Stefan Jäger Archiv

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<h2 class="myuntertitel">''Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben''</h2>
 
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Es ist unser Bild. Kein anderes ist so verbreitet bei den Banater Schwaben, kein anderes hat so viel Beachtung und Zustimmung gefunden wie [[Stefan Jäger]]s Triptychon "[[WK:0376|Die Einwanderung der Schwaben ins Banat]]" - korrekter wohl „der Deutschen", wie es ursprünglich auch bezeichnet
Es ist unser Bild. Kein
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worden ist. Es waren ja nicht vorwiegend Schwaben, die das Banat besiedelt und kultiviert haben, sondern Deutsche aus den südwestlichen Landschaften und aus anderen Gebieten des Reiches. Es ist unser Bild. Kein anderes Siedlungsgebiet in Südosteuropa hat Vergleichbares vorzuzeigen, und auch unsere anderssprachigen Nachbarn - die Rumänen, Ungarn und Serben - verfügen, so weit es mir bekannt ist, nicht über ein in gleichem Maße verallgemeinertes
anderes ist so verbreitet
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Kunstwerk. Der Erfolg war übrigens nicht wiederholbar. [[Stefan Jäger|Jäger]] selbst hat auf Bestellung Repliken seines Monumentalwerkes angefertigt und zum Einwanderungsthema mehrere, inzwischen vergessene, Varianten gemalt. Der zwei Jahrzehnte jüngere Banater Maler [[Franz Ferch]] versuchte, mit dem Triptychon "Das Gebet der Ahnen" und seiner groß angelegten Komposition "Das Lagerfeuer" an [[Stefan Jäger|Jägers]] Erfolg anzuknüpfen.
bei den Balli:lter Schwaben,
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Vergeblich.<br/>
kein anderes hat so
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Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist es seine Monumentalität, die Meisterschaft der Darstellung oder haben doch eher seine Verehrer und Mittelsmänner - die Manager wie wir heute sagen würden - den Erfolg bewirkt und ihn verfestigt? Von jedem wohl wird etwas dabei sein und jedes verdient gesondert unsere Aufmerksamkeit. Auch hier jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige Werk in der richtigen Zeit war.<br/>
viel Beachtung und Zustimmung
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Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie im Banat aus?<br/>
gefunden wie
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Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldschers [[Franz Jäger]] und seiner Frau [[Magdalena Schuller|Magdalena Schuler]] in der Gemeinde [[Cenei|Tschene]] geboren, war [[Stefan Jäger]]s Welt das aufstrebende Bürgertum der Jahrhundertwende, die sich als Gründerzeit definierte, als eine Art fortschrittlicher Wohlstands-Gesellschaft begriff und in der sogenannten Belle Époque nicht nur in Frankreich den Sinn für das Dekorative entwickelte und übersteigerte. Die Industrie veränderte die Welt, alles schien machbar: Die Titanik wurde gewagt und gebaut, die europäischen Hauptstädte trugen die alten Befestigungsanlagen um den Stadtkern ab und ersetzten sie mit modernen Prunkstraßen, die Wirtschaft expandierte, die letzten Teilstücke der kolonialen Welt fanden ihre Herren, und die Kaiser, Könige und Zaren überboten einander mit Paraden und demonstrativer Macht. Europa war das
Stefan Jägers Triptychon
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unbestrittene Zentrum der Welt, und nie wieder hat es einen solchen Glanz entfaltet.<br/>
. Die Einwanderung der
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Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren unter ihnen, blieben davon nicht unberührt. Als wichtige Errungenschaft der Zeit durchkreuzte die Eisenbahn Heide und Hecke, die Walzmühlen verdrängten Wasser-, Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung der Landwirtschaft und ihrer Märkte steigerte die Preise und brachte das Geld in Umlauf. Sparkassen entstanden, das Großbauerntum etablierte sich neben den traditionellen Grundherren, man wollte etwas gelten und sich auch entsprechend darstellen. In ganz Europa feierte die Historienmaleirei Triumphe: Preußens Gloria durchgeisterte die Bilderwelt von Adolph Menzel, in Österreich war es Hans Makart, der den kaiserlichen Glanz der Zeit künstlerisch festzuhalten verstand, in Polen malte Johann Matejko
Schwaben ins Banat" - korrekter wohl „der
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das nationale Heldentum, in Ungarn Michael Munkácsy, mit dem vormals schönen deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es bis dahin neben der Kirche und ihren Würdenträgern die gehobene Beamtenschicht und der, vielleicht etwas dürftige, Adel, der Aufträge, vornehmlich Porträtaufträge an einheimische und zugewanderte Künstler vergab. Nun drängte das reiche und zunehmend selbstbewusste Bürgertum nach vorn und wollte nicht weniger, wenn auch auf andere Weise, repräsentieren.<br/>
Deutschen", wie es ursprünglich auch bezeichnet
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Die in den gleichen Sog geratenen großen Landgemeinden wollten und durften nicht nachstehen. Handel und Gewerbe, aber auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit und Weltfremdheit der Dörfer durchbrochen und sie mit einem neuen Selbstwertgefühl ausgestattet. Das Vereinswesen
worden ist. Es waren ja nicht vorwiegend
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blühte, die ausgedienten Militärmusiker gründeten mit Eifer konkurrierende Blaskapellen, Männergesangvereine traten auf, und es reihten sich die Feste aneinander: Fahnenweihen, Sport- und Sängerfeste, Kathreinbälle, Gewerbeausstellungen. Die ersten Ortsmonografien wurden geschrieben. Begüterte Familien und wendige - manchmal auch windige - Männer fanden oder erstritten sich ihren Platz in der aufstrebenden Dorfgemeinschaft, häuften Güter
Schwaben, die das Banat besiedelt
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und Ämter, machten sich unentbehrlich und verdarben nicht selten an einer Überdosis von Raff- und Geltungssucht.<br/>
und kultiviert haben, sonde1n Deutsche aus
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Einer von ihnen war [[Adam Röser]] in [[Cărpiniș|Gertianosch]]: Postmeister, Leiter des Schulausschusses, Gründer und Obmann des Leichenbestattungsveireins, Gründer des Schützenvereins, Direktor der· ersten Gertianoscher Sparkassa-Aktiengesellschaft und Mitbegründer des Gertianoscher Konviktes in [[Szeged|Szegedin]], Besitzer einer Ziegelei. Er war durch Einheiraten in die begüterte Familie Vuchetics im benachbarten [[Cenei|Tschene]] reich geworden, galt als tüchtig. gewitzt und ist doch bis zuletzt infolge verfehlter Spekulationen zahlungsunfähig geworden. Er war ein Mann der Stunde, mit dein Blick aufs Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so missfällig nicht, dass gerade dieser umtriebige [[Adam Röser]] maßgeblich an der Entstehung des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] beteiligt gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig, sein damaliger Buchhalter [[Jakob Knopf]] geäußert haben, wie [[Dr. Peter Pink]] in seiner Arbeit „Stefan Jäger - ein Banater schwäbischer Kunstmaler" berichtet. Zu ihrer Ausführung
den südwestlichen Landschaften und aus
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bedurfte es dann doch eines [[Adam Röser]], zumal die Finanzierungsfrage für das Gelingen des Vorhabens entscheidend war. Und groß - das stand von Anfang an fest - musste das Bild schon sein. Größer als groß - monumental.<br/>
ande1:en Gebieten des Reiches. Es ist unser
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Das passte in die Zeit, die sich im Repräsentativen gefiel, und es passte in ein groß, vielleicht etwas zu groß gewordenes ungarisches Königreich, das seine neue Glorie probte für sich selbst und auch gegen andere Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage bei den benachbarten Slawen und Rumänen und sogar bei den biederen und landestreuen Banater Schwaben ausgelöst, um nicht zu sagen losgetreten hatte. [[Adam Müller-Guttenbrunn]]s Heimatromane waren die meistgelesenen Bücher im Banat und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit, der Historilker Ludwig Baróti-Grünn belegte wissenschaftlich Herkunft und Schicksal der deutschen Siedler im Banat, deren Dörfer in Heide und Hecke inzwischen zu den ansehnlichsten und wohlhabendsten im Lande zählten. Die Selbstbesinnung und das Anliegen, auch auf sich selbst hinzuweisen, schien für alle ein Gebot der Zeit zu sein.<br/>
Bild. Kein anderes Siedlungsgebiet in Südosteuropa
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Dass sich die Banater Schwaben ausgerechnet für ein monumentales Gemälde entschieden, überrascht zunächst. Im eigenen regionalen Kulturverständnis wie in dem der anderssprachigen Nachbarn gibt es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende künstlerische Monumentalarbeit hinweisen. Der häusliche Bedarf war im Wesentlichen auf die Heiligenbilder im Herrgottswinkel beschränkt und wurde von fliegenden Händlern versorgt. Mehr an Kunst war weder nötig noch gewünscht. Die geschitsbild-prägende Funktion der Historienmalerei allerdings war zumindest der gehobenen Schicht auf dem Lande so unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer Entscheidung für ein [[WK:0376|Einwanderungsbild]] bestärkt haben. Denn es war die legendäre
hat Vergleichha.i·es vorzuzeigen,
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Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische Tat im Bewusstsein der Banater Schwaben verankert war, auf die man stolz sein durfte und auf die man hinzuweisen sich nicht scheute. Den Maler dafür meinte man ja im Banat zu haben, immerhin einen akademisch ausgebildeten Kunstmaler, der zur Zeit sein Brot in der ungarischen Hauptstadt verdiente.<br/>
und auch unsere anderssprachigen Nachbarn
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Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der Bestellung des Kunsthändlers [[Almásy]], der seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften und Stillleben belieferte. Gelegentliche Anfragen gleicher Art aus der Banater Heimat waren auch nicht dazu angetan, Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten, die für ihr wirtschaftliches Denken und für ihre Sparsamkeit ebenso bekannt wie geachtet waren. Von einem Maler [[Stefan Jäger]] wussten damals im Banat nur wenige. Selbst der Heimatdichter [[Peter Jung]] will erst nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben, dass der Kunstmaler aus [[Cenei|Tschene]] sich bereits 1910 in Hatzfeld niedergelassen hatte. Ohne den Auftrag zum [[WK:0376|Einwanderungsbild]] und dessen nachhaltigen Erfolg wäre das wohl nie geschehen und [[Stefan Jäger]]s künstlerisches Werk hätte wahrscheinlich eine andere, für uns weniger bedeutende Richtung erhalten. Es bleibt ohnehin ein kleines Wunder, dass die recht ansehnliche Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere Vermarktung bei den sonst nüchtern kalkulierenden Schwaben auf der Banater Heide zustande kam. Vergessen wir nicht, hier war viel Geld für etwas auszugeben, von dem die Meisten keine rechte Vorstellung haben konnten und wohl auch nicht viel gehalten haben mochten. Der Kasinoverein, der Leseverein, der Gewerbeverein und der Bauernverein haben Liederabende, Konzerte, Vorträge, Dilettantenvorstellungen und Bälle veranstaltet und die daraus erzielten Überschüsse für das Einwanderungsbild zurückgelegt. Auch direkte Spenden wurden gesammelt, wobei [[Adam Röser]] mit gutem Beispiel vorangegangen sein soll.<br/>
- die Rumänen, Ungarn und Serben -
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[[Stefan Jäger|Jäger]] lieferte recht schnell ein drei Meter langes Bild, das sogenannte "ursprüngliche" Einwanderungsbild, das bereits die uns bekannte
verfügen, so weit es mir bekannt ist, nicht
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Dreiteilung "Wanderung", "Rast", "Ankunft" enthielt, jedoch wegen Mängel in der Darstellung der historischen Trachten der Einwanderungszeit beanstandet worden ist. Abhilfe sollte eine Studienreise des Künstlers nach Deutschland bringen, die auf Betreiben von [[Johann Walzer]], Direktor
über ein in gleichem Maße verallgemeinertes
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der Gertianoscher Kleinbauernsparkassa, ermöglicht wurde. Der Vorsitzende des Gewerbevereins [[Anton Gamauf]] beauftragte Lehrer [[Simon Kreppel]] mit der Durchführung einer neuen Sammelaktion, die diesmal [[Johann Walzer]] mit einer Spende von 200 Kronen eröffnete. Diese zweite Aktion zeigt recht deutlich, wie sehr das [[WK:0376|Einwanderungsbild]] ein kollektives Anliegen in [[Cărpiniș|Gertianosch]] gewesen sein muss. Das macht auch
Kunstwerk. Der Erfolg war übrigens
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die erzielte Summe von 4650 Kronen sichtbar, die damals für den Ankauf von viereinhalb Waggon Weizen ausgereicht hätte. Ein Betrag, der die Spesen der Deutschlandfahrt des Malers erheblich überstieg und ihm als ein durchaus nicht unangemessenes Honorar zugefallen war. Dieses respektable
nicht wiederholbar. Jäger selbs t hat auf Bestellung
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Sammelergebnis nicht zuletzt mag den auf Repräsentation bedachten [[Adam Röser]] veranlasst haben, nun ein noch größeres, ein richtiges Monumentalgemälde bei [[Stefan Jäger]] in Auftrag zu geben. Es wurde dann, mit den uns bekannten Maßen von 5,100 x 1,450 Meter und mehr als 80 dargestellten Gestalten, das bisher größte Gemälde der Banater Schwaben und wohl auch ihr größtes aller Zeiten. Dass es auch mit Abstand unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit [[Adam Röser|Rösers]]. Er hatte die Idee, bei der Budapester Verlagsgesellschaft [[Franklin]] Farbreproduktionen des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] in großer Auflage herstellen zu lassen, die einen guten Absatz fanden, von dessen Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet wird, nur ein geringer Teil zufloss.<br/>
Repliken seines Monumentalwerkes
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Der besondere Auftrag - ein solcher war es wohl - traf den damals noch nicht dreißigjährigen Künstler fachlich nicht unvorbereitet. In [[Budapest]] hatte er bei dem aus Klausenburg stammenden Professor [[Bertalan Székely|Székely Bertalan]] Malerei studiert - einem in seiner Zeit viel beachteten Meister großformatiger historischer Gemälde. Das mag [[Stefan Jäger]] die Sicherheit gegeben haben, den Gertianoscher Auftrag in der Zuversicht einer guten Ausführung angenommen zu haben. Die Ateliergeschichte des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] wäre eine Abhandlung für sich und umschließt eine Fülle von Angaben über zahlreiche Skizzen zum Bild, über Trachtenstudien, zum sogenannten "ursprünglichen Einwanderungsbild" bis hin zu später
angefertigt und zum Einwanderungsthema
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ausgeführten Varianten. Darüber kann in den Veröffentlichungen von [[Dr. Peter Pink]], Dr. Matz Hoffmann, [[Franz Liebhard]], [[Dr. Annemarie Podlipny-Hehn|Annemarie Podlipny-Hehn]] und [[Karl-Hans Gross]] (der eine 450 Seiten starke Monografie über den Hatzfelder Schwabenmaler veröffentlichte) nachgelesen werden. [[Stefan Jäger]] ist es gelungen, in drei Jahren ein malerisch, kompositorisch und historisch überzeugendes Werk zu gestalten, das hundert Jahre später zumindest bei seinen deutschen Landsleuten nichts von seiner Attraktivität eingebüßt hat. [[Dr. Annemarie Podlipny-Hehn|Annemarie Podlipny-Hehn]] verweist in ihrer 1972 im Bukarester [[Kriterion]] Verlag herausgegebenen Monografie „Stefan Jäger" auf "die geschickte Verteilung und Gruppierung der Figuren" hin, auf "das Gleichgewicht der Komposition", sie hebt die sowohl zeichnerisch wie malerisch erzielte perspektivische Wirkung des Bildes hervor und die sorgfältige Farbgebung. Und [[Franz Liebhard]] betrachtet in seiner 1970 gleichfalls bei [[Kriterion]] erschienenen Studie über den „Schwabenmaler Stefan Jäger" das [[WK:0376|Einwanderungsbild]] als dessen Hauptwerk.<br/>
mehrere, inzwischen vergessene, Varianten
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Tatsächlich hat es sein künstlerisches Werk neu orientiert. Der Gertianoscher Erfolg hatte Jäger einen Themenbereich eröffnet, der auf ihn zugeschnitten war und zum Inhalt seines Malerlebens werden sollte. Mehr noch als in den vielen Hunderten Aquarellen aus dem Banater Volksleben sind es die ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag und zur Arbeitswelt, die zeigen, mit welcher Sorgfalt und Hingabe der Hatzfelder Meister sich des erkannten und gewählten künstlerischen Lebensthemas angenommen hat. Was ihn letzthin zum "Schwabenmaler" werden ließ, ist die tiefe Verinnerlichung und künstlerische Umsetzung der heimatlichen Welt, wie sie sich vorwiegend in der Zwischenkriegszeit wahrgenommen und geäußert hat.<br/>
gemalt. Der zwei Jalu-zehnte jüngere Balli:lter
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Das Ereignis der Enthüllung des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] zur Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung zu Pfingsten 1910 in [[Cărpiniș|Gertianosch]] ist in die Annalen der Banater Schwaben eingegangen. Ausstellungen waren damals weltweit nicht nur Mode - sie entsprachen dem Repräsentationsbedürfnis von Völkern und Mächten, Produzenten und Händlern, Herrschern und Kirchen, Wissenschaftlern und Volkserziehern. Die Großen und Mächtigen machten vor, was, auf das jeweilige Maß reduziert, in der Provinz nachgeschneidert wurde. Kaiser Wilhelm II. demonstrierte, von sechs Söhnen flankiert, die Vitalität des Reiches, die Habsburgerin Elisabeth, uns zumindest als Kinolegende Sissy in Erinnerung, hatte sich zur angeblich
Male.r Franz Ferch versuchte, mit dem
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schönsten Monarchin der Welt durchgehungert, Paris baute zur Weltausstellung von 1889 das damalige Weltwunder Eiffelturm - höher als alles, was die moderne Welt bis dahin zu bieten hatte. Das wird auch im Banat nicht ohne Wirkung geblieben sein und dürfte die Idee einer Gewerbeausstellung in [[Cărpiniș|Gertianosch]] nicht nur am Rande mitbestimmt haben. Zumindest im eigenen Landkreis wollte man schon gesehen werden mit gutem Getreide, bestem Vieh, gediegenen Handwerkererzeugnissen, mit der Handarbeitskunst der Bäuerinnen und - mit [[Stefan Jäger]]s monumentalem [[WK:0376|Einwanderungsbild]]. Glaubt man Meyers Konversationslexikon von 1894, in dem vermerkt wird: „Es hat Ausstellungen gegeben, deren Wert kein anderer war als der eines Jahrmrktes", so konnte sich [[Cărpiniș|Gertianosch]] 1910 mit seiner Ausstellung auf der Banater Heide gut sehen lassen. Tausende kamen, staunten und feierten alles mit, was es zu feiern gab. Die Ortsgruppe des Bauernvereins und der Handels- und Gewerbeverein feierten gleich zwei Fahnenweihen, Ehrenurkunden wurden an Handwerker und Landwirte verliehen, man rief ausgiebig Eljen, gab sich und war vaterländisch und sah sich bestätigt, als Abt-Domherr Franz Blaskowitsch in Anwesenheit des Abgeordneten Julius Hody zur Enthüllung des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] seine Anerkennung aussprach und seinen Segen erteilte. Erwartet worden war, wie Matz Hoffmann berichtet, auch Minister Appony aus [[Budapest]], der aber aus politischen Gründen der Veranstaltung fern blieb. Angeblich war es auch den örtlichen Behörden verboten, in amtlicher Eigenschaft an der Enthüllungsfeier des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] teilzunehmen. So beiläufig. wie von uns heute vielleicht angenommen, scheint der Pfingstsonntag 1910 in [[Cărpiniș|Gertianosch]] doch nicht gewesen zu sein.<br/>
Triptychon . Das Gebet der Ahnen' und
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Es wurde auch fotografiert. Lehrer [[Simon Kreppel]] hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder mit Familienangehörigen und dem Maler [[Stefan Jäger]] in der Mitte. Auf der Rückseite des Erinnerungsfotos hat Lehrer Kreppel kurze Bemerkungen zum Ereignis notiert - auf Ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen Patrioten gehörte. Deswegen muss er kein schlechter Landsmann gewesen sein, es zeigt aber, wie das, was wir Identität nennen, durchaus unterschiedlich auslegbar sein kann. Die Identität der Schwaben in [[Cărpiniș|Gertianosch]] litt nicht unter einer deutschungarischen Gegensätzlichkeit, obwohl doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich bewusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch wollte man schon sein. Da fällt es auf, dass auf [[Stefan Jäger|Jägers]] [[WK:0376|Einwanderungsbild]] nichts Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt - neben den dargestellten Einwanderern ist als einzige andere Figur lediglich ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt, der im dritten Teil des Gemäldes den Neuankömmlingen die Häuser zuweist. Ein Ungar ist es nicht.<br/>
seiner groß angelegten Komposition „Das
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Es ist nicht anzunehmen, dass [[Stefan Jäger]] damit eine politische Haltung sichtbar machen wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893 und 1899 über [[Szeged|Szegedin]] und [[Budapest]] lief, auf einer Schiene, die ungarischer nicht sein konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich, Deutschland und Italien diente so gut wie ausschließlich der künstlerischen
Lagerfeuer" an Jägers Erfolg anzuknüpfen.
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Fortbildung, dem universellen Gedanken in der Kunst, in den die ungarische Welt eingebunden war. Dennoch ist festzuhalten, dass sich ihm in der Konzeption des [[WK:0376|Einwanderungsbildes]] das ungarische Element nicht aufdrängte. Es fand in seiner Bildidee keinen Platz, doch war [[Stefan Jäger]] zu unpolitisch, um dahinter eine Gegenposition erkennen zu wollen. Wahrscheinlich folgte er damit einer rein malerischen Intuition, die keine politische Auslegung zulässt.<br/>
Vergeblich .
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Wir dürfen annehmen, dass im Weltverständnis und in der Kunst [[Stefan Jäger]]s das Politische kaum vorkommt und somit alle Versuche, den Meister so oder anders zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt sein müssen. In seiner Jäger-Studie von 1970 berichtet [[Franz Liebhard]], durchaus um die
Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist
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zeitgemäße sozialistische Einordnung des Künstlers bemüht: "Der hochbetagte Meister schüttelte staunend das Haupt, wenn er vernahm, dass nach Zusammenhängen gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche liegen, sondern darunter." Es ging damals, am Vorabend von [[Stefan Jäger|Jägers]] 80. Geburtstag, um dessen bevorstehende Auszeichnung mit dem Arbeitsorden II. Klasse, für die eben das künstlerische Werk an sich nicht genügte, wenn es nicht klassenkämpferisch zugeordnet werden konnte. [[Franz Liebhard]] hat das mit einiger Eleganz zurechtgebogen, um nicht zu sagen verzerrt und damit
es seine Monumentalität, die Meisterschaft
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[[Stefan Jäger]] in gewissem Sinn sozialistisch hoffähig gemacht. Dieser hat den Orden erhalten und durfte ihn zum Sonntagsanzug - was geschehen ist - mit ruhigem Gewissen tragen für ein Werk, das nun auch, möglicherweise von der falschen Seite, anerkannt worden war. Deportationen, Enteignungen
der Dars tellung oder haben doch eher seine
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und Schauprozesse hatten bei den Banater Schwaben tiefe Verunsicherungen hinterlassen und sie in ihrer Würde verletzt. Ihre Zukunft war mehr als ungewiss. Dennoch wäre [[Stefan Jäger|Jägers]] Auszeichnung als praktiziertes sozialistisches Demokratieverständnis zu werten, das freilich ohne Kern und somit auch unvermittelbar geblieben ist. [[Stefan Jäger|Jäger]] selbst hat es eine Rente von monatlich 800 Lei eingebracht, das war mehr als seine Landsleute in den fünfziger Jahren durchschnittlich verdient haben. Er genoss im Sozialismus die Gnade des Alters, und es mag nichts anderes als der Pragmatismus der Diktatur gewesen sein, die ihn und sein Werk unbeschadet ließen. Gewandelt hat es ihn nicht, und es ist nicht einzusehen, warum er uns
Verehrer und Mittelsmänner - die Manag~
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mit achtzig als hungernder Maler bedeutender sein müsste.<br/>
wie wir heute sagen wiirden - den Erfolg bewirkt
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Es war hingegen keine weltabgewandte Naivität, die den Künstler unpolitisch bleiben ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des Herzens, mit der [[Stefan Jäger|Jäger]] es verstanden hat, das Tagesgeschehen zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer schwer. Bitte, das waren seine Bilder, und sie waren und sind alles andere als verschlüsselt. Er meint nicht, sie auslegen zu müssen. In einem handschriftlichen biografischen Abriss schreibt er: "Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen."<br/>
und ihn veifestigt? Von jedem wohl
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Das sollte eigentlich genügen. Wer· mehr hineinzureden sich abmüht, redet an [[Stefan Jäger|Jäger]] vorbei und wird ihn seinen Landsleuten entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten Versuchen zur Politisierung des künstlerischen Werkes von [[Stefan Jäger]]. Die deutsche Volksgruppe in Rumänien wollte in ihm den Streiter eines ewigen deutschen Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten
wird etwas dabei sein und jedes verdient gesondert
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des kleinen Mannes. Das eine ist so unangebracht wie das andere, und es könnte leicht sein, dass wir uns heute in unserer konsumorientierten Gesellschaft als nicht weniger leichtfertig erweisen, wenn wir das Jäger'sche Werk auf die Formel von Markt und Ware bringen wollten. Gewiss - [[Stefan Jäger]] malte, was gefiel und bestellt wurde, auch wenn ihn die oft damit verbundenen Auflagen - etwa den Hühnerhof genau so "wie bei Nochbersch Resi" und nicht anders zu malen - verstimmten. Es bleibt indessen sein Verdienst, den Banater schwäbischen Bauern die Freude am echten, originalen Kunstwerk vermittelt zu haben, für das sie - was so selbstverständlich nicht gewesen ist - Geld auszugeben bereit waren. Das Banat und die Batschka waren, wie [[Stefan Jäger|Jäger]] in seinen autobiografischen Aufzeichnungen vermerkt, um 1900 herum „mit reisenden Bilderhändlern überflutet, die mit Dutzendbildein ihre Geschäfte machten ... Ich habe mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen Trachten, die landschaftlichen Stimmungen, Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten und im Alltagsleben darzustellen". Er hat mit diesem Grundsatz, über die Freude am schönen Bild hinaus, bildungsfördernd
unsere Aufmerksamkeit. Auch hier
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gewirkt und erheblich, wenn auch wohl nicht vorsätzlich, zur Identitätsfindung seiner Landsleute beigetragen.<br/>
jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige
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Immer wieder finden wir die Identität politisch ausgedeutet und mit ideologischen Ambitionen vermengt. Sie ist aber vorrangig eine kulturelle Erscheinungsform, die sich in der Tradition, im Volksgut und in der Sprache äußert und erhält. In diesem Sinne sind die zahllosen Genre-Bilder [[Stefan
Werk in der richtigen Zeit war.
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Jäger]]s, ihre Verbreitung und anhaltende Beliebtheit, ganz gewiss identitätsstiftend gewesen, und zwar in weit höherem Maße als das monumentale [[WK:0376|Einwanderungsbild]], das ja nicht aus dem Alltag gegriffen war, sondern eine zur Legende ausgewachsene historische Erinnerung zur Vorlage hatte. Es markiert allerdings den entscheidenden kreativen Ansatz des Künstlers [[Stefan Jäger]], und wir dürfen davon ausgehen, dass dieser ohne das [[WK:0376|Einwanderungsbild]] wohl kaum der "Schwabenmaler" geworden wäre, als den wir ihn heute verehren.<br/>
Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie
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Wie andere auch, so haben auch wir Banater Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten. Zur Zeit der Einwanderung waren wir ein aus vielen deutschen Landschaften zusammengewürfeltes buntes Völkchen, das recht unterschiedliche Mundarten sprach und zudem von Franzosen aus Lothringen
im Banat aus?
+
und Italienern aus dem Friaul durchsetzt war. Wer aus dem Elsass kam, war dem Odenwälder ebenso fremd wie der Pfälzer dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler war regional geprägt und blieb es, bis die Erinnerung an die heimatliche Landschaft im Reich den konkreten Bezug weitgehend verloren hatte und von der Wahrnehmung einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst worden war, die zunächst noch am ehesten von den eingesessenen Völkern, vornehmlich von den Ungarn, erkannt und benannt worden war. Sie differenzierten die Zuwanderer nicht regional, sondern haben uns zusammenfassend
Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldsehers
+
als Schwaben bezeichnet, die wir wohl oder übel geblieben sind. Die alten Straßen- und Ortsnamen in unseren Dörfern aber - die Lothringer- oder die Pfälzer Gass, Steierdorf im Banater Bergland oder das Dorf Tirol zeigen, wie bemüht die deutschen Siedler waren, ihre „wahre" Identitität weder zu vergessen noch zu verleugnen. Ähnlich, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, wurden nach der Vertreibung die Namen der Banater Heimatgemeinden
Franz Jäger und seiner Frau Magdalena
+
auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen übertragen, zur Erinnerung an die alte Heimat. Allein - die Identität ist damit nicht gewährleistet. Spätestens in der dritten Generation sind wir weitgehend aufgegangen im bayrischen, württembergischen oder rheinländischen Umfeld, wechseln dabei den Dialekt und tauschen die Feste aus. Wir passen uns an. Wie unsere Vorfaluen auch. An die Franzosen und Italiener der Siedlungszeit erinnerten drei Generationen
Schuler in der Gemeinde Tschene geboren,
+
später nur noch die Familiennamen - auch sie der deutschen Rechtschreibung recht mutwillig unterordnet, und aus Elsässern, Pfälzern und Sauerländern sind die Banater Schwaben hervorgegangen, wenn man so will, als eigenartiges, nicht wiederholbares deutsch-deutsches Konglomerat.<br/>
war Stefan Jägers Welt das aufstrebende
+
Die Identität muss übrigens nicht immer als erhebend empfunden werden und nicht immer auszeichnen. Unter anderen sind es immer wieder die Künstler und Literaten, die mit ihrer Identität geradezu kollidieren. Die Aktionsgruppe Banat trat offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe oder Heimattreue verstehen, und die ebenso vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet geradezu an ihrer Identität. Wir sollten das nicht zusätzlich dramatisieren, denn es ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas Mann, Klabund, Brecht, Francois Villon, Marlene Dietrich und viele andere machten
Bürgertum der Jahrhundertwende, die sich
+
sich heimatlich unbeliebt, weil sie, zumindest in Teilbereichen, anderer Meinung waren und sich, anders als gewünscht, verhielten. Zur Identität, so ist zu sehen, gehören auch die Gegensätze, und da wird es nicht viel nützen, dass wir sie gern anders hätten. Wir sollten uns fürs Ganze entscheiden, und es als gegeben annehmen.<br/>
als GründeJLeit definierte, als eine Art fortschrittliche1
+
Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität am ehesten im Vergleich mit anderen. Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit den Ungarn, den Rumänen oder Serben - um das zu wissen, reicht ein Blick über die Schulter zu den Siebenbürger Sachsen. Kein Zweifel - wir sind anders, ganz abgesehen davon, dass wir katholisch sind. Das kostet uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist gut so. Aber auch die Religion stiftet Identität, und wir sehen, dass diese ebenso trennt wie eint. Kroaten und Serben können uns dabei einfallen, Flamen und Holländer, aber auch die unierten Rumänen oder, ins Globale verlagert, die Schiiten und Sunniten im Orient usw. usw.<br/>
· Wohlstands-Gesellschaft begriff
+
Wir haben erlebt, wie die Teilung des Banats nach dem Ersten Weltkrieg zu unterschiedlichen Entwicklungen bei den Banater Schwaben in Rumänien und Jugoslawien geführt hat, und heute sind eigenständige Entwicklungen bei unseren Landsleuten in den USA, in Kanada oder in Brasilien zu sehen, die sich unterschiedlichen Anforderungen stellen müssen und unterschiedlich landsmannschaftlich einzubinden sind. Das Haus der Donauschwaben in Sindelfingen - es nennt sich gern Welthaus der Donauschwaben - stellt sich der Aufgabe eines Dachverbands, der Gemeinsamkeiten auszuloten und Besonderheiten zu berücksichtigen hat, eine Zielvorgabe ausarbeitet und koordiniert.<br/>
und in der sogenannten Belle Epoque
+
Was uns bei aller Unterschiedlichkeit einigermaßen zusammenhält, sind die verlorene Banater Heimat und der, damit verbundene Mythos, zusammengefasst in dem schönen Einwandererspruch: Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot. Etwas davon finden wir in [[Stefan Jäger]]s Triptychon eingearbeitet: den Drang und die Bereitschaft, im Banat Heimat zu finden und ihr unser Gesicht zu geben. [[Adam
nicht nur in Frankreich den Sinn für das Dekorative
+
Müller-Guttenbrunn]] lässt uns in seiner viel zitierten Hymne das Land anders in Besitz nehmen, "und wo des Schwaben Pflug das Land durchschnitten, wird deutsch die Erde, und er weicht nicht mehr", dichtet er. Wir aber wissen, das Unvorstellbare ist geschehen, wir sind gewichen und haben die
entwickelte und übei-steigerte. Die
+
„Heimat, deutschen Schweißes stolze Blüte" aufgegeben und anderen überlassen oder überlassen müssen.br/>
Industrie veränderte die Welt, alles schien
+
[[Stefan Jäger]]s [[WK:0376|Einwanderungsbild]] präsentiert kein Heldenepos. Es ist ein künstlerisch ausgereifter Bericht über das Ereignis der Einwanderung. Der Künstler heroisiert nicht - er zeigt, wie wir Heimat finden, und dass es ein eher fragwürdiges Glück gewesen sein mochte, das die deutschen Auswanderer in Ungarn vorgefunden hatten. Denken wir daran, wie naheliegend es doch für den Künstler gewesen sein dürfte, zum Beispiel
machbar: Die Titanik wurde gewagt und gebaut,
+
ein Triptychon mit den Einzelteilen „Eroberung des Banats", "Rodung der Wildnis" und "Triumph der Ernte" zu gestalten, so muss uns [[Stefan Jäger]]s eher zurückhaltende Variante über unsere Ankunft in der fremde mit Dank erfüllen. Nichts Belastendes haftet dem Bild an, es ist frei von jeder großen
die europäischen Hauptstädte trugen
+
Geste und von jeder Überheblichkeit. Es ist bemerkenswert, dass spätere, sich einer triumphalen Darstellung annähernde Varianten bei den Banater Schwaben nie eine mit dem [[WK:0376|Einwanderungsbild]] vergleichbare Aufnahme gefunden haben. Das dürfen wir uns gut schreiben, dass wir mit Herz und Sinn immer für dieses Monumentalwerk [[Stefan Jäger]]s gestimmt haben. Wir wollen es bewahren, denn es ist ein Stück von uns.<br/>
die alten Befes tigungsanlagen um den Stadtkern
 
ab und ersetzten sie mit modernen
 
Prunks t:raßen, die Wirtschaft expandierte,
 
die letzten Teilstücke der kolonialen Welt
 
fanden ihre Herren, und die Kaiser, Könige
 
und Zaren überboten einander mit Paraden
 
und demonstrativer Macht. Europa war das
 
unbestrittene Zentrum der Welt, und nie
 
wieder hat es einen solchen Glanz entfaltet
 
Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren
 
unte1· ihnen, blieben davon nicht unberührt.
 
Als wichtige EITungenschaft der Zeit
 
durchkreuzte die Eisenhalm Heide und Hecke,
 
die Walzmühlen verdrängten Wasser- ,
 
Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung
 
der Landwirtschaft und ihrer Märkte
 
steigerte die P1·eise und brachte das Geld in
 
Umlauf Spai·kassen entstanden, das Groß-
 
Franz Heinz
 
bauerntum etablierte sich neben den traditionellen
 
Grundhen-en, llldil wollte etwas gelten
 
und sich auch entsprechend darstellen.
 
In ganz Europa feierte die His torienmalei·ei
 
Triumphe: Preußens Gl01ia durch.geisterte
 
die Bilderwelt von Adolph Menzel, in Österreich
 
war es Hans Maka.rt, der den ka.isei·lichen
 
Glanz der Zeit künstlerisch festzuhalten
 
vers tand, in Polen Illdlte Johann Matejko
 
das nationale Heldentum, in Ungarn Michael
 
Munkacsy, mit dem vormals schönen
 
deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es
 
bis dahin neben der Kirche und illl'en Würdenträgein
 
die gehobene Beamtenschicht
 
und der, vielleidlt etwas dürftige, Adel, der
 
Aufträge, vornehmlich Porträtaufu:äge an
 
einheimisd1e und zugewanderte Künstler
 
vergalb. Nun drängte das reiche und zunehmend
 
selbstbewusste Bürgeitum nach vorn
 
und wollte nicht weniger, weim aud1 auf andere
 
Weise, repräsentiei·en.
 
Die in den gleid1en Sog geratenen großen
 
Landgemeinden wollten und durften nid1t
 
lldchstehen. Handel und Gewerbe, aber
 
auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit
 
und Weltfreindheit der Dörfer
 
dw·chbrochen und sie mit einen1 neuen
 
Selbstwertgefühl ausgestattet. Das Vei·einswesen
 
blühte, die ausgedienten Militärmusiker
 
gründeten mit Eifer konkunierende
 
Blaskapellen, Männergesangvereine traten
 
auf, und es reiliten sid1 die Feste aneinander:
 
Falmenweilien, Sport- und Sängeifeste,
 
Kathreinhälle, Gewerbeausstellungen. Die
 
ersten Ortsmonografien wurden geschrieben.
 
Begüterte Familien und wendige -
 
manchmal auch windige - Männer fanden
 
odei· erstritten sich iluen Platz in de1· auf
 
strebenden D01fgemeinschaft, häuften Güter
 
und Ämter, machten sich unentbehrlich
 
und verdarben nicht selten an einer Überdosis
 
von Raff- und Geltungssucht.
 
Einer von ihnen war Adam Röser in Gertianosch:
 
Postmeister, Leiter des Schulausschusses,
 
Gründer und Obm.ann des
 
Leichenbestattungsvei·eins, Gründer des
 
Schützenvereins, Direktor dei· ersten Gertianoscher
 
Sp<ukassa-Al::tiengesellschaft und
 
Mitbegründer des Gei·tianosd1ei· Konviktes
 
in Szegedin, Besitzer einer Ziegelei. Er war
 
durch Einheiraten in die begüterte Familie
 
Vuchetics im. benachbarten Tsd1ene reich
 
geworden, galt als tüchtig. gewitzt und ist
 
doch bis zuletzt infolge verlehlter Spekulationen
 
Zc1hlungsunfähig ~vorden. Er war
 
ein Mann der Stunde, mit dein Blick aufs
 
Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so
 
missfällig nicht, dass gerade diesei· umtriebige
 
Adam Röser maßgeblich an der Entstehung
 
des Einwanderungsbildes beteiligt
 
gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig,
 
sein damaliger Buchhalter Jakob Knopf
 
geäußert haben, wie Dr. Peter Pink in seiner
 
Arbeit „Stefan Jäger - ein Banatei· schwäbischer
 
Kunstmaler" berichtet. Zu iluer Ausführung
 
bedurfte es dann doch eines Adam
 
Röser, zumal die Finanzierungsfrage für das
 
Gelingen des Vorhabens entscheidend war.
 
Und groß - das stand von Anfang an fest -
 
musste das Bild schon sein. Größer als groß
 
- monumental.
 
Das passte in die Zeit, die sich im. Repräsentativen
 
gefiel, und es passte in ein groß,
 
vielleicht etwas zu groß gewordenes ungarisches
 
Königreich, das seine neue Glorie
 
probte für sich selbst und auch gegen andei
 
·e Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage
 
bei den benachbarten Slawen und
 
Rumäneil und sogar bei den biederen und
 
landestreuen Banater Schwaben ausgelöst,
 
um nicht zu sagen losgetreten hatte. Adam
 
Müller-Guttenbrunns Heimatromane waren
 
die meistgelesenen Bücher im Banat
 
und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit,
 
der Historil::er Ludwig BarOti-Grünn belegte
 
wissenschaftlid1 Herlamft und Sdllcksal
 
der deutschen Siedler im. Banat, deren Dörfer
 
in Heide und Hecl::e inzwischen zu den
 
ansehnlichsten und wohfüabendsten im.
 
Lande zählten. Die Selbstbesinnung und das
 
Anliegen, auch auf sich selbst hinzuweisen,
 
schien für alle ein Gebot der Zeit zu sein.
 
Dass sich die Banater Schwaben ausgeredmet
 
für ein monumentales Gemälde
 
entsdlleden, überrascht zunächst. Im eigenen
 
regionalen Kultu1verständnis wie in
 
dein dei· anderssprachigell Nachbarn gibt
 
es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende
 
künstlerische Monumentalarbeit
 
hinweisen. Der häusliche Bedarf war
 
im. Wesentlichen auf die Heiligenbilder im
 
Herrgottswinkel beschränkt und wurde
 
von fliegenden Händlern versorgt. Mehr
 
an Kunst war weder nötig noch gewünsd1t.
 
Die gesdlld1tsbild-prägende Funktion der
 
Histo1ienmalerei allerdings war zumindest
 
der gehobenen Sdllcht auf dem Lande so
 
unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer
 
Entscheidung für ein Einwanderungsbild
 
bestärkt haben. Denn es war die legendäre
 
Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische
 
Tat im. Bewusstsein de1· Banatei·
 
Schwaben verankert war, auf die man stolz
 
sein durfte und auf die man hinzuweisen
 
sid1 nicht scheute. Den Malei· dafür meinte
 
man ja im. Banat zu haben, immerhin einen
 
akadeinisch ausgebildeten Kunstmaler, der
 
zur Zeit sein Brot in der ungarischen Hauptstadt
 
verdiente.
 
Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der
 
Bestellung des Kunsthändlers Ahnasy, der
 
seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften
 
und Stillleben belieferte. Gelegent-
 
Hommage an Stefan Jäger
 
liehe Anfragen gleichei· Art aus der Banater
 
Heimat waren auch nicht dazu angetan,
 
Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten,
 
die für ihr wirtschaftliches Deilken
 
und für ilue Sparsamkeit ebenso bekannt
 
wie geachtet waren. Von einem Maler Stefan
 
Jäger wussten damals im Banat nur wellige.
 
Selbst der Heimatdichter Peter Jung will erst
 
nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben,
 
dass der Kunstmaler aus Tschene sich bereits
 
1910 in Hatzfeld niedergelassen hatte.
 
Ohne den Auftrag zum Einwanderungsbild
 
und dessen nachhaltigen Erfolg wäre
 
das wohl nie geschehen und Stefan Jägers
 
künstlerisches Werk hätte wahrscheinlidi
 
eine andere, für uns welliger bedeutende
 
Richtung erhalten. Es bleibt ohne.hin ein
 
kleines Wunder, dass die recht ansehnliche
 
Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere
 
Vermarktung bei den sonst nüchte1n
 
kalkulierenden Schwaben auf der Banater
 
Heide zustande kam. Vergessen •vir nid1t,
 
hierwarviel Geld für etwas auszugeben, von
 
dem die Meisten keine rechte Vorstellung
 
haben konnten und wohl auch nid1t viel
 
gehalten haben mochten. Der Kasinoverein,
 
der Leseverein, der Gewerbeverein und der
 
Bauernverein haben Liedeiabende, Konzerte,
 
Vorträge, Dilettantenvorstellungen und
 
Bälle veranstaltet und die daraus erzielten
 
Überschüsse für das Einwanderungsbild zurückgelegt.
 
Auch direkte Spenden wurden
 
gesammelt, wobei Adam Röser mit gutem
 
Beispiel vorangegangen sein soll.
 
Jäger lieferte recht schnell ein drei Meter
 
langes Bild, das sogenannte . ursprüngliche"
 
Einwanderungsbild, das bereits die uns bekannte
 
Dreiteilung .Wanderung", .Rast",
 
„Ankunft" entllielt, jedoch wegen Mängel in
 
der Darstellung der historischen Trachten
 
der Einwanderungszeit beanstandet worden
 
ist. Abhilfe sollte eine Studieiueise des
 
Künstlers nach Deutschland bringen, die auf Betreiben von Johann Waher, Direktor
 
der Gertianoscher Kleinbauernsparkassa,
 
ermöglicht \'lllrde. Der Vorsitzende des Gewerbevereins
 
Anton Gamauf beaufuagte
 
Lehrer Simon Kreppel mit der Durchführung
 
einer neuen Sammelaktion, die diesmal
 
Johann Walzer mit einer Spende von
 
200 Ki·onen eröffuete. Diese zweite Aktion
 
zeigt recht deutlich, wie sehr das Einwanderungsbild
 
ein kollektives Anliegen in Gertianosch
 
gewesen sein muss. Das macht auch
 
die erzielte Summe von 4650 Kronen sichtbar,
 
die damals für den Ankauf von viereinhalb
 
Waggon Weizen ausgereicht hätte . Ein
 
Betrag, der die Spesen der Deutschlandfahrt
 
des Malers erheblich überstieg und ihm als
 
ein durchaus nicht unangemessenes Honorar
 
zugefullen war. Dieses respektable
 
Sammelergebnis nicht zuletzt mag den auf
 
Repräsentation bedachten Adam Röser veranlasst
 
haben, nun ein noch größeres, ein
 
richtiges Monumentalgemälde bei Stefan
 
Jäger in Aufuag zu geben. Es wurde dann,
 
mit den uns bekannten Maßen von 5,100 x
 
1,450 Meter und mehr als So dargestellten
 
Ges talten, das bisher größte Gemälde der
 
Banater Schwaben und wohl auch ihr größtes
 
aller Zeiten. Dass es auch mit Abstand
 
unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem
 
Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit
 
Rösers. Er hatte die Idee, bei
 
de1: Budapester Verlagsgesellschaft Franklin
 
Farbreproduktionen des Einwanderungsbildes
 
in großer Auflage hers tellen zu lassen,
 
die einen guten Absatz fanden, von d essen
 
Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet
 
wird, nur ein geringer Teil zufloss.
 
Der besondere Auftrag - ein solcher war
 
es wohl - traf den damals noch nicht dreißigjährigen
 
Künstler fachlich nicht unvorbereitet.
 
In Budapest hatte er bei dem aus
 
Klausenburg stammenden Professor Szelcely
 
Bertalan Malerei studiert - einem in seiner
 
Zeit viel beachteten Meister g:rnßformatiger
 
his torischer Gemälde. Das mag Stefan Jäger
 
die Sicherheit gegeben haben, den Gertianoscher
 
Aufu·ag in der Zuversicht einer
 
guten Ausführung angenommen zu haben.
 
Die Ateliergeschichte des Einwanderungsbildes
 
wä1·e eine Abhandlung für sich und
 
umschließt eine Fülle von Angaben über
 
zahlreiche Skizzen zum Bild, über Trachtenstudien,
 
zum sogenannten . ursprünglichen
 
Einwanderungsbild" bis hin zu später
 
ausgeführten Varianten. Darüber kann in
 
den Veröffentlichungen von Dr. Peter Pink,
 
Dr. Matz Hoffmann, Franz Liebhard, Annemarie
 
Podlipny-Hehn und Karl-Hans Gross
 
(der eine 4 50 Seiten starke Monografie über
 
den Hatzfelder Schwabenmaler veröffentlichte)
 
nachgelesen werden. Stefan Jäger ist
 
es gelungen, in drei Jahren ein malerisch,
 
kompositorisch und historisch überzeugendes
 
Wei·k zu gestalten, das hundert Jahre
 
später zumindest bei seinen deutschen
 
Landsleuten nichts von seiner Attraktivität
 
eingebüßt hat. Annemarie Podlipny-Helm
 
ve1weist in ihrer 1972 im Bukarester Kriterion
 
Verlag heiausgegebenen Monografie
 
„Stefan Jäger" auf „die gesdnckte Verteilung
 
und Gruppierung der Figuren" hin, auf „das
 
Gleichgewicht der Komposition", sie hebt die
 
sowohl zeichnerisch wie malerisch erzielte
 
perspektivische Wirkung des Bildes hervor
 
und die sorgfältige Farbgebung. Und Franz
 
Liebhard betrachtet in seiner 1970 gleichfalls
 
bei Ki·iterion erschienenen Studie über
 
den „Sclnvabenmaler Stefan Jäger" das Einwanderungsbild
 
als dessen Hauptwerk.
 
Tatsädilich hat es sein künstlerisches Werk
 
neu orientiert. Der Gertianoscher Erfolg
 
hatte Jäger einen Themenbereich eröffuet,
 
der auf ihn zugeschnitten war und zum Inhalt
 
seines Maierlebens werden sollte. Mehr
 
noch als in den vielen Hunderten Aquarellen
 
aus dem Banater Volksleben sind es die
 
147
 
ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag
 
und zur Aibeitswelt, die zeigen, mit welcher
 
Sorgfalt und Hingabe der Hatzfelder
 
Meister sich des erkannten und gewählten
 
künstlerischen Lebenstl1einas angenommen
 
hat. Was ihn letzthin zum .Schwabenmaler"
 
werden ließ, ist die tiefe Verinnerlichung
 
und künstlerische Umsetzung der heimatlichen
 
Welt, wie sie sich vo1wiegend in der
 
Zwischenkriegszeit wahrgenommen und geäußert
 
hat.
 
Das Ereignis der Enthüllung des Einwanderungsbildes
 
zur Landwirtschafts- und
 
Gewerbeausstellung zu Pfingsten 1910 in
 
Gertianosch ist in die Annalen der Banater
 
Schwaben eingegangen. Ausstellungen waren
 
damals weltweit nicht nur Mode - sie
 
entsprachen dem Repräsentationsbedürfnis
 
von Völke1n und Mächten, Produzenten und
 
Händlein, Herrschern und Kirchen, Wissenschaftlern
 
und Volkserziehern. Die Großen
 
und Mächtigen machten vor, was, auf
 
das jeweilige Maß reduziert, in der Provinz
 
nachgeschneidertwurde. Kaiser Wilhelm II.
 
demonstrierte, von sechs Söhnen flankiert,
 
die Vitalität des Reiches, die Habsburgerin
 
Elisabeth, uns zumindest als Kinolegende
 
Sissy in Erinnerung, hatte sich zur angeblich
 
schönsten Monarchin der Welt durchgehungert,
 
Paris baute zur Weltausstellung von
 
i889 das damalige Weltwunder Eiffelturm
 
- höher als alles, was die moderne Welt bis
 
dahin zu bieten hatte. Das wird auch im Banat
 
nicht ohne Wirl."llllg geblieben sein und
 
dürfte die Idee einer Gewerbeausstellung
 
in Ge1tianosch nid1t nur am Rande mitbestimmt
 
haben. Zumindest im eigenen Landkreis
 
wollte IIldil schon gesehen werden mit
 
gutem Getreide, bestem Vieh, gediegenen
 
Handwerkererzeugnissen, mit der Handarbeitskunst
 
der Bäuerinnen und - mit Stefan
 
Jägers monumentalem Einwanderungsbild.
 
Glaubt man Meyers Konversationslexikon
 
von 1894, in dem vermerkt wird: „Es hat
 
Au sstellungen gegeben, deren Wert kein
 
anderer w.u- als der eines Jahnna.rktes", so
 
konnte sich Gert:ianosch 1910 mit seine1·
 
Ausstellung auf der Banater Heide gut sehen
 
lassen. Tausende kamen, staunten und
 
feierten alles mit, was es zu feiern gab. Die
 
Ortsgruppe des Bauernvereins und der Handels-
 
und Gewerbeverein feierten gleich
 
zwei Fahnenweihen, Ehrenurkunden wurden
 
an Handwerker und Landviirte verliehen,
 
man rief ausgiebig Eljen, gab sich und
 
war vaterländisch und sah sich bestätigt, als
 
Abt-Domherr Franz Blaskowitsch in Anwesenheit
 
des Abgeordneten Julius Hody zur
 
Enthüllung des Einwanderungsbildes seine
 
Anerkennung aussprach und seinen Segen
 
erteilte. Erwartet worden war, wie Matz
 
Hoffinann berichtet, auch Minister Appony
 
aus Budapest, der aber aus politischen
 
Gründen der Veranstaltung fem blieb. Angeblich
 
war es auch den örtlichen Behörden
 
verboten, in amtlicher Eigenschaft an der
 
Enthüllungsfeier des Einwanderungsbildes
 
teilzunehmen. So beiläufig. wie von uns
 
heute vielleicht angenommen, scheint der
 
Pfingstsonntag 1910 in Gertianosch doch
 
nicht gewesen zu sein.
 
Es wurde auch fotografiert. Lehrer Simon
 
Kreppe! hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein
 
Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder
 
mit Familienangehörigen und dem Maler
 
Stefan Jäger in der Mitte. Auf der Rückseite
 
des Erinnerungsfotos hat Lehi·er Kreppe!
 
kurze Bemerl'"llngen zum Ereignis notiert -
 
auf Ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen
 
Patrioten gehörte. Deswegen muss
 
er kein schlechter Landsmann gewesen sein,
 
es zeigt abe1·, wie das, was wir Identität nennen,
 
durchaus unterschiedlich auslegbar
 
sein kann. Die Identität der Schwaben in
 
Gertianosch litt nicht unter einer deutschungarischen
 
Gegensätzlichkeit, obwohl
 
doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass
 
dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich
 
be\-vusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch
 
wollte man schon sein. Da fällt es auf,
 
dass auf Jägers Einwanderungsbild nichts
 
Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt
 
- neben den dargestellten Einwanderern
 
ist als einzige andere Figur lediglich
 
ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt,
 
der im dritten Teil des Gemäldes den
 
Neuankömmlingen die Häuser zuweist. Ein
 
Ungar ist es nicht.
 
Es ist nicht anzunehmen, dass Stefan Jäger
 
damit eine politische Haltung sichtbar machen
 
wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn
 
dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal
 
sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893
 
und 1899 über Szegedin und Budapest lief,
 
auf e.iner Schiene, die ungarischer nid1t sein
 
konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich,
 
Deutsdiland und Italien diente so
 
gut wie ausschließlich der künstlerischen
 
Fortbildung, dem universellen Gedanken in
 
der Kunst, in den die ungarische Welt eingebunden
 
war. Dennoch ist festzuhalten,
 
dass sich ihm in der Konzeption des Einwanderungsbildes
 
das ungarische Element
 
nicht aufdrängte. Es fund in seiner Bildidee
 
keinen Platz, dod1 war Stefan Jäger zu unpolitisch,
 
um dahinter eine Gegenposition
 
erkennen zu wollen. Waluscheinlid1 folgte
 
er damit einer rein maleiischen Intuition,
 
die ke.ine politische Auslegung zulässt.
 
Wir dürfen annehmen, dass im Weltverständnis
 
und in der Kunst Stefan Jägei·s
 
das Politische kaum vorkommt und somit
 
alle Versuche, den Meister so oder anders
 
zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt
 
sein müssei1. In seiner Jäger-Studie von 1970
 
berichtet Franz Liebhard, durchaus um die
 
zeitgemäße sozialistische Einordnung des
 
Künstlers bemüht: .Der hochbetagte Meis-
 
Hommage an Stefan Jäger
 
ter schüttelte staunend das Haupt, wenn
 
er vernahm, dass nach Zusammenhängen
 
gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche
 
liegen, sondern darunter.Es ging damals,
 
am Vorabend von Jägers So. Geburtstag, um
 
dessen bevorstehende Auszeidmung mit
 
dem Arbeitsorden II. Klasse, für die eben
 
das künstlerische Werk an sich nicht genügte,
 
wenn es nidit klassellkämpferisd1
 
zugemdnet werden konnte. Franz Liebhard
 
hat das mit einiger Eleganz zurechtgebogen,
 
um nicht zu sagen verzerrt und damit
 
Stefan Jäger in gewissem Sinn sozialistisch
 
hoffähig gemacht. Dieser hat den Orden erhalten
 
und durfte ihn zum Sonntagsanzugwas
 
gesd1ehen ist - mit ruhigem Gewissen
 
tragen für ein We1·k, das nun auch, möglicherweise
 
von der falschen Seite, anerkannt
 
worden wai·. Deportationen, Enteignungen
 
und Schauprozesse hatten bei den Banater
 
Schwaben tiefe Verunsicherungen hinte1·lassen
 
und sie in ilirer Würde verletzt. Ihre Zukunft
 
war melu als ungewiss. Dennoch wäre
 
Jägers Auszeidmung als praktiziertes sozialistisd1es
 
Demokratieverständnis zu werten,
 
das freilich ohne Kern und somit auch
 
unvermittelbar geblieben ist. Jäger selbst
 
hat es eine Rente von monatlich 800 Lei eingebracht,
 
das war mehi· als seine Landsleute
 
in den fünfziger Jalrren durchschnittlich
 
verdient haben. Er genoss im Sozialismus
 
die Gnade des Alters, und es mag nichts
 
anderes als der Pragmatismus der Diktatur
 
gewesen sein, die ihn und sein Werk unbeschadet
 
ließen. Gewandelt hat es ilin nicht,
 
und es ist nicht einzusehen, warum er uns
 
mit achtzig als hungernder Maler bedeutender
 
sein müsste.
 
Es war hingegen keine weltabgewandte Naivität,
 
die den Künstler unpolitisch bleiben
 
ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des
 
HerzellS, mit der Jäger es verstanden hat, das
 
Tagesgeschehen zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer
 
schwer. Bitte, das waren seine Bilde:i; und
 
sie waren und sind alles andere als verschlüsselt.
 
Er meint nicht, sie auslegen zu müssen.
 
In einem handschriftlid1.en biografischen Abriss
 
schreibt er: „Meine malerische Tatigkeit
 
war hauptsädilich dahin gerichtet, meinen
 
Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder
 
in leicht verständlicher Form, mit Motiven
 
aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften
 
zugänglich zu machen."
 
Das sollte eigentlich genügen. Wei· melu·
 
hineinzureden sich abmüht, redet an Jäger
 
vorbei und wird ihn seinen Landsleuten
 
entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten
 
Vei·suchen zur Politisierung des
 
künstlerischen Werkes von Stefan Jäger. Die
 
deutsche Volksgrnppe in Rumänien wollte
 
in ihm den Streiter eines ewigen deutschen
 
Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden
 
Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten
 
des kleinen Mannes. Das eine ist so
 
unangebracht wie das andere, und es könnte
 
leicht sein, dass wir uns heute in unsere1·
 
konsumorientiei·ten Gesellschaft als nicht
 
weniger leidltfertig erweisen, wenn wir das
 
Jäger'sche Werk auf die Formel von Mai·kt
 
und Ware bringen wollten. Gewiss - Stefan
 
Jäger malte, was gefiel und bes tellt wm·de,
 
auch wenn ihn die oft dainit verbundenen
 
Auflagen - etwa den Hühnei·hof gen.au so
 
„wie bei Nochbersch Resi" und nid'lt anders
 
zu malen - verstimmten. Es bleibt ind essen
 
sein Verdienst, den Banater schwäbisd1en
 
Bauern die Freude am echten, originalen
 
Kunstwerk vel'Dlittelt zu haben, für das sie
 
- was so selbstverständlich nicht gewesen
 
ist - Geld auszugeben bereit waren. Das
 
Banat und die Batsdika waren, wie Jäger in
 
seinen autobiografischen Aufzeichnungen
 
vein1.e1.·kt, um 1900 herum „mit reisenden
 
Bilderhändlern überflutet, die mit Dutzendbildein
 
ilue Geschäfte machten ... Ich habe
 
mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen
 
Trachten, die landsdiaftlichen Stimmungen,
 
Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten
 
und im Alltagsleben dai-zustellen". Er
 
hat mit diesem Grundsatz, über die Freude
 
am schönen Bild hinaus, bild ungsfördernd
 
gewirkt und erheblich, wenn auch wohl
 
nicht vorsätzlich, zur Identitätsfindung seiner
 
Landsleute beigetragen.
 
Immer wieder finden wir die Identität politisd'I.
 
ausgedeutet und mit ideologischen
 
Ambitionen vermengt. Sie ist aber vorrangig
 
eine kulturelle Erscheinungsform, die
 
sich in der Tradition, im Volksgut und in
 
der Sprache äußert und e1·hält. In diesem
 
Sinne sind die zalillosen Genre-Bildei· Stefan
 
Jägers, ilue Verbreitung und anhaltende
 
Beliebtheit, ganz gewiss identitätsstiftend
 
gewesen, und zwar in weit höherem Maße
 
als das monumentale Einwanderungsbild,
 
das ja nicht aus dem Alltag gegriffen war,
 
sondern eine zur Legende ausgewachsene
 
historisd1.e Erinnerung zur Vorlage hatte.
 
Es markiei1: allerdings den entscheidenden
 
kreativen Ansatz des Künstlers Stefan Jäger,
 
und wir dürfen davon ausgehen, dass dieser
 
ohne das Einwanderungsbild wohl kaum
 
der .Schwabenmaler" geworden wäre, als
 
den wir ihn heutevei·ehren.
 
Wie andere auch, so haben auch wir Banatei·
 
Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten.
 
Zur Zeit der Einwandeiung waren
 
wir ein aus vielen deutschen Landschaften
 
zusaD'lll'l.engewürfeltes buntes Völkchen,
 
das recht unterschiedliche Mundarten
 
sprach und zudem von F1-anzosen aus Lothringen
 
und Italienern aus deni Friaul durchsetzt
 
war. We1· aus dein Elsass kam, war dem
 
Odenwälder ebel.'l.So fremd wie der Pfälzer
 
dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler
 
war regional geprägt und blieb es, bis die
 
Erinnerung an die heimatliche Landschaft
 
149
 
im Reich den konkreten Bezug weitgehend
 
veifo1-en hatte und von der Walunehmung
 
einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst
 
worden war, die zunächst noch am ehesten
 
von den eingesessenen Völkern, vornelunlich
 
von den Ungarn, erkannt und !benannt
 
worden war. Sie differenzierten die Zuwande1
 
·er nicht regional, sondern haben uns zusammenfassend
 
als Schwaben bez.eidmet,
 
die wir wohl oder übel geblieben sind. Die
 
alten Sb·aßen- und Ortsnamen in unseren
 
Dörfern abe1· - die Lotl'lringer- oder die Pfälzer
 
Gass, Steierdorf im Banater Bergland
 
oder das Dorf Tirol zeigen, wie bemüht die
 
deutsd'len Siedler waren, ihre „wahre" Identitität
 
weder zu vergessen noch zu verleugnen.
 
Ähnlich, wenn aud'I. mit umgekehrten
 
Vorzeid'l.en, WUI'den nach dei· Vertreibung
 
die Namen der Banater Heimatgemeinden
 
auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen
 
übertragen, zur Erinneiung an die alte Heimat
 
Allein - die Identität ist dainit nid'lt
 
gewäluleistet. Spätestens in der dritten Generation
 
sind wir weitgehend aufgegangen
 
im bayrischen, württembergischen odei·
 
rheinländischen Umfeld, wechseln dabei
 
den Dialekt und tauschen die Feste aus.
 
Wir passen uns an. Wie unsere Vorfaluen
 
auch. An die Franzosen und Italiener der
 
Siedlungszeit erinnerten drei Generationen
 
später nur noch die Familiel.ll'laIOen - auch
 
sie der deutschen Rechtschreibung redit
 
mutwillig unterordnet, und aus Elsässein,
 
Pfälzern und Sauei·ländern sind die Banatei·
 
Schwaben he:iv orgegangen, wenn man so
 
will, als eigenai1:iges, nicht wiederholbai·es
 
deutsd'l.-deutsches Konglomerat.
 
Die Identität muss übrigens nicht immer
 
als erhebend empfunden werden und nid'lt
 
immer auszeidmen. Unter anderen sind es
 
immer wieder die Künstler und Literaten,
 
die mit ihrer Identität geradezu kollidiei·en.
 
Die Aktionsgruppe Banat b·at offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe
 
oder Heimatti·eue verstehen, und die ebenso
 
vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet
 
geradezu an ihrer Identität. Wir sollten
 
das nicht zusätzlich dramatisieren, denn es
 
ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas
 
Mann, Klabund, Brecht, Francois Villon,
 
Marlene Dietrich und viele andere ma.chten
 
sich heimatlich unbeliebt, weil sie, zumindest
 
in Teilbereichen, anderer Meinung waren
 
und sich, anders als gewünscht, vex·hielten.
 
Zur Identität, so ist zu sehen, gehören
 
auch die Gegensätze, und da wird es nicht
 
viel nützen, dass wir sie ge1n anders hätten.
 
Wh: sollten uns fürs Ganze entscheiden, und
 
es als gegeben annehmen.
 
Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität
 
am eh esten im Vergleich mit anderen.
 
Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit
 
den Ungarn, den Rumänen oder Serben -
 
um das zu wissen, reicht ein Blick über die
 
Schulter zu den Siebenbürger Sachsen.. Kein
 
Zweifel - wir sind anders, ganz abgesehen
 
davon, dass wir katholisch sind. Das kostet
 
uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist
 
gut so. Aber auch die Religion stiftet Identität,
 
und wir sehen, dass diese ebenso trennt
 
wie eint. Kroaten und Serben können uns
 
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==PDF-Datei des Artikels==
 
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Version vom 4. Februar 2016, 11:50 Uhr


Bibliografie
Artikel Nummer: 0923
Autor Name: Franz Heinz
Titel des Artikels : Ein Stück von uns
Untertitel des Artikels: Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben
Publikation: Ausstellungskatalog
Titel der Publikation: Hommage an Stefan Jäger
Untertitel der Publikation: Katalog zur Ausstellung und zum Symposium
Herausgeber: Hilfswerk der Banater Schwaben
Druckerei: diedruckerei.de
Erscheinungsort: Ingolstadt
Jahr: 2012
Seite: 145-150
* [[Franz Heinz]]: [[ART:0923 - Ein Stück von uns|<i>Ein Stück von uns</i>. Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben]]. Hommage an Stefan Jäger. Hilfswerk der Banater Schwaben, Ingolstadt 2012

Stefan Jägers Einwanderungsbild und die Identität der Banater Schwaben

Es ist unser Bild. Kein anderes ist so verbreitet bei den Banater Schwaben, kein anderes hat so viel Beachtung und Zustimmung gefunden wie Stefan Jägers Triptychon "Die Einwanderung der Schwaben ins Banat" - korrekter wohl „der Deutschen", wie es ursprünglich auch bezeichnet worden ist. Es waren ja nicht vorwiegend Schwaben, die das Banat besiedelt und kultiviert haben, sondern Deutsche aus den südwestlichen Landschaften und aus anderen Gebieten des Reiches. Es ist unser Bild. Kein anderes Siedlungsgebiet in Südosteuropa hat Vergleichbares vorzuzeigen, und auch unsere anderssprachigen Nachbarn - die Rumänen, Ungarn und Serben - verfügen, so weit es mir bekannt ist, nicht über ein in gleichem Maße verallgemeinertes Kunstwerk. Der Erfolg war übrigens nicht wiederholbar. Jäger selbst hat auf Bestellung Repliken seines Monumentalwerkes angefertigt und zum Einwanderungsthema mehrere, inzwischen vergessene, Varianten gemalt. Der zwei Jahrzehnte jüngere Banater Maler Franz Ferch versuchte, mit dem Triptychon "Das Gebet der Ahnen" und seiner groß angelegten Komposition "Das Lagerfeuer" an Jägers Erfolg anzuknüpfen. Vergeblich.
Was ist das Besondere an diesem Bild? Ist es seine Monumentalität, die Meisterschaft der Darstellung oder haben doch eher seine Verehrer und Mittelsmänner - die Manager wie wir heute sagen würden - den Erfolg bewirkt und ihn verfestigt? Von jedem wohl wird etwas dabei sein und jedes verdient gesondert unsere Aufmerksamkeit. Auch hier jedoch gilt die alte Regel, dass es das richtige Werk in der richtigen Zeit war.
Welches war nun diese Zeit, und wie sah sie im Banat aus?
Am 28. Mai 1877 als zweites Kind des Feldschers Franz Jäger und seiner Frau Magdalena Schuler in der Gemeinde Tschene geboren, war Stefan Jägers Welt das aufstrebende Bürgertum der Jahrhundertwende, die sich als Gründerzeit definierte, als eine Art fortschrittlicher Wohlstands-Gesellschaft begriff und in der sogenannten Belle Époque nicht nur in Frankreich den Sinn für das Dekorative entwickelte und übersteigerte. Die Industrie veränderte die Welt, alles schien machbar: Die Titanik wurde gewagt und gebaut, die europäischen Hauptstädte trugen die alten Befestigungsanlagen um den Stadtkern ab und ersetzten sie mit modernen Prunkstraßen, die Wirtschaft expandierte, die letzten Teilstücke der kolonialen Welt fanden ihre Herren, und die Kaiser, Könige und Zaren überboten einander mit Paraden und demonstrativer Macht. Europa war das unbestrittene Zentrum der Welt, und nie wieder hat es einen solchen Glanz entfaltet.
Die Dörfer im Banat, zumindest die größeren unter ihnen, blieben davon nicht unberührt. Als wichtige Errungenschaft der Zeit durchkreuzte die Eisenbahn Heide und Hecke, die Walzmühlen verdrängten Wasser-, Wind- und Rossmühlen, die Kapitalisierung der Landwirtschaft und ihrer Märkte steigerte die Preise und brachte das Geld in Umlauf. Sparkassen entstanden, das Großbauerntum etablierte sich neben den traditionellen Grundherren, man wollte etwas gelten und sich auch entsprechend darstellen. In ganz Europa feierte die Historienmaleirei Triumphe: Preußens Gloria durchgeisterte die Bilderwelt von Adolph Menzel, in Österreich war es Hans Makart, der den kaiserlichen Glanz der Zeit künstlerisch festzuhalten verstand, in Polen malte Johann Matejko das nationale Heldentum, in Ungarn Michael Munkácsy, mit dem vormals schönen deutschen Namen Lieb. Im Banat waren es bis dahin neben der Kirche und ihren Würdenträgern die gehobene Beamtenschicht und der, vielleicht etwas dürftige, Adel, der Aufträge, vornehmlich Porträtaufträge an einheimische und zugewanderte Künstler vergab. Nun drängte das reiche und zunehmend selbstbewusste Bürgertum nach vorn und wollte nicht weniger, wenn auch auf andere Weise, repräsentieren.
Die in den gleichen Sog geratenen großen Landgemeinden wollten und durften nicht nachstehen. Handel und Gewerbe, aber auch das Bildungswesen hatten die Abgeschiedenheit und Weltfremdheit der Dörfer durchbrochen und sie mit einem neuen Selbstwertgefühl ausgestattet. Das Vereinswesen blühte, die ausgedienten Militärmusiker gründeten mit Eifer konkurrierende Blaskapellen, Männergesangvereine traten auf, und es reihten sich die Feste aneinander: Fahnenweihen, Sport- und Sängerfeste, Kathreinbälle, Gewerbeausstellungen. Die ersten Ortsmonografien wurden geschrieben. Begüterte Familien und wendige - manchmal auch windige - Männer fanden oder erstritten sich ihren Platz in der aufstrebenden Dorfgemeinschaft, häuften Güter und Ämter, machten sich unentbehrlich und verdarben nicht selten an einer Überdosis von Raff- und Geltungssucht.
Einer von ihnen war Adam Röser in Gertianosch: Postmeister, Leiter des Schulausschusses, Gründer und Obmann des Leichenbestattungsveireins, Gründer des Schützenvereins, Direktor der· ersten Gertianoscher Sparkassa-Aktiengesellschaft und Mitbegründer des Gertianoscher Konviktes in Szegedin, Besitzer einer Ziegelei. Er war durch Einheiraten in die begüterte Familie Vuchetics im benachbarten Tschene reich geworden, galt als tüchtig. gewitzt und ist doch bis zuletzt infolge verfehlter Spekulationen zahlungsunfähig geworden. Er war ein Mann der Stunde, mit dein Blick aufs Ganze. Es ist so unnatürlich und auch so missfällig nicht, dass gerade dieser umtriebige Adam Röser maßgeblich an der Entstehung des Einwanderungsbildes beteiligt gewesen ist. Die Idee dazu soll, eher beiläufig, sein damaliger Buchhalter Jakob Knopf geäußert haben, wie Dr. Peter Pink in seiner Arbeit „Stefan Jäger - ein Banater schwäbischer Kunstmaler" berichtet. Zu ihrer Ausführung bedurfte es dann doch eines Adam Röser, zumal die Finanzierungsfrage für das Gelingen des Vorhabens entscheidend war. Und groß - das stand von Anfang an fest - musste das Bild schon sein. Größer als groß - monumental.
Das passte in die Zeit, die sich im Repräsentativen gefiel, und es passte in ein groß, vielleicht etwas zu groß gewordenes ungarisches Königreich, das seine neue Glorie probte für sich selbst und auch gegen andere Völker, und so ungewollt eine Identitätsfrage bei den benachbarten Slawen und Rumänen und sogar bei den biederen und landestreuen Banater Schwaben ausgelöst, um nicht zu sagen losgetreten hatte. Adam Müller-Guttenbrunns Heimatromane waren die meistgelesenen Bücher im Banat und hinterließen tiefe Nachdenklichkeit, der Historilker Ludwig Baróti-Grünn belegte wissenschaftlich Herkunft und Schicksal der deutschen Siedler im Banat, deren Dörfer in Heide und Hecke inzwischen zu den ansehnlichsten und wohlhabendsten im Lande zählten. Die Selbstbesinnung und das Anliegen, auch auf sich selbst hinzuweisen, schien für alle ein Gebot der Zeit zu sein.
Dass sich die Banater Schwaben ausgerechnet für ein monumentales Gemälde entschieden, überrascht zunächst. Im eigenen regionalen Kulturverständnis wie in dem der anderssprachigen Nachbarn gibt es kaum Anhaltspunkte, die auf eine identitätsstiftende künstlerische Monumentalarbeit hinweisen. Der häusliche Bedarf war im Wesentlichen auf die Heiligenbilder im Herrgottswinkel beschränkt und wurde von fliegenden Händlern versorgt. Mehr an Kunst war weder nötig noch gewünscht. Die geschitsbild-prägende Funktion der Historienmalerei allerdings war zumindest der gehobenen Schicht auf dem Lande so unbekannt nicht und dürfte diese in ihrer Entscheidung für ein Einwanderungsbild bestärkt haben. Denn es war die legendäre Siedlungsleistung der Ahnen, die als historische Tat im Bewusstsein der Banater Schwaben verankert war, auf die man stolz sein durfte und auf die man hinzuweisen sich nicht scheute. Den Maler dafür meinte man ja im Banat zu haben, immerhin einen akademisch ausgebildeten Kunstmaler, der zur Zeit sein Brot in der ungarischen Hauptstadt verdiente.
Ein dürftiges Brot freilich, abhängig von der Bestellung des Kunsthändlers Almásy, der seine Klientel mit Heiligenbildern, Landschaften und Stillleben belieferte. Gelegentliche Anfragen gleicher Art aus der Banater Heimat waren auch nicht dazu angetan, Großaufträge von den Landsleuten zu erwarten, die für ihr wirtschaftliches Denken und für ihre Sparsamkeit ebenso bekannt wie geachtet waren. Von einem Maler Stefan Jäger wussten damals im Banat nur wenige. Selbst der Heimatdichter Peter Jung will erst nach dem Ersten Weltkrieg erfahren haben, dass der Kunstmaler aus Tschene sich bereits 1910 in Hatzfeld niedergelassen hatte. Ohne den Auftrag zum Einwanderungsbild und dessen nachhaltigen Erfolg wäre das wohl nie geschehen und Stefan Jägers künstlerisches Werk hätte wahrscheinlich eine andere, für uns weniger bedeutende Richtung erhalten. Es bleibt ohnehin ein kleines Wunder, dass die recht ansehnliche Vorfinanzierung des Bildes und dessen spätere Vermarktung bei den sonst nüchtern kalkulierenden Schwaben auf der Banater Heide zustande kam. Vergessen wir nicht, hier war viel Geld für etwas auszugeben, von dem die Meisten keine rechte Vorstellung haben konnten und wohl auch nicht viel gehalten haben mochten. Der Kasinoverein, der Leseverein, der Gewerbeverein und der Bauernverein haben Liederabende, Konzerte, Vorträge, Dilettantenvorstellungen und Bälle veranstaltet und die daraus erzielten Überschüsse für das Einwanderungsbild zurückgelegt. Auch direkte Spenden wurden gesammelt, wobei Adam Röser mit gutem Beispiel vorangegangen sein soll.
Jäger lieferte recht schnell ein drei Meter langes Bild, das sogenannte "ursprüngliche" Einwanderungsbild, das bereits die uns bekannte Dreiteilung "Wanderung", "Rast", "Ankunft" enthielt, jedoch wegen Mängel in der Darstellung der historischen Trachten der Einwanderungszeit beanstandet worden ist. Abhilfe sollte eine Studienreise des Künstlers nach Deutschland bringen, die auf Betreiben von Johann Walzer, Direktor der Gertianoscher Kleinbauernsparkassa, ermöglicht wurde. Der Vorsitzende des Gewerbevereins Anton Gamauf beauftragte Lehrer Simon Kreppel mit der Durchführung einer neuen Sammelaktion, die diesmal Johann Walzer mit einer Spende von 200 Kronen eröffnete. Diese zweite Aktion zeigt recht deutlich, wie sehr das Einwanderungsbild ein kollektives Anliegen in Gertianosch gewesen sein muss. Das macht auch die erzielte Summe von 4650 Kronen sichtbar, die damals für den Ankauf von viereinhalb Waggon Weizen ausgereicht hätte. Ein Betrag, der die Spesen der Deutschlandfahrt des Malers erheblich überstieg und ihm als ein durchaus nicht unangemessenes Honorar zugefallen war. Dieses respektable Sammelergebnis nicht zuletzt mag den auf Repräsentation bedachten Adam Röser veranlasst haben, nun ein noch größeres, ein richtiges Monumentalgemälde bei Stefan Jäger in Auftrag zu geben. Es wurde dann, mit den uns bekannten Maßen von 5,100 x 1,450 Meter und mehr als 80 dargestellten Gestalten, das bisher größte Gemälde der Banater Schwaben und wohl auch ihr größtes aller Zeiten. Dass es auch mit Abstand unser liebstes Bild ist, verdanken wir dem Können des Malers wie auch der Geschäftstüchtigkeit Rösers. Er hatte die Idee, bei der Budapester Verlagsgesellschaft Franklin Farbreproduktionen des Einwanderungsbildes in großer Auflage herstellen zu lassen, die einen guten Absatz fanden, von dessen Erlös dem Künstler diesmal, wie berichtet wird, nur ein geringer Teil zufloss.
Der besondere Auftrag - ein solcher war es wohl - traf den damals noch nicht dreißigjährigen Künstler fachlich nicht unvorbereitet. In Budapest hatte er bei dem aus Klausenburg stammenden Professor Székely Bertalan Malerei studiert - einem in seiner Zeit viel beachteten Meister großformatiger historischer Gemälde. Das mag Stefan Jäger die Sicherheit gegeben haben, den Gertianoscher Auftrag in der Zuversicht einer guten Ausführung angenommen zu haben. Die Ateliergeschichte des Einwanderungsbildes wäre eine Abhandlung für sich und umschließt eine Fülle von Angaben über zahlreiche Skizzen zum Bild, über Trachtenstudien, zum sogenannten "ursprünglichen Einwanderungsbild" bis hin zu später ausgeführten Varianten. Darüber kann in den Veröffentlichungen von Dr. Peter Pink, Dr. Matz Hoffmann, Franz Liebhard, Annemarie Podlipny-Hehn und Karl-Hans Gross (der eine 450 Seiten starke Monografie über den Hatzfelder Schwabenmaler veröffentlichte) nachgelesen werden. Stefan Jäger ist es gelungen, in drei Jahren ein malerisch, kompositorisch und historisch überzeugendes Werk zu gestalten, das hundert Jahre später zumindest bei seinen deutschen Landsleuten nichts von seiner Attraktivität eingebüßt hat. Annemarie Podlipny-Hehn verweist in ihrer 1972 im Bukarester Kriterion Verlag herausgegebenen Monografie „Stefan Jäger" auf "die geschickte Verteilung und Gruppierung der Figuren" hin, auf "das Gleichgewicht der Komposition", sie hebt die sowohl zeichnerisch wie malerisch erzielte perspektivische Wirkung des Bildes hervor und die sorgfältige Farbgebung. Und Franz Liebhard betrachtet in seiner 1970 gleichfalls bei Kriterion erschienenen Studie über den „Schwabenmaler Stefan Jäger" das Einwanderungsbild als dessen Hauptwerk.
Tatsächlich hat es sein künstlerisches Werk neu orientiert. Der Gertianoscher Erfolg hatte Jäger einen Themenbereich eröffnet, der auf ihn zugeschnitten war und zum Inhalt seines Malerlebens werden sollte. Mehr noch als in den vielen Hunderten Aquarellen aus dem Banater Volksleben sind es die ungezählten Skizzen zur Tracht, zum Festtag und zur Arbeitswelt, die zeigen, mit welcher Sorgfalt und Hingabe der Hatzfelder Meister sich des erkannten und gewählten künstlerischen Lebensthemas angenommen hat. Was ihn letzthin zum "Schwabenmaler" werden ließ, ist die tiefe Verinnerlichung und künstlerische Umsetzung der heimatlichen Welt, wie sie sich vorwiegend in der Zwischenkriegszeit wahrgenommen und geäußert hat.
Das Ereignis der Enthüllung des Einwanderungsbildes zur Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung zu Pfingsten 1910 in Gertianosch ist in die Annalen der Banater Schwaben eingegangen. Ausstellungen waren damals weltweit nicht nur Mode - sie entsprachen dem Repräsentationsbedürfnis von Völkern und Mächten, Produzenten und Händlern, Herrschern und Kirchen, Wissenschaftlern und Volkserziehern. Die Großen und Mächtigen machten vor, was, auf das jeweilige Maß reduziert, in der Provinz nachgeschneidert wurde. Kaiser Wilhelm II. demonstrierte, von sechs Söhnen flankiert, die Vitalität des Reiches, die Habsburgerin Elisabeth, uns zumindest als Kinolegende Sissy in Erinnerung, hatte sich zur angeblich schönsten Monarchin der Welt durchgehungert, Paris baute zur Weltausstellung von 1889 das damalige Weltwunder Eiffelturm - höher als alles, was die moderne Welt bis dahin zu bieten hatte. Das wird auch im Banat nicht ohne Wirkung geblieben sein und dürfte die Idee einer Gewerbeausstellung in Gertianosch nicht nur am Rande mitbestimmt haben. Zumindest im eigenen Landkreis wollte man schon gesehen werden mit gutem Getreide, bestem Vieh, gediegenen Handwerkererzeugnissen, mit der Handarbeitskunst der Bäuerinnen und - mit Stefan Jägers monumentalem Einwanderungsbild. Glaubt man Meyers Konversationslexikon von 1894, in dem vermerkt wird: „Es hat Ausstellungen gegeben, deren Wert kein anderer war als der eines Jahrmrktes", so konnte sich Gertianosch 1910 mit seiner Ausstellung auf der Banater Heide gut sehen lassen. Tausende kamen, staunten und feierten alles mit, was es zu feiern gab. Die Ortsgruppe des Bauernvereins und der Handels- und Gewerbeverein feierten gleich zwei Fahnenweihen, Ehrenurkunden wurden an Handwerker und Landwirte verliehen, man rief ausgiebig Eljen, gab sich und war vaterländisch und sah sich bestätigt, als Abt-Domherr Franz Blaskowitsch in Anwesenheit des Abgeordneten Julius Hody zur Enthüllung des Einwanderungsbildes seine Anerkennung aussprach und seinen Segen erteilte. Erwartet worden war, wie Matz Hoffmann berichtet, auch Minister Appony aus Budapest, der aber aus politischen Gründen der Veranstaltung fern blieb. Angeblich war es auch den örtlichen Behörden verboten, in amtlicher Eigenschaft an der Enthüllungsfeier des Einwanderungsbildes teilzunehmen. So beiläufig. wie von uns heute vielleicht angenommen, scheint der Pfingstsonntag 1910 in Gertianosch doch nicht gewesen zu sein.
Es wurde auch fotografiert. Lehrer Simon Kreppel hat eine Aufnahme aufbewahrt, ein Gruppenbild der Gewerbevereinsmitglieder mit Familienangehörigen und dem Maler Stefan Jäger in der Mitte. Auf der Rückseite des Erinnerungsfotos hat Lehrer Kreppel kurze Bemerkungen zum Ereignis notiert - auf Ungarisch, wie es sich für einen schwäbischen Patrioten gehörte. Deswegen muss er kein schlechter Landsmann gewesen sein, es zeigt aber, wie das, was wir Identität nennen, durchaus unterschiedlich auslegbar sein kann. Die Identität der Schwaben in Gertianosch litt nicht unter einer deutschungarischen Gegensätzlichkeit, obwohl doch, aus heutiger Sicht, genügend Anlass dazu bestanden hätte. Zwar sah man sich bewusst in der Reihe der Ahnen, aber ungarisch wollte man schon sein. Da fällt es auf, dass auf Jägers Einwanderungsbild nichts Ungarisches auch nur andeutungsweise vorkommt - neben den dargestellten Einwanderern ist als einzige andere Figur lediglich ein Beamter der Kameralverwaltung dargestellt, der im dritten Teil des Gemäldes den Neuankömmlingen die Häuser zuweist. Ein Ungar ist es nicht.
Es ist nicht anzunehmen, dass Stefan Jäger damit eine politische Haltung sichtbar machen wollte. Sein Verhältnis zu den Ungarn dürfte unbeschwert gewesen sein, zumal sein gesamter Bildungsweg zwischen 1893 und 1899 über Szegedin und Budapest lief, auf einer Schiene, die ungarischer nicht sein konnte. Seine erste Studienreise nach Österreich, Deutschland und Italien diente so gut wie ausschließlich der künstlerischen Fortbildung, dem universellen Gedanken in der Kunst, in den die ungarische Welt eingebunden war. Dennoch ist festzuhalten, dass sich ihm in der Konzeption des Einwanderungsbildes das ungarische Element nicht aufdrängte. Es fand in seiner Bildidee keinen Platz, doch war Stefan Jäger zu unpolitisch, um dahinter eine Gegenposition erkennen zu wollen. Wahrscheinlich folgte er damit einer rein malerischen Intuition, die keine politische Auslegung zulässt.
Wir dürfen annehmen, dass im Weltverständnis und in der Kunst Stefan Jägers das Politische kaum vorkommt und somit alle Versuche, den Meister so oder anders zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt sein müssen. In seiner Jäger-Studie von 1970 berichtet Franz Liebhard, durchaus um die zeitgemäße sozialistische Einordnung des Künstlers bemüht: "Der hochbetagte Meister schüttelte staunend das Haupt, wenn er vernahm, dass nach Zusammenhängen gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche liegen, sondern darunter." Es ging damals, am Vorabend von Jägers 80. Geburtstag, um dessen bevorstehende Auszeichnung mit dem Arbeitsorden II. Klasse, für die eben das künstlerische Werk an sich nicht genügte, wenn es nicht klassenkämpferisch zugeordnet werden konnte. Franz Liebhard hat das mit einiger Eleganz zurechtgebogen, um nicht zu sagen verzerrt und damit Stefan Jäger in gewissem Sinn sozialistisch hoffähig gemacht. Dieser hat den Orden erhalten und durfte ihn zum Sonntagsanzug - was geschehen ist - mit ruhigem Gewissen tragen für ein Werk, das nun auch, möglicherweise von der falschen Seite, anerkannt worden war. Deportationen, Enteignungen und Schauprozesse hatten bei den Banater Schwaben tiefe Verunsicherungen hinterlassen und sie in ihrer Würde verletzt. Ihre Zukunft war mehr als ungewiss. Dennoch wäre Jägers Auszeichnung als praktiziertes sozialistisches Demokratieverständnis zu werten, das freilich ohne Kern und somit auch unvermittelbar geblieben ist. Jäger selbst hat es eine Rente von monatlich 800 Lei eingebracht, das war mehr als seine Landsleute in den fünfziger Jahren durchschnittlich verdient haben. Er genoss im Sozialismus die Gnade des Alters, und es mag nichts anderes als der Pragmatismus der Diktatur gewesen sein, die ihn und sein Werk unbeschadet ließen. Gewandelt hat es ihn nicht, und es ist nicht einzusehen, warum er uns mit achtzig als hungernder Maler bedeutender sein müsste.
Es war hingegen keine weltabgewandte Naivität, die den Künstler unpolitisch bleiben ließ. Es war schlichtweg die Aufrichtigkeit des Herzens, mit der Jäger es verstanden hat, das Tagesgeschehen zu begleiten. Sich selbst und seine Kunst darzulegen, fiel ihm schon immer schwer. Bitte, das waren seine Bilder, und sie waren und sind alles andere als verschlüsselt. Er meint nicht, sie auslegen zu müssen. In einem handschriftlichen biografischen Abriss schreibt er: "Meine malerische Tätigkeit war hauptsächlich dahin gerichtet, meinen Landsleuten gewissenhaft ausgeführte Bilder in leicht verständlicher Form, mit Motiven aus dem Banater Volksleben und Heidelandschaften zugänglich zu machen."
Das sollte eigentlich genügen. Wer· mehr hineinzureden sich abmüht, redet an Jäger vorbei und wird ihn seinen Landsleuten entfremden. Es fehlt keineswegs an missglückten Versuchen zur Politisierung des künstlerischen Werkes von Stefan Jäger. Die deutsche Volksgruppe in Rumänien wollte in ihm den Streiter eines ewigen deutschen Auftrags erkennen, und die auf sie folgenden Kommunisten einen klassenbewussten Porträtisten des kleinen Mannes. Das eine ist so unangebracht wie das andere, und es könnte leicht sein, dass wir uns heute in unserer konsumorientierten Gesellschaft als nicht weniger leichtfertig erweisen, wenn wir das Jäger'sche Werk auf die Formel von Markt und Ware bringen wollten. Gewiss - Stefan Jäger malte, was gefiel und bestellt wurde, auch wenn ihn die oft damit verbundenen Auflagen - etwa den Hühnerhof genau so "wie bei Nochbersch Resi" und nicht anders zu malen - verstimmten. Es bleibt indessen sein Verdienst, den Banater schwäbischen Bauern die Freude am echten, originalen Kunstwerk vermittelt zu haben, für das sie - was so selbstverständlich nicht gewesen ist - Geld auszugeben bereit waren. Das Banat und die Batschka waren, wie Jäger in seinen autobiografischen Aufzeichnungen vermerkt, um 1900 herum „mit reisenden Bilderhändlern überflutet, die mit Dutzendbildein ihre Geschäfte machten ... Ich habe mich darauf verlegt, die schönen schwäbischen Trachten, die landschaftlichen Stimmungen, Sitten und Gebräuche bei Festlichkeiten und im Alltagsleben darzustellen". Er hat mit diesem Grundsatz, über die Freude am schönen Bild hinaus, bildungsfördernd gewirkt und erheblich, wenn auch wohl nicht vorsätzlich, zur Identitätsfindung seiner Landsleute beigetragen.
Immer wieder finden wir die Identität politisch ausgedeutet und mit ideologischen Ambitionen vermengt. Sie ist aber vorrangig eine kulturelle Erscheinungsform, die sich in der Tradition, im Volksgut und in der Sprache äußert und erhält. In diesem Sinne sind die zahllosen Genre-Bilder [[Stefan Jäger]]s, ihre Verbreitung und anhaltende Beliebtheit, ganz gewiss identitätsstiftend gewesen, und zwar in weit höherem Maße als das monumentale Einwanderungsbild, das ja nicht aus dem Alltag gegriffen war, sondern eine zur Legende ausgewachsene historische Erinnerung zur Vorlage hatte. Es markiert allerdings den entscheidenden kreativen Ansatz des Künstlers Stefan Jäger, und wir dürfen davon ausgehen, dass dieser ohne das Einwanderungsbild wohl kaum der "Schwabenmaler" geworden wäre, als den wir ihn heute verehren.
Wie andere auch, so haben auch wir Banater Schwaben mit der Identität unsere Schwierigkeiten. Zur Zeit der Einwanderung waren wir ein aus vielen deutschen Landschaften zusammengewürfeltes buntes Völkchen, das recht unterschiedliche Mundarten sprach und zudem von Franzosen aus Lothringen und Italienern aus dem Friaul durchsetzt war. Wer aus dem Elsass kam, war dem Odenwälder ebenso fremd wie der Pfälzer dem Sauerländer. Die Identität der Ansiedler war regional geprägt und blieb es, bis die Erinnerung an die heimatliche Landschaft im Reich den konkreten Bezug weitgehend verloren hatte und von der Wahrnehmung einer neuen Zusammengehörigkeit abgelöst worden war, die zunächst noch am ehesten von den eingesessenen Völkern, vornehmlich von den Ungarn, erkannt und benannt worden war. Sie differenzierten die Zuwanderer nicht regional, sondern haben uns zusammenfassend als Schwaben bezeichnet, die wir wohl oder übel geblieben sind. Die alten Straßen- und Ortsnamen in unseren Dörfern aber - die Lothringer- oder die Pfälzer Gass, Steierdorf im Banater Bergland oder das Dorf Tirol zeigen, wie bemüht die deutschen Siedler waren, ihre „wahre" Identitität weder zu vergessen noch zu verleugnen. Ähnlich, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, wurden nach der Vertreibung die Namen der Banater Heimatgemeinden auf die Straßen der Vertriebenensiedlungen übertragen, zur Erinnerung an die alte Heimat. Allein - die Identität ist damit nicht gewährleistet. Spätestens in der dritten Generation sind wir weitgehend aufgegangen im bayrischen, württembergischen oder rheinländischen Umfeld, wechseln dabei den Dialekt und tauschen die Feste aus. Wir passen uns an. Wie unsere Vorfaluen auch. An die Franzosen und Italiener der Siedlungszeit erinnerten drei Generationen später nur noch die Familiennamen - auch sie der deutschen Rechtschreibung recht mutwillig unterordnet, und aus Elsässern, Pfälzern und Sauerländern sind die Banater Schwaben hervorgegangen, wenn man so will, als eigenartiges, nicht wiederholbares deutsch-deutsches Konglomerat.
Die Identität muss übrigens nicht immer als erhebend empfunden werden und nicht immer auszeichnen. Unter anderen sind es immer wieder die Künstler und Literaten, die mit ihrer Identität geradezu kollidieren. Die Aktionsgruppe Banat trat offen gegen das an, was wir landläufig als Heimatliebe oder Heimattreue verstehen, und die ebenso vielgelobte wie gerügte Herta Müller leidet geradezu an ihrer Identität. Wir sollten das nicht zusätzlich dramatisieren, denn es ist so ungewöhnlich nicht. Auch Thomas Mann, Klabund, Brecht, Francois Villon, Marlene Dietrich und viele andere machten sich heimatlich unbeliebt, weil sie, zumindest in Teilbereichen, anderer Meinung waren und sich, anders als gewünscht, verhielten. Zur Identität, so ist zu sehen, gehören auch die Gegensätze, und da wird es nicht viel nützen, dass wir sie gern anders hätten. Wir sollten uns fürs Ganze entscheiden, und es als gegeben annehmen.
Vielleicht erkennen wir ja unsere Identität am ehesten im Vergleich mit anderen. Dazu benötigen wir nicht den Vergleich mit den Ungarn, den Rumänen oder Serben - um das zu wissen, reicht ein Blick über die Schulter zu den Siebenbürger Sachsen. Kein Zweifel - wir sind anders, ganz abgesehen davon, dass wir katholisch sind. Das kostet uns heute nur noch ein Lächeln, und es ist gut so. Aber auch die Religion stiftet Identität, und wir sehen, dass diese ebenso trennt wie eint. Kroaten und Serben können uns dabei einfallen, Flamen und Holländer, aber auch die unierten Rumänen oder, ins Globale verlagert, die Schiiten und Sunniten im Orient usw. usw.
Wir haben erlebt, wie die Teilung des Banats nach dem Ersten Weltkrieg zu unterschiedlichen Entwicklungen bei den Banater Schwaben in Rumänien und Jugoslawien geführt hat, und heute sind eigenständige Entwicklungen bei unseren Landsleuten in den USA, in Kanada oder in Brasilien zu sehen, die sich unterschiedlichen Anforderungen stellen müssen und unterschiedlich landsmannschaftlich einzubinden sind. Das Haus der Donauschwaben in Sindelfingen - es nennt sich gern Welthaus der Donauschwaben - stellt sich der Aufgabe eines Dachverbands, der Gemeinsamkeiten auszuloten und Besonderheiten zu berücksichtigen hat, eine Zielvorgabe ausarbeitet und koordiniert.
Was uns bei aller Unterschiedlichkeit einigermaßen zusammenhält, sind die verlorene Banater Heimat und der, damit verbundene Mythos, zusammengefasst in dem schönen Einwandererspruch: Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot. Etwas davon finden wir in Stefan Jägers Triptychon eingearbeitet: den Drang und die Bereitschaft, im Banat Heimat zu finden und ihr unser Gesicht zu geben. [[Adam Müller-Guttenbrunn]] lässt uns in seiner viel zitierten Hymne das Land anders in Besitz nehmen, …"und wo des Schwaben Pflug das Land durchschnitten, wird deutsch die Erde, und er weicht nicht mehr", dichtet er. Wir aber wissen, das Unvorstellbare ist geschehen, wir sind gewichen und haben die „Heimat, deutschen Schweißes stolze Blüte" aufgegeben und anderen überlassen oder überlassen müssen.br/> Stefan Jägers Einwanderungsbild präsentiert kein Heldenepos. Es ist ein künstlerisch ausgereifter Bericht über das Ereignis der Einwanderung. Der Künstler heroisiert nicht - er zeigt, wie wir Heimat finden, und dass es ein eher fragwürdiges Glück gewesen sein mochte, das die deutschen Auswanderer in Ungarn vorgefunden hatten. Denken wir daran, wie naheliegend es doch für den Künstler gewesen sein dürfte, zum Beispiel ein Triptychon mit den Einzelteilen „Eroberung des Banats", "Rodung der Wildnis" und "Triumph der Ernte" zu gestalten, so muss uns Stefan Jägers eher zurückhaltende Variante über unsere Ankunft in der fremde mit Dank erfüllen. Nichts Belastendes haftet dem Bild an, es ist frei von jeder großen Geste und von jeder Überheblichkeit. Es ist bemerkenswert, dass spätere, sich einer triumphalen Darstellung annähernde Varianten bei den Banater Schwaben nie eine mit dem Einwanderungsbild vergleichbare Aufnahme gefunden haben. Das dürfen wir uns gut schreiben, dass wir mit Herz und Sinn immer für dieses Monumentalwerk Stefan Jägers gestimmt haben. Wir wollen es bewahren, denn es ist ein Stück von uns.

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