Die Kopftracht der schwäbischen Einwanderer
Bibliografie | |
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Artikel Nummer: | 0235 |
Autor Name: | Karl-Hans Gross |
Titel des Artikels : | Die Kopftracht der schwäbischen Einwanderer |
Untertitel des Artikels: | Eine Studie anhand des großen Tryptichons von Stefan Jäger |
Publikation: | Zeitschrift |
Titel der Publikation: | Volk und Kultur |
Erscheinungsort: | Bukarest |
Jahr: | 1982 |
Jahrgang: | 34 |
Heft: | 2 und 3 |
Seite: | 54-55 und 53-54 |
* [[Karl-Hans Gross]]: [[ART:0235 - Die Kopftracht der schwäbischen Einwanderer|<i>Die Kopftracht der schwäbischen Einwanderer</i>. Eine Studie anhand des großen Tryptichons von Stefan Jäger]]. Volk und Kultur, Bukarest 1982 (Jg.34 Heft2 und 3), S. 54-55 und 53-54 |
Eine Studie anhand des großen Tryptichons von Stefan Jäger
„Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich darauf gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form mit Motiven aus dem Banater Volksleben und der Heidelandschaft zugänglich zu machen." Unter diesem Motto steht das gesamte Lebenswerk des bekannten Banater Malers Stefan Jäger, der zahlreiche Gemälde, Skizzen und Zeichnungen geschaffen hat – eine großangelegte Freske des schwäbischen Dorfes und seiner Bewohner. Anlässlich seines 20. Todestages am 16. März veröffentlicht unser Mitarbeiter Hans Karl Gross in diesem Heft den ersten Teil der ausführlichen Analyse der Kopfbedeckung der schwäbischen Frauen, so wie sie der Künstler auf dem dreiteiligen Einwanderungsbild dargestellt hat. Die Zeichnungen stammen vom Autor.
Vor rund 75 Jahren, also 1906, nahm Stefan Jäger die Arbeit am Einwanderungsbild auf. Dieses Vorhaben des damals noch jungen Malers sollte vorerst durch eine Reise in die Herkunftsgebiete der deutschen Einwanderer eingeleitet werden, denn ausschlaggebend für dieses Beginnen war eine naturgetreue Darstellung der Einwanderungstrachten des 18. Jahrhunderts.
Diesem Vorhaben brachten die Gertjanoscher Landsleute eine beispielhafte Haltung entgegen, ja sie gaben durch ihren gemeinschaftlichen Beistand den zündenden Anstoß und schufen die materiellen Voraussetzungen zur Verwirklichung dieser Arbeit überhaupt: sie kamen nicht nur für die Reise sondern auch für das gesamte finanzielle Anliegen des noch mittellosen Künstlers bei der Erstellung des großformatigen Tryptichons auf. Stefan Jäger hatte schon zu Beginn unseres Jahrhunderts die Einwanderung auf einem „Ein-Bild-Gemälde“ bzw. auf einem kleineren „Drei-Bild-Gemälde“, das später in Kennerkreisen als „Ursprüngliches Einwanderungsbild“ galt, behandelt, doch hatte er hier dem urtümlichen Trachtenkleid der Siedler aus dem 18. Jahrhundert nur bedingt Aufmerksamkeit geschenkt. Andererseits heißt es in der Dorfmonographie „Hundertfünfzig Jahre deutsches Gertjanosch" von Dr. Matz Hoffmann: „Jäger malte zuerst ein kleineres Bild, das Ursprüngliche." Dieser Umstand sollte gerade Grund genug zur Neuauflage eines größeren Einwanderungsbildes sein und deshalb vermutet man, dass das in der Hatzfelder Gedenkstätte aufbewahrte großflächige Einwanderungsbild – auf einer Spannleinwand von rund sieben Quadratmetern – eine Replik dazu ist.
Fertiggestellt wurde das heute allgemein bekannte Einwanderungsbild erst vier Jahre später, nämlich am 10. Mai 1910. Das Tryptichon wurde damals im Rahmen einer großangelegten Bauern- und Gewerbeausstellung zur besonderen Freude und Genugtuung der etlichen Tausend einheimischen und der aus den umliegenden Ortschaften herbeigeströmten Besuchern in Gertjanosch feierlich enthüllt.
Vom kompositionellen Standpunkt her gesehen, wurden die grundlegenden wie auch besonderen Elemente im großen Tryptichon wie im „Ursprünglichen" beibehalten: eine morastige, fast baumlose Steppe, die sich von einem zum anderen Teilbild des Tryptichons dahinzieht, bildet den einheitlichen Rahmen zum Geschehen, dessen sinnvoller Inhalt durch die stilgerechte und einheitliche Gestaltung der Situationen – der „Wanderung“, „Rast“ und „Ankunft“ – mitbestimmt wird.
Von überaus malerischer Wirksamkeit in dem gewiss monotonen Einerlei der unwirtlichen Gegend sind die farbenprächtigen Trachten der Einwanderer, die durch ihr polychromatisches, kontrastbezogenes Gepräge zum Blickfang werden. Diese Trachtenkleider weisen auf die Herkunftsgebiete der Einwanderer hin, sie lassen auf Sitten und Bräuche schließen. In allen Trachten lassen sich wesentliche Grundelemente erkennen: bei der Frauentracht ist es das Hemd, der Rock und das Mieder und bei den Männern das Hemd, die Röhren- oder Kniehose, die Weste und der lange Leibrock. Der Kopfputz, die Kopftracht der Einwandererfrauen, kann uns aber weit mehr Auskunft über die Herkunft und Zugehörigkeit der Einwanderer als die übrigen Kleidungsstücke vermitteln, da sie überaus mannigfaltig und gebietsbezogen ist.
Die Frauen trugen hauptsächlich Hauben, Kappen oder Mützen aus gesteifter Seide oder aus Kattun, der mit Leim, Stärkekleister oder Karton gefestigt wurde. So entstanden die sogenannten Stellhauben, die als Kegel, Stumpfkegel, Zylinder oder Rundkappen ein schlichter Kopfputz an Werktagen oder mit Zierschleifen und -bändern, Flügeln, Maschen versehen an Feiertagen üblich waren.
Die von den aus dem Schwarzwald eingewanderten Frauen getragene Stellhaube aus dunkelblauer oder -brauner Seide, aus Samt oder Kattun weist in ihrer Form einen abgeschrägten Stumpfkegel auf, wodurch sie sich von den anderen Stellhauben unterscheidet. Der schräg nach hinten aufgesetzte Deckel wird durch einen mit hellfarbigen Fäden, bestrickten dunklen Tuch- oder Samtbelag geziert. Die Hauben sitzen auf der oberen Partie des Hauptes und bedecken mit ihrer relativ kleinen Rundöffnung nur einen Teil der Scheitelfläche oberhalb der Schläfen, ohne aber bis zum Genick zu reichen, obwohl der Kopfputz fallweise nach hinten gleitet und die vordere Hauptpartie mit Stirn und Scheitel offen lässt und so dem Antlitz einen hellen und sauberen Ausdruck verleiht. An den beiden Seitenrändern sind zwei Bindschleifen angesetzt, die von hier aus über Schläfen-, Ohren- und Wangenpartie gerafft bis unterhalb des Kinns verlaufen und hier straff gespannt und gebunden werden. Da und dort hängen noch zwei zierende Bänderschleifen vom hinteren Haubenrande auf den Rückenteil des braunen Jackenkleides oder auf das ärmelfreie kurze Mieder herab.
Gesteifte oder mit Karton verfestigte – doch, ganz anders aussehende – Stellhauben trugen auch die Pfälzerinnen und die Frauen der Siedler aus Elsaß-Lothringen, aus dem Württembergischen und Hessischen Raum. Die typische Haubenkappe umfasst nahezu die gesamte Kopfweite und sitzt als steile Rundkappe ziemlich senkrecht auf dem Kopf.
In ihrer Form stellt sie einen Hohlzylinder dar, dessen steile Seitenwand aus hell-braunem oder rötlichem Stoffgewebe gefertigt ist, während der kreisrunde, flache Deckel aus schwarzem Samt mit der zierlichen Blumenstickerei aus Buntfaden – wobei Gelb und Gold vorherrscht – die Kopfbedeckung beschließt. Unten am Haubenrande sind die schwarzen Bindschleifen (Seitenbänder) angebracht, die unter dem Kinn meistens - verknotet oder zu einer Doppelmasche gebunden sind. Wie überall so war auch in der Pfalz die Kopftracht sehr mannigfaltig und besonders an Sonn- und Feiertagen traten auch dort die von zierenden Zutaten geschmückten Haubenformen der Frauen hervor.
Stellhauben trug man zu dieser Zeit auch in der Mosel- und Rheingegend, im Württembergischen, dem Elsaß und in Lothringen. Dabei sei vor allein auf deren Formenreichtum, auf die Vielfalt des sonntäglichen Kopfputzes verwiesen. Die Frauen an der Mosel trugen außerdem auch die sogenannten „Haarkranzmützen“ – kleine Häubchen aus Seide oder Samt mit Metallstickerei ohne Deckel auf dem Oberkopf.
Im Württembergischen wurden Hauben auf dem Oberkopf getragen, doch unterschieden sie sich von der vorhin erwähnten Machart und Form. Die sich nach oben einengende Rundhaube aus versteiftem Kattun oder anderem Tuchgewebe, die wie ein kleiner Stumpfkegel obenauf sitzt, wird von zwei Bindschleifen unter dem Kinn festgemacht.
Fortsetzung
Die Frauen auf dem Einwanderungsbild tragen in den meisten Fällen Stellhauben; in den drei Teilbildern des Triptychons sind aber trotzdem auch einige Frauen zu sehen, die anstatt des hochgestellten Kopfputzes flach und enganliegende Hauben aufhaben, die zuweilen einem „schickselartigen“ Kopftuch ähnlich sind („Schicksel“ ist ein Kopftuch von besonderer Bindeart). Weitere Hauben ähnlicher Art, meist glattblau oder auch nur leicht getupft, sind die Flachhauben aus dem Elsäßischen, die sich im Nacken zu einem dicken knotenartigen Gebilde (Masche) formen. Besonders die leicht getupften, blauen, dreifingerbeiten Zierstreifen, die leicht gerafft von der Stirne zum Kopfwirbel bogenförmig aufeinanderfolgen und so das Haupt der Frau umrahmen, schmücken diese Haube.
Eine von diesem Haubentyp abweichende Kopfbedeckung ist der weiße Kopfputz aus dem Badischen Raum, der wie eine kappen- oder mützenartige Haube den ganzen oberen Kopfumfang umschließt und sich über dem Haupt der Frau wie eine runde, kalottenförmige, leicht geraffte Oberkappe entfallet, weil doch dieser eigenartige Kopfputz gleich überm Scheitel wie von einer Ziehschnur umschlossen und zusammengezogen wird.
Ebenfalls aus dem Badischen Gebiet kommt die aus blauem Tuchgewebe gefertigte, auf der Stirne eng aufliegende Haube; sie umschließt die Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptpartie so, dass kaum noch Ansatzstellen für eine zierende Beigabe möglich oder überhaupt nötig sind. Sie ist anscheinend mit einer Zugschnur im Nacken festgemacht, so dass die gutsitzende Haube, die vom Hinterkopf her sich ausbreitenden und bis auf Schultern und Rücken fallenden Zusatzteile ohne weiteres tragen kann.
Eine überaus eigenwillige und vielfältige Gestaltung weist die Kopftracht der Frauen aus der Ansiedlungszeit im Hessischen Räume auf. Sie wird zum zierenden Kennzeichen auch auf dem Einwanderungsbild, obwohl schon der formenreiche Frauenrock als Hauptbekleidungsstück da und dort in Erscheinung tritt.
Nichtsdestoweniger sei auf die vielen Kappen-, Mützen- und Haubenformen nur schnell und kurz verwiesen, um die Vielfalt der hessischen Kopftracht durch einige Beispiele außerhalb des Triptychonbereiches zu umreißen.
Wie gesagt, die Kopftracht der hessischen Frauen war überaus mannigfaltig und einfallsreich gestellt. So netzten sich z. B. damals noch mancherorts die Mädchen eine Mutsche, eine nur den Kopf umschließende Kappe aus buntblumigem Samt mit gekräuselter Seidenbandverzierung und herabhängenden Zierbändern auf. Andererseits trugen Frauen und Mädchen an Werk- und Feiertagen eine aus farbiger Wolle auf Leinwand gestickte halbkugelartig geformte „Kibbel“ oder „Stülpe“, die sie mit breiten randverzierten Bindbändern am Kinn befestigten. Stumpfkegelförmige kleine Stellhauben mit Bindschleife, wie sie schon erwähnt wurden, trugen, sowohl Mädchen als auch Frauen. Dabei wurde nicht selten der kegelförmigen Kappe ein vorspringender tellerartiger Deckel aufgesetzt, der dem Kopfputz eine weitere zierende Note verlieh. Interessanterweise trug man diese „Stülpchen“ genannte Stellhaube nicht oben überm Scheitel des Kopfes, sondern sie bedeckte das Hinterhaupt und wurde mit schwarzen, breiten Bindbändern unterm Kinn festgemacht.
Einen überaus schmucken Kopfputz zeigt uns eine junge Frau im dritten Bild des Triptychons. Der Maler hat sie ganz in den Vordergrund, wenn auch an den Innenrand des Bildes, so dennoch in das Rampenlicht des szenenreichen Geschehens gerückt. Alles in allem weist die um die hockende anmutige Frauengestalt aufgebaute Menschengruppe die sicheren Anzeichen des einstmals getragenen Trachtenkleides aus dem Lahngebiet auf.
Als ein augenfälliger Blickfang erscheint uns die schmucke Kopftracht dieser hübschen, jungen Frau. Sie trägt eine kleine Rundkappe auf der Scheitelhöhe des gut geformten Kopfes, die die anmutige Frauengestalt noch weiter in den Vordergrund des Bildes rückt.
Die runde mützenartige, relativ niedere, flache und kleine Stellhaube verliert kaum etwas vom unteren zum oberen Umfang hin. Sie ist an der Seite mit leuchtend rotem Samt besetzt. Der zierliche kreisrunde Deckel ist aus schwarzer Seide oder Samt gefertigt und mit buntfarbiger Stickerei versehen, deren schön gearbeitete Muster sich zart von der schwarzen Unterlage abhebt. Zwei breite blauschwarze Bänderschleifen halten das Mützchen auf dem Kopfe fest, indem sie Schläfen-, Ohren- und Wangenpartie umschließen und unterm Kinn zu großen Doppelmaschen gebunden sind. Auch lässt die zierliche Kopftracht das flachsblonde Haar der jungen Frau erblicken. Es ist von allen Seiten hochgestrichen und unter der Kleinen Kappe, zusammen gemacht. Das verleiht dem jungen Frauengesicht noch mehr Anmut, Offenheit und Glanz.
Was die Kopftracht der Kinder – die hier und dort herumstehen, sitzen, am „Rockzippe“ und an der Hand mitgeführt oder Huckepack mitgetragen werden – anbelangt, so lässt sich kaum mehr als über die der Frauen, Männer und Mädchen sagen, da sie doch der der Erwachsenen entspricht und in der Regel kaum von dieser abweicht. Dazu liefert uns das kleine schmucke Mädchen aus der Lahngegend hinlänglichen und aufschlussreichen Beweis.
Wenn auch Stefan Jäger der Frauentracht im Triptychon und vor allem dem Kopfputz der Frau mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat, so soll hier trotzdem auf die Kopfbekleidung der Männer hingewiesen werden, weil sie vielleicht trotz ihrer geringeren Vielfalt nicht minder aufschlussreich für die Herkunftsgebiete der Einwanderer ist.
Es gibt zwei Grundtypen von Hutformen: Rundhüte mit breiter oder weniger breiter Krempe und solche mit dreifach aufgeschlagenen Rändern. Die Schwarzwälder, Elsäßer und Pfälzer tragen große breitkrempige, schwarze oder tiefbraune runde Filzhüte mit einem leicht nach oben gewölbten runden Kopfteil, während die Badener rundköpfige Filzhüte mit schmaler Krempe aufsetzten. Der Dreispitz, typisch für die Württemberger, Elsäßer und Hessen ist ein dreifach aufgeschlagener dunkelfarbiger Filzhut; er wird meistens mit der Spitze nach vorn getragen, doch hat ihn manch einer mit der einen Breitseite dermaßen nach vorne gestellt, dass zwei Spitzen seitlich von der Stirne zu stehen kommen und die dritte Spitze in den Nacken gerückt ist. Von dieser Kopfbedeckung finden wir heute keine Spur mehr. Sie wird bei uns nirgends mehr getragen. Wohl aber breitkrempige Hüte, allerdings mit flachem rundem Hutkopf, können noch mancherorts angetroffen werden.
Die Stellhauben, die Kappen und Mützen der Frauentracht aus der Ansiedlungszeit werden heute kaum noch getragen. An ihre Stelle ist in den meisten Fällen das Kopftuch getreten. Allerdings hat sich auch diese Kopftracht gewandelt und zu einer Vielfalt – im Binden und Tragen, im Falten und Übereinander schlagen, in den Farben, den Formen und im Gestalten – im Laufe der Zeit in unseren Dörfern differenziert und entwickelt. Es ist jener Kopfputz, den manche ältere Frauen noch heute auf dem Lande tragen. Mit seinem typischen Gepräge verleiht das sauber und mit viel Geschick aufgebundene Kopftuch seiner Trägerin Persönlichkeit und der es tragenden Gemeinschaft die sicheren Anzeichen ihrer Gesinnung und Zusammengehörigkeit. Es ist nicht nur ein beredter Ausdruck guter schwäbischer Tradition, sondern weist auf Sitten und Brauchtum auf dem Dorfe hin.