Stefan Jägers Leben und Werk
Bibliografie | |
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Artikel Nummer: | 0020 |
Autor Name: | Franz Liebhard |
Titel des Artikels : | Stefan Jägers Leben und Werk |
Untertitel des Artikels: | Zum achtzigsten Geburtstag des schwäbischen Altmeisters |
Publikation: | Zeitung |
Titel der Publikation: | Neuer Weg |
Untertitel der Publikation: | Kunst und Literatur |
Reihe: | Wochenbeilage Nr. 150 |
Erscheinungsort: | Bukarest |
Jahr: | 9 |
Datum: | 24.05.1957 |
* [[Franz Liebhard]]: [[ART:0020 - Stefan Jägers Leben und Werk|<i>Stefan Jägers Leben und Werk</i>. Zum achtzigsten Geburtstag des schwäbischen Altmeisters]]. Neuer Weg, Bukarest 9 24.05.1957 |
Zum achtzigsten Geburtstag des schwäbischen Altmeisters
Einem bescheidenen, innerlich aufrechten, körperlich etwas gebeugten Manne sind zur Vollendung seines 80. Lebensjahres diese Zeilen gewidmet. Manches wird da erzählt, das Stefan Jäger, den seit vielen Jahrzehnten in Hatzfeld lebenden und schaffenden Nestor der Banater bildenden Künstler bestimmt veranlassen wird, mit einem gutmütigem Vorwurf zu fragen: „Warum ist das alles notwendig? Ich habe das achtzigste Jahr erlebt, ich habe immer gearbeitet – nicht das eine, nicht das andere ist ein besonderes Verdienst." Wie er aber dieses lange Leben gestaltet hat, darin liegt sein besonderes Verdienst. Dass kein Schatten darauf fiel aus den Verfinsterungen, die die Welt seit seiner Jugend immer wieder in Unruhe versetzten, dass von der Glut der Hassbrände, die in seiner engeren und weiteren Umwelt ihre Flammen zeitweilig emporschlängeln liessen, nichts in seine Pinselstriche hineinzudringen vermochte dass er, immer einen klaren Blick für das Menschliche hatte, dass er nie müde wurde, die Arbeit anderer zu preisen, mit dem Zeichenstift, der Tuschfeder, den Ölfarben seiner Palette und den kleinen runden Wasserfarben – das ist das grosse Verdienst Stefan Jägers, und dass er nie etwas anderes sein wollte, als dieses eine: ein Freund der Menschen und damit ein Freund des Lebens.
Der Staat unserer Volksdemokratie ehrte ihn. den realistischen Maler, mit dem Arbeitsorden, den bisherigen Pensionsempfänger aber mit einem angemessenen Ruhegehalt. Seine Banater Landsleute, ganz gleich welcher Sprache sie sind, ehren ihn dadurch, dass sie ihm in Gedanken von allen Seiten zurufen :
Stefan Jäger, Du gehörst uns allen!
Das Dorf am Rand des grossen Sumpfes
In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es noch zwei Gemeinden namens Tschene. Die grössere war hauptsächlich von Serben bevölkert und hiess daher Serbisch-Tschene. Sie hatte an die 3.200 Einwohner und war ein Marktflecken mit Stuhlamt. Die kleinere, die im ganzen etwa hundert Häuser zählte, trug nach der Mehrheit ihrer ein knappes halbes Tausend betragenden Einwohner den Namen Kroatisch-Tschene. Später wurden beide miteinander vereinigt. So entstand das heutige Tschene. Beide hatten über 270 Joch Ried als Überbleibsel des grossen Sumpfes, der sich westwärts um die alte Bega hinzog und im Süden stellenweise über den 'Schiffahrtscanal' reichte. Auf der Mercyschen Karte von 1725 wird er als 'Morast, welcher nicht durch zu kommen ist' bezeichnet. Auch die Karte von 1761 vermerkt noch das gleiche, obwohl inzwischen auf dem Gebiete der Entwässerung so manches geleistet worden ist. Die Deutschen der Ortschaft waren vor allem Handwerker, in Serbisch-Tschene 16 von 26, in Kroatisch-Tschene aber 7 von 10. Halb zu den Handwerkern gehörte auch der Feldscher Franz Jäger, der sich auf der Walz, die ihn von seinem Heimatsort Nakodorf nach Budapest geführt, zu seinem Barbierfach noch die Befähigung erworben hatte, zur Ader zu lassen und Zähne zu reissen, eine Ausbildung, der fast zur gleichen Zeit auch Adam Müller aus Guttenbrunn oblag.
Der Sohn des Feldschers
Jäger war nicht mehr einer der Allerjüngsten, als am 28. Mai 1877 seine um rund zwanzig Jahre jüngere Frau Margarete, geborene Schuler aus Biled. eines Knaben entbunden wurde, mit dem sich die Godel zur Taufe auf der Achse nach Gertianosch begeben musste, das in der Luftlinie 10 km entfernt lag und erst achtzehn Jahre später mit der Eisenbahn erreicht werden konnte. Einer der vielen verschlungenen Wege der schwäbischen Binnenwanderung hatte den Feldscher, der ein stattlicher Mann mit Vollbart war und sich nach städtischer Art kleidete, und seine junge Frau, die auch gleichfalls „herrisch trug", nach Tschene geführt. Hier übte er seine Kunst aus, in einer recht sonderbaren Umwelt, wenn man bedenkt, dass von den dreiundzwanzig Mitgliedern der Gemeinderepräsentanz nicht weniger als sechzehn den Namen Vuchetich führten, fünf von diesen aber sogenannte Virilisten waren, die Hälfte derjenigen, die Kraft ihres Vermögens in den Gemein-derat gelangten. Alle diese Vuchetich waren Angehörige einer kroatischen Adelsfamilie, die um 1820 ins Banat kam und als Enschädigung für ihre der Militärgrenze einverleibten Liegenschaften hier begütert wurde. Unter den Meistbesteuerten befand sich auch ein Schwabe namens Adam Röser, der als Gertianoscher seinen namhaften Feldbesitz in Tschene erheiratet hatte und im Leben des jungen Jäger später eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollte. In den grössten Teil des Hotters von Tschene teilten sich noch etliche nicht bäuerliche Gutsbesitzer, so bis 1861 auch Karl von Arizi, der nach der Niederwerfung der Revolution von 1848-49 von den petitionierenden Schwaben zum „Schwabengrafen" vorgeschlagen wurde.
im Mittelalter gehörte die Ortschaft Tschene eine Zeitlang der Abtei von Ittebe, deren allzu weltlich gesinnte Mönche eines Tages alles Kirchengerät aus Silber einschmelzten, um Münzen daraus zu schlagen. Vor dem Zorn des Königs, der darin einen ungeheuerlichen Eingriff in eine Hoheitsrechte sah, ergriffen sie die Flucht und liessen die Abtei im Stich, was das Einschreiten des Papstes nach sich zog. Im ausgehenden 17. Jahrhundert sah Tschene ein grosses kaiserliches Heer unter der Führung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August in einer blutigen Schlacht mit den Türken. Tausende türkischer und kaiserlicher Streiter lagen in der Erde begraben, über die zur Zeit, als Stefan Jäger in der Schule lesen, schreiben und rechnen lernte, die Bauern den Pflug führten, um zumeist als Hälftler den Acker kleinerer und grösserer Herrschaften zu bestellen.
Die Kindheit
Tschene hatte damals zwei Schulen, eine serbische und eine deutsche, die auch die kroatischen Kinder besuchten. Da sie katholischer Konfession waren, katholisch aber zu jener Zeit in der Amtsübung gleichbedeutend mit deutsch war, steckte man sie ganz einfach in die deutsche Schule. Zwei Jahrzehnte später sollte katholisch soviel wie ungarisch bedeuten, woraus wieder andere Verwicklungen entstanden. Die Schule unterschied sich durch nichts von ähnlichen dörflichen „Lehranstalten". Da gab es einen einzigen Raum für alle Klassen, der an Sonntagen auch als Bethaus benutzt wurde. Obwohl der Schulbesuch damals schon gesetzlich vorgeschrieben war, ging nicht einmal die Hälfte der unterrichtspflichtigen Kinder in die Schule – im Jahre 1879 zum Beispiel von 58 im ganzen nur 26. Hier fand der kleine Stefan Jäger Eingang in die Welt der Buchstaben und Zahlen, die ihre Pforten nicht so ohne weiteres öffnete, besonders wenn die Einlass Begehrenden allzu eifrig ihren Fetzenballen nachjagten oder dem „Katschka"-Spiel frönten, womit sich die Kinder von Tschene mit Vorliebe zerstreuten. Nichtsdestoweniger kam er häufig genug auszeichnungsweise in die erste Bank zu sitzen, wenn er vortrefflich antwortete.
Trotz aller Unzulänglichkeiten gab ihm die Schule von Tschene doch so viel, dass er in die Temesvarer private Bürgerschule Wiesners eingeschrieben werden konnte. Wiesner liess in seiner staatlich genehmigten Bürgerschule deutsch unterrichten, während am Gymnasium der Piaristen der Unterricht schon lange ungarisch war, in der staatlichen Oberrealschule aber, in der mit Rücksicht darauf, dass die grosse Mehrheit der Schüler deutscher Muttersprache war, deutsch anfangs als Aushilfssprache verwendet wurde, die Magyarisierungstendenz immer stärker um sich griff und Disziplinarstrafen verhängt wurden, wenn die Schüler miteinander anders als ungarisch sprachen, wodurch Reibereien und Zusammenstösse mit den Eltern entstanden.
Der Durchbruch des Talents
Mit vierzehn Jahren kam Jäger nach Szegedin, um seine Mittelschulstudien an der dortigen sechsklassigen Bürgerschule abzuschliessen und gleichzeitig auch seine recht unebenen, mitunter kantigen Kenntnisse der ungarischen Sprache zu glätten und zu polieren – ein Bildungsweg, der in der Folgezeit für die anwachsende Schicht der schwäbischen Gebildeten typisch werden sollte, mit gewissen Vor- und bedeutend grösseren Nachteilen, die eine allmähliche sprachliche Spaltung zwischen den Massen der schwäbischen Bevölkerung und den ihrem Schosse entsprungenen Intellektuellen bewirkten. Das wichtigste Moment der Szegedinerjahre liegt für den weiteren Werdegang Jägers darin, dass sein Zeichenprofessor, ein Burgenländer, namens Obendorf, seine künstlerische Begabung erkannte und ihm durch treffliche Ratschläge die Richtung wies, in der er zu gehen hatte. Das Ergebnis dieser Wegweisung waren die vier Jahre an der Musterlehranstalt zur Ausbildung von Zeichenprofessoren in Budapest, die seinem Talent zur Malerei den Durchbruch erleichterten. Unter der leitenden Hand eines Meisters vom Range Székely Bertalans, eines Piloti-Schülers und Schöpfers grosser historischer Gemälde, reifte Jäger zu einer Kunstauffassung und Kunstpraxis heran, die durch die Achtung vor dem, einem sinnvollen Ganzen zugehörenden Detail und damit vor der Realität des Menschlichen und Gegenständlichen gekennzeichnet war und ihn zeitlebens davor bewahrte, sich in Ausflügen jenseits des unbedingt Wirklichen zu ergehen und das Leben zum Spielzeug der Phantasie zu machen, was in der wechselvollen Kunstgeschichte der letzten fünfzig Jahre zu mancher Abwegigkeit und zu zeitweiligen Triumphen der Unlogik führte. Auf Budapest folgten die Wanderjahre, deren Stationen Wien – München – Stuttgart – Venedig waren und 1901 ihre vorzeitige Unterbrechung erfuhren, da ihn die Kunde von der schweren Erkrankung des Vaters in die Banater Heimat zurückreisen liess, der er nun für immer verbunden bleiben sollte. Auch die grosse Studienreise im Jahre 1906 nach Deutschland hatte keinen anderen Zweck, als Aufschlüsse zu verschaffen über die Trachten. In denen die schwäbischen Vorfahren im 18. Jahrhundert ihre Wanderung in das unbekannte Land vollbrachten, das vielen ein frühes Grab bereitete, der Nachkommenschaft aber aller Not und Gefahr zum Trotz zur neuen Heimat wurde, als Lohn für Fleiss und Anhänglichkeit, als Vergeltung der Liebe, die im Laufe von Generationen durch die Schöpfungen redlicher Arbeit immer wieder zum Ausdruck kam.
Banater Abbild
Wenn man die Kriegsjahre 1914-1918 abrechnet, die den Landsturmmann Stefan Jäger bald an die serbische, bald an die italienische und dann an die rumänische Front warfen, so haben wir fünfeinhalb Jahrzehnte malerischer Arbeit vor uns. Sie ist in ihrer Gesamtheit durch eine vielfältige Thematik, durch die Art und Weise, wie sie den Alltag und das Festliche der Menschen widerspiegelt, durch ihre realistischen Vorzüge, ihre Wirklichkeitsnahe, aber auch durch ihre Schwächen, ihre zeitweiligen Zugeständnisse an einen Kunstgeschmack anfechtbarer Art, der Banater Heimat zugehörig. Ihr positivster Zug besteht darin, dass die Landschaft ihre höchste Sinnerfüllung durch die Arbeit empfängt, die der Mensch in ihr vollbringt. Das Wesentliche des Banats ist, dass es in rund zweihundertfünfzig Jahren einen mehrfachen Gestaltungswandel durchgemacht hat, dank der friedlichen Macht menschlicher Betätigung, die ein Netz von geordneten Wasserläufen schuf, ohne Unterlass Neuland eroberte, sprachliche Verschiedenheiten durch gleichgerichtetes Tun überbrückte, die Erde schon vor hundert Jahren durch Eisenbahnen erschüttern liess und den Menschen
bezwingende Zukunftsgläubigkeit verlieh. Aus diesem Grund ist auch das Gesamtwerk Jägers von einem optimistischen Glanz überzogen. Es ist ein aus ungezählten Hunderten Stücken bestehendes Lebenswerk, von dem man wirklich sagen kann, dass es mit dem Leben des Volkes verschmolz, als dessen Abbild es geschaffen worden und dem es als solches zugedacht war. Es wäre ungemein schwer, dieser Zerstreuung der Jägerschen Bilder über einen grossen Teil des Banats nachzuspüren. Ja es wäre von vornherein aussichtslos, ein Inventar von Jägers Bildern anlegen zu wollen. Er schüttelt schmunzelnd das Haupt, wenn man ihn nach dem Verbleib dieses oder jenes Gemäldes fragt, und es ist, als wenn er dazu mit dem Auge kaum merkbar zwinkern würde, mit der Bedeutung etwa: „Ich bin froh, dass die Fährten verweht sind." Sein Werk ist nicht nur geistig, sondern auch tatsächlich Eigentum des Volkes geworden.
Die Arbeit als Leitmotiv
Beredter als alles andere, überzeugender als das sorgfältigst fertiggestellte Gemälde, geben über des Malers innere Haltung, die Richtung seiner Gedanken und über seine Bekenntnisse betreffs der kleinen und grossen Dinge des Lebens, die während der vielen Wanderungen flüchtig gezeichneten Skizzen, die sparsam konzentrierten Aquarellwiedergaben ihm wesentlich dünkender Erscheinungen Auskunft. Der kleinere Teil ist dem Banater Museum übergeben, der weitaus grössere harrt noch der Übergabe. Jäger ordnet jetzt diesen Teil der Skizzen nach bestimmten thematischen oder chronologischen Gesichtspunkten. Die grosse Bedeutung der Skizzen für die schwäbische Trachten- und Brauchtumskunde ist schon bei anderen Anlässen hervorgehoben worden. Kerweih und Erntefest finden da ihr in der Eile des Augenblicks geborenes Abbild, die verschleierten weissen Christkind-Engel mit dem Belzebub und dem lichten Reiter ebenso wie die Dreikönige aus dem Morgenland oder die „Garterlies“. mit der man schlimme Kinder schreckt und die sich zwischen den im Winde raschelnden Maisstengeln zu verstecken pflegt. Man trennt sich nur schwer von dem Skizzenblatt, auf dem ein Spinnrad mit allen Einzelheiten abgebildet ist; es Hesse sich schwer entscheiden, was den tieferen Eindruck erweckt – die Schönheit des Gerätes, die in den Proportionen ruht, oder das Sinnreiche des Gegenstandes, das sich einem durch die natürlichen Assoziationen erschliesst. Die vielen Pferdeskizzen bezeugen die schwäbische Begeisterung für schöne Rosse, die
Grabatzer, Grossjetschaer und Lenauheimer Abstamms allenthalben begehrt wurden und den alten Spruch entstehen liessen: „Weibersterwe is ka Mannerverderwe, aber Pferdvrecke, das macht de Bauer verschrecke."
Neben scheinbar ganz peripherialen Skizzen, wie „Hühner bei Regen“ oder „Bau einer Fronleichnamshütte" Studien über Bauernhände mit den fächergleich geordneten Spielkarten oder Versuche, Fata Morgana-Erscheinungen der Heide auf einer ganzen Reihe von Blättern festzuhalten, wobei die Tageszeit und der Einfall des Gegenlichts angegeben ist. kehrt immer wieder wie ein grosses, sich trotz allem durchsetzendes Leitmotiv die Arbeit zurück: die verschiedenen Phasen der Bewegung, die beim Mähen die Sense breit ausschwingen lässt, und die harte Mühe eines Schwerarbeiters, der mit dem entblössten, nach hinten gestemmten Oberleib vermutlich in einem Eisenwerk einen anstrengenden Handgriff auszuführen hat.
Die Einwanderung der Schwaben
Das Hauptwerk Stefan Jägers ist das grosse, 6 m lange und etwa 1,40 m hohe Triptychon „Die Einwanderung der Schwaben ins Banat", kurz [[WK:0376|Einwanderungsbild, ein dreiteiliges Ölgemälde, dessen Einzelteile trotz der Trennung voneinander nicht nur thematisch, sondern auch darstellungsmässig zusammengehören. Das Mittelstück setzt das auf dem ersten Dargestellte sowohl landschaftlich als auch in figuraler Hinsicht fort und mündet auf die gleiche Weise in das dritte ein. Das Werk zeigt eine Gruppe von Kolonisten auf der Wanderung durch die damalige Banater Einöde, stellt sie auf einer Rast unterwegs dar und bietet zum Schluss ihr Abbild auf der Stätte der Erfüllung, vor den halbfertigen Siedlerhäusern, in dem Augenblick, da ihnen die Besitzurkunde überreicht werden soll. Ein kollektives Menschenschicksal zwischen zwei Polen: Zwischen der Loslösung von der alten Heimat, deren Staub sie von den Schnallenschuhen schon längst abgeschüttelt haben, und der nunmehr wahrgewordenen Begegnung mit der neuen Heimat, mit dem, was ihnen verheissen wurde und wovon während der langen Fahrt ihre Träume voller Unruhe waren. Etwa achtzig grössere und kleinere Gestalten bevölkern dieses Werk. Es ist also keine Übertreibung, wenn man es eine Darstellung kollektiven Schicksals nennt. Bloss ein einziger Mensch gehört nicht in ihre Reihe, ein Mann auf dem dritten Bildteil, der sie in ihr neues, aus halbgedeckten Rohbauten bestehendes Dorf einweist.
Das Einwanderungsbild hat thematisch seine Vorgeschichte in mehreren Aquarellblättern, die zum Teil den Aufbruch in Deutschland zeigen: Die Kolonne der Auswanderer strömt durch das Gänstor von Ulm auf den Donaustrand, ein schwerer Bagagewagen fährt gerade über die Aufzugsbrücke und weit unten sind die Fahrzeuge zu sehen, die wegen ihrer viereckigen Form „Ulmer Schachteln“ genannt wurden und die die von kaiserlichen Agenten Geworbenen nach dem Banat zu bringen haben. Zwei Skizzen stellen die Ankunft im Banat dar – die Ausschiffung in Anwesenheit kaiserlicher Beamten und eines Mönches ist im Gange, der Anfang des Zuges hat sich schon gebildet und setzt sich mit einem Ochsengespann an der Spitze in Bewegung, um landeinwärts zu ziehen. Ein zweites Blatt enthält eine Variante dieser Begebenheit. Diese Entwürfe blieben unausgeführt. Das grosse Einwanderungsbild hat dagegen ein Pendantstück in Aquarell, gleichfalls ein Triptychon. doch kleinen Formats. Der erste Teil ist ein Ausschnitt aus einer Banater Sumpflandschaft, das Mittelstück stellt Vater und Sohn dar, als sie die erste Furche ackern, während der abschliessende Teil schöne, der Ernte entgegenharrende Fluren und die Häuserreihe eines freundlichen Dörfchens im Hintergrund erkennen lässt. Das grosse Ölgemälde, das Aquarell-Triptychon, das lange vor dem Krieg ins Ausland gelangt ist, und die drei Skizzen, die Studienreise, die Jäger 1906 nach Deutschland unternahm, um die Trachten der Einwanderungszeit kennen zu lernen, die Arbeit an dem Gemälde, die sich In Abständen auf beinahe drei Jahre erstreckte – alle diese Tatsachen zeigen uns, mit welchem Eifer Jäger sich seinem Gegenstand widmete und wie vielfältig er sich damit auseinandersetzte. Sie berechtigen uns, das geschichtliche Thema der Einwanderung als das Zentralthema in seinem malerischen Schaffen, das Gemälde selbst als sein Hauptwerk zu betrachten.
Schicksalsgeschichte
Das grosse Gemälde bat sein eigenes Schicksal, wir dürfen mit Fug und Recht sagen: sein politisches Schicksal, das von Widersprüchen geladen ist, die ihren Ursprung jedoch nicht im Verhältnis des Malers zu seinem Thema haben, sondern dem Verhältnis bestimmter Menschen der jeweiligen Zeit zu dem Bild entsprangen. An der Entstehung des Bildes hatte Adam Röser aus Gertianosch einen Anteil – nach Jäger in gewissem Sinne als Anreger. Nach den Behauptungen, die sich in der Geschichte von Gertianosch (1785 -1935) aus der Feder von Matz Hoffmann nachlesen lassen, soll Röser durch gewisse Vorschüsse nur die Studienreise ermöglicht haben. Röser war der erste Postmeister von Gertianosch, der, durch Einheirat reich geworden, tonangebend für die kapitalistische Entwicklung des Dorfes wurde. Er war der Wortführer der den Kleinhäuslern abträglichen Aufteilung der Hutweide und verstärkte durch die von ihm 1871 gegründete Sparkassa die wirtschaftliche Machtstellung der Grossbauern. Von ihm ging auch die Gründung des Gertianoscher Konviktes in Szegedin aus, das ein Instrument nationalistischer Unduldsamkeit war, und in dessen Mauern den Söhnen der Gertianoscher Schwaben untersagt wurde, miteinander in ihrer Muttersprache zu sprechen. Wie widersprüchlich ist all dies zu der Tatsache, dass dergleiche Röser an der Planung des Einwanderungsbildes beteiligt war, an einem Werk, das vollständig jenseits der Gedankenwelt stand, die in der Sparkassagründung, den kapitalistischen Hutweidespekulationen, den Handlangerdiensten für eine sprachliche Abtötung gegenüber zum Ausdruck kam.
Das Gemälde wurde zu Pfingsten 1910 im Rahmen einer in Gertianosch veranstalteten Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung enthüllt und von Tausenden auswärtiger Besucher bewundert. Das brachte Adam Röser auf den Gedanken, durch die Budapester Verlagsgesellschaft Franklin eine grosse Reproduktion herstellen zu lassen, die er durch Reisende in den von Schwaben bevölkerten Gegenden des damaligen Ungarn verkaufen liess. Den grössten Teil des Ertrages behielt er für sich, wie er auch später, als das Gemälde von der Stadt Temesvar um 2000 Kronen angekauft wurde, als „Miteigentümer" des Bildes, die Hälfte des Kaufpreises für sich beanspruchte.
Das Einwanderungsbild wurde seinerzeit im halbfertigen Zustand von Budapest nach Temesvar. von da nach Gertianosch und dann wieder nach Budapest gebracht, jedes Stück für sich zusammengerollt, bis es nach drei Jahren endlich vollendet war. Die Fahrt von Gertianosch nach Temesvar im Jahre 1910 sollte aber nicht die letzte Fahrt des Gemäldes gewesen sein. Während des zweiten Weltkrieges gelangte es aus dem Banater Museum in den Besitz des im Rahmen der Volksgruppe bestandenen Forschungsinstituts, das es vor den im Frühjahr 1944 einsetzenden Bombenangriffen nach Blumenthal „evakuierte". In diesen Jahren versuchte man, aus Jägers Gemälde eine Art Kultstück des Mythos vom Blut und Boden zu machen, eine offensive Landnahme hineinzudeuten und die auf dem Triptychon dargestellten Menschen, die sich eine neue Heimat suchten, um die Fesseln eines drückenden fürstlich-autoritären Zustandes und einer bitteren leiblichen Not abschütteln zu können, zu Streitern eines ewig deutschen Gedankens zu machen, die irgendeinem geheimnisvollen inneren Gebot gehorchend als völkische Missionäre in die Welt hinausgezogen seien.
Das Gemälde wurde 1945 ins Banater Museum zurückgebracht und harrt nun, nachdem die erlittenen Beschädigungen durch eine fachkundige Restaurierung wieder gutgemacht worden sind, der Ausstellung in der Galerie, die im ehemaligen Rittersaal des denkwürdigen Schlosses der Hunyadis errichtet und eine der bedeutsamsten Kulturleistungen der Volksmacht in der Stadt Temesvar sein wird.
Hier sind wir daheim
Als ein wertvolles, menschliches und malerisches Zeugnis wird das Einwanderungsbild Stefan Jägers unverändert die Sprache der Liebe zu den Menschen sprechen, die einem guten Zweck zuliebe zusammengreifen und bereit sind, als Mühende und Beladene ihren Weg zu suchen, bis sie feste Erde unter den Füssen fühlen und voller Zuversicht sagen können: „Hier sind wir daheim, da senken wir unsere Spaten in die Erde, da zünden wir unser Herdfeuer an und pflanzen ringsherum Bäume. Wie werden wir uns freuen, wenn über der Glut unseres Herdes das Brot gebacken sein wird und wir es teilen können mit allen Gutgesinnten, die morgen ihr Brot mit uns teilen würden, wenn unsere Glut aus unvorhergesehenem Grund zeitweilig verlöschen sollte."
Nicht anders ist die Botschaft, die uns aus Jägers Gesamtwerk anspricht – eine Botschaft der emsigen Arbeit, der Liebe zum Menschlichen, der Freude am Leben, der Treue zum eigenen Manschlich-Besonderen in Sprache und Gebräuchen, die Botschaft des Verständnisses für jedes Anderssein in Sprache und Gesittung, die Botschaft vom Bunde der Menschen, die aus guten Keimen Zukünftiges wachsen lassen.
Peter Barth: Dem Maler Stefan Jäger
In kleinen Dingen liegt das Grosse,
und was da gross scheint das ist klein.
Sich eines Funkens Schlummerschösse
entwachsen ist das ganze Sein!
Das ganze Dasein von der Wiege
und bis zum Grabe hielst du fest
in deinen Bildern, Gang und Stiege,
den Flur mit seinem Laubgeäst,
Gerätekammern, alte Giebel,
die Kinderschar bei Spiel und Fibel.
Und Rosmarein und Hollersträuche
und Hochzeitsfest und Totenschmaus,
geheiligt durch die alten Bräuche,
das ahnenalte Siedlerhaus,
so wie es nimmer aufzufinden,
mit Maulbeerbaum und Silberlinden.
Das Dorf war niemals dir entschwunden,
dein Blick umfing die Gassenreih.
In Brüderschaft und Pflicht verbunden,
sahst du die Menschen froh und frei.
Und wie's auch kam der junge Bronnen
des Glücks war niemals ausgeronnen.
Die alten Krüge bunten Schalen,
am Bort das zinnerne Gefäss,
sie trieben dich, zu zeichnen malen.
Dem alten Schwabenbrauch gemäss,
begannst du gut zu sammeln, raffen
und das Erschaute neu zu schaffen.
Die zarten Kleider bunten Trachten,
ein Bändchen da, ein Schöpfchen dort,
all diese lieben Sachen brachten
dir neuen Antrieb allerort.
Und Acker, Werkstatt, Hof und Stuben
mit Schnittermädchen, Kirchweihbuben.
Die unbegrenzte Flurenbreite,
die schrankenlose weite Sicht,
den freien Wind zu jeder Seite,
das ungehemmte Himmelslicht,
dies ist der Rahmen der gegeben
ward dir zu deinem Künstlerleben.
Allein was diesem Sein entsprungen,
hat unvergänglich hohen Wert.
Und immer bleibt und ewig währt
des Werk der dieses Sein bezwungen.
(Aus einem Gedicht zum 80. Geburtstag des Malers)