgefälligkeit der geschwungen geführten Rundung hingefunden haben.
Unzähliges Bedauern ließ sich in der Ausstellung vernehmen, dass es von den so suggestiv sprechenden Skizzen und Studien nicht mehr zu sehen gab. Man kann den Bedauernden nur recht geben. Aber so wie vieles in den Künsten seine nicht immer trostreichen Geschicke hat, so auch diese Blätter von verschiedenen Ausmaßen, von unterschiedlicher Qualität und Farbennuancen des Papiers. Es war ein Fehler, dass das Banater Museum nach dem Ableben Stefan Jägers nicht den ganzen Stoss von Hunderten kleineren und größeren Skizzenblättern durch Ankauf an sich gebracht hat. Nur ein Bruchteil wurde erworben, ausgewählte Blätter, während die größere Menge im Formniveau Einzelverkäufen dank den Erben nach allen Himmelsrichtungen auseinandergestoben ist.
Niemals wieder werden diese Blätter sich zusammenfinden, die in ihrer Gesamtheit zumindest der ethnographischen Abteilung des Museums eine unerschöpfliche Fundgrube und Dokumentationsquelle hätten bieten können. Eine komplette schwäbische Volkskunde als besonderen Farbfleck in dem reichen, so viel Schönes umfassenden ethnographischen Atlas Rumäniens. Denn Heimatliches empfängt seine hohe Erfüllung immer im Vaterländischen.