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ART:0018 - Der Schwabenmaler Stefan Jäger: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 4. April 2015, 13:57 Uhr

Bibliografie
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Autor Name: Wanderer, Johann
Aufsatztitel: Der Schwabenmaler Stefan Jäger
Zeitungstitel: Neuer Weg
Erscheinungsort: Bukarest
Jahrgang: 9
Nummer: 2420
Datum: 01.02.1957
Seite: 4
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Der Schwabenmaler Stefan Jäger


Von Johann Wanderer (alias Franz Liebhard)


Der Maler Stefan Jäger, der beinahe ein halbes Jahrhundert in Hatzfeld wirkte, wird in diesem Jahre seinen achtzigsten Geburtstag begehen. Ein Sohn der Gemeinde Tschene, ließ er sich nach seinen Lehr- und Wanderjahren 1910 in Hatzfeld nieder, ein stiller, zurückgezogener Mann, der nur für die Malerei und ausschließlich von der Malerei lebte. Eine Kühnheit war das in einem Orte, der, obwohl er sich in dieser Zeit vom Dorf zum Marktflecken und von diesem zur Kleinstadt entwickelte, für das Dasein eines Malers nicht gerade die günstigsten Bedingungen bot.

Da war die Domäne der Grafen Csekonics, da entfaltete sich ein großbäuerliches Herrentum, das seinen Reichtum demonstrativ zur Schau stellte und sich von der damals herrschenden Nation infiltrieren ließ, um auch auf diese Weise zu zeigen, dass es etwas Besonderes sei. Nachdem Hatzfeld schon sehr früh in den Eisenbahnverkehr eingeschaltet worden war – vor rund hundert Jahren und nicht zu Beginn unseres Jahrhunderts, wie man es vor kurzem in einem Zeitungsbericht lesen konnte – entstand eine Industrie – Mühlen, Ziegeleien, Hut- und Schuhfabrik. Es entwickelte sich aber auch ein Proletariat, und damit veränderte sich rasch die frühere Struktur der Bevölkerung. Die gesellschaftlichen Kämpfe, die sich auf dem Boden Hatzfelds seit der Jahrhundertwende abspielten, waren daher verwickelter Natur und manchmal von überaus großer Heftigkeit. Welche Widersprüche barg diese vom Rollen der gräflichen Kalesche und den Dampfsirenen der Fabriken durchlärmte Großgemeinde, die vom Drang in das Städtische fieberte! Welche Widersprüche zwischen den Kartenschlachten im Kasino und den meisterlichen Operationen des vortrefflichen Chirurgen Dr. Ludwig Diehl, volkstümlich „der alte Diehl" genannt! Welche unversöhnlichen Gegensätze zwischen dem Rufe des Dorfes, dank dem Atelier Stefan Jägers, ein schwäbisches Athen in der Heide zu sein, wo ein Paul Moussong seine Gedichte drucken ließ und der sich nunmehr auch dem Greisenalter nähernde Peter Jung seine Tausende Gedichte schrieb und dem kapitalistischen Frevel, nach dem ersten Weltkrieg, nach der Enteignung des gräflichen Latifundiums die obdachlos gebliebene Bibliothek, deren Anfänge aus dem 18. Jahrhundert stammten, im Ringofen des Ziegeleibarons Threiss, des „schwäbischen Stinnes", für den sehr nüchternen Zweck der Ziegelerzeugung zu verheizen! In der gleichen Gemeinde, die in ihrem Park der Menschenfreundlichkeit ein Denkmal setzte, ein Standbild des Wohltäters der Leidenden, Dr. Diehl, wurden nach etlichen Jahren sieben Männer ermordet, weil sie von einer Welt der Menschenfreundlichkeit träumten und bereit waren, für eine solche Welt ihr Bestes in die Schanze zu schlagen.

Wie stand der Maler Stefan Jäger inmitten dieser Spannungen und Auseinandersetzungen? Hatte Jäger, den man lange, mit einem billigen Lächeln als einen Maler des Kleinen und Engen, des harmlosen Genres, des Unproblematisch-Hellen, das kein Kopfzerbrechen verursacht, hinzustellen versuchte, in seiner Art, nach den Möglichkeiten seiner Kunst eine Stellung bezogen, die einen Teil des Inhaltes der Zeit zum Ausdruck brachte? Oder wäre es eine Übertretung, in Verbindung mit Jäger hiervon zu sprechen, da er ein Unpolitischer war und es zu allen Zeiten vorzog, als ein solcher gerühmt oder verdammt zu werden? Der hochbetagte Meister wird vielleicht das Haupt staunend schütteln, wenn er vernimmt, dass hier nach Zusammenhängen gesucht wird, die nicht auf der Oberfläche liegen, sondern darunter, jedoch nicht nur aufgespürt werden können, sondern ins Licht gerückt werden müssen. Anders wird man seiner Bedeutung nie gerecht werden können, anders wird es nicht einmal annähernd möglich sein, sein besonderes Gewicht im Leben der deutschen Bevölkerung des Banats richtig zu ermitteln.

Der 1877 in Tschene geborene Sohn eines Rasierers und Feldschers, dessen malerische Begabung schon in frühem Alter zum Durchbruch gekommen war und der sich in Budapest, München und Venedig zum Maler ausgebildet hatte, war immer ein Abseitiger – in seiner Kunst, aber auch in den Beziehungen zu den Menschen seiner Umwelt. Er war zeitlebens in bestimmtem Sinne ein Einsamer, ja sogar in einem gewissen Masse ein Eigenbrötler, der einen Kreis um sich gezogen und sich darin eingerichtet hatte. Vergegenwärtigen wir uns einmal nur die Zeit: wir stehen vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges, ein Gewitter ist im Anzug, in dem die gräfliche Herrlichkeit versinken soll. Aber um 1910 war sie noch unangetastet. Müssen wir nicht der Einsamkeit, ja sogar der Eigenbrötelei Stefan Jägers zustimmen, weil er sich durch sie davor behüten konnte, in das gräfliche Schlepptau genommen zu werden? Wir dürften diese Einsamkeit auch aus einem anderen Grunde billigen. Sie verhütete, dass er zweifellos vorhanden gewesenen Verlockungen, ein schönfärberischer, idealisierender Porträtist des Großbauerntums zu werden, nicht erlag.

Manchen schien dieser selbstgezogene Kreis des Einsamen sehr eng, geradezu krähwinklig, außerhalb der höheren Kunstbezirke liegend, außerhalb des heiligen Schauders, wo der Geheimsprache der Farben die Gefahr droht, vom Grau des prosaischen Alltags verschlungen zu werden, und einen der seelische Veitstanz der Dürrnis so lange schüttelt, bis man nicht mehr vergisst, einmal irgendwann im Leben innere Stimmen vernommen und im Scheine innerer Gesichte gestanden zu haben. Wer erinnert sich nicht an die Zeit der Kunstverzückung, an die exaltierten Schwärmereien und das Rätselgeflecht von Ismen? All das war auch zu uns geflutet, es gab auch bei uns Auserwählte und Exaltierte, Verschmäher des Wirklichen und Dogmatiker der Phantasterei, die in einer Sackgasse auf der gleichen Stelle umhertraten. Diese Gilde der Traumschwangeren, die ihrer Palette ein Eigenleben, ein vom Leben der Umwelt unabhängiges, zugedichtet hatten, blickte auf jeden nieder, wie wenn man von einem an die Wolken stoßenden Gipfel in die unermessliche Tiefe, die alles winzig-klein erscheinen lässt, hinabschaut. Daher galt Stefan Jäger manchem Adepten des Kunstbetriebs nicht als vollgültiger Maler; er war den Zünftigen zu einfach, weil er sich in keine Komplikationen verrannte und weil das, was er mit seinem Pinsel darstellte, nicht etwas anderes sein sollte, als sich dem Auge darbot. Jäger wurde wegen seiner Treue zum Gegenständlichen und zum Menschlichen als eine Peripherialerscheinung zum Teil bemitleidet, zum Teil als „Dorfmaler" entwertet. Es wurde ihm ein größerer Geistigkeitswert aberkannt, und er wurde als der Vertreter eines mehrweniger vulgären Kunstgeschmacks abgestempelt.

Was aus dieser Bewertung als Negatives herausgelesen werden kann: Jene unbedingte Anhänglichkeit der Wirklichkeit gegenüber, die sich all die Jahrzehnte hindurch als unerschütterlich erwiesen hat, ist gerade das große Positivum, das als hervorragendster Vorzug seines Schaffens ihn der Gegenwart so wert macht, ihn trotz des hohen Alters als einen Maler erscheinen lässt, dessen Werk mit der Zeit von heute eng verknüpft werden kann. Über die Spannweite seiner Thematik und der Behandlungsweise seiner Gegenstände können die Meinungen auseinandergehen – eines bleibt unverrückbar bestehen: Seitdem er die „Einwanderung der Schwaben", das große dreiteilige Gemälde von Wanderung, Ankunft und Niederlassung geschaffen hat, ist er dem Grundmotiv vom Menschen, der sich durch seine Arbeit behauptet und sich das Leben durch sinngemäße Feste verschönert, immer treu geblieben. Eine solche Lobpreisung des Menschen, der sich durch seiner Hände Mühe einen Herd schafft und Neuland dem Pflug erobert, kann füglich als Einspruch hingestellt werden gegen alle Ungeheuerlichkeiten, die in zwei Weltbränden über uns und unseresgleichen anderer Sprache gekommen sind. Der gesellschaftliche Protest spricht viele Idiome, einer dieser tönte aus Jägers Bildern den Anschlägen wider die Menschenfreundlichkeit, der im Großen betriebenen Entmenschlichung entgegen. Wohl hat Jäger nicht die ganze Wirklichkeit seiner Zeit bis zu den tiefsten Zusammenhängen und in ihren Bewegungen zu erfassen vermocht. Wenn es nicht zu den Ruhmesblättern von Hatzfeld gehört, dass Karl von Möller in den Mauern des Städtchens seine Romane auf dem Siedepunkte nationalistischer Blindheit und militaristischen Gerassels geschrieben hat, so kann es andererseits Hatzfeld nicht hoch genug angerechnet werden, dass ein Maler vom Wesen Jägers hier die Möglichkeiten für seine Betätigung gefunden hat. Und dass er sie auch bis ins hohe Alter hinein behalten konnte durch sein ununterbrochenes Bekenntnis zum Menschlichen, zur Schönheit des Lebens bei Arbeit und Fest, durch seine Treue zum einfachen Volke, in seiner rührenden Liebe zu allem, was diesem gehört – vom Spinnrad bis zum Zapfenbrett, von einer einfachen Schnitzerei bis zum Barockgiebel der Bauernhäuser, vom Kerweihstrauß bis zur Haartracht der aufgesteckten Zöpfe, von der hauchigen, festlichen Mädchentracht bis zur ehrwürdigen Truhe, von den einfachen Ornamenten an Möbelstücken bis zu den in die prächtige Seide der Röcke hineingewebten Blumen.

Das alles ist ja Volkskunde – vielleicht findet sich jemand, der das mit dem Nebengeräusch leiser Missachtung auch heute noch sagt. Unbestreitbar – das ist es, und es wäre nur das, wenn nicht alles durchdrungen wäre von einem tiefen Gefühl der Zusammengehörigkeit aller dieser Dinge; einem Gefühl, das sie in die Sphäre der Kunst erhebt. Was Stefan Jäger der deutschen Bevölkerung des Banats bedeutet, wird sich in der großen Ausstellung eines Teiles seines Lebenswerkes, die zu seinem achtzigsten Geburtstag geplant ist, in großen Umrissen wenigstens ermessen lassen. Neben dem Gesamtwerk, das über das ganze Gebiet des Banats zerstreut ist, liegt Jägers Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft in seinen reichen Skizzenmappen eingeschlossen, die vom Banater Regionalmuseum vor kurzem erworben wurden und eine wahre Schatzkammer der Dokumente schwäbischen Volkslebens darstellen. Die Ergebnisse der Beobachtungsarbeit von Jahrzehnten liegen in diesen Blättern verschiedener Größen, in diesen Aquarell- und zum kleineren Teil Bleistift- und Tuschskizzen, die oft die Jahreszahl ihrer Entstehung und verschiedene, mit Bleistift gemachte Anmerkungen aufweisen.

So ist eine Skizze der Mädchenfesttracht von Neubeschenowa durch folgenden Text begleitet: „Blumen in Silberfarbe, ähnlich wie Sackelhausen." Skizzen eines Erntefestes mit der Zeichnung eines halbkugelförmigen Ohrgehänges in Großausführung, Tanzausführung, Tanzpaare aus Bakowa wechseln mit Schnitterinnen aus Kleinbetschkerek ab, zu denen die Bemerkung geschrieben ist, dass die besonderen breiten Strohhüte im Schnitt auch von den Männern getragen werden. Neben einer Stube aus Guttenbrunn (Ofen, Spinnrad, Schubladkasten, Bett, davor Stühle und Tisch mit Krug) eine Frau beim Bügeln, ein malerisches Gassl und das Bild eines Silvesterständchens der Blechmusik aus dem gleichen Dorf. Sackelhausen ist durch eine Frauenhaube vertreten /mit Bleistift: „Schwarz mit Goldstickerei" / „Mattfleischfarbener Spenzer, Hemd mit roten Zacken eingefasst"/, liest man neben einem Mädchen in Tracht. Ein anderes Sackelhausener Mädchen ist wie folgt beschrieben: Tochter, Suppe auftragend – Rock: hechtgrau. Und so geht es fort: Deutschbentschek und Kreuzstätten, Jahrmarkt und Schöndorf, und noch viele andere Ortschaften. Jedes Blatt eine Fundgrube, auf jedem Blatt eine neue Entdeckung.

Das Bezeichnendste und Aufschlussreichste dieses unvergleichlichen umfangreichen Materials – die Zahl der Skizzenblätter beläuft sich auf mehrere hundert, jedes mit mehreren Abbildungen – soll in farbiger Wiedergabe in einem Trachtenbuch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So wird das, was dem Ursprung nach dem Volke gehört, über den Maler zum Volke wieder zurückkehren, als Spiegelbild der schöpferischen Kraft, die ihm innewohnt und die wir an Hand der Jägerschen Skizzen noch besser werden kennen lernen als es bisher möglich war. Es ist zu wünschen, dass dieser Plan der Direktion des Banater Regionalmuseums als Beitrag zur Ehrung des Nestors unserer Maler unter den besten Bedingungen verwirklicht wird als Zeugenschaft dafür, dass in der Rumänischen Volksrepublik nicht nur Raum für die Pflege aller Volkskultur ist, im Geiste einer Eintracht, die keine Unterschiede kennt zwischen Bevölkerungsteilen verschiedener Sprache und verschiedener nationaler Überlieferungen.


Repro:

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