Ein Maler als Ethnograph
Bibliografie | |
---|---|
Artikel Nummer: | 0220 |
Autor Name: | Karl-Hans Gross |
Titel des Artikels : | Ein Maler als Ethnograph |
Untertitel des Artikels: | Die Roßmühle in den Skizzen und Bildern Stefan Jägers |
Publikation: | Zeitung |
Titel der Publikation: | Karpaten Rundschau |
Untertitel der Publikation: | Wochenzeitschrift für Gesellschaft Politik Kultur |
Erscheinungsort: | Kronstadt |
Jahrgang: | 13 (24) |
Datum: | 03.10.1980 |
Seite: | 1 und 6 |
* [[Karl-Hans Gross]]: [[ART:0220 - Ein Maler als Ethnograph|<i>Ein Maler als Ethnograph</i>. Die Roßmühle in den Skizzen und Bildern Stefan Jägers]]. Karpaten Rundschau, Kronstadt 03.10.1980 (Jg.13 (24)), S. 1 und 6 |
Die Roßmühle in den Skizzen und Bildern Stefan Jägers
Daß Jäger-Skizzen einen großen ethnographischen Wert für die Nachwelt haben, geht nicht nur aus den ungezählten Trachtenstudien des Meisters, sondern auch aus den genauen und absolut zuverlässigen dabei vom Künstler gemachten schriftlichen Angaben zu verschiedenen Vorkommnissen aus dem Leben und Tun seiner Menschen hervor. Desgleichen können in ähnlicher Weise selbst die fertigen Gemälde oder die so häufig mit Wasserfarben (in Gouache- und Aquarelltechnik) ausgeführten Arbeiten des Künstlers überaus wertvolle volkskundliche Auskünfte erteilen. Damit im Zusammenhang bemühte sich unlängst Walther Konschitzky in einem kurzen Aufsatz um „zweckdienliche Hinweise" für die „möglichst wirklichkeilsgetreue" Nachgestaltung einer Banater Dorfmühle (gemeint ist die schwäbische Roß- oder Pferdemühle) im Jungen Wald (unverständlicherweise fehlt die Erwähnung des Beitrags „Die Roßmühle", NW, 23. November 1976, S. 6) und erwähnt wohlweislich die Arbeiten Stefan Jägers zu diesem Thema, die, wie gesagt, in mancher Hinsicht äußerst sachkundig und aufschlußreiche sind.
In der Tat, der Maler hat zeitlebens mehrere Varianten und Repliken zu den Banater Roßmühlen ausgeführt. (Bekannt sind auch einige Skizzen und Aquarellstudien zu Windmühlen.) Doch gehen die meisten Arbeiten dieser Art auf höchstens 2-3 Vorbilder, vor allem auf die Roßmühlen der beiden Dörfer Zernje (heute in Jugoslawien) und Ostern (Kleinkomlosch, Comloşul mic) zurück. Obzwar keine dieser Mühlen heute noch erhalten ist, gibt uns dennoch eine alte Bleistiftskizze Jägers über etliche Details im Bau und Aussehen der Mühle Auskunft.
Auf einem kleinen, stark vergilbten und zerschlissenen Papier (8 x 14,5 cm) sind die an Ort und Stelle in flotten Zügen mit dem Bleistift aufgetragenen dünnen Striche und Linien von einer Roßmühle stellenweise nur noch schwer auszumachen, doch als Ganzes noch recht gut zu erkennen. So verteilen sich über die kleine Fläche des Papiers Zweckstudien zu etlichen Details wie Dach, Dachspitze und -rand, Sockel und Pfeiler, während sich in der oberen Hälfte quer über das ganze Papierstück das Landschaftsbild mit der Roßmühle ausbreitet. Ein paar hauchdünne Striche ergeben die Umrisse vom Mühlenhaus, dem Pferdeantrieb, den etlichen Häusern, Bäumen und der „Kaul", doch zu einem überaus aufschlußreichen Dokument werden die auf engem Raum zusammengedrängten Handzeichnungen durch die vom Maler hinzugefügten Notationen. Solcherart scheint uns auch die Detailstudie zur Dachspitze mit dem aus Holz geschnitzten Pferdekopf für die weitere Nachgestaltung im Jungen Wald von Bedeutung zu sein. Desgleichen auch die zu den Details gemachten Notate wie „Pferdekopf", „gerostetes Blech" (für die mit einer Blechhaube eingefaßte Dachspitze „obenlichter"), „unten dunkler mit Dachmoos" (für das stroh- oder schilfgedeckte Kegeldach des Pferdeantriebs der Roßmühle), so wie auch die Einzelzeichnungen zu den Dachstützen, die sich aus trapezförmig nach oben gezogenen vierkantigen „weiß" getünchten „Pfeilern aufbauen und zu deren breiteren, stark vorspringenden leicht abgeschrägten Sockeln Jäger noch hinzugeschrieben hat: „Ziegel hervorscheinend". Es läßt sich annehmen, daß der Mörtelüberzug daselbst schon abgebröckelt war oder daß die aus kräftigen Holzstämmen gezimmerten Pfeiler auf einem aus Brenziegeln gemauerten Fundamentsockel Aufstellung gefunden haben (anderenorts waren diese Pfeiler in den Boden eingerammt bzw. eingestampft). Das alles ergibt sich aus einem Stückchen beschriebenen Papiers, dessen Wert noch wächst, weil es uns ermöglicht, mit Sicherheit ein danach gearbeitetes Ölgemälde räumlich und zeitlich unwiderlegbar zu bestimmen, da Jäger hierselbst eigenhändig lokalisiert und auch datiert (auf der Skizze u. r.):
„CERNYAER ROSSMÜHLE, 1922".
Nicht nur aus den wenigen vorhandenen Skizzen (zu diesem Themenbereich), sondern auch den Werken, die aus dieser Vorarbeiten hervorgegangen sind, können wir beim aufmerksamen Betrachten und Erkunden eine Reihe wichtiger Vorkommnisse und Daten erfahren oder daraus folgern. So sehen wir, daß Jäger seine Roßmühlen immer an den Dorfrand, vor die letzte Häuserreihe stellt; in eine Umgebung, deren Landschaftscharakter von einem Weiher (der „Kaul"), einigen Bäumen (meist Weiden, „Akazien" und Pappeln), einem kleinen kuppelartig aufgestapelten Strohhaufen (dem „Schuwer") und anderen Elementen mitbestimmt wird. Meistens läßt er uns noch die Gasse hinunter, an einer Häuserreihe entlang ins Dorf oder weit über die Häuserdächer bis zur hoch emporragenden Kirchturmspitze hinüberschauen. Aus den bisher angestellten Umfragen geht hervor, daß die meisten Roßmühlen unserer Dörfer tatsächlich am Rande der Ortschaft aufgebaut waren. Hier hat also Jägertypisiert, obzwar schon bekannt, daß auch Roßmühlen auf dem Terrain von Hausplätzen (auch 2-3) in den Gassen standen. Belebt wird das Bild von ein paar Gänsen oder Enten, die im Weiher treiben, und von dem anfahrenden Leiterwagen, der auf die Einfahrtstraße des nahen Dorfes zuhält. Und wer die anderen Roßmühlen (-Bilder) Stefan Jägers kennt, liest aus diesen und ähnlichen „Zutaten" (Details) den wahren Sinn der
Staffagen heraus, die nicht bloß als schmückende Beigabe des Kunstwerks, sondern als inhärente Komponente (Teilstück) zum gesamten Inhalt der dargestellten Wirklichkeit aus dem Leben des Dorfes und der Bezugsverbundenheit der Menschen (ihrer Relationen) zur Roßmühle aufgefaßt werden wollen. So werden rückbeziehend Schlußfolgerungen ermöglicht, wenn wir auf den Jägerschen Roßmühlen-Bildern Ähnliches sehen (und auf
solche Weise einiges über entschwundene Begebenheiten erfahren): ein angeschirrtes oder am Halfter vorgeführtes Pferd, das quer überm Rücken einen Sack mit Mahlgut trägt oder vor dem Mühlenantrieb steht; eine Frau, die mit dem Schubkarren einen schweren Sack nach vorne schiebt; ein Mann, der aus dem Mühlenhause kommt und einen vollen Sack auf
seine Schulter hebt u. a. m.
Nicht weniger aufschlußreich dürften auch weitere Details aus den Jäger-Bildern für die eventuelle Nachgestaltung einer Roßmühle sein. So läßt sich z. B. die Anzahl der schräg nach oben verlaufenden Stützen des Kegeldaches bei einer aufmerksamen Durchsicht der Bilder, mit 10-14 (meist 12) errechnen, weil doch fast immer (auf den Bildern) die Hälfte vom Grundrißbogen der im Kreis aufgestellten Pfeiler sichtbar gemacht ist. Desgleichen können wir feststellen, daß das Kegeldach von gut mannshohen Stützen (über dem flachen Boden) getragen wird, wodurch mittelgroße Pferde ohne weiteres (unbehindert) ein- (zum Antriebsrad) und ausgeführt werden konnten.
In manchen Bildern läßt uns der Maler auch ins Innere des Raumes mit dem großen Kammrad schauen. Manchmal ist dieser Blick dem Schauenden verwehrt, weil die großen Luken zwischen den Pfeilern von einer Zaunwand aus Knüppelholz verbaut (verschlossen) sind (wohl um dem Federvieh und anderen den freien Zugang zu verwehren).
Auf das Mühlenhaus sei unsere Aufmerksamkeit noch für einen Augenblick gelenkt. Es schließt meistens direkt am Antriebshaus an, ist weniger hoch, längsgestellt und liegt mit diesem auf der gleichen Mittelachse oder ist mehr hinten von der Grundrißachse aufgestellt. Es ist wie das Kegeldach mit Stroh, Schilf oder Rohr gedeckt und weist an den niederen (aus
Lehm und Spreu aufgestampften) Wänden kleine, oft lukenhafte Fenster auf; deren flügellose Rahmen eine oder, vom einfachen Fensterkreuz aufgeteilt, vier kleine Glasscheiben eingesetzt haben.
Kaum mannshoch ist der Hauseingang mit der auf halber Höhe quergeteilten. Doppeltür, deren oberer Flügelteil sich meistens erst nach dem unteren verschließen läßt. Nicht selten steht auf dem Dache ein Schornstein. Diese Tatsache läßt uns vermuten, daß man in ähnlichen Fällen beim Eintritt in das Mühlenhaus vorerst nicht in den Mahlraum, sondern in die Rauchküche (wie bei Zweiraum- oder Dreiraumhäusern) kam. Demnach könnte hier zu einer Seite die Wohnkammer, zur anderen aber der Mühlenraum gewesen sein.
Das sind also die Aufzeichnungen eines, Malers zur Monographie des alten schwäbischen Dorfes, zu dem auch die Roßmühle gehörte. Viele seiner Arbeiten zeichnen ihn als kompetenten Ethnographen aus, Und wer die ungezählten Bilder und Skizzen versteht, wird in Stefan Jäger einen der zuverlässigsten Gewährsleute erkennen.<br/<