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Das Tagebuch Stefan Jägers – seine Skizzen

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0918
Autor Name: Dr. Annemarie Podlipny-Hehn
Titel des Artikels : Das Tagebuch Stefan Jägers – seine Skizzen
Publikation: Ausstellungskatalog
Titel der Publikation: Hommage an Stefan Jäger
Untertitel der Publikation: Katalog zur Ausstellung und zum Symposium
Herausgeber: Hilfswerk der Banater Schwaben
Druckerei: diedruckerei.de
Erscheinungsort: Ingolstadt
Jahr: 2012
Seite: 133-135
* [[Dr. Annemarie Podlipny-Hehn]]: [[ART:0918 - Das Tagebuch Stefan Jägers – seine Skizzen|<i>Das Tagebuch Stefan Jägers – seine Skizzen</i>]]. Hommage an Stefan Jäger. Hilfswerk der Banater Schwaben, Ingolstadt 2012

Am 16. März waren es 50 Jahre seit dem Tode des beliebtesten Heimatmalers der Banater Schwaben und am 28. Mai jährt sich zum 135. Male der Geburtstag Stefan Jägers. Der Maler veranstaltete zu seinen Lebzeiten keine einzige Eigenausstellung – abgesehen von der in Groß-Betschkerek, die 1930 die Batschkaer aus Privatbesitz veranlassten.
Die erste große Retrospektivausstellung des Malers fand 5 Jahre nach seinem Tode zum 90. Geburtstag Stefan Jägers statt und wurde in der Kunstabteilung des Banater Museums im Hunyadi-Kastell in fünf großen Ausstellungsräumlichkeiten eingerichtet; sie umfasste über 200 Arbeiten.
Ist es uns damals gelungen, eine so umfassende Jäger-Ausstellung in Temeswar aus Privatbesitz aufzubauen, mit Bildern, die kreuz und quer über das ganze Banat verstreut waren, so war es ein Beweis dafür, dass Stefan Jägers Werk Eigentum unserer Volksgemeinschaft geworden ist, aus deren Leben, Arbeit und Festen, Sitten und Brauchtum es entsprungen ist.
Im Jahre 1992 konnte ein Großteil seiner Bilder aus dem Besitz des Banater Museums und der Hatzfelder Gedenkstätte innerhalb einer Wanderausstellung in mehreren Städten der Bundesrepublik Deutschland gezeigt werden.
Die gegenwärtige Schau in Ingolstadt ist ansehnlich mit ihren über 100 Bildern, die ausschließlich aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt wurden. Unsere Landsleute haben ihre Jäger-Bilder mitgenommen, für sie bedeuten diese Bilder nicht nur ein freudiger Blickfang in ihren Wohnräumen, sondern ein Stück Tradition, ein kostbares Erbe der Väter, ein Stück Heimat.
Stefan Jägers Kunst ist dem engeren heimatlichen Lebensraum entsprungen und bleibt einem gewissen Provinzialismus verhaftet. Dabei muss man diesen Begriff nicht unbedingt abwertend verstehen. Im Falle Jägers handelt es sich vielmehr um eine Kunst, die sich im wahrsten Sinne des Wortes auf diese Provinz, auf das Banat, bezieht, und sie tut es voll der erhabensten, aufrichtigsten Gefühle: Liebe zur Heimat, Freude an ihren Schönheiten, Achtung vor den Menschen und ihrer Arbeit, vor ihren Traditionen. Es ist eine Kunst, die tief in dem vertrauten Heimatboden und seinen Überlieferungen verankert ist.
Wir möchten heute auf die intimsten Schöpfungen des Malers, die dem breiten Publikum weniger bekannt sind und die sozusagen das Tagebuch des Malers bilden, aufmerksam machen. Es sind dies die vielen Hunderte von Blättern verschiedener Größe und unterschiedlicher Qualität des Papiers, auf welchen das Banater Volksleben festgehalten ist, sei es mit Bleistift, Tinte oder in den durchsichtigen frischen Farbtönen des Aquarells. Diese Skizzen wurden nicht auf dem Reißbrett oder auf der Staffelei im Atelier entworfen, sondern sie sind auf den täglichen Wanderungen, inmitten der Natur, inmitten des Volkslebens aus unmittelbarem Erleben entstanden. Sein Skizzenheft in der Rocktasche war stets sein täglicher Begleiter.
Gern bezeichnet man das Einwanderungsbild als Jägers Hauptwerk, schon weil dieses Triptychon durch seine beträchtlichen Dimensionen (5 x 1,5 m) die größte und figurenreichste (80 Gestalten) Arbeit des Malers ist und vor allem weil es sehr bekannt, durch Reproduktionen weit verbreitet wurde. Doch erst nach diesem ersten großen Schwabenbild, das thematisch dem Leben der Heimat entsprungen ist und für seine Landsleute bestimmt war, begann Jäger sich intensiv mit der Welt und dem Schaffen der Banater Menschen auseinanderzusetzen und sich zum beliebtesten Maler der Banater Schwaben zu profilieren. Auch diesem Werk sind zahlreiche Skizzen und Studien vorausgegangen, die Varianten dieses Themas sowie Details festhalten.
Das zweite große Thema, das Jäger geschaffen hat, ist „Des Schwaben Kulturarbeit“, ebenfalls in drei Teile gegliedert, worin drei veerschiedene Etappen der Rode- und Aufbauarbeit dargestellt sind. Auch dazu sind Skizzen vorhanden, die das Ackern der ersten Furche darstellen. Die Feldarbeit ist in vielen Skizzen des Malers festgehalten: das Ackern und Säen, Schnitt und Drusch, Maisernte und Kartoffelernte, Weinlese u. v. a., daneben sind die verschiedensten Geräte – angefangen von der primitivsten Egge bis zur Dreschmaschine – in ihren Details aufnotiert. Die Heimkehr vom Felde, Essentragen und viele andere Aspekte der täglichen Arbeit sind in ihrer Vielfalt wiedergegeben.
Der Bauernhof mit seinem Zubehör, sowohl der Vorderhof mit den Blumenbeeten als auch der Hinterhof mit den Stallungen und Scheunen, dem Vieh, den Hühnerhöfen; das Bauernhaus mit dem schmucken Barockgiebel, die Bauernwohnung mit den einzelnen Möbeln vom Zapfenbrett bis zum Spinnrad, all dies gab dem Maler Anlass zu liebevoller Schilderung.
Die Banater Ebene im Wandel der Jahreszeiten, die Felder und Fluren oder das Banater Heidedorf mit den kleinen weißen Häusern der Ärmsten am Dorfrand bei der Kaul. Die Rossmühle, schon damals eine Seltenheit und heute ganz verschwunden, ist nur noch in den Skizzen und Bildern Stefan Jägers verewigt. Mit den sparsamsten künstlerischen Mitteln, durch wenige Umrisse und Farbflächen, die manchmal dünn angedeutet, von Licht durchdrungen und aufgelockert erscheinen, ein andermal wieder verdichtet aufgetragen sind, gelingt es Stefan Jäger in seinen Skizzen, die Atmosphäre der Landschaft festzuhalten. Wir spüren die Freude des Wanderers durch die Fluren seiner Heimat, die der Maler mit all seinen Sinnen ausgekostet hat. Pinsel und Zeichenstift waren seine Werkzeuge. Manches mag er auf einem Wegstein sitzend, flüchtig skizziert und dann im Atelier farbig durchgeführt haben. Dafür stehen oft neben dem Motiv Notate, die die Farben betreffen. Diese Naturstudien dienten dem Maler zu Arbeitszwecken, als Unterlagen, sei es um einen landschaftlichen Hintergrund zu schaffen oder um sie in eine Komposition einzuflechten. Einsam in der Werkstatt arbeitend, mit Respekt vor dem künstlerischen Eigenwert jeden Dinges, des kleinsten wie des größten, sei es die Kalligrafie der Grashalme oder das Samtrot der Rosen, vollendete Stefan Jäger seine Bilder. Blättern wir aber weiter in dieser Skizzenmappe kostbaren Volksgutes, so erfreut sich unser Auge an der Farbenpracht der Trachtenskizzen. In sicheren Grundrissen ist eine Bewegung, eine Haltung oder der Faltenwurf einer Tracht festgehalten. Hier sind Trachten aus fast allen Dörfern des Banats in ihrer Buntheit aufbewahrt. Mit demselben Blick für das Detail notiert er die kleinsten Unterschiede in den Trachten der verschiedenen schwäbischen Dörfer. Von den Kindern bis zu den Erwachsenen, den Mädchen und Frauen, sind sie in ihrem Alltagskleid sowie in ihrem Sonntagsstaat aufgezeichnet. Ausführliche Beschriftungen machen uns aufmerksam auf Eigenheiten oder Unterschiede der Trachten oder aber auf Farbe und Muster der Röcke und Schultertücher. Auch die Haartracht der Mädchen und Frauen, ihr Kopfputz sowie ihre Kopfbedeckung ist in zahlreichen gesonderten Zeichnungen des Malers anzutreffen. Das Mutter-Kind-Verhältnis ist mit großer Liebe erfasst.
Zur Zeit der Festtage war Jäger ein rastloser Wanderer. Er zog durch die Dörfer, um Bräuche, Sitten und Trachten seiner Landsleute auf Papier zu bringen. Die Kerwei, das Erntefest und andere Volksfeste sind in allen Einzelheiten dargestellt – vom Kerweihut und Rosmareinstrauß bis zu Kompositionen mit Vortanz und Lizitation sind Szenen in vielen Varianten von der Hand des Malers mit dokumentarischer Genauigkeit skizziert worden. Aus der Perspektive eines stillschweigenden Zuschauers, der oft unbeachtet in diesem lustigen Treiben sich in eine Ecke zurückzog, dessen Blick aber nicht das Geringste entging, notierte er eben auf ein Stück Papier, das ihm zur Hand war; oftmals war es auch nur ein Packpapier, das ihm eine gastfreundliche Hausfrau reichte, eine Heftseite, die ihm ein Kind gab, ein Zeitungspapier oder die Kehrseite irgendeines Fotos, das er im Hause der Leute fand – ein Beweis der Unmittelbarkeit, aus der heraus seine Skizzen entstanden. Auch die Zerstreuungen im Winter finden ihren Niederschlag: die Schlittenfahrt oder die Gemütlichkeit der Winterabende in der Reih’. Viele dieser Stegreifzeichnungen warf er in Wirtshäusern hin; in ihnen ist der Rhythmus der sich im Ländler wiegenden Paare oder der beschwingte Polkaschritt virtuos gestaltet. Die Dorfmusikanten mit ihren Bläsern, die Tanzpause mit den Neckereien der Jugend und nicht zuletzt die Reihen der Zuschauer mit den älteren Frauen, Großmüttern, Tanten und Kindern, sie alle ergänzen das Bild des Dorflebens im Festtagskleide. Viele der Blätter sind überschriftet mit den nötigen Angaben, was Farbe, Gruppierung der Personen oder sonstige Einzelheiten betrifft.
Man könnte noch unzählige Themen anführen, die Jäger aus dem unerschöpflichen Quell bunten Volkslebens für die Nachwelt gesammelt hat. Es sind wahrheitsgetreue, mit strengster Genauigkeit und Sorgfalt ausgeführte Bilder der Wirklichkeit, die viel Wärme und Liebe, viel Verständnis des Malers für seine Mitmenschen und Umwelt ausstrahlen – eine schwäbische Ethnografie von großem dokumentarischen Wert.
Betrachten wir Stefan Jägers Lebenswerk näher, so fällt uns auf, dass Blumenmotive in fast allen seinen Bildern zugegen sind, sei es in den Stillleben als selbstständiges Motiv, in den Figurenbildern als landschaftlicher Hintergrund, in den Landschaften als stimmungsschaffendes Element oder in den Trachtenbildern als farbenfrohes Ornament. Der Vortrag ist frei und zart, sein Kolorit ist lyrisch abgestimmt. Eine gewisse Zärtlichkeit für das gewählte Motiv und die liebevolle Fähigkeit, es als Kleinbild sauber durchzugestalten, das sind die Stilelemente dieser Blätter. Viele der koloristisch so bezaubernden Blumenskizzen sind bei Wanderungen entstanden. Stefan Jäger brauchte nicht weit zu wandern, um die bunte Welt der Feldblumen zu entdecken; er fand sie schon, wenn er die letzten Häuser der Siedlung hinter sich ließ: Kornblumen, Rittersporn und Klatschmohn vereinen sich in buntem Reigen, darüber lächelt Himmelsbläue; Wiesenkleeblüten, Löwenzahn mit seidigschillernden Federkronen, Blätter, Gräser und Halme – alles spricht uns freudig und vertraut an, jubelt uns zu. In diesem Sinne mögen die wenigen Worte ein Blütenstrauß der schönsten und reinsten Gefühle sein, womit wir Stefan Jäger ehren wollen.
Zum heutigen Festtag flicht man Stefan Jäger den schönsten Blumenkranz mit Seelenblüten aus der Banater Heide und Hecke; sie kommen aus dem Herzen jener, denen die Bilder des Malers ein Stück Heimat bedeuten.

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