Stefan Jäger Archiv

ART:0100 - Eine Aktion zur Erfassung der Jäger-Bilder

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0088
Autor Name: Gross, Karl-Hans
Aufsatztitel: Eine Aktion zur Erfassung der Jäger-Bilder
Zeitungstitel: Neuland
Erscheinungsort: Salzburg
Jahrgang: 24
Nummer: 14
Datum: 10.07.1971
Seite: 3
* [[ART:0100 - Eine Aktion zur Erfassung der Jäger-Bilder|Gross, Karl-Hans. Eine Aktion zur Erfassung der Jäger-Bilder. Neuland Salzburg 1971]]


Den Banater Maler Stefan Jäger empfindet der unverbildete donauschwäbische Mensch als den eigentlichen Interpreten seiner Welt, die allerdings weitgehend schon versunken ist. Auf die Ursachen dafür näher einzugehen, erübrigt sich. Dennoch muss als erfreulich heraus gestellt werden, dass es sich Lm. Karl-Hans Gross (Jimbolia, Str. 1. Mai 23, Judeţ Timiş, Romania) sozusagen als Lebensaufgabe gestellt hat, die Bedeutung dieses Malers für uns dokumentarisch zu begründen. Er ruft mit dem nachstehenden Beitrag alle Landsleute, wo immer sie heute leben und im Besitz von Jäger-Bildern sind oder davon wissen, wo sich solche befinden, auf, mitzuhelfen, ein möglichst vollständiges Verzeichnis der Werke Jägers zu erstellen. Wer in der Lage ist, über einzelne Werke Jägers zu berichten, wird aufgerufen, sich mit Lm. Gross in Verbindung zu setzen und ihm über folgende Gesichtspunkte zu berichten: • Thematik des Bildes • Maltechnik (Öl, Aquarelle, Kohle…) • Ausmaße • Signatur • Entstehungsjahr des Bildes • Unter welchen Umständen entstanden (auf Bestellung, Anregung…) • Wie erworben? (Geschenk, Ankauf, eventuell Preis) • Vorheriger Besitzer, Jetziger Besitzer (Name, Anschrift).– Das „Neuland" unterstützt dieses Vorhaben und bittet die Leser, Lm. Gross in seinen Bemühungen behilflich zu sein.

An jenem Tag war es wieder kalt. Kaum eine handvoll Menschen stand unter dem freien Himmel auf dem verschneiten Gottesacker. Kalt und eisig blies der Wind mir ins Gesicht. Vereinzelte Schneeflocken wirbelten umher. Weit mehr als ein bloßer Märzenschauer zog übers Land, Der Winter zeigte sich nochmals in seiner ganzen Härte und brachte den Menschen bittere Kälte und Leid.
1962. Als die sterbliche Hülle des Verblichenen zur letzten Ruhe gebettet wurde, gab es nur wenige Getreue im letzten Geleit. Der Weg war kurz, kaum hundert Schritte von der Kapelle – wo die Bahre gestanden hatte — bis ins offene Grab, Die Abschiedsworte des Redners verfingen sich im Sturmgebraus. Der Wind nahm sie mit und trieb nur einzelne Wortfetzen wieder zurück.
Stefan Jäger zum Gedenken, am 16. März, dem Sterbetag des Meisters.
Dem Künstler war ein langes Leben beschieden. Achteinhalb Jahrzehnte brannte die Lebensfackel und erhellte das Sein, das im Hause Nr. 82 in Tschene seinen Anfang genommen und in Hatzfeld, nach schier rastlosem Schaffen, in aller Stille zu Ende ging. Nativitatis 18“ Maji, Collati s. Baptisimi 31“ Maji 1877 vorzeichnete der damalige Coadjutor und Baptisanas Thomas Dörner die Geburt und Taufe des neuen Erdenbürgers Stephanus im Matricula baptisatorum Ecclesiae der Pfarre zu Gertianosch, zu der auch, die Gläubigen katholischer Religion des Nachbarortes Tschene gehörten.
Zwischen diesen beiden Polen des Seins ersteht das Leben eines Menschen und Künstlers, der gut über ein halbes Jahrhundert das Wirken, das Leben und Streben unserer Ahnen und Väter, von der Ansiedlung bis in die Gegenwart hinein, zum Ziele seines künstlerischen Schaffens gemacht hat. Jahrzehnte hindurch hatte seine rührige Hand mit dem Pinsel gestaltet, was sein geistiges Auge erschaut, seine Seele erlebt und sein schöpferischer Geist erdacht hat. Es war keiner unserer Maler, vielleicht auch Heimatdichter und Schriftsteller imstande, so lebensecht und wahr das naturgetreue Bild von Land und Leuten (dem Hauptthema seines künstlerischen Schaffens) so umfassend mit der Feder zu gestalten, als es Jäger mit seiner farbenprächtigen Palette gelungen war.

NUR EIN BESSERER HANDWERKER?

Wenn auch mancher meinte, dass Jäger nur als besserer Handwerker gelten könne, so kann der ihm beschiedenen Ehrung durch das Volk keinerlei Abbruch getan werden. Wenn auch Jäger als Künstler keinen Weltruhm genießt, so ist er uns nicht minder wert. Denn Stefan Jäger, der Maler und Künstler, blieb in einer Zeit des Experimentierens seinen Traditionen, seinem strengen Arbeitsstil und seinen Schwaben treu. Er hat sich nicht gescheut, von allem Anfang an Tag für Tag nach präzisen Arbeitsformen zu suchen, ohne effektheischenden Improvisationen oder gar zufälligen Inspirationen zu huldigen. Er wuchs an seiner konsequenten und pedanten Arbeit, an der künstlerischen Gestaltung meist weniger komplizierter Probleme des Alltags, der Feste, der Freuden und Leiden seiner werkenden Menschen in einem zeitlich und räumlich abgesteckten Milieu. Gerade darin liegt das Große seines Werkes, das durch die konkrete, naturgetreue und stilvolle Arbeit mit der schon versinkenden klassischen Kunst verglichen werden kann und meines Erachtens somit der Modernen, die sich heute der gleichen Motive und Thematik wie Jäger bedient, in jeder Hinsicht standhält.
Somit finden die Bilder Stefan Jägers ihren eigenen Platz in den Reihen der akademischen Arbeiten seiner Zeit.
Der Beginn seines künstlerischen Schaffens geht auf die Jahrhundertwende zurück. Was der Künstler damals malte, in seinen Budapester Jahren – hier erfuhr er seine künstlerische Ausbildung – und gleich danach, waren Heiligenbilder und Porträts, aber auch Landschaftsbilder, Idyllen und Stilleben. So wurde er bald bekannt in seiner Heimat an der Bega, von der Temesch (Lugosch) bis zur Theiß (Szegedin), von der Marosch (Arad) bis an die Donau (Pantschowa/Orschowa). Trotz allem Suchen war es uns nicht vergönnt, aus dieser Zeit bedeutendere Arbeiten Jägers zu erfassen, obwohl diesbezügliche Hinweise vorhanden sind; heißt es doch bei Ulrich Thieme und Felix Becker im XIII, Band des Allgemeinen Lexikons der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Stefan Jäger „malte Altarblätter für Jazova und Arad, ferner eine historische Komposition ,Ansiedlung deutscher Kolonisten in Ungarn’“.
Bei dem letztgenannten Werk handelt es sich um das Triptychon, das „Einwanderungsbild", wie es genannt wird, das mit seinen acht Quadratmetern ein monumentales Werk, ja das Hauptwerk Stefan Jägers darstellt. Es wurde 1910 fertiggestellt und in der Gertianoscher Ausstellungshalle enthüllt. Heute ist es an der Stirnseite im großen Saal der Jägergedenkstätte, dem seinerzeitigen Atelier des Künstlers, zu sehen.
Mit dem 2. Jahrzehnt beginnen die Hatzfelder Jahre des Künstlers, findet er seine Wahlheimat. Von hier aus unternimmt Jäger seine Wanderungen und Fahrten in die „Heide" und die „Hecken". Das Erleben dieser Tage widerspiegelt sich in seinen Werken und findet auf der Leinwand wie auch auf Hunderten von kleineren und größeren Papierstücken seinen Niederschlug. So führt er uns hinaus in die Fluren und Felder und lässt uns die Schönheit der Heidelandschaft miterleben: Im Frühling, wenn alles grünt und blüht, wenn die Natur zu neuem Leben erwacht, ihren buntfarbenen Teppich webt, aus dem vielen Grün der sprießenden Saat mit dem gesprenkelten Knallrot der Pipatschen, dem Himmelblau der Kornblumen, dem Hellviolett der Distelblüten, dem Schwefelgelb und Rosarot blütenfreudiger Kräuter und Blumen auf dem Felde.
Und im Sommer, wenn die flimmernde Hitze die fruchtschweren Weizenähren zum Reifen drängt und ein leiser Windhauch die Fruchthalme im wiegenden Reigen schwenkt, da spiegelt sich vor der schier unbegrenzten Sicht des stillen Betrachters ein silbernes Gefunkel über die Fluren dahin, die Fata Morgana der Heide, die an der Bogenlinie des Horizonts hängt.
Und die Lerche schwingt sich trillernd in den lichtblauen Himmel empor:

„O LAND, DU ALLER SCHÖNSTES LAND" (Peter Jung)

Noch wirbeln die Fahrzeuge den sommerheißen knöcheltiefen Staub empor, der wie eine mattgraue Pulverwolke über die Felder schwebt – und schon lässt der Herbst die Früchte reifen. Erntefest.
Die Regen plätschern träge dahin, und pulverfeiner Staub wird jäh zu dunklem Brei,
Eisig und schneeweiß liegen die Äcker in kraftspendendem Schlaf. Winter!
Das ist die Heide, in ihrem naturgeschneiderten Kleid während des jahreszeitlichen Wandels – auch in den „Die_vier_Jahreszeiten|Jahreszeiten" des vierteiligen Polyptychons von Stefan Jäger. Und mitten im Geschehen steht der Mensch. Doch ob oder nicht in das Geschehen hineingestellt, man fühlt seine Nähe, sein Schalten und Walten förmlich heraus.
Und welches Bild wir auch immer betrachten, ein strahlendes Etwas spricht uns an und lässt uns den Künstler erkennen – es ist die einfache, klare und deutliche Sprache des Künstlers; das Einfache seiner Kompositionen; die malerische Farbtönung, das Kolorit; die treffsichere Charakterisierung seiner Menschen, seiner Landsleute die typische Gestaltung der Landschaft mit den Fluren und Feldern, den schmucken Dörfern und deren Straßen, den Häusern und Höfen, All das begeistert den Beschauer und lässt ihn das Gesehene miterleben. Es ist gewiss, dass gerade das die Jäger-Bilder zu einem begehrten und bleibenden Kunstwerk erhebt, an dem sich das geistige Auge aller Landsleute, ob hier oder in der Ferne, erfreut – am Hühnerhof, an der Schnitterin, an den heimatlichen Fluren, Straßen, Stuben, Blumen, Trachten …
Unwillkürlich rücken die Augen des Betrachters vom Kernpunkt der Komposition, mit ihrem typischen Geschehen in Haus, Hof und Feld – nach einem flüchtigen Erfassen des Hauptmotivs – nach unten, meist in die rechte Bildecke zur Signatur, um sich zu vergewissern, und wieder zurück zum Werk, um nochmals das Geschehen auf sein Inneres wirken zu lassen – und die seelische Auseinandersetzung mit dem Bild beginnt…

DAS WERK — EIN BEKENNTNIS ZUM MENSCHEN

Stefan Jäger hat uns einen wahren Schatz an Kunstwerken hinterlassen. Einige hundert Skizzen und Studien in Wasserfarben und Öl, auch Tusche, Kohle, Stift und Tempera, wie auch mehrere hundert Gemälde in Öl und Aquarell sind ein beredtes Zeugnis für das unermüdliche Schaffen des Künstlers. Er zeichnete, was er sah, und aus diesen Notierungen entstanden die großartigen Gemälde und Bilder im Atelier, indem er die auf den Skizzen festgehaltenen Ideen mit Phantasie und Erinnerung an das Erlebte zu einem künstlerischen Werk verknüpft hat. Seine zahlreichen Studien, die er durch hunderte Skizzen vertiefte und erweiterte, führten ihn zu einem besseren Verstehen der Wirklichkeit, zur Erweiterung des Themas von der Idee bis zur künstlerischen Imagination. Auf diese Weise und auch durch das von seinen, Landsleuten bekundete Interesse für gewisse Motive – ich denke hier an die sehr beliebten Hühnerhöfe, die Markt- und Jahrmarktszenen, die Heimkehr vom Feld, Kirchweih, Neckerei, Kartenspieler, Tanzpause, Feldarbeit usw., ja auch an die kleineren und größeren Jäger-Ausführungen vom Einwanderungsbild in Öl und Aquarell – lässt der Meister Originale von neuem erstehen. Manches Thema kehrt wieder, wobei die Motive meist variieren. Es sei festgehalten, dass dieses „Wiederholen“ der Motive in den häufigsten Fällen weit mehr als ein simples Reproduzieren oder Kopieren der Originale darstellt, m. E. hat die Komposition als solche oft klarere Formen in den Varianten erlangt, und selbst die Farbwerte erreichen eine überzeugendere Aussagekraft. Das geht schon aus dem Vergleichen der Arbeiten verschiedener Schaffensperioden hervor. Mit Recht kann somit behauptet werden, dass der Meister an seiner Kunst wächst und mit ihm sein künstlerisches Werk. Jäger hat seine Bilder mit größter Sorgfalt gemalt und, Tausende und Abertausende Pinselstriche mit einer nahezu augenscheinlichen Pedanterie bis in die späten Reifejahre hinein auf die Leinwand gesetzt – ob Original oder Varianten. Stefan Jägers Werk ist uns nicht nur ein lebenspendender Born des Seins, in dem die Generationen von der Ansiedlung bis heute wie im Rückspiegel der Zeit wieder erstehen, sondern jene Kraft der Humanität, die nach allen Richtungen hin die seelischen Bande zu den heimatfernen Menschen aufrecht hält oder von neuem knüpft.

UNSER AUFTRAG, UNSER ANLIEGEN

Solche und ähnliche Erkenntnisse werden uns nur dann ermöglicht, wenn wir das Gesamtschaffen Jägers berücksichtigen. Dies scheint mir eine Notwendigkeit, da viele Originale und Abwandlungen einstweilen unserem geistigen Zugriff noch nicht ganz entschwunden sind. In der Tat, noch geht es nicht um Thule, das sagenhafte Inselland der Antike, das dem Zugriff des Menschen entschwunden bleibt, weil keine Spuren mehr vorhanden sind, doch manche Jäger-Bilder sind heute schon in alle Welt verstreut und können ohne die Hilfe und das wohlwollende Entgegenkommen der Heimatfernen nicht mehr erfasst werden. In diesem Sinne wenden wir uns an alle und erhoffen eine tatkräftige Unterstützung bei der Aufstellung eines Jäger-Bilderverzeichnisses. Im erwähnten Katalog sollen die Werke Jägers, soweit wie möglich, erfasst werden, auf Grund von karteimäßigen Notierungen und einer fotografischen Reproduktion des jeweiligen Bildes.
Man könnte meinen, dass ein lückenloses Verzeichnis der über tausende Meilen verstreuten Jäger-Bilder aufstellen zu wollen, ein fast aussichtsloses oder doch sehr schwieriges Unterfangen sei. Dennoch soll diese Aufgabe gestellt, muss dieses wichtige Vorhaben verwirklicht werden, um zu ermöglichen, dass das Jägersche Werk in seiner Vielfalt erfasst wird. Letztlich geht es nicht nur um die Erfassung der Gesamtzahl der Jäger-Bilder, sondern um die Mannigfaltigkeit der Thematik, um das häufige Variieren der Motive, die farbenreiche Palette des Künstlers, das perspektivische Gestalten der Motive, um die künstlerische Entwicklung des Malers und um die Integrität seines Wirkens schlechthin. Tatsächlich ist es so, dass heute noch Zugängliches – und damit wiederhole ich einen vorher geäußerten Gedanken – morgen vielleicht schon unserem geistigen Zugriff entschwunden sein könnte. Daher unsere bewusste Zielstrebigkeit, damit Stefan Jägers Werk in seiner Ganzheit und Vielfalt, unverfälscht und wahrhaftig vor uns so erstehe, wie unser Heimatdichter und Altmeister Peter Barth den Maler und sein Werk gesehen hat:

„… Allein, was diesem Sein entsprungen,
hat unvergänglich hohen Wert,
und immer bleibt und ewig währt
das Werk, der dieses Sein bezwungen.“