Stefan Jäger Archiv

ART:0922 - Geliebt, behütet, frei, glücklich

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Bibliografie Aufsatz
Autor Name: Horn, Nikolaus
Aufsatztitel: Geliebt, behütet, frei, glücklich
Name des Herausgebers: Krier, Peter (Hg)
Buchtitel: Homage an Stefan Jäger
Untertitel: Katalog zur Ausstellung…
Erscheinungsort:
Verlag
Entstehungsjahr 2012
Seite: 143-144
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Geliebt, behütet, frei, glücklich

Kinder in der Malerei Stefan Jägers

Im Bildwerk übermittelt Stefan Jäger sein künstlerisches Credo: seine unerschütterliche Liebe zum Menschen, seine innige Heimatverbundenheit, sein Interesse am Volkskundlichen, seine optimistische Weltauffassung.
Seine innere Haltung zur christlichen Religion und sein lebensbejahendes Bekenntnis zum Menschen offenbart der Künstler im Madonnenbild mit dem Christusknaben. Die Gesichtszüge Marias zeigen mütterliche Gefühle, deuten Ähnlichkeit mit lebenden Personen an. Vorsorglich, behütet ist das Kind in ihren Armen. Im christlichen Glauben haben besonders Kinder einen Schutzengel, der sie vor Gefahren warnt und aus gefährlichen Situationen rettet.
Durch ein fürsorgliches Elternhaus tritt das Kleinkind frühzeitig in Beziehung zur Welt der Kirche. Der gemeinsame Kirchgang, die Andacht im Gotteshaus, die Worte der Predigt tragen wesentlich zur Erziehung im Geiste eines religiösen Bekenntnisses bei. Mit der Taufe, der Erstkommunion, der Hochzeit tritt das Kind in Beziehung zur Welt der Erwachsenen, lernt den Ritus und den Sinn der Zeremonien kennen (Palmsonntag, Fronleichnam, Wegkreuz) und fügt sich als dienliches Mitglied in die Dorfgemeinschaft ein.
Im engsten Familienkreis kommt das Kleinkind in Berührung mit der Umwelt. Für den Künstler Stefan Jäger ist die schwäbische Frau eine fürsorgliche Mutter, sie empfindet höchstes Mutterglück, hegt und pflegt den Nachwuchs. Jäger liebt die Kinder. Sein Pinsel stellt eine heile, friedliche und idyllische Welt dar. Die fleißigen Hände der Mutter füllen die Zeit mit einer Handarbeit aus, während sie an der Wiege sitzt. Am Ofen sitzend wird sie ins Spiel der Kinder mit einbezogen. Ihr pausbackiges Kind, das leicht fiebert, bringt sie ans offene Fenster, begleitet ihre Kinder in den Hof und lässt sie die junge Brut einer Glucke bewundern.
Im Reich der Großeltern wird das Kleinkind umsorgt und zu ersten Spielen verleitet. Die Taufpatin (Godl) ist für die künstlerische Darstellung eines Kindes in Beziehung zu den Erwachsenen ein häufiges Motiv. Eine zufällige Begegnung auf der Straße oder ein beabsichtigter Besuch zu Hause werden in vielen Varianten festgehalten.
Als Gruppenbild bevorzugt Stefan Jäger eine Dreiergruppe. Im Bildaufbau und in der Haltung hat er ein sich wiederholendes Schema geschaffen. Die Einzelfiguren werden persönlich charakterisiert, Gesichtszüge sowie dekorative stoffliche Reize der Kindertracht sind sorgfältig ausgearbeitet.
Geschwister, Mädchen und Jungen, oder etwa gleichaltrige Nachbarkinder sind unterwegs. Wohin sie gehen, bleibt dem Betrachter oft verschlüsselt. Kleinigkeiten im Beiwerk deuten an und lassen jegliche Interpretation zu.
Das Älterwerden und auch mal am Treffpunkt der Verliebten, im Gassentürchen, wartend zu stehen, kann genauso aufregend sein, wie ein Treffen unter Freundinnen auf der Brücke am Dorfrand, wenn die Erwachsenen ihren Vergnügen nachgehen. In kindlicher Vornehmheit und Eleganz teilt der kleine Kavalier seinen Einkauf. Die härtere Gangart ist die kindliche Lust am Kräfte messen halb im Spiel halb im Ernst, besonders wenn man Kraft, Mut und Geschicklichkeit vor einem Zuschauer als Zeugen beweisen kann. Auch in der Schulpause muss gezeigt werden, wer das Sagen hat.
Liebevoll gestaltet der Meister künstlerisch das Recht des Kindes die Welt im Spiel zu erfahren, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln sowie Talente zu beweisen. Das Kind ist im Spiel ein Meister der Erfindung. Klugheit und Selbstbewusstsein, die Grundlage einer gesunden Lebenskraft entfaltet sich ungehindert. Das bunte Treiben im Spiel jeglicher Art sei es ein Bewegungsspiel (Schlittenfahrt, Spiel mit Murmeln), ein Fiktionsspiel, das sich am Vorbild der Erwachsenen orientiert (Puppenspiel), ein Konstruktionsspiel (Bauen mit Stäbchen), einmalige Selbsterfindungen ohne Regeln (Am Straßenrand, Umtopfen), eine Ausfahrt in die Umgebung (Kinder mit Wägelchen) wird in die Bilddarstellung einbezogen und kindliche Verhaltenswesen charakterisiert. Verzaubert vom Reiz des Spiels, stehen, sitzen, knien, kauern die Kinder am Boden, konzentriert und ernst in der intensiven Hingabe an das Spiel. Dinge ihrer täglichen Erlebniswelt wie Spielzeuge und Haustiere, weisen altertypische Merkmale auf. Sie unterstützen die Bildaussage. Gewollt ist auch das Einbinden des Hundes als dekoratives Element, aber auch in seiner Symbolbedeutung als treuer Begleiter des Kindes, ein Zeichen der Güte und Ergebenheit, Schutz vor Gefahr. Diese Bilder sind als künstlerisches und kulturgeschichtliches Dokument zu werten.
Körperhaltung und -bewegung haben einen wesenseigenen Ausdruck, beweisen Unberührtheit und kindliche Naivität. Kleidung (mit städtischem Einfluss) und Umgebung charakterisieren Ort und Zeit. Das Spiel von Farbe, Licht und Schatten lassen die Welt des Kindes in ihrer Natürlichkeit und Sorglosigkeit erscheinen.
Rechtzeitig wird das Schwabenkind zur Selbstständigkeit erzogen, in dem kleine Aufträge täglich auszuführen sind, die Spaß und Freude bereiten (Hühnerfüttern). Verantwortung wird übertragen und so an die Arbeit des bäuerlichen Alltags herangeführt (Blumengießen, Gänsehüten). Der Heranwachsende lernt die Bauernarbeit kennen und spürt am eigenen Leib, dass die Feldarbeit bei jedem Wetter auszuführen ist (Storze raffe, Garbensetzer, Essenträger). Die Süße des Erfolgs liegt in der reichen Ernte (Traubenlesen) und in der gewissenhaften Vorbereitung der künftigen Aussaat (In den Acker).
Der Alltag mit seiner wiederkehrenden Beschäftigungen, zur Routine geworden, ist dem Künstler für eine Bilddarstellung wert. Schulbesuch, Marktszenen, Tischgebet, Sonntagsplausch, Hausmusik, Arztbesuch oder die humorvolle Szene beim Mäusefangen zeigen das geübte Auge des Malers Volkskundliches einzufangen.
Die Dorfgemeinschaft empfängt mit Freuden Gäste und feiert Feste, bei denen die Großen und Kleinen beteiligt sind (Maibaum ausreißen). Ist die Frühjahrsarbeit beendet, steht die Ernte gut, hat man allen Grund sonntags zum Tanz zu gehen. Die Kleinen wollen und dürfen nicht fehlen (Unterwegs zum Wirtshaus). Auch ein aufmerksames Zuschauen während des Tanzes kann ein Gewinn sein. Was alles in der Tanzpause geschehen und dem fürsorglichen Argusauge der (Groß-)Mutter entgehen kann, hat Jäger in farbenfrohen Bildern festgehalten. Er stellt Kindergestalten in typischen Situationen dar, gelangweilt, unbekümmert, spielerisch, unbeachtet.
Nicht immer und nicht überall wird ein pompöses Erntedankfest gefeiert. Zuschauer von fern und nah werden angelockt, finden Gefallen am althergebrachten Brauchtum. Die Vertreter der drei Generationen werden zu Trägern der Tradition (Erntefest). Jahrmärkte sorgen neben ihrem geschäftlichen Treiben auch für kleine Vergnügungen mit ihren Zelten, Buden und Ständen. Die Geschwister stehen wie Orgelpfeifen vor den Köstlichkeiten des „Zuckerweibes“. Auch ein Leierkastenmann bietet seine „Ware“ an.
Für die schwäbische Dorfgemeinschaft ist das Kirchweihfest – die Kerwei (oder wie es auch immer heißen mag) – das Fest der Feste schlechthin. Der Jahresablauf richtet sich mit seinen Vorfreuden und Nachwehen daraufhin aus. Ohne den neugierigen Zaungast, der unerwartet und überall auftaucht, geht da gar nichts. Spitzbübisch verfolgt er, wie der Großvater die Flasche ansetzt und einen Schluck vom Inhalt genießt (Kerweiwein), mit und ohne bestimmten Auftrag steht er überall umher, schaut, hört, wird anstellig (Im Hof der Vortänzerin), ist fasziniert vom Geschehen, gelangweilt vom lautem Treiben (Erster Tanz ums Fass). Der Heranwachsende nimmt die Gelegenheit wahr, seinen Mut und seine Fertigkeit im Umgang mit den Tieren unter Beweis zu stellen, was ihm wohl stille Bewunderung einbringt (Kerweibock). Er wird zum hilfsbereiten Laufburschen, wenn es um kleine Gefälligkeiten geht (Zuckerstand). Wer noch keinen spendablen Verehrer hat, muss sich selbst bemühen und auf Zehenspitzen stellen, um wenigstens die leckeren Süßigkeiten mit den Augen sehnsüchtig zu erfassen. Der Kirchweihmarkt bietet den Kindern die sehnsüchtig erwartete Gelegenheit zum Schauen, Schlecken, Genießen, zum Toben und Jauchzen (Marktszene).
Der Kunstmaler Stefan Jäger war auch als Porträtist tätig. Aufträge erhielt er aus dem Bekanntenkreis. Bei der Ausführung der Arbeit muss er sich den Wünschen des Auftraggebers anpassen, stellt – aus heutiger Sicht – Zeitdokumente her.
Eine ausdrucksvolle Skizze stellt ein kleines Mädchen dar. Mit kräftigen Pinselstrichen ist alles Wesentliche skizziert, am Rand sind mit Bleistift die nötigen Notizen (Mädchenporträt). Ein Gemälde zeigt ein hockendes Kind mit einem Bilderbuch auf dem Schoß. Der wertvolle, luftige Stoff des Kleides ist aufwendige ausgearbeitet (Mädchen auf der Polstermöbel). Ein Junge in steifer Haltung, ein junges Mädchen in Tracht auf der Bank hockend blickt schelmisch gelassen dem Betrachter entgegen (Hockendes Mädchen). Mit stoischem Blick empfangen Großeltern und Nichte den Betrachter als Gast. Sie haben die schwäbische Tracht abgelegt. Kleinigkeiten verraten, worauf sie stolz sind: Husarenschnauzer, Kopftuch (Großeltern mit Nichte). Ein Schusterlehrling, ein Spitzbube dem der Schalk im Nacken sitzt, steckt gelassen seine Hände in die Hosentaschen hinter der befleckten Arbeitsschürze. Er hat den Hut mit einer Kappe getauscht (Bauer – Handwerker), blickt dennoch stolz und zuversichtlich in die Zukunft (Schusterlehrling).
Auf allen Gemälden mit historischer Thematik hat der Maler Stefan Jäger Kinder in verschiedenen Positionen und mit einem besonderen Ausdruck verewigt. Dadurch unterstützt und begründet er die Bildaussage. Sie greifen aktiv handelnd in das Geschehen ein oder sind Statisten, dennoch beredtes Beiwerk (Einwanderung, Erste Furche, Flucht, Russlandverschleppung, Einzug der Kolonisten).
Stefan Jäger beweist mit seinen künstlerischen Darstellungen, dass das Kind sowohl als selbständiger, bildwürdiger Gegenstand wie auch als künstlerisches Motiv zur Ergänzung der Bildaussage dient. Eingeflochten sind Symbole, die der Betrachter erfassen muss, um in die Gedankenwelt des Künstlers einzudringen. Beides Mal ist dem Künstler ein Spiegelbild der Gemeinschaft gelungen. Volkskundliche Elemente sind zum historischen Dokument geworden und kommenden Generationen als Beweismaterial erhalten geblieben.