ART:0483 - Die kleine große Welt des Franz Gillich
Bibliografie | |
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Artikel Nummer: | 0387 |
Autor Name: | Heinz, Franz |
Aufsatztitel: | Die kleine große Welt des Franz Gillich |
Zeitungstitel: | Banater Post |
Erscheinungsort: | München |
Jahrgang: | 41 |
Nummer: | 2 |
Datum: | 20.01.1996 |
Seite: | 4 |
* [[ART:0483 - Die kleine große Welt des Franz Gillich|Heinz, Franz. Die kleine große Welt des Franz Gillich. Banater Post München 1996]] |
Zum Tod des Künstlers am 24. Dezember 1995
Am Heiligabend verstarb in seinem Haus in der Perjamoscher Maroschsiedlung der Maler Franz Gillich. Er wurde am ersten Weihnachtstag im Familiengrab auf dem Altdörfer Friedhof beigesetzt. Am 4. Januar wäre er 76 Jahre alt geworden. Wir alle hatten ihn jünger im Sinn, nicht nur weil unsere Erinnerungen an ihn überwiegend aus den vergangenen Jahrzehnten herrühren, sondern auch, weil er auf gute Art jung zu bleiben verstand, in stiller Heiterkeit und aufgeschlossen für die Veränderungen der Welt, wenngleich er diese für sich selbst nicht unbedingt nachzuvollziehen mochte. Er hatte Verständnis dafür, daß seine schwäbischen Landsleute das Banat verließen, aber er selbst blieb in seiner Abgeschiedenheit, den Fluß vor der Tür, den Uferwald, den Damm und die Schleuse – die Schließ, wie sie in Perjamosch heißt. Dort, vom "Scharfen Eck", läßt sich der spitzwinklig abgeknickte Fluß stromauf und –ab weit überblicken - er kommt auf dich zu und zieht an dir vorüber, immer derselbe und jedes Mal auch ein anderer, nicht nur mit der Jahreszeit wechselnd, sondern ein anderer auch im Regen, im Wind, in der Abendsonne, beim Eisgang oder im Spätsommer, wenn die Sandbänke weiß im grünen Wasser liegen und einsame Reiher vorwurfsvoll den lärmenden Krähenschwärmen nachblicken.
An einem solchen Tag vor drei Jahren ging ich zum letzten Mal mit Franz Gillich über den Sand. Der Tag war groß, und wir hatten viel Zeit. Immer, wenn wir zusammen waren, und wir waren's oft, schien die Zeit eine andere Dimension zu haben, und vielleicht erklärt das zum Teil, wieso es mir fürs erste entgehen konnte, dass er inzwischen ein Siebziger geworden war. Wir sprachen über Gott und die Welt, nur aufs Auswandern kam die Rede nicht. Irgendwie war das kein Thema. Er begründete mir gegenüber nie, warum er an der Marosch geblieben ist, obwohl doch jetzt die Welt für jeden offensteht. Das aber zeichnet ja eine Freundschaft aus, daß nicht alles erklärt werden muß.
Links vom "Scharfen Eck" steht, keine hundert Schritte entfernt, das schlichte Giebelhaus des Malers Franz Ferch (1900 bis 1981) und gleich dahinter, nur durch den Garten getrennt, das ältere und behäbigere Wassermüllerhaus der Gillichs, den offenen Gang über die ganze Hausbreite hin dem Fluß zugekehrt, der hier gerade noch für einen Fußweg Platz läßt und mit den Uferpappeln bereits den Hof überschattet. Während Altmeister Ferch seine Ölgemälde immer wieder monumental anlegte, blieb der zwanzig Jahre jüngere Grafiker in seiner Darstellung eher zurückhaltend und akademisch. Sein Werkzeug war vor allem die Feder, seltener die Kohle und der Rötelstift und vereinzelt nur die Radiernadel. Nie warf er die Zeichnung in wenigen Strichen aufs Papier. Jedes Blatt entstand in hingebungsvoller Kleinarbeit, bis sich das Bild aus einer Unzahl von Linien, Strichen und Schraffuren zum Kunstwerk formte. Uferpartien sind es zumeist, die er auf diese Weise gestaltete, Baumgruppen, in sich geschlossene Ausschnitte aus der ihn umgebenden Landschaft, als deren Teil er sich fühlte. Nicht allein von der Staffelei, sondern auch wenn es um sogenannte Nebensächlichkeiten ging, bei denen sich ja der Charakter oft erst bewährt. Behinderte der Zaun einen Baum im Wuchs, so wurde überlegt, an welcher Stelle der Zaun auszusägen und nicht etwa der Ast abzusägen war, und fiel eine Wildgans flügellahm in sein Anwesen, so wurde sie gepflegt und für den Weiterflug gestärkt, auch Wochen hindurch. Als langjähriger Angestellter des Wasserbauamtes, das auch den Uferwald bewirtschaftete, bewahrte er manchen alten Baum vor der Axt und manchen Bestand vor einer zu radikalen Ausdünnung. Es könnte beruhigen, zu wissen, daß ihn seine Bäume an seinem letzten Tag umstanden, und nachts vielleicht manchmal die Wandergänse über sein Haus hinwegstrichen, als er es krebsleidend nicht mehr verlassen konnte.
Das Haus Gillich hatte viele Freunde und noch mehr Gäste. Zu ihnen gehörten Bauern, Fabrikarbeiter, Sandausheber, Handwerker, Künstler, Schauspieler, Gelehrte, Angler, Musikanten aller Zungen des völkerbunten Banats.Es war in der Zwischenkriegszeit zur Lebensgewohnheit geworden, Ferien an der Marosch zu machen, und das Haus Gillich war das bekannteste am ganzen Strand. Hier logierten Omas mit ihren Enkelkindern, erschöpfte Stadtmenschen, Poeten, junge und ältere Ausreißer, Sonderlinge und handfeste Geschäftsleute in einfachen Zimmern und in moskitonetzverhangenen Schlafstellen im offenen Gang. Am langen Holztisch fanden große Zwetschgenknödelessen und Melonenschlachten statt, und sonntags, wenn die Tagesgäste aus Perjamosch, Warjaseh, Totina, Lovrin, Bogarosch, Großsanktnikolaus und anderen Ortschaften zu Hunderten angeradelt kamen, gab es improvisierte und zugleich ansehnliche Uferkonzerte. Hans und Franz, die beiden Söhne des Hauses, ruderten die Gäste zu den gegenüberliegenden Badeplätzen und auch wieder zurück im selbstgebauten Boot. Auch flinke Paddelboote baute Franz Gillich, und auch manches andere auf den individuellen Bedarf und Geschmack zugeschnittene Wasserfahrzeug. Ehrenhalber war er zuständig für die gelegentlichen nächtlichen Lampionfahrten auf dem Fluß, wofür nicht nur das Boot umzurüsten war, sondern auch die Leuchtkörper entworfen und gebastelt werden mußten. Nebenbei waren ein paar Bienenstände und einige der auf dem Damm weidenden Schafe und Ziegen zu betreuen. Für die Kunst blieb der Winter vorgesehen, vorausgesetzt, das Hochwasser hielt sich in Grenzen und der Eisstoß verlief weniger dramatisch.
Das künstlerische Werk von Franz Gillich ist dementsprechend weniger umfangreich. Und es ist ganz in die Flusslandschaft der Marosch eingebettet. Selbst die Porträts sind ihr zuzuordnen: der Großvater und die Mutter des Künstlers, ein Selbstporträt, Kinderbildnisse und Arbeiterköpfe - auch wenn diese eher als gesellschaftlicher Auftrag entstanden sein mögen. Vorrangig bleiben die Landschaften und Studien, mehrere „Baumporträts“, die sichtbar machen, wie persönlich und von besonderer Art die Beziehungen des Künstlers zu seinem Umfeld waren. „Pomul lui Franzi" (Franzis Baum) benannte Ingenieur Maxim vom Wasserbauamt die Bäume, für die sich der Künstler erfolgreich verwendet hatte, und die gewissermaßen unter seinem Schutz standen. Unter ihnen die inzwischen dennoch gefällte vielhundertjährige Eiche bei der Schließ, Schauplatz zahlreicher besinnlicher und auch feucht-fröhlicher Lagerfeuer, die wohl nie mehr an dieser Stelle entfacht werden.
An der Temeswarer Kunstschule und der Berliner Akademie ausgebildet, blieb Franz Gillich in seiner Flußidylle künstlerisch weitgehend sich selbst überlassen, was nicht nur negativ zu werten sein wird. Weder der sozialistische Realismus noch die späteren, oft verkrampften Hinwendungen zu den sich überstürzenden modernen Strömungen haben tiefere Spuren in seinem Werk hinterlassen. Er stellte mehrfach im Banater Jahressalon der bildenden Künstler aus, war Mitglied in der damals von seinem Nachbarn und Kollegen Franz Ferch geleiteten Temeswarer Filiale des Künstlerverbandes, besuchte den greisen Schwabenmaler Stefan Jäger in Hatzfeld und pflegte den gelegentlichen Umgang mit Franz Ferchs feinsinnigen Bruder Andor, der, fast vergessen, in Perjamosch-Haulik seine Zeit verbrachte und hauchzarte Miniaquarelle auf Zigarettenpapier hinpinselte - eine vergängliche Kunst eines zerbrechlichen (oder bereits gebrochenen?) Künstlers.
Als Künstler und Mensch wusste Franz Gillich sehr genau, wohin er gehört - eben nicht ins Rampenlicht, aber sehr wohl überall dorthin, wo das Leben für ihn fassbar und künstlerisch integrierbar blieb. Sein Alltag war bescheiden und unterschied sich äußerlich nur wenig von dem seiner meist ärmlichen Nachbarn an der Marosch. Er fuhr kein Auto, und sein Atelierbedarf war selten lückenlos. Er verkaufte nur wenig, und nur ungern ging er auf Bestellungen ein. Zumindest bei den Banater Landsleuten in Deutschland wäre ein guter Absatz seiner Bilder möglich gewesen. Wiederholt darauf angesprochen, lächelte er halb geschmeichelt, halb verdrossen, ohne sich jemals darauf einzulassen. War er fürs Geschäft ungeeignet, oder war er einfach nicht käuflich?
Eines seiner letzten Bilder brachte Friedel Schuch nach Düsseldorf. Es zeigt - wie wäre es anders möglich - eine Maroschlandschaft. Ich selbst besitze von Franz Gillich zwei Porträtzeichnungen meines damals zweijährigen Sohnes Axel – Meisterstücke aus der Maroscher Werkstatt, an einem Sommernachmittag des Jahres 1974 entstanden. Vielleicht gelingt es uns, das Vorhandene und Auffindbare aus dem Werk von Franz Gillich zu registrieren und es einmal zu einer Kabinettausstellung zusammenzutragen.
Es sollte unser Anliegen sein, ihn nach Verdienst in das kulturelle Bewußtsein des Banats und der Banater aufzunehmen und zu behalten.