Stefan Jäger Archiv

ART:0181 - In memoriam Stefan Jäger

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Bibliografie
Autor Name: Gross, Karl-Hans
Aufsatztitel: In memoriam Stefan Jäger
Zeitschrifttitel: Volk und Kultur
Untertitel: Zeitschrift des Rates für Kultur und sozialistische Erziehung
Heftnummer: 5(Mai)
Erscheinungjahr: 1977
Seite: 13-14
* [[ART:0181 - In memoriam Stefan Jäger|Gross, Karl-Hans. In memoriam Stefan Jäger. Volk und Kultur 1977]]

Dieser Tage bietet sich Gelegenheit, dem künstlerischen Wirken eines Mannes in Ehrfurcht und Dankbarkeit zu gedenken, an dessen Schöpfungen wir uns so oft und verstehend immer wieder erfreuen. Und mit der Freude an dem Schönen, das sich in tausend und aber Tausenden Farbnuancen zum malerischen Bude verdichtet, verflechten sich Erinnerungen an Geschehen so vieler Jahre, die die Menschen auf schier endlose Zeit mit diesen Gefilden verbinden. Die Nachfahren werden hier weiterbauen. Und wir werden bei den alljährlichen Brauchtumsfesten nicht nur die „alten" Trachten tragen, sondern im Werken und Denken, mit Würde, im Neuen das Gute vom Alten behalten. Das gibt uns auch der Maler in seinem Schaffen wieder; er greift zum Pinsel und „schreibt" die Chronik vom schwäbischen Dorfe mit seinen Farben auf dem Maltuch nieder. Dafür gebührt ihm unser Dank. So wollen wir im Geiste ihm den Ehrenkranz aus frischen Lorbeerblättern winden und lobevoll preisen seine Tat…


Jäger war gelernter Maler. Seine Fachstudien machte er in Budapest (1895 - 1899) an der Malschule („Modellzeichenschule und Zeichenlehrerbildungsanstalt"), nachdem er sich etliche Bildungsstufen an Wieszners Privatschule in Temeswar und an der 6-klassigen Bürgerschule in Szegedin geholt hatte.

Er kam in Tschene / Banat am 28. Mai 1877 zur Welt.

Übrigens enthält seine Biographie kaum etwas Außergewöhnliches, insbesondere, wenn wir von den beiden Studienreisen ins Ausland (1901, 1906) absehen. Nahezu gradlinig verläuft sein langer Lebensweg.

Die 52 Jahre seines Lebens in Jimbolia (Wahlheimat seit 1910) brachten ihm weder Wohlstand noch sonst einen größeren materiellen Gewinn. Er war ein ewig Armer und – dennoch reich. Ihm, dem Menschen und Künstler, lag es an einem anderen Glück, das nicht zuletzt von seiner eigenen „Lebensphilosophie" mitgeprägt war. Seinen Reichtum fand er in der Kunst, was in einem unermüdlichen malerischen Schaffen zum Ausdruck kam. In mehr als sechzig Jahren seines künstlerischen Wirkens (Budapest, Tschene, Gertjanosch, Jimbolia) bemalt der rührige Meister etliche -zig Quadratmeter grob- und feinwebigen Maltuchs („Einwanderungsbild" mit 1,4 x 5,10 m; ungezählte Trachtenstücke, Landschaften, Stilleben, Altarblätter, Feld- und Heimkehrbilder u.a.m.) mit ölgetränkten Farben, und auf einer noch größeren Fläche Kartons schuf er die vielen entzückenden Trachtenstück von überaus bedeutungsvollem ethnographischem Wert, die Haus, Hof und Feld und vieles aus dem täglichen Leben seiner Menschen, aus deren Arbeit und den Festen, zum inhaltlichen Kernstück haben. Unberührt von allen möglichen Stilrichtungen seiner Zeit, lässt er sich um nichts in der Weh von seiner realistischen, oft pedantisch anmutenden Kunst abbringen und macht vorliegend das bäuerliche Milieu zum Mittelpunkt in seinem malerischen Schaffen. So erschließt er in emsiger Arbeit das Ethnographische und überhaupt das allgemein Übliche, das Typische im täglichen Hergang des Lebens auf dem Dorfe. Das brachte ihm seinerzeit von (einzelnen) Zünftigen der Branche eine nicht gerade vorteilhafte Beurteilung ein; man fand ihn zu handwerklich, zu abgeschlossen und zu ummauert in der Enge seiner kleinen Welt. Übrigens kann man auch Äußerungen, wie „Ob Hühnerhöfe auch Bilder sind?" nicht anders (abwertend) verstehn! Dessen ungeachtet sind aber gerade diese Bilder, wie alle Jäger-Bilder schlechthin bei unseren Leuten sehr beliebt. Demzufolge drängt sich uns geradezu unumgänglich die Frage nach „Was macht die Jäger-Bilder so beliebt?" auf. Worauf begründet sich eigentlich – wenn auch erst post mortern – der große Erfolg der Jägerschen Malerei? Ist es das Gestern? Ist die Nostalgie das große Geheimnis des Erfolges? Es mag schon sein. Denn, die „gute alte Zeit" war schon immer ein wehmütiges Erinnern der Menschen. Und aus den Bildern des Künstlers strahlen vielleicht doch verklärte Zuge der unbeschwerten Dorfromantik hervor. Denn, kaum dass der Maler die Sorgen des Alltags in seinen Arbeiten erkennen lässt. Immer oder fast immer ist es eine innere Ruhe oder zumindest vorgekehrte Zufriedenheit, gleichgültig, ob es Knechte, Kleinhäusler, Bauern oder erste Siedler sind – „Im Schnitt", „An der Kehre", beim Ziehen der „Ersten Furche", „Beim Storze raffe" dem „Garwe benne" u.a.m. Sind es lauter Sehnsüchte, die er mit seinen „Sonntagsbildern" erwecken will? Sucht er Wunschträume zu erfüllen, wenn er strahlende Zufriedenheit durch die inhaltliche Harmonie im Bildgemälde präsentiert? Sind es (kleine) Paradiese, die er uns in farbenfrohem Leuchten in den „Stubenbildern", den trauten Familienheimen, den satten Landschaften und sauberen Dorfstraßen mit blitzblanken Häusergiebeln zeigt?! Ja, es sind – denn trotz des eingeengten Themenkreises will der Künstler Großes sagen, sich zu seiner Kunst bekennen (lies: Land und Leuten) und das enge unzertrennliche Verhältnis seiner Menschen zur lebenspendenden Natur besingen: dass nirgends so saftig die Saaten aus den fruchtbaren Bodenkrumen sprießen und an den wogenden Ährenfelder nur unter diesem blauen Himmel so goldgelb Körner reifen, dass nirgends besser kann junges Leben wachsen, im Sonnenregen, auch dann, wenn die glitzernden Wassertröpfchen sich im Haar der spielenden Kinder verfangen:

„Sonnereen,

Glockesteen,

Fall uf mich,

Dass ich groß, groß wachse kann!"

So formt der Maler eine wesenhafte Verbindung von Landschaft und Mensch. In der Kunstgeschichte bezeichnet man dieses Naturgefühl mit „sentimental" und denkt dabei an Sehnsucht. Ist Jäger sentimental? Nein, das ist er nicht! Wer das glaubt, übersieht den Realisten, – den schöpferischen Maler in Stefan Jäger, der als Kunstschaffender nicht nur Ausschau nach realen Dingen und Erscheinungen in einer erfassbaren Welt hält, sondern diese auch im artistischen Sinne zu gestalten weiß. Und gerade das ist es! Seine Kunst schöpft in vollen Zügen aus dem pulsierenden – wenn auch meist nur aus gegensatzfreien Situationen – Leben und lässt dem Betrachter keinerlei Zweifel noch Bedenken an der Echtheit des geschilderten Geschehens. Kaum eines der Bilder aus dem Dorfgeschehen lässt sich als pures „Werkstattgebilde" ausmachen, weil doch aller Anfang niemals in einer gegenstandslosen Phantasie zu scheinen liegt, sondern die Gedankenwelt des Künstlers immer wieder und aufs neue vom Erleben beflügelt wird. Nahezu unwiderstehlich drängt es ihn in seinen Mannesjahren hinaus über Heidefluren und Hecken, von einem Dorf zum anderen, zu seinen naturgetreuen Vorlagen, den lebensechten Modellen, für eine authentische künstlerische Darstellung von Begebenheiten einer zwar kleinen Welt, in der aber unverkannt der Mensch als ausgemachter Schwerpunkt in den Vordergrund tritt. Und darin liegt das Wahre, Lebensnahe und -echte in seiner bildenden Kunst, dass er mit überaus glücklichem Wurfe aus allen Situationen die Geschehen in den sicheren Griff bekommt, womit er sich dann wieder als scharfer Beobachter und überaus flotter und präziser Zeichner erweist. Davon zeugen die vielen Studien und Skizzen. Manche sind wie Faustskizzen in aller Eile, doch voller dynamischen Schwunges auf Papierstückchen, andere nieder wieder wie Aquarelle säuberlich Strich für Strich mit feinen Haarpinseln unmittelbar am Orte ausgeführt. Was aber für das einmalig Künstlerische spricht, ist ihre Echtheit, die Unmittelbarkeit zum Menschen und dessen Welt. Zwar ist diese Welt vergangen und wir leben eine andere Zeit, doch machen die Jägerschen „Notizen" Aussage vom Wesen, Tun und Denken der Menschen von einst. An die 300 der Jäger-Skizzen (von mehreren Hundert) hatte ich Gelegenheit, durch das wohlwollende Entgegenkommen maßgeblicher Personen am Banater Museum in Temeswar durchzusehen und an ebenso vielen Malen das faszinierende Gefühl zu verspüren, am unmittelbaren Erleben des Künstlers (nach mehr als einem halben Jahrhundert) mitbeteiligt zu sein. So überaus wirksam ist des Künstlers Sprache auf den Stücken bezeichneten Papiers. So überaus klar und verständlich sind seine Bildskizzen, durch die er uns nach allen Richtungen hin mitführt, an Feldern und Dörfern vorbei, bis „Engelsbrunn" über die Brücke, am Haus mit dem Radbrunnen und am steinernen Standbild mit dem Säulendach vorbei, nach „Guttenbrunn", das „Sterzel Gässel" hinan mit den schmucken enganeinander gerückten Häuschen, nach ungenannten anderen Orten, nach „Gertjanosch" und dicht am „Ortsbeginn von Klein-Jetscha" entlang. Und weiter führt uns der kundige Wanderer an: der „Tschatader Windmühle" vorbei, auf dem „Grabatzer Sommerweg", der „Hatzfelder" Heimstätte zu. Von weitem lässt er uns die Silhouetten des großen Dorfes erkennen, mit dem schlanken Turm, der seine Spitze in die Höhe reckt, und dem halben Dutzend rauchender Schlote, die hoch über dem ausgedehnten niederen Häusermeer der bäuerlichen Gehöfte stehen. Hier sind die vielen „Dorfpartien", die „Südzeile", der „Dorfrand mit Weiher", die Kaul, das Zettelhaus und Steigerhaus am großen Marktplatz und vieles andere zu sehen. Und weiter zieht der nimmermüde Wanderer nach „Ostern", der „Hauptgasse von Norden" her entlang, hinüber nach „Skt. Hubert von der Friedhofseite" kommend bis in die „Bacska", „Baranya" und „Schwäbische Türkei" nach „Gaydobra", „Paraputy" und anderen Orten mehr. Dabei entgeht ihm aber auch nichts von all dem emsigen Treiben auf den Feldern und Fluren. Er kommt am „Wegkreuz“ vorbei und würziger Duft vom frischgemähten Korn weht ihm ein leichter Luftstoß, an diesem heißen Sommertag „Im Schnitt", entgegen. Die goldgelben Ährenfelder mit knallroten, großen und blitzblauen kleinen Flecken vom Klatschmohn und den vielen Kornblumen über die schweren Halmenköpfe dahingestreut, grüßen den Wanderer von Weitem immerzu. Und überm „Gwannewech" spiegelt sich das Bild im silberweißen Geflimmer der Luft (die Banater Heide-Fata Morgana). Leere und volle Leiterwagen kommen vorbei. Staubwolken wirbeln in die Luft. Auf kurzer Entfernung sind die Schnitter „Beim Essen auf dem Feld". Unter einem schattenspendenden Akazienbaum hält der Maler Rast und sieht den Leuten zu. Wie ein malerischer Blickfang hebt sich der irdene Rundtopf vom weißen Farbton des typischen Schnittergewandes ab. Bewegung verbindet die Figuren, die trotz der Hockstellung von Gesicht und Armen bewirkt wird. An anderen Tagen ist Jäger beim „Erdäpfel ausmachen", beim Laubschneiden und „Storze raffe" mit dabei. Er verweilt vor dem "Weingartenhüter" sieht die „Walze mit dem Sitzbett“ auf dem offenen Felde stehn und lässt sich nichts von den einzelnen Dingen und Erscheinungen auf seinen Wanderungen entgehen. Und im Dorfe selbst kommt er nicht nur beim Gastwirt vorbei, sondern sieht dem Treiben auf der Straße zu, wenn die „Comedianten kommen", die „Schaffelmacher" mit ihren „Bitte" (Bottichen) durch die Gassen fahren, Prozessionen, Kerwei- oder Hochzeitszüge an Schaulustigen vorbeiziehen. Er kehrt aber auch in die gastfreundlichen Häuser ein „Als Gast bei Guttenbrunner Kerweih", ist in „In Jahrmarkt", bei der „Bewirtung beim Vorstraußmädchen" dabei und sitzt „Beim Kartenspiel" mit den Männern „In der guten Stunde", während die Frauen ihre Spinnräder treiben „In der Reih" oder „Zerstreuung im Winter" suchen. So lernen wir durch diese Skizzen und die eigenhändigen Notierungen (alle mit „…“ versehenen Satzteile im Text sind den Jäger-Skizzen entnommen) nicht nur Land und Leute durch den Maler kennen, sondern mit diesen auch den Künstler im Menschen selbst. Und der ist menschenfreundlich und wenn auch weniger redselig als andere Leute, so dennoch mit voller Liebe seinen „Modellen" zugekehrt. So reißt denn auch an dieser Stelle die hohe Ringmauer um das abgeschlossene Wesen des Malers ein und wird ganz niedrig und klein. Nur so kann Jäger zum „Schwabenmaler“ werden, indem er Land und Leute kennen lernt und mit diesen seinen Menschen in verschiedenen Lebenslagen die ganze Zeit hindurch besteht. Solcherart schafft der Künstler Werte für die Menschen, für die Nachkommen Ausgangspunkte, die die Menschen für die Gesundheit ihrer Seele brauchen.


Repro

1, Selbstporträt

2, Neckerei (Ausschnitt)