Stefan Jäger Archiv

ART:0179 - Sternstunde der Ethnologie

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Bibliografie
Artikel Nummer: 0163
Autor Name: Konschitzky, Walther
Aufsatztitel: Sternstunde der Ethnographie
Zeitungstitel: Neuer Weg
Erscheinungsort: Bukarest
Jahrgang: 29
Nummer: 8719
Datum: 28.05.1977
Seite: 4
* [[ART:0179 - Sternstunde der Ethnologie|Konschitzky, Walther. Sternstunde der Ethnographie. Neuer Weg Bukarest 1977]]


Über die Bedeutung Stefan Jägers für die Volkskunde der Banater Deutschen
Zum 100. Geburtstag des Banater Malers Stefan Jäger

Mehrere hundert Skizzen von Stefan Jäger sind in Mappen wohlverstaut im Banater Museum aufbewahrt, Blätter aus fünf Jahrzehnten, die ältesten datiert noch vor 1920. Es gibt kaum ein Motiv im umfangreichen Werk des Malers, das nicht schon in diesen Skizzen festgehalten ist, und die Sammlung stellt nur einen Teil aus der großen Zahl seiner Notizen dar, dennoch ist sie eine wertvolle Dokumentation zur materiellen Volkskunde der Banater Schwaben, und jenen ist zu danken, die sich noch zu Lebzeiten des Malers und nach seinem Tod bemüht haben, die Mappen für das Museum zu erstehen. Vor allem waren dies der Maler Franz Ferch und der Dichter Franz Liebhard, die wiederholt auf die Bedeutung dieser kleinen Blätter hingewiesen haben.
Ihre Vielfalt ist so groß, die Dokumentation so genau, dass wir sehr vermuten, eine für den Maler peinliche Panne am Anfang seiner Laufbahn muss diese Akribie ausgelöst haben. Bei der Ausführung seines ersten substantiellen Auftrags – für die Gemeinde Gertjanosch ein Gemälde über die Einwanderung der Deutschen ins Banat zu malen – unterlief ihm ein schwerer Fehler: Er hatte die Einwanderer nicht in der Tracht der Siedlungszeit dargestellt. Erst nach eingehenden Trachtenstudien im Ausland, für die wiederum die Gemeinde Gertjanosch durch eine vorbildliche Sammelaktion aufkam, malte Jäger das Einwanderungstriptychon, das seit Jahren in der Gedenkstätte in Jimbolia ausgestellt ist.
Wenn diese Begebenheit auch nicht einziger Anstoß zu Jägers Skizzenreichtum war, so hat sie nach der menschlichen und künstlerischen Sensibilität des Malers zu schließen, doch wesentlich beigetragen, dass er fortan alles im kleinsten Detail vorher festhielt, auf fast alle Skizzen Anmerkungen betreffend Farbe, Stimmung oder Komposition schrieb. So wurden diese Skizzenblätter zu wertvollen Dokumenten für die ethnographische Forschung. Wir wollen jedoch festhalten, dass Jäger kein Volkskundler war, es ging ihm nicht um die Forschung. Er hielt fest, was und wie er es sah, um es in seinen Bildern auszuwerten. Und das tat er als Maler, allerdings auch als guter Kenner des Volkslebens und der Volksseele, als ein naturverbundener Mensch, der die Banater Pusztalandschaft wie kaum ein anderer als Teil seiner selbst in sich trug.
Drum sei zuerst einiges über das Künstlerische seiner Skizzen gesagt. Mir scheint sich in diesen Blättern ein größerer Könner vorzustellen als in seinen fertigen Arbeiten in Guache, Aquarell oder Öl. Hier begegnen wir dem Künstler zweifelsohne unmittelbar, und zündend spricht an, was den, was den Maler dazu bewegte, eine Farbimpression, ein Detail, einen Gedanken, Kompositionselemente oder aber Stimmungen und Motive der umgebenden Welt in Farbe oder auch nur in Tusche zu Papier zu bringen. Diese Notate legen ein weit besseres Zeugnis für seine zeichnerische Meisterschaft ab als die im Atelier – oft mehrmals – aus geführten Blätter und Gemälde, mit deren Erlös allein der Maler für seinen Lebensunterhalt auskam.
Ein solches Unterfangen, materiell nur auf die Einkünfte seiner Kunst gestellt zu sein, setzte für Jäger in der Umwelt, in der er sich niederließ, Kompromissbereitschaft voraus. Es ist anzunehmen, dass viele Arbeiten einzig und allein als Broterwerb entstanden sind, nichts anderes spricht für sie. Dies trifft auf seine Skizzen nicht zu, in ihnen äußert und entfaltet sich ein freier Künstler, direkt und souverän, und wer sie zu lesen, sie zu deuten versteht, wird dem Maler unmittelbarer, weniger voreingenommen und verständnisvoller entgegentreten.
Das außerdem Bedeutsame dieser Skizzen ist ihr ethnographischer Wert. Jägers Bestandaufnahme ist als eine Sternstunde für die Volkskunde der Banater Schwaben zu werten. Ich habe dies schon einmal ähnlich gesagt, heute an seinem 100. Geburtstag soll es wiederholt sein. Jägers Arbeit auf dem Gebiet der Tracht – aber nicht nur der Tracht – setzte in breiterem Umfang nach dem ersten Weltkrieg ein, als die Jugend in den Heidedörfern die Tracht abzulegen begann. Jäger hielt unermüdlich in Farbe fest, was die Fotografie noch nicht tat. Die besten Lichtbilder über Banater Trachten und Dörfer überhaupt, die in jenen Jahren von dem Berliner Fotografen Retzlaff gemacht wurden, waren Schwarzweiß-Aufnahmen, und nur wenige wurden später aufgrund äußerst genauer brieflicher Angaben seiner Gewährsleute ausgefärbt.
Das andere taten Jäger, Ferch und nur noch wenige andere Maler. Manches wurde in unserer Zeit auf Farbfilmen festgehalten, doch es war – soweit es ältere Trachtenstücke betrifft – immer nur Rekonstituierung, während Jäger die Tracht, den Hausrat malte, als all dies noch wirkliche, einheitliche Umwelt der Menschen war, die er und für die er es malte. Und dann trifft selbstverständlich auch auf Jäger zum Teil zu, was die Ethnographin und Malerin Juliana Fabritius-Dancu über Trachtenbilder sagt – sie seien besser in Aquarell als die starre Fotografie, die nur einen Augenblick festhalten kann, weil im Aquarell die Stimmung mit dem Porträt, das integrierter Bestandteil der Bilde sein muss, besser herausgearbeitet werden kann, und es trifft auch zu, dass dank dem aufmerksamen und geschulten Blick in Jägers Bilder Bedeutsames hervorgestrichen, weniger Kennzeichnendes aber ausgespart blieb.
Die Motivik seiner Skizzen wie auch seiner Arbeiten lassen einen sehr feinfühlenden, verstehenden und verständnisvollen Menschen vermuten, der für die meisten allerdings ein schweigsamer , verschlossener, unzugänglicher Mensch blieb, ein Mensch, der kaum ein Bekenntnis über sich selbst hinterließ. Sein malerisches Werk aber ist ein vielsagendes Bekenntnis zu dem Stück Land, das darzustellen er sich zur Lebensaufgabe genommen hatte. Franz Liebhard umschrieb dies in seiner Würdigung zum 80. Geburtstag des Malers so: „… nicht anders ist die Botschaft, die uns aus Jägers Gesamtwerk anspricht – eine Botschaft der emsigen Arbeit, der Liebe zum Menschlichen, der Freude am Leben, der Treue zum eigenen Menschlich-Besonderem in Sprache und Gebräuchen, die Botschaft des Verständnisses für jedes Anderssein in Sprache und Gesittung, die Botschaft vom Bunde der Menschen, die aus guten Keimen Zukünftiges wachsen lassen.“
Das Banater Dorf und seine Menschen finden sich dargestellt in einem großen Mosaik; kein Motiv fehlt in den Skizzen, sei es die Anlage der Dorfstraße, das Haus, die Giebelverzierung, die Stube mit allem Hausrat, der Wirtschaftshof mit allen Anlagen, der Garten, das Feld. Zu jedem Brauchtumsfest finden sich Anmerkungen über die Reihenfolge des Ablaufs etwa, über die Aufstellung der Teilnehmergruppen, über Aussehen, Maße, Farbe und Tracht, Zubehör und Requisiten, über Handwerke oder Vorgänge, Werkzeuge und vieles andere. In einer großen Zahl der Skizzen sind das Dorf und seine Einrichtungen dargestellt, die kurzen Beschriftungen ermöglichen uns weitgehend eine genaue örtliche und zeitliche Einordnung: „Jahrmarkt in Hatzfeld“, „Rossmühle in Ostern“, „Rossmühle in Komlos“ – es sind auch Zeichnungen über die Funktionsweise dieser dörflichen Mühlen vorhanden – „Glockenstuhl St. Hubert“, „Csebe (Heckkreuz)“, „Buzias (Bank im Park – Bacovaer Mädels)“, „Storchennest am Strohschober“. Wir finden Darstellungen der — meist barocken und verzierten – Häusergiebel, aber auch noch bewohnten Häusern der Siedlerzeit, es fehlen nicht Notate über die Wohnkultur, über Möbel, über Aufbewahrung der Nahrungsmittel in der „Speis“, über Backofen, Uhren, Hängelampen, Wand- und Bettschmuck, Teller und Tellerbretter, Spinnräder. Im Hof sind die Blumenkübel mit den schönen Leander oder Muskaten, das Geflügel – weniger die Haustiere – skizziert, die Arbeiten im Haus und Garten, z. B. „Im Frühjahr (Bäume ausputzen)“, „Lieschen“ – beim Kukruzlieschen“, der Leiterwagen, Riemzeug, „Kukruzlaubschober“ – ein besonders schönes Blatt – verschiedene Arten der Vogelscheuchen.
Jäger wanderte viel und als aufmerksamer Beobachter über Wiesen und Felder, und seine ersten Eindrücke von diesen Spaziergängen sprechen aus einer Vielzahl von Skizzen zu uns: Da zeichnet er eine stattliche Reihe von Kreuzhaufen nach dem Schnitt – im Hintergrund zeichnet sich die Bohnsche Ziegelei als Silhouette ab – da stellt er einen heimkehrenden schwäbischen Bauernwagen dar, da einen rumänischen mit der Anmerkung „Gabel, Rechen, Schaufel, rückwärts rum. Knabe spielt Flujer“, da einen Ochsenkarren vor einem Feldkreuz, da das Mittagessen im Acker, da die Kukruzhaufen, da einen Ziehbrunnen an einem Feldweg.
Die meisten Skizzen, die im Banater Museum aufbewahrt werden, sind Studien zu Trachten- und Brauchtumsfesten, viele von ihnen ordnen einzelne Motive detailgetreu ausgeführt in eine flüchtig umrissene Kompositionsaufteilung ein. Aus mehreren Dörfern werden auf Blättern ganze Trachtenüberblicke geboten, die Kleidung der verschiedenen Generationen neben Bewegungsstudien, wie etwa die Blätter „Engelsbrunn“, "Bacova“ oder „Dt. Skt. Peter“, auf anderen werden einzelne Momente eines Festablaufs gezeigt, wie „Neu Beschenowa – Abholen der Vortänzerin“, „Hut putzen“ oder „Zur Schlussprüfung (siehe Bacskaer Mädchen)“. Nicht zuletzt treffen wir Besonderes aus dem Dorfleben an, wie: „Es wird bekanntgegeben …Comedianten in einem schw. Dorfe“ oder die "150-Jahre-Feier in Ortzidorf“, über die mehrere Skizzen erhalten sind.
Jäger stellt aber nicht nur Schwäbisches dar, es finden sich auch viele Skizzen, in denen Trachten, Arbeitsgeräte oder Porträts von Rumänen, Serben wie auch von Zigeunern zu sehen sind. Zur Illustration, wie genau Jäger sich dokumentierte, selbst wenn er nicht mit Malzeug ausgerüstet auf Motivsuche ging, sollen einige Anmerkungen auf Bleistiftzeichnungen angeführt sein: „Zaun Naturholzfarbe, Baumlaub gelb, im Schatten etwas grün“, „Diestel rotviolett“, „Dunstig Licht, grüner Weizen, Laubschober“, „Stoppelfeld, im Gegenlicht“, „Nebel – zur Jagd“, „Kukruzhaufen – trübes Wetter“ und vieles mehr.
Eine ganze Welt, die Welt der Banater Schwaben zur Zeit Jägers eröffnet sich dem Betrachter dieser Skizzenmappen. Wie bedeutsam sie zur Feststellung der Herkunftsorte einzelner Trachten auf vielen Bildern sind, sei hier im besonderen hervorgehoben. Ihre ethnographische Auswertung wird dem Forscher eine mühevolle, aber eine dankbare Arbeit sein.


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