Stefan Jäger Archiv

ART:0408 - Harte Schale, empfindliche Seele

Aus Archiv
Wechseln zu:Navigation, Suche
Bibliografie
Artikel Nummer: {{{Artikelnummer}}}
Autor Name: Bohn, Hans
Aufsatztitel: Harte Schale, empfindliche Seele
Zeitungstitel: Der Donauschwabe
Erscheinungsort: Aalen
Jahrgang: 42
Nummer: 23
Datum: 29.03.1992
Seite: 5
* [[ART:0408 - Harte Schale, empfindliche Seele|Bohn, Hans. Harte Schale, empfindliche Seele. Der Donauschwabe Aalen 1992]]

Eine Begegnung mit dem Schwabenmaler Stefan Jäger

1959 – ein lauwarmer Aprilmorgen. Das Banat lag dem Kommunismus hoffnungslos unterworfen. Keiner traute dem anderen – die Menschen taten sich schwer damit, das Unabwendbare hinzunehmen. Auch ich war damals, nach langen Jahren der Kohlengrube, einem Maulwurf gleich ans Licht „gekrabbelt“ und im Oktober 1956 als Kulturredakteur der neugegründeten deutschen Rundfunksendung eingestellt worden. Eine schwere Aufgabe: Unsere politisch in die Identitätskrise verdrängten Landsleute sollten im Rundfunk sprechen! Worüber – über die Segnungen des Sozialismus!? Doch eines war sonnenklar: wir durften uns nicht abkapseln, das Leben musste auch für uns weitergehen … So karrt ich denn als „Kultur-Hausierer" durch die Bahngasse von Hatzfeld mit dem Beyko-Reportofon auf der Schulter. Ich hatte mir vorgenommen, das „Künstlergespräch“ mit dem Schwabenmaler Stefan Jäger aufzuzeichnen. Ausgerechnet Jäger. Er wird nicht sprechen – der Mann ist weltverdrossen und mürrisch geworden, sozusagen menschenscheu …! Das gleiche hatte Robert Reiter auch über den Barden des Südbanats, Dr. Klima, gesagt! Welche Freude für unsere Hörer, seine wunderschönen Lieder darauf auf der Wellenlänge 397 Meter zu Gehör zu bekommen: „Waldmeister“, „Annerl“, „Rauhnacht“ - und wie sie alle hießen. 257 Eigenkompositionen von origineller Schönheit hatte dieser Dr. Klima verzeichnet! Bei Jäger verhielt es sich jedoch anders: Der 82jährige hatte einen Wall der Abgeschiedenheit um sich errichtet, er wollte niemanden sehen und hören; Jäger verstand die Welt nicht mehr… Aber das war ich indessen ja gewohnt – doch Resignation hilft uns nicht weiter! Jäger erschien mir der Inbegriff volkstümlicher Kunst. Wie sehr empfahl sich sein Künstlerporträt als Intermezzo unseres Liederprogramms! Ich bog um die Straßenecke, stand vor dem verriegelten Haustor. Eine Schwäbin hatte mir den Weg gewiesen: Nur laut rufen – Jäger hört schon schlecht! Mein Ruf drang über das Hofgelände – nichts rührte sich. Erst nach anhaltendem Torklopfen waren die langsam-schleppenden Schritte des Altmeisters zu hören: „Ja, was ist denn los?" Der Riegel wurde aufgeschoben. Vor mir stand ein hagerer, leicht gebeugter Greis im dunklen, leicht rötlich „abgeschossenen" Anzug und dem unentbehrlichen schwarzen Filzhut auf dem Kopfe. Ich grüßte ergeben und sprach über mein Begehren. Stefan Jäger musterte mich vom Scheitel bis zur Sohle, schüttelte langsam den Kopf: „Ich … und im Radio sprechen! Zu viel verlangt, mein Lieber!“ Verbittert wollte der alte Mann bereits das Tor wieder schließen, als ihn meine Worte erreichten: „Für unsere Schwaben sollen Sie sprechen, Meister, für niemanden sonst! Oder sollen wir nun alle zu Rumänen werden, weil niemand seinen Mund auftun will? Russland … auch ich verbrachte fünf bittere Jahre dort und bin ohne Vater heimgekehrt! Was soll’s: Das Leben muss auch für uns weitergehen, Herr Jäger!" Der Altmeister warf mir einen erstaunten, nahezu verständnislosen Blick zu, doch dann tat sich das halbgeschlossene Tor wieder auf: „Kommen Sie herein, junger Mann! Schon gewagt, was Sie da vorbringen – wir können darüber reden!" Alles klar: freundlich schien mir der Mann gerade nicht, wohl aber vernünftig! Wir gingen über den Hof auf die Werkstätte zu. Der mittelgroße Raum im Seitenbau war von den beiden Staffeleien, den -zahlreichen Spannrahmen und fertigen Gemälden, Paletten und anderen Malutensilien überladen. Auf dem Arbeitstisch des Altmeisters lagen allerlei kleine Skizzen herum: Trachten, Häuser, Bewegungen, Kompositionen … Auffallend und störend erschien mir das auf der großen Staffelei befindliche Landschaftsbild in seinem vorherrschenden, frechen Gelb! Auch auf weiteren Gemälden, die hier herumstanden, dominierte diese Farbe, Sollte sie vielleicht schon ein Symptom von Farbenblindheit bedeuten, die das bezeichnende Kolorit der Jägerbilder abblendete? „Alles durcheinander hier! Ich arbeite viel, muss leben von meinen Bildern: keine Rente – nichts!" Ich fragte nach dem Preis eines seiner kleineren Gemälde, das mich durch seine rustikal originelle Komposition und Farbenfrische besonders ansprach: Es kam meinem Monatsverdienst verdammt nahe. Es war mehr als sein Geld wert, aber ich hatte zwei kleine Kinder. Jäger bot mir einen Stuhl an, setzte sich gegenüber. Ich sollte erzählen, was ich in den vergangenen Jahren so alles erlebt hatte, in Russland, im Schiltal. „…Und Sie meinen, ich sollte jetzt herumschwafeln?“ Der Altmeister warf mir einen verschmitzten Blick zu. „Warum sollten Sie das? Sprechen Sie doch von Ihrem künstlerischen Schaffen. Ihren Skizzenstudien. Ihren Visionen. Ihrem Herz für…" „Mein Herz … es ist alt und verzagt!“ „Sie haben doch in jedes Ihrer Bilder ein Stückchen Herz verpflanzt! Erzählen Sie doch einfach, was Sie dem Betrachter des Bildes auf ihrer Staffelei zu sagen hätten! Der Pflüger scheint mir fast so wuchtig wie bei Ferch!“ Das Tonband lief, und der Altmeister bemerkte dazu: „Warum nehmen Sie dies alles auf? Sie sagten: … wie bei Franz FerchFerch? Franz Ferch ist ein großer Künstler! Er versteht es, mit wenigen Pinselstrichen auszusagen, was ihn bewegt! Seine Gestalten wirken wuchtig, oft trotzig. Bei ihm gibt es dieses ‚Dennoch’, das mir völlig abhanden gekommen ist! Sehen Sie sich mal seinen ‚Brotschneider’, seinen ‚Pflüger’ oder seinen 'Hauensteiner’ an! Alles kantige, entschlossene Burschen aus echtem Schrot und Korn! Ich hingegen liebe es, zu erzählen in meinen Bildern! Ich blieb befangen von der Welt, der heilen Welt von gestern.“ „Und doch strahlen gerade Ihre Bilder, so viel Menschenfreude und Besinnlichkeit aus! Sind nicht auch Ihre Gestalten Zeugen der Zeit – vom Siedler bis zum Sämann und Kerweihbub? Auch bei Ihnen bleibt doch alles erlebte Wahrheit. Sie schauen den Menschen tief in die Seele!“ „Was ich da male, das ist meine erlebte, so geliebte Welt! Das meiste, was ich da auf die Leinwand bringe, habe ich auf Wanderungen persönlich erlebt oder kennen gelernt. Ich bin eben ein Mann von gestern…!" „Aber muss nicht jeder Mensch auch nach vorne blicken?“ „Dazu bin ich zu alt. Und ich mag diese Welt nicht – es ist nicht meine Welt! (Das war mal wieder ein Satz, der die Zensur nicht passiert!) Ich schöpfe aus dem Selbsterlebten bis ans Ende meiner Tage!" Der Altmeister kam auf seine Wanderungen durch Hecke und Heide zu sprechen, und ein spürbarer Faden von Melancholie durchwob seine Sätze. Wenn ich heute Stefan Jägers Worte zu rekonstruieren versuche, erfasst mich die Schuld des Versäumens: Wie konnte ich es nur zulassen, dass die Aufnahmen gelöscht wurden – aus Mangel an Tonband! Mit Ferch habe ich wenigstens einen Schmalfilm gedreht! Stefan Jäger hatte sich erhoben: „Ich muss zum Mittagessen, das Gehen fällt mir schwer, und bis zum Restaurant ist es ein gutes Wegstück! Vielleicht können Sie ein paar Sätze gebrauchen, was ich da gesprochen habe! Sie können ja dazu schreiben – aber loben Sie mich nicht, ich kann so etwas nicht ertragen! Und sagen Sie es ruhig, dass ich von meinen Bildern lebe. Aber verhungern werde ich nicht – in ein zwei Jahren ist alles vorbei!“ Ein Zug von Bitternis unterstrich die Worte des Altmeisters, als wir durch die Tür ins Freie schritten. In der Rechten trug Jäger seinen alten Spazierstock, der scheinbaren Talisman seiner Wanderungen. Ich geleitete ihn am Arm bis zur Gaststätte. Er sprach wenig, das Gehen war anstrengend. Jäger hatte mir viel geschenkt, nicht nur Worte, auch ein bisschen Vertrauen. Er war ein Mann von harter Schale und empfindsamer Seele.