Stefan Jäger Archiv

„E Gertjanoscher Schwob“ vor dem großen Einwanderungsbild

Aus Archiv
Version vom 29. Mai 2016, 16:13 Uhr von Nikolaus (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu:Navigation, Suche


Bibliografie
Artikel Nummer: 0403
Autor Name: Martin Mettler
Titel des Artikels : „E Gertjanoscher Schwob“ vor dem großen Einwanderungsbild
Publikation: Zeitung
Titel der Publikation: Banater Post
Erscheinungsort: München
Jahrgang: 37
Nummer: 4
Datum: 20.02.1992
Seite: 7
* [[Martin Mettler]]: [[ART:0403 - E Gertjanoscher Schwob vor dem großen Einwanderungsbild|<i>„E Gertjanoscher Schwob“ vor dem großen Einwanderungsbild</i>]]. Banater Post, München 20.02.1992 (Jg.37 Nr.4), S. 7

Hier steh' ich nun… Mein Atem steht fast still…
Ich stehe vor dem „Großen Einwanderungsbild" von Stefan Jäger im Original. Seltsam, ich sehe nicht nur das Bild; vielmehr ist es so, als wenn ein Film abläuft. Er zeigt unsere Urgroßväter, wie sie auf den „Ulmer Schachteln" die Donau herunterkamen. Wie sie wohl vorher gelebt haben, warum sie es wohl gewagt haben, so viele Meilen weit ins Ungewisse zu wandern, wie sie anfangs in der neuen Welt gelebt haben (der Kampf mit dem Sumpf, die Pest, die Cholera usw.), dann die Madjarisierung, die Spaltung des Banats, aber immer wieder auch die schönen Stunden, die sie wohl erlebt haben dürften, und auch die Blütezeit, dann wieder der schreckliche Krieg, die Flucht, die Rückkehr, die Verfolgung, Russland, Bărăgan und, und, und… Es läuft in mir die von Armut, Leid, Kummer und Sorgen, aber auch von Freud, Reichtum und Wohlstand geprägte Geschichte der Banater Schwaben ab. Ich muss mich zwingen, dem Lauf meiner Gedanken Einhalt zu gebieten, um wieder zur Gegenwart zurückzufinden.
Ich bewundere die klare, einfache Sprache des Künstlers, die gedämpften Farbtönungen, die nicht aufdringlich, aber dennoch malerisch leuchtend wirken. Da ist zum Beispiel der nicht völlig graue Himmel, der sich über alle drei Bilder („Wanderung", „Rast" und „Ankunft") ausbreitet, es ist doch auch etwas Blau darin, wohl die Hoffnung, die eigentlich auch aus den Gesichtern der rüstigen Männer und Frauen strahlt.
Auf dem ersten Bild, „Wanderung", rücken Männer, Frauen und Kinder aus dem Hintergrund in die Bildmitte vor; die Leute trotten müde auf einem zerfurchten Feldweg einer ungewissen Zukunft entgegen, doch aus ihren Zügen strahlt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in einer neuen Heimat.
Das Mittelbild strahlt eine unwahrscheinliche Ruhe aus, eine Harmonie der Farben und des Gemüts. Aber auch darin steckt eine gute Portion Dynamik. Es ist eine innere Bewegung, die aus dem Tiefsten der Seele kommt, ein bedrückendes Gefühl, ein Weh, das drückt, wie soll ich das beschreiben, vielleicht sogar Reue ob der verlassenen, immerhin trauten und sicheren Umgebung, oder Besorgnis und Misstrauen, ja sogar Verzweiflung, aber auch Zuversicht. Ach, wie sehr erinnert diese Szene uns an so manche Momente im Dasein der Banater Schwaben (Ankunft, Flucht, Russlandverschleppung, Bărăgan, bis hin zur Rückkehr in das Mutterland). Der Blickfang des Bildes ist aber die Mutter mit dem Säugling an der Brust, kräftig, mit rotglühenden Wangen und glückstrahlendem Ausdruck.
Im dritten Bild, „Ankunft", sieht man die Leute am Bestimmungsort, wo ihnen halbfertige Häuser zugeteilt werden. Die Siedler stehen voller Spannung mit gestauter Triebkraft da und können es kaum erwarten, mit dem großen Werk des Aufbaus zu beginnen. In unermüdlicher Arbeit und im harten Kampf mit den Naturgewalten werden die ersten Kolonistenwohnungen in der neuen Heimat errichtet, die durch das Werk von Generationen zu einem blühenden Fleck dieser Erde werden soll.
Und heute, was ist heute aus diesem schönen Werk geworden?
Tja, da steh' ich nun… Die Leute um mich herum haben sich längst die ganze Ausstellung angeschaut, und ich, ich stehe immer noch vor diesem wirklich großen, nicht nur groß dimensionierten, geschichtlichen und künstlerischen Werk eines urigen Schwaben. Ich weiß nicht, ob es jedem Schwaben bei der Betrachtung des Triptychons ähnlich ergeht…
Vielleicht liegt es bei mir auch daran, dass ich ein Gertjanoscher bin; vielleicht ist es ein bisschen Stolz; ach was, warum soll ich es nicht zugeben, ich bin stolz, ich bin sehr stolz darauf, dass meine Großväter den Künstler speziell für dieses große Werk moralisch und materiell unterstützt und gefördert haben. (Bekanntlich wurde das Unterfangen „Einwanderungsbild" von einigen beherzten Gertjanoscher Männern angeregt und von der gesamten Gemeinde vorbehaltlos unterstützt. Die Gertjanoscher finanzierten die zweite Auslandsreise Jägers nach Deutschland, 1906 zum Studium der Einwanderertrachten. Schließlich wurde das Triptychon 1910 anlässlich der Gertjanoscher Gewerbe- und Bauernausstellung feierlich enthüllt und machte den Künstler unter seinen schwäbischen Landsleuten mit einem Schlag berühmt.) Vielleicht ist es auch die ungemeine Resonanz, die da Schwingungen hervorruft auf uns vertrauten Wellenlängen, die uns in eine liebliche Welt der Nostalgie schweben lassen und, von Bedrücktheit übermächtigt, wieder einmal reumütig werden lassen. Wer weiß…
Wie dem auch immer sei, die Ausstellung im Haus der Heimat zu Mainz hat, mich beglückt. Ein herzliches Dankeschön den Organisatoren.
Da stand ich nun, fern der Heimat, mit Freunden aus der neuen Heimat, und war wieder einmal stolz, „e Banater Schwob" zu sein.

PDF-Datei des Artikels