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ART:0239 - Nikolaus Franzen wurde siebzig

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Bibliografie
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Autor Name: Merle, Nikolaus
Aufsatztitel: Nikolaus Franzen wurde siebzig
Zeitungstitel: Banater Post
Erscheinungsort: München
Jahrgang: 27
Nummer: 5
Datum: 15.05.1982
Seite: 22
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Orgelbauer, Chorleiter, Lebenskünstler


Als Altersruhesitz war das alte Bauernhaus gedacht, das das Ehepaar Franzen, die langjährigen Betreurer des Hauses der Donauschwaben in Sindelfingen, vor Jahren in dem idyllisch gelegenen Walddorf bei Nagold kauften und wohnlich herrichteten. Es sollte jedoch nur vorübergehender Aufenthaltsort und Lager für den Bau eines Eigenheimes auf einem gegenüberliegenden kleinen Grundstück bleiben. In 2jähriger, anstrengender Arbeit schafften sie es im wahrsten Sinne des Wortes, fast durchwegs ohne fremde Hilfe. Ein schmuckes und solide gebautes 5-Zimmer-Einfamilienhaus am "Gansbuckel 13" steht da, ein wahrhaftiges Zeugnis von Wille, Tat und Energie zweier sonst musisch veranlagter Menschen. Hier zeigte es sich: der gelernte Orgelbauer Nikolaus Franzen ist auch ein handwerklich und technisch begabter Mann, ein Alleskönner! Von der Veranda des am Hang stehenden Hauses mit herrlichem Blick über den Garten hinweg auf ein weites Tal mit schönen Wiesen, von bewaldeten Hügeln umgeben, wähnt man sich in einem ruhigen Höhenluftkurort.

Die Eheleute Franzen, er aus Hatzfeld, seine Frau Sidonia (genannt "Sidi") aus Orschowa stammend, beide musikalisch veranlagt, richteten sich ihr Haus entsprechend geschmackvoll ein. Neben einem Musikraum mit Klavier und allerlei Musikinstrumenten, in dem der Hausherr Kindern Musikunterricht erteilt, gliedern sich die Wohnräume mit Aquarellen von dem Hatzfelder Landsmann Stefan Jäger, aber auch mit guten Bildern anderer Maler, mit modernen, weltfreundlichen Motiven. Heiter und gastlich ist die Atmosphäre; alles strömt Behaglichkeit aus. Hier feierte Nikolaus Franzen am 26. März mit einigen Freunden - alle drei Kinder leben in den Vereinigten Staaten - seinen 70. Geburtstag; hier werkt und wirkt er unermüdlich. Musik, Poesie, Bastelarbeiten und die Bearbeitung des ausreichend großen Gartens sind seine Lieblingsbeschäftigungen. Seine oft in Versform geschriebenen Briefe entstammen einem inneren Bedürfnis; gut gereimt lassen sie gute Gesinnung und Wohlwollen, freundschaftliche Verbundenheit und einen Humor ohne Ironie wohltuend erkennen. Ein Leben, reich an Härten und Entbehrungen, ist voller Menschlichkeit geblieben.

Über weite Wegstrecken lagen Kindheit und Jugend des Jubilars auf der Schattenseite des Lebens. Mit drei Jahren verlor er die Mutter, die bei der Geburt ihres zweiten Sohnes 1915 starb. Der Vater stand zu gleicher Zeit an der Front. Mit 10 Jahren verlieren er und sein jüngerer Bruder die Großeltern. Die zwei kleinen Buben kommen in das Hatzfelder Kloster "Jerusalem". Nach der 4. Gymnasalklasse wird Nikolaus Franzen von seinem Onkel mütterlicherseits, dem bekannten Hatzfelder Komponisten und Chorleiter, Josef Linster zu einem Orgelbauer nach Temeswar in die Lehre gegeben. Vier harte Lehrjahre, doch auch die Freude, in der namhaften "Orgelbauanstalt L. Wegenstein Söhne" damals berühmte Orgelvirtuosen spielen zu hören. Hier reifte der Wunsch, einmal Kirchenmusik studieren zu können. Mit wenigen Unterrichtsstunden, aber um so fleißigerem Üben erhielt er in einem Temeswarer Stadtteil eine Organistenstelle mit einem Kirchenchor und der Möglichkeit, Anfängern Musikunterricht erteilen zu können. Eine Geige hatte ihm der Vater aus der Kriegsgefangenschaft in Sibirien mitgebracht, ein Harmonium schenkte die Oberin des Klosters in Großkomlosch, Bratsche, Cello, Posaune, Saxophon und Schlagzeug wurden ebenfalls geübt und mit Klavierstimmen etwas hinzu verdient. Von einem guten Freund zwei Jahre lang mit dem Unterrichtsmaterial der Musikhochschule in Budapest versorgt, beschloß endlich der "Familienrat" unter Onkel Josef Linster, seinem Wunsche zu entsprechen und sein Erbteil für sein Musikstudium in Budapest zu verwenden. Es folgten harte, entbehrungsreiche Jahre, öfters nur mit einer Mahlzeit am Tag, bis eine Studienkollegin, eine Ordensschwester, dem blassen jungen Mann weiterhalf; gegen das Versprechen, jeden Morgen bei der Messe zu ministrieren, konnte sie bei der Oberin erwirken, daß er die Verköstigung vom Kloster bekam. Endlich hatte er sein Zeugnis und konnte in Hatzfeld als Aushilfs-Organist tätig werden. Auf ein Zeitungsinserat aus Orschowa hin bewarb er sich für die Stelle eines Chorleiters für zwei Chöre und ein Orchester. Nikolaus Franzen fuhr hin und blieb. Da kam der 2. Weltkrieg; er wurde Zahlmeister auf Tankschiffen, bis er selbst Leiter der Schiffsagentur Orschowa wurde, die zur Nachschubversorgung eingesetzt war. Dort lernte er seine "Sidi" kennen. In Deggendorf erreichte ihn das Kriegsende. 1947 mit dem Patent eines Schiffskapitäns in der Tasche, wurde er 2. Kapitän auf einem Passagierschiff zwischen Regensburg und Passau. Eine Tante in den USA erfuhr die Anschrift. Die Familie war inzwischen vereinigt und 1952 ließen sie alles stehen, um in Amerika neu anzufangen. Zunächst schlecht bezahlt im Orgelbau tätig, machten ihn die Banater Chöre dort zu ihrem Dirigenten. Danach noch zwei andere Chorleiterstellen, ein Kinderchor, der dann zum deutschen Jugendchor von Cleveland wurde. Einladungen des Chors nach Wien, Kelheim und zur 700-Jahr-Feier nach Sindelfingen. Viele Vereinsverpflichtungen. Arbeiten in einer Zahnradfabrik, Fließbandarbeit bei Ford, abends Musik- und Gesangsproben, so mußte die Erschöpfung kommen. Dann boten OB Arthur Gruber und Dr. Adam Krämer im neuen Haus der Donauschwaben eine Stelle beim Kulturamt Sindelfingen. Jetzt haben sie, die Franzens, ihr "Häusle" im Schwarzwald.